Читать книгу Der Untergang von Neskaya - Marion Zimmer Bradley - Страница 9
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ОглавлениеAm nächsten Tag weckte Coryn eine strahlende Sonne. Er schlug die bleiernen Lider auf und betrachtete die schräg einfallenden Lichtbahnen. Es musste schon fast Mittag sein. Warum hatte er so lange geschlafen?
Er stemmte sich auf den Ellbogen und fragte sich einen verwirrten Moment lang, ob er mit Lungenfieber zu Bett gelegen hatte wie damals, als er sechs gewesen war. Der Ansatz eines Lächelns umspielte seine Lippen. Er war genau dort, wo er sein sollte, in seinem guten alten Schlafzimmer mit den grau-rosafarbenen, glatten Steinmauern, an denen alte Wandbehänge mit Darstellungen aus der Legende von Hastur und Cassilda hingen. Ruella, seine alte Amme, hatte immer behauptet, Großtante Ysabet habe sie gewoben, die nie geheiratet hatte und zweiundneunzig geworden war, alt genug, um eine doppelt so große Burg mit Wandbehängen auszustatten.
Er lag in seinem eigenen vertrauten Bett, in dessen Kopfbrett der laufende Hirsch, das Symbol der Leyniers, eingeschnitzt war, und trug sein eigenes Nachthemd. Und doch … er hatte keine Erinnerung daran, wie er hierher gekommen war.
Jemand hatte einen Klapptisch hereingebracht, auf dem ein Tablett mit Obst und trockenem Brot stand, eine Schale mit zwei braunen Eiern und ein Krug lauwarmes, mit belebenden Kräutern versetztes Wasser. Er nahm an, dass Tessa bei dem bitter schmeckenden Wasser die Hand im Spiel hatte. In ihren Augen war es sicher hilfreich für jemanden, der gestern Abend krank gewesen war …
Gestern Abend!
Coryns Hand huschte zu seinem Unterleib. Als er das Hemd hochzog, sah er keine Spur einer Narbe. Er berührte nur gesunde, unversehrte Haut. War alles ein Traum gewesen? Der gestaltlose graue Schmerz, der Dolch …
Er hechtete durch das Zimmer zur dunklen Holztruhe. Sich auf die Knie werfend, riss er den Deckel auf. Er zog einen vertrauten Gegenstand nach dem anderen heraus. Ja, da war der Mantel, sein Feiertagshemd. Seine Finger berührten hartes Metall – den Dolch. Die Spitze war so stumpf wie immer, eine Klinge, die man für sicher genug gehalten hatte, um sie einem Knaben zum Üben zu geben.
Coryn stöberte in der Truhe, bis er die Seifenholzschachtel fand. Auch das Beutelchen mit Flussopalen war da, ebenso das Reisigspielzeug, aber kein Taschentuch.
Coryns Magen wurde schwer wie ein Stein. Er begann zu zittern – ein Schaudern bis in die Knochen hinein, wie das eines Menschen, der tödlicher Kälte ausgesetzt ist.
Seine Hände bewegten sich aus eigenem Antrieb und schoben den übrigen Inhalt der Truhe zur Seite. Er nahm einen Teil vom Zaumzeug seines ersten Ponys heraus, in ein Stück Reitdecke des Tieres eingeschlagen, die Weste aus puterrotem Leder, vom Alter brüchig geworden, die Eddard an ihn weitergereicht hatte. Und da, in den hintersten Winkel gestopft, sah er etwas Weißes …
Er zog das Taschentuch mit dem kleinen aufgestickten Kirschmuster heraus und strich es glatt. Der Stoff, schon zu Beginn sehr fein, war jetzt an manchen Stellen zerschlissen und verlieh ihm das Gewicht und das Gefühl von Gaze. Was war nur in ihn gefahren, dass er es so achtlos zerknüllt hatte?
Egal, es war da. Alles war da. Der Albtraum von gestern Abend war genau das gewesen, eine Fieberfantasie, geboren aus zu viel Wein nach der Anspannung so vieler Tage mit Feuersbrünsten. Außerdem hatte er an der Schwellenkrankheit gelitten, wie Dom Rumail es nannte. Kein Wunder, dass er schlecht geträumt hatte, jetzt, da er das Taschentuch sicher in Händen hielt, ergab alles wieder einen Sinn.
An der Tür klopfte es – eher ein Mäusescharren als ein echtes Klopfen. Er verstaute das Taschentuch in der Seifenholzschachtel und rappelte sich mit wie wahnsinnig hämmerndem Herzen auf, gerade als die Tür aufschwang. Kristlin streckte den Kopf herein.
»Kannst du nicht warten, bis ich dir sage, dass du eintreten darfst!« Coryn errötete in dem Bewusstsein, dass er im Nachthemd dastand, die Beine nackt bis zu den Knien. Dann sah er ihr Gesicht und verstummte.
Kristlins Wangen waren blass wie Milch, bis auf zwei lebhafte Farbflecken und blutrote Ringe unter den verquollenen Augen. Auch heute trug sie, wie seit Ausbruch des Feuers, die Reithose eines Knaben, diesmal eine recht saubere, mit Flicken auf Knien und Gesäß, und ein Hemd, das zwei Nummern zu groß für sie war. Sie schluchzte und warf sich in Coryns Arme.
Er ließ sie auf dem Bett Platz nehmen. »Was hast du, Chiya? Was ist denn passiert?«
»Nein! Nein! Ich will nicht gehen!« Ihre Worte verwandelten sich in lautes Schluchzen. Sie vergrub ihr Gesicht an seiner Brust.
»Niemand will dich zu etwas zwingen …« Das klang sogar in seinen Ohren abgedroschen.
»Papa sagt, ich müsse – müsse – fortgehen. Nach Ambervale.« Sie entzog sich ihm, und ihre Augen funkelten wieder im alten trotzigen Glanz. »Um diesen stinkenden alten Belisar zu heiraten! Ich sagte Papa, dass ich das nie und nimmer tun werde! Nicht so jemanden!«
Coryn setzte sich verblüfft zurück. Gerade als alles wieder Sinn zu ergeben schien, stand die Welt erneut Kopf. Kristlin, seine kleine Schwester, sollte mit König Damian Deslucidos Erben vermählt werden? Das musste sie falsch verstanden haben. Bestimmt ging es um Tessa, die alt genug für die Ehe war und zweifellos schon wie eine Königin aussah, oder auch um Margarida, die sich so heftig über den Ausschlag durch ihren Sternenstein aufgeregt hatte – sicher bedeutete das, dass sie Laran besaß. Aber Kristlin?
»Das muss ein Irrtum sein. Ich ziehe mich nur an, dann rede ich mit Vater. Das kommt schon wieder in Ordnung, du wirst sehen.« Er befreite sich aus ihrer Umarmung. Als er sich erhob, wollten seine Knie unter ihm nachgeben. Er hielt sich mit einer Hand am Bettpfosten fest und vertrieb durch ein Zwinkern das irritierende Grau vor seinen Augen.
»Ich finde, du solltest erst einmal frühstücken«, sagte Kristlin in einem ihrer jähen Stimmungswechsel. Sie hatte anscheinend beschlossen, dass die Angelegenheit jetzt, da ihr Lieblingsbruder sich für sie einsetzte, geklärt war. »Du hast gestern den ganzen Tag geschlafen, du Faulpelz.«
»Ich habe was?«
»Also«, sie zählte es an den Fingern ab, »vor zwei Tagen hat Dom Rumail dich untersucht und anschließend gesagt, man solle dich ins Bett stecken, weil du einen schweren Anfall von Schwellenkrankheit hättest, und am nächsten Tag bist du nicht aufgestanden, also hat er dir Kiri … Kirian oder so was gegeben, irgendwelches Zeug, das dir helfen sollte, und nicht erlaubt, dass einer von uns es probiert, nicht einmal Margarida, und darüber war sie echt sauer, weil sie meinte, sie hätte genauso schlimme Magenbeschwerden wie du, und dann nahm Tessa die Sache in die Hand und sagte, wenn du endlich aufwachst, müsstest du etwas zu essen haben, und deshalb bin ich hier.« Sie legte die Hände im Schoß zusammen. »Wenn du keinen Hunger hast, bekomme ich dann die Eier?«
Coryn glaubte, wenn er noch mehr von ihrem Geschnatter ertragen müsste, würde er sie persönlich bei Belisar abliefern, aber zum Glück ließ sie ihn in Ruhe. Er aß das ganze Frühstück. Es schmeckte alles wunderbar, selbst der strenge Chervine-Käse.
Die Speisen beruhigten seinen Magen. Er zog seine Stiefel an, das sauberste Hemd und die sauberste Hose, die er finden konnte, und machte sich auf die Suche nach seinem Vater.
Coryn begab sich zum Ostturm, wo Lord Leynier so früh am Morgen immer mit Padraic zusammensaß, um die laufenden Ausgaben für das Anwesen und andere geschäftliche Fragen zu klären. Der Raum ähnelte mit seinen dicken Glasfenstern an der runden Außenmauer einer Sonnenliegehalle, hell noch an den stürmischsten Wintermorgen. Als kleiner Junge hatte Coryn hier gern auf dem Kiefernholzboden gesessen und brav gespielt, während sein Vater arbeitete. Das eine oder andere Mal hatte er sich sogar uneingeladen eingeschlichen, obwohl das streng verboten war, bis Petro eines Tages dabei erwischt wurde und eine Woche mit Latrinenschrubben verbrachte.
Petro hatte eine besondere Begabung, in Schwierigkeiten zu geraten, nicht so sehr wegen dem, was er anstellte, sondern weil er, wenn man ihn erwischte, immer beteuerte, dass es richtig und notwendig gewesen war. Manchmal hatte er seinen Vater sogar überzeugt oder ihn wenigstens so sehr amüsiert, dass die Strafe geringer ausfiel, was ihn nur ermutigt hatte. Wenn Coryn im Zimmer des Ostturms erwischt worden wäre, hätte er einen Monat bei den Latrinen verbracht, nicht nur eine Woche.
Coryn blieb in dem kleinen Zwischenraum stehen und hob die Hand, um an die Tür zu klopfen. Stimmen drangen zu ihm hindurch, sein Vater, der den Namen des Turms aussprach. Neskaya.
»… um der körperlichen und geistigen Gesundheit des Jungen willen«, dröhnte eine Bassstimme. Dom Rumail. »… solltet Ihr … umgehend handeln …«
Coryn stockte der Atem angesichts der folgenden Stille. Über dem Hämmern seines Herzens hörte er die ruhigen Worte seines Vaters, spürte die Furcht und Liebe darin.
»Seid ihr sicher, dass Coryn in Gefahr schwebt? Dass die einzige Hoffnung darin besteht, ihn in einen Turm zu schicken?«
»Nichts ist sicher, außer dem Tod und dem Schnee des nächsten Winters«, entgegnete der Laranzu, und seine Stimme nahm an Eindringlichkeit zu. »Aber eines kann ich Euch schwören, Vai dom. In all den Jahren habe ich noch kein Kind gesehen, das so schwer an Schwellenkrankheit leidet …« Seine Stimme wurde leiser, die Worte gedämpfter, »…ohne fachkundig versorgt zu werden. Vielleicht, wenn eine Haus-Leronis ihn von Kindesbeinen an unterrichtet hätte …«
Rumails Worte verklangen, und die Stille schien Ewigkeiten zu währen. Coryns Hand schmerzte, weil er sie die ganze Zeit zur Faust geballt hielt. Seine Gedanken überschlugen sich, schossen hierhin und dorthin – sein Versprechen an Kristlin, das vage Unbehagen gestern Abend, das sich jetzt wieder regte, und nun diese Neuigkeiten, dass auch er fortgeschickt werden müsse – dass er Laran besitze …
Unfähig, sich länger zu beherrschen, klopfte Coryn an die Tür, entsetzt über die Lautstärke des Geräuschs. Auf ein Wort seines Vaters hob er den Riegel an und trat ein. So ungefähr hatte er sich den Anblick vorgestellt: Sein Vater saß hinter dem großen Schreibtisch aus knorrigem Holz, davor Dom Rumail in einem Polstersessel.
»Ah! Da bist du ja!« Sein Vater bedeutete Coryn einzutreten, gerade so, als hätte er ihn erwartet.
Coryn ließ sich auf einem tristen Hocker nieder und wischte sich die feuchten Handflächen an den Schenkeln der Hose ab. Er hielt den Blick auf seinen Vater gerichtet. Dom Rumail wollte er nicht ansehen.
»Es geht um Kristlin«, begann er. Die Worte sprudelten nur so aus ihm heraus, als er haspelnd ihre Schilderung wiedergab.
»Den Untersuchungen nach weist sie tatsächlich die stärksten Laran-Qualitäten auf, nach denen König Damian bei einer Verbindung sucht«, sagte Beltran düster. Seine Brauen, leicht grau meliertes Schwarz, zogen sich kurz zusammen. »Also gilt der Heiratsantrag ihr.«
»Aber sie ist doch erst …« Acht! Coryn verkniff sich jedes weitere Wort, weil er das Elend seines Vaters spürte. Er musste nicht daran erinnert werden, wie dringend Verdanta dieses Bündnis benötigte. Noch vor gar nicht langer Zeit waren sogar noch jüngere Kinder als Kristlin zur Ehe gezwungen worden, um exotische neue Laran-Eigenschaften heranzuzüchten.
»Dom Rumail versicherte mir, dass keine echte Vermählung stattfinden wird, bis Kristlin das richtige Alter erreicht hat, was noch einige Jahre dauern wird«, sagte Beltran. »Heute wird sie durch einen Bevollmächtigten versprochen, und der Vertrag wird unterzeichnet, mehr nicht.«
Coryn fing ganz schwach die Gedanken seines Vaters auf: Ein Versprechen ist noch keine Vermählung. Ich bete darum, dass es sich so lange hinzieht, bis das Bündnis wieder aufgehoben werden kann.
»Sie – ich weiß nicht recht, ob sie das verstehen wird, Vater«, sagte Coryn.
»Mit der Zeit wird sie es verstehen«, erwiderte Beltran. »Wenn die Dinge anders stünden, hätte ich mich nach Kräften bemüht, sie gut mit jemand anderem zu vermählen. Sie hätte ihr eigenes Heim gegen das ihres Gemahls eintauschen müssen. Dies ist eine viel bessere Verbindung, als sie sich eigentlich hätte erhoffen können. Mit einer künftigen Königin als Schwester werden die anderen Mädchen sich vielleicht höheren Ortes nach Partnern umsehen, sodass jeder von der Verbindung profitiert.«
Rumail drehte sich um, und Coryn konnte seinem Blick nicht ausweichen.
»Und ich – ich soll zu einem Turm gehen?« Er formulierte es als Frage, obwohl er die Antwort schon kannte.
»Ich dachte, du hättest vielleicht das eine oder andere mitbekommen, als du draußen gewartet hast«, sagte sein Vater. Ein Mundwinkel zog sich nach oben, wie immer, wenn er nicht zu lächeln versuchte. »Dom Rumail teilte dir doch mir, dass du vielleicht Laran besitzt …«
»Nicht nur vielleicht«, unterbrach Rumail ihn mit einem Unterton, der von jahrelanger Autorität in den Belangen des Turms zeugte. »Er besitzt eine mächtige Gabe. Wir dürfen weder sie noch ihn verlieren.«
Beltran fuhr ohne Atempause fort: »… und dass du um deiner Gesundheit willen der Pflege von Menschen bedarfst, die wissen, wie man die Schwellenkrankheit behandelt, und die dir beibringen können, dein Laran einzusetzen. Wenn du wirklich nicht von zu Hause fort willst«, fügte er hinzu und ignorierte Rumails scharfes Stirnrunzeln, »ließe es sich vielleicht einrichten, dass jemand aus Neskaya oder Tramontana zu uns kommt.«
»Ich will ja in einen Turm gehen«, platzte Coryn heraus. Seine Stimme bebte, doch vielleicht hörte nur er es. Aber nicht nach Neskaya. Er wusste nichts von dem Turm, abgesehen davon, dass Rumail dort diente. Unter dem Blick des Laranzu rutschte er unbehaglich umher.
»Ich dachte, du könntest es vielleicht als ein weiteres Abenteuer betrachten«, sagte sein Vater seufzend. »Und ich zöge es vor, wenn es deine eigne Entscheidung wäre. Als du an die Tür geklopft hast, besprachen wir gerade, welcher Turm es sein sollte.«
»Am besten bin ich natürlich mit dem Turm von Neskaya vertraut«, sagte Rumail. »Die Arbeiter dort sind sehr fähig und haben große Matrix-Schirme, mit der sie fast jede denkbare Laran-Arbeit verrichten können. Doch als ich sie verließ, forderten gerade mehrere neue Aufträge ihre ganze Aufmerksamkeit. Bei solchen Prioritäten werden sie mit den jungen Leuten, die sie zurzeit ausbilden, schon genug zu tun haben. Ich kehre nicht auf direktem Weg dorthin zurück, sodass ich Master Coryn ohnehin nicht begleiten könnte. Aber Tramontana ist ebenso qualifiziert, seine Ausbildung zu beginnen. Euer Einverständnis vorausgesetzt, würde ich das gern in die Wege leiten.«
Tramontana … Erleichterung durchwogte Coryn wie eine kühle Brise in der Stille einer schwülen Sommernacht.
»Ja, das ergibt Sinn.« Beltran nickte. »Um dorthin zu gelangen, ohne das Land von High Kinally zu durchqueren, müsstet Ihr eine längere Strecke wählen, aber das Wetter ist noch mild, also dürfte das kein Problem sein. Außerdem haben wir entfernte Verwandte in Tramontana, und es könnte nicht schaden, diese Bande zu vertiefen, denn die nächsten Waldbrände kommen bestimmt.«
»Wenn ich gelernt habe, meine Kräfte zu benutzen, werde ich die Turmgleiter und ihre Chemikalien herbeirufen«, sagte Coryn. »Dann brauchen wir nicht mehr Fremde um Hilfe zu bitten.«
Rumail blickte ihn scharf an, doch Beltran kicherte und sagte: »Ganz recht, sofern du noch zu uns zurück willst, wenn du erst die weite Welt gesehen hast. Nun geh und hol deine kleine Schwester, damit wir ihr erklären können, dass sie ihr Zuhause noch nicht zu verlassen braucht.«
Die Türen waren wegen der warmen Sommernacht geöffnet worden. Coryn stand auf der Schwelle, blickte auf den leeren Hof hinaus und fragte sich, wann er ihn wohl wiedersehen werde. Es schien ein Jahrhundert her zu sein, seit er die hektische Betriebsamkeit der Feuerkämpfer beobachtet hatte. Hier hatte Padraic mit seiner tiefen Stimme Befehle gebrüllt, und dort war Kristlin auf den Allerwertesten gefallen und wäre von Beltrans ungebärdigem Hengst fast zertrampelt worden.
Kristlin …
Er hatte sie kaum erkannt, als sie zur Feier des Händebindens nach unten gekommen war. Sie hatte ein Kleid getragen, das sich beim Gehen bauschte, blau mit elfenbeinerner Borte am hohen Ausschnitt, mit einem passenden Band um ihre schlanke Hüfte gegürtet. Ruella hatte ihr ungebundenes Haar gekämmt, bis es wie poliertes Messing schimmerte. Wenigstens sah Kristlin noch wie das Kind aus, das sie war, wenn auch wie ein sehr hübsches. Niemand konnte vernünftigerweise annehmen, dass sie schon alt genug war, um verheiratet zu werden.
Tessa hatte ihr gutes Kleid getragen, das gleiche wie auf dem Bankett nach dem Feuer, doch keine Juwelen, und eher wie eine ernst blickende Matrone gewirkt, nicht wie eine noch unvergebene Damisela. Margarida hatte praktisch nur vor Erleichterung gekichert; dass die Wahl nicht auf sie gefallen war. Sie trug ihr Haar zu kindlichen Zöpfen geflochten über einem Kittel, der mit eigenen Entwürfen von Schmetterlingen und Anemonen bestickt war.
Im Gegensatz zur früheren Feier war über das einfache Verlobungsritual hinaus nicht viel Freude aufgekommen. Petro hatte sich einer seiner finsteren Launen überlassen, und Tessa weigerte sich, ohne ihn zu singen, behauptete, nicht bei Stimme zu sein, Eddards Frau hatte sich schon früh entschuldigt, um das Bett aufzusuchen. Obwohl sie sich nicht beklagt hatte, war ihre Haut durch die Erschöpfung der Schwangerschaft aschfahl. Coryn machte sich Sorgen, dass Kristlin sich sträuben könnte, aber ihr schien daran gelegen, alles schnell hinter sich zu bringen.
»Bruder …« Sie war lautlos näher gekommen, dass er sie gar nicht gehört hatte. »Bist du traurig?«
Er schüttelte verdutzt den Kopf. Hatte sie seine Stimmung gespürt? »Nicht traurig, ich will nur – ich will das alles hier nicht vergessen.« Er wies auf den Hof hinaus, zu den Hügeln und Wiesen ringsum, den Bergen mit ihren Wäldern und wilden Strömen dahinter.
Er nahm sie fest in den Arm und spürte, wie ihre sehnigen Arme ihn umschlangen.
Du wirst mir fehlen. Die Worte bildeten sich in seinem Geist, sodass er nicht sicher war, wer sie gesprochen hatte. Auf unterschiedliche Weise sagten sie beide ihrer Kindheit Lebewohl. Sie würde noch für einige Jahre zu Hause bleiben, dann als Di Catenas-Gemahlin eines Königs ihr neues Domizil aufsuchen und vielleicht die Mutter von noch größeren Königen werden. Sein Weg führte ihn zu einem Turm, nach Tramontana, um die Geheimnisse von Sternensteinen und Haftfeuer und anderen Dingen zu erfahren, die er sich noch nicht vorstellen konnte. Ihn schauderte, und er fragte sich, ob er sie jemals wiedersehen werde.