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6 Escort

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Freitag, 18:52

Emma hatte Marie die Haare komplett schwarz gefärbt. Dann hatte sie ihr einen modernen Pixie-Cut verpasst. Marie wunderte sich über Emmas Können und ihr Wissen um diese trendige Frisur. Benannt nach dem englischen Wort für Elfe schien er perfekt zu Marie zu passen. Sie wirkte nun noch femininer, zerbrechlich und Beschützens wert. Ihr heller Teint unterstrich diesen Eindruck nur noch mehr. Doch was unter dieser Maske steckte, dass wusste Marie nur alleine. Sie blickte verstohlen zu Emma hin, fühlte sich in ihrer Gegenwart irgendwie ertappt, durchschaut. Was wusste diese alte, schmuddelige Frau über sie? Marie ahnte, dass auch ihr Aussehen nur eine Maskerade war hinter der sich etwas ganz und gar Anderes verbarg.

Burak war in genau diesem Moment mit dem Kleid aufgetaucht. Marie nahm es ihm ab, nicht ohne seinen lüsternen Blick zu bemerken. Sie fühlte sich in seiner Gegenwart von Mal zu Mal unwohler. Wollte auf gar keinen Fall in eine Situation geraten, in der sie mit ihm alleine sein würde. Zum Glück war es dazu noch nicht gekommen. Doch was für ein Hohn, dass Yusuf gerade ihn ausgesucht hatte, um auf sie aufzupassen. Marie überlegte ob sie Yusuf nicht vor Burak warnen sollte. Im Moment jedoch schien ihr der Zeitpunkt sehr unpassend. Erst musste die Beziehung zwischen ihnen wieder so werden, wie sie gewesen war, bevor Marie das Unbegreifliche beobachtet hatte. Von Draußen drang das Geräusch eines sich nähernden Wagens an ihr Ohr. Jetzt war keine Zeit weiter darüber nachzudenken. Marie hatte einen Auftrag zu erfüllen und wenn sie es sich nicht vollkommen mit Yusuf verscherzen wollte, dann musste sie sich heute Abend voll und ganz auf ihre Aufgabe konzentrieren. Sie stand auf und ging mit sicheren, selbstbewussten Schritten auf den lackschwarzen Stilettos zur Tür und verließ den Wohnwagen. Niemand der nicht davon wusste, konnte ihr in diesem Moment ihre Unsicherheit anmerken, und das würde den ganzen Abend auch so bleiben dass nahm sie sich fest vor. Yusuf hatte ihr die perfekte Maskerade, das perfekte Schauspiel beigebracht, und Marie war eine kluge Schülerin gewesen, und nun eine Meisterin als Escort. Der gierige Blick von Burak, als er ihr die Tür der schweren Mercedes-Limousine aufhielt und sie gekonnt und der feinen Etikette entsprechend einstieg machte ihr Angst. Doch dass ihm vor lauter Speichelfluss der Mund offen stehen blieb ließ ein überlegendes, feixes Lächeln über ihre knallroten Lippen huschen. In ihrem schwarzen Minikleid, mit ihrem blassen Teint und der neuen Pixie-Frisur hatte sie sehr große Ähnlichkeiten mit Winona Ryder im Film Girls Interrupted.

Burak schlug die Tür des Benz zu und kaum ein Wimpernschlag später rollte des teure Wagen von dem verlassenen Wohnwagenpark nahe der S-Bahn-Gleisen zur Straße, wo er Fahrt aufnahm und Richtung Bochum steuerte.

Kurze Zeit später erreichte er die Gastronomie im Bochumer Stadtpark. Dort wartete ein immer noch verwunderter Nathaniel neben Von Ratzeburger, seinem Chef auf die Ankunft von Marie und Tamara. Die Einladung zu diesem Termin, wie von Ratzeburger es nannte, war für Nathaniel vollkommen überraschend gekommen. Sein Chef hatte sich kurz vor Feierabend vor seinen Schreibtisch gestellt und ihm eröffnet, dass er von Nathaniel erwartete, dass er ihn zu diesem Termin begleitete. Um was für eine Art Termin es sich handelte wusste er bis vor einer Minute nicht, doch nun dämmerte es Nathaniel langsam. Dann stieg Marie aus dem schwarzen Benz und ging direkt auf ihn zu. Schwarzes Minikleid, knallroter Lippenstift, Stilettos, freche Kurzhaarfrisur. Doch ein Accessoire stach Nathaniel direkt ins Auge. Die weiße, schwere Perlenkette, die der, die er Rebecca zuletzt für den Empfang gekauft hatte zum Verwechseln ähnlich sah.

Tamara war ebenfalls ausgestiegen und hatte sich schon bei Von Ratzeburger eingehakt. Sie strebten auf den Eingang der Stadtparkgastronomie zu. Von Ratzeburger wandte sich zu Nathaniel um. „Kommen sie, ich zeige ihnen, welche Möglichkeiten sich ihnen bieten, wenn sie sich nur ihre Unabhängigkeit bewahren. Und in unserem Beruf sollte man sich immer seine Unabhängigkeit bewahren, Nathaniel.“

Marie hakte sich bei Nathaniel ein. Verwundert warf sie ihm einen Seitenblick zu, als sie merkte, wie er bei ihrer Berührung regelrecht zusammenzuckte. Na das wird ein Abend, dachte sie. Doch dann war sie wieder ganz Escort Dame.

Sie erreichten über das großzügige Forum und eine Treppe das Untergeschoss. Dort erreichten sie durch einen Saal auf der rechten Seite endlich das Gartenzimmer in dem ein Tisch für vier Personen gedeckt war. Mit feinem Porzellan, Silberbesteck, teuren Servietten und zwei dreiarmigen Kerzenleuchter, in denen Bordeaux farbige Kerzen brannten. Neben den Tellern standen kristallene Weingläser und zwischen den Kandelaber eine Karaffe mit schwerem Rotwein.

Nathaniel begleitete Marie zu ihrem Stuhl und zog diesen dann vor, damit sie sich setzen konnte. Dann nahm er seinen Platz ihr gegenüber ein. Von Ratzeburger saß rechts neben ihm, Tamara in ihrem dunkelblauen Kleid ihm gegenüber. Marie suchte seinen Blick und lächelte ihn an. Nathaniel erstarrte zu Eis. Er wäre am liebsten vor Scham im Boden versunken. Er fühlte sich schon bei der Vorstellung was später am Abend vielleicht geschah schmutzig. Und der Anblick der Perlenkette brachte Rebeccas unschuldiges Gesicht vor seine geistigen Augen. Zwei Kellner erschienen und servierten die Vorspeise, Roastbeef Carpaccio mit Spargelspitzen, und schenkten den Wein ein.

Es entspann sich ein belangloser Smalltalk an dem sich auch Marie und Nathaniel beteiligten. Das Essen war gut, als Hauptspeise gab es Hirschgulasch, und der Wein löste die Zunge. Nathaniel konnte seinen Blick kaum von Marie abwenden. Mit ihrer frechen Kurzhaarfrisur und den kindlichen, braunen Augen und ihrem schwarzen Minikleid, dessen Ausschnitt alles andere als Unschuldig war, fängt sie gekonnt seinen Blick. Doch da ist noch etwas, dass ihn immer wieder ihr Gesicht mustern lässt. Ein Gedanke, den er jedoch noch nicht ganz zu fassen bekommt, denn noch immer ist ihm die ganze Situation ziemlich peinlich und er versucht nicht damit aufzufliegen, dass er nur gute Miene zum bösen Spiel seines Chefs macht. Zu viel steht auf dem Spiel für Nathaniel, denn Von Ratzeburger weiß ja noch nicht, dass er sich längst für Rebecca entschieden hat, komme was wolle.

Der Nachtisch wird gereicht. Mousse au chocolat mit rotem Pfeffer und Minze. Eine Liaison von Schärfe und Süße, Temperament und Verführung, preist der Kellner die Nachspeise an. Und plötzlich trifft es Nathaniel wie ein Blitz. Er kann sich gerade noch zurückhalten wie von der Tarantel gebissen aufzuspringen. So erhebt er sich galant und bittet um Entschuldigung, als er das Gartenzimmer verlässt. Doch kaum, dass die Tür hinter im zufällt holt er sein Handy aus der Hosentasche seines dunklen Anzugs und ruft das Fotoverzeichnis auf. Rebecca hatte ihm doch ein Foto geschickt, als sie ihm von ihrem kuriosen Erlebnis erzählt hatte. Eine Gänsehaut streicht über seinen Rücken, als Nathaniel das Foto findet, das Marie zeigt, zu dem Zeitpunkt noch mit einer Punkerfrisur. Aber sie war es, daran bestand kein Zweifel. Marie war die Marie!

Er wählte Titus Nummer.

Was für ein Tag. Ich sitze in meinen Wagen, steh auf dem Parkplatz in Steele-Ost. Die Dämmerung liegt schon über der Stadt. Ich kann es nicht begreifen, dass seit dem Moment, da mich Marie durch die Seitenscheibe meines Autos angesehen hat, erst gut sieben Stunden vergangen sind. Noch nie habe ich solch einen Tag erlebt. Doch es ist alles schiefgelaufen, muss ich mir eingestehen. Ich habe versagt. Da war jemand, der meine Hilfe benötigte, und ich war nicht in der Lage Marie zu beschützen. Marie - mein Hals schnürt sich zu, wenn ich an sie denke. Was für ein Glück, doch ich konnte es nicht festhalten, was für eine starke Empfindung, doch sie war mir nicht auf Dauer vergönnt. Ich bin ein Narr, ein Feigling, ein Dummkopf. Ein Schwächling, ein Idiot, ein… Verdammt, Marie, wo bist du nur. Ich brauche dich mehr, als du dir jemals vorstellen kannst. Es tut mir so leid, dass ich das nicht erkannte habe, als es wirklich darum ging. Tränen schießen mir in meine Augen und kullern mir heiß über meine Wangen. Da klingelt mein Handy.

„Du wirst es nicht glauben“, hör ich Nathaniels Stimme und sie zittert vor Aufregung. „Marie sie ist hier. Du musst kommen. In die Stadtpark-Gastronomie Bochum.“

Was?! Es durchzuckt mich wie ein Blitz. Ich werfe das Handy einfach auf den Beifahrersitz und starte den Motor. Mit quietschenden Reifen jage ich los.

Nach knapp Zwanzig Minuten erreiche ich den Bochumer Stadtpark und bringe meinen Wagen ebenfalls mit quietschenden Reifen zum Stehen, reiß die Autotür auf und hetze zum Eingang des Restaurants. Nathaniel hat mir gesagt wo ich ihn, wo ich Marie finden kann. Ich renne durch das Forum. Die Frau hinter dem Empfang wirft mir einen verständnislosen Blick zu. „Kann ich ihnen behilflich sein?“

Ich höre sie gar nicht, bin schon bei der Treppe zum Untergeschoss und sprinte die Stufen hinunter. Die Empfangsdame eilt hinter mir her. „Halt. Warten sie, was fällt ihnen ein.“

Ich durchquere den Saal und stehe nun vor der Tür zum Gartenzimmer. Mein Herz hämmert in meinen Schläfen. Schweiß steht mir auf der Stirn. Aus einer vollkommen irrationalen Eingebung heraus klopfe ich. Missachte dann doch jegliche Etikette und stürm einfach in das Zimmer. Hinter mir erreichen die Empfangsdame und ein Typ vom Sicherheitsdienst den Saal, eilen mir hinterher. Mir bleiben nur Sekunden.

„Marie!“

Ein untersetzter, grauhaariger Mann, der neben Nathaniel sitz, springt auf und brüllt. „Was soll das? Wer sind sie?“ Sein Gesicht ist zornesrot. Auch Nathaniel ist aufgesprungen und versucht die Situation zu beruhigen. Doch der Grauhaarige schneidet ihm das Wort. „Nathaniel was geht hier vor?“

Marie starrt mich verständnislos an. „Geh - bitte“, flüstert sie, so leise dass ich es kaum verstehe, doch mit einer Schärfe die mir in mein Herz schneidet wie ein tief hineingestoßenes Messer.

„Was“, stoß ich hervor. In diesem Moment packt mich jemand von hinten und zerrt an meinem Sakko. Marie erhebt sich und spricht den Grauhaarigen an. „Es tut mir wirklich sehr leid, Herr von Ratzeburger, aber ich weiß nicht was dieser Mann von mir will. Ich kenne ihn nicht.“

Mir zieht es den Boden und den Füßen weg. Mit herunterhängenden Schultern lass ich mich von dem Sicherheitsmann aus dem Zimmer führen. Nathaniel starrt mir hinterher, doch aus irgendeinem Grund kommt er mir nicht zur Hilfe, noch versucht er die Situation aufzuklären. „Es tut mir leid meine Damen“, hör ich diesen Ratzeburger noch sagen, „aber ich habe mir diesen Abend doch anders vorgestellt. Ich werde mich beschweren.“

In dem Licht der Laternen stehe ich vor dem Restaurant niedergeschmettert an meinen Wagen gelehnt, als Marie mit der anderen jungen Frau herauskommt. Dicht gefolgt von dem Gorilla, der mich zuvor hinausbefördert hat. Marie sieht mich an. „Danke!“, blafft sie mich an. „Warum mischst du dich auch immer ein.“ Ich verstehe die Welt nicht mehr. Doch ihr Anblick bringt mich um den Verstand. Sie steuert mit der Anderen und dem Bodyguard auf einen schweren, großen, nachtblauen Benz zu. Der Bodyguard hält ihnen die Tür auf. Marie steigt hinter der anderen Frau in den hinteren Teil des Wagens ein. Ein flehender Blick erreicht mich von ihr bevor der muskelbepackte Kerl die Tür zuschlägt. Er steigt auf der Fahrerseite in den Benz ein, kurz darauf fährt der Wagen los und verlässt den Parkplatz.

Nathaniel tritt aus dem Restaurant, gefolgt von Ratzeburger. Ratzeburger ist seine Verstimmung noch deutlich anzumerken.

„Nathaniel, ich erwarte sie am Montag in meinem Büro.“

„Tut mir leid, dass du jetzt wegen mir Ärger bekommst“, lenkte ich ein. Nathaniel klopft mir auf die Schulter. „Das ist nicht weiter tragisch. Ich werde es schon überstehen. Aber was ist mit Marie?“

„Ich weiß es nicht. Sie ist weg!“

Nathaniel hält mir sein Handy hin. Auf dem Display ist die Homepage einer Escort-Agentur dargestellt. Die Seite mit den Set Cards der Escort Damen ist angewählt. Nathaniel scrollt die Seite mit seinem Finger nach unten. Maries Foto erscheint.

„Zumindest weißt du jetzt, wo du sie finden kannst“, versucht er mit Mut zu machen.

Das Mädchen im Regen

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