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d) Transnationale Unternehmen
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Transnationale oder multinationale Unternehmen, d.h. Unternehmen, die durch Zweigniederlassungen in mehr als einem Staat wirtschaftlich tätig sind, gehören zu den Hauptakteuren der internationalen Wirtschaftsbeziehungen. Sie sind für einen großen Teil des internationalen Waren- und Dienstleistungshandels, der ausländischen Direktinvestitionen und des internationalen Kapital- und Zahlungsverkehrs verantwortlich. Die wirtschaftliche Macht transnationaler Unternehmen zeigt sich plastisch daran, dass die Jahresumsätze mancher Unternehmen das Bruttoinlandsprodukt zahlreicher Staaten um ein Vielfaches übersteigen. Transnationale Unternehmen beeinflussen auch die Aushandlung völkerrechtlicher Verträge, wie z.B. der Einfluss US-amerikanischer Unternehmen auf die Verhandlungen zum Dienstleistungsabkommen der WTO (GATS) und das Übereinkommen über handelsbezogene Aspekte des geistigen Eigentums (TRIPS) zeigt.[1]
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Trotz ihrer tatsächlichen Bedeutung für die internationalen Wirtschaftsbeziehungen und das Wirtschaftsvölkerrecht ist die rechtliche Qualifizierung von multinationalen Unternehmen aus völkerrechtlicher Sicht, insbesondere die Frage einer Völkerrechtssubjektivität, hochumstritten.[2] Nach überwiegender Auffassung sind multinationale Unternehmen keine Völkerrechtssubjekte, da es (derzeit noch) keine unmittelbar geltenden Völkerrechtsregeln gibt, durch die multinationalen Unternehmen direkte Rechte und Pflichten übertragen werden.
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Die Frage der Völkerrechtssubjektivität transnationaler Unternehmen ist jedoch nicht pauschal zu beantworten. Vielmehr ist zu prüfen, ob transnationalen Unternehmen im Einzelfall durch völkerrechtliche Normen Rechte oder Pflichten übertragen wurden. In Investitionsschutzverträgen kann multinationalen Unternehmen z.B. das Recht eingeräumt werden, Streitigkeiten im Rahmen einer Investor-Staat-Streitschlichtung[3] zu lösen. Wenn dieses Recht unabhängig von der Zustimmung des Sitzstaats ausgeübt werden kann, begründet der Vertrag für multinationale Unternehmen eine völkerrechtliche Rechtsposition. In einem solchen Fall ist auch eine partielle Völkerrechtssubjektivität multinationaler Unternehmen anzunehmen.
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In gleicher Weise ist denkbar, dass durch eine völkerrechtliche Norm Pflichten für transnationale Unternehmen begründet werden.[4] Allerdings sind die Kodizes für das Verhalten transnationaler Unternehmen, die in internationalen Organisationen bisher entwickelt wurden, stets unverbindliche Richtlinien geblieben. Dies gilt sowohl für die von der ILO 1977 angenommene und 2017 zuletzt geänderte „Tripartite Declaration of Principles Concerning Multinational Enterprises“[5] als auch für die von der OECD 1976 erlassenen und zuletzt 2011 überarbeiteten „OECD Guidelines for Multinational Enterprises“.[6]
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Da diese Richtlinien nur Erwartungen der Staaten gegenüber transnationalen Unternehmen enthalten, begründen sie keine völkerrechtlichen Pflichten. Ein Verstoß gegen sie führt nicht zu einer Völkerrechtsverletzung. Da das Völkerrecht multinationalen Unternehmen somit Rechte, aber (noch) keine Pflichten überträgt, kann man von einer asymmetrischen, partiellen Völkerrechtssubjektivität dieser Unternehmen ausgehen. Die Asymmetrie zwischen Rechten und Pflichten ist nicht ungewöhnlich: Auch die Rechtsstellung von Individuen enthielt zunächst nur völkerrechtliche Rechte. Erst später wurden auch Pflichten begründet.