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a) Völkerrechtliche Verträge
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Völkerrechtliche Verträge sind im modernen Völkerrecht und auch im Wirtschaftsvölkerrecht die praktisch bedeutsamste Rechtsquelle. Die Mehrzahl der völkerrechtlichen Verträge sind zwischenstaatliche (bilaterale oder multilaterale) Verträge. Daneben existieren auch Verträge zwischen Staaten und internationalen Organisationen und Verträge von internationalen Organisationen untereinander.
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Unter einem völkerrechtlichen Vertrag versteht man jede rechtsverbindliche Übereinkunft zwischen Völkerrechtssubjekten, die völkerrechtliche Rechte und Pflichten zum Inhalt hat. Auf die Bezeichnung („Vertrag“, „Letter of Understanding“, „Memorandum“) kommt es nicht an. Verträge zwischen Völkerrechtssubjekten, die sich nicht auf völkerrechtliche Inhalte beziehen (etwa die Miete von Büros) unterliegen nicht dem Völkerrecht.
Definition:
Völkerrechtliche Verträge sind Vereinbarungen zwischen zwei oder mehreren Völkerrechtssubjekten auf dem Gebiet des Völkerrechts.
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Die Regeln über Zustandekommen, Gültigkeit, Auslegung und Beendigung völkerrechtlicher Verträge werden als allgemeines Völkervertragsrecht bezeichnet, das im Wesentlichen in der Wiener Konvention über das Recht der Verträge von 1969 (Wiener Vertragsrechtskonvention, WVK) kodifiziert ist.[1] Da die WVK selbst ein völkerrechtlicher Vertrag ist, bindet sie nur ihre Vertragsparteien. Nach allgemeiner Meinung wurden in der WVK jedoch die völkergewohnheitsrechtlich geltenden Regeln über völkerrechtliche Verträge kodifiziert. Daher können die Grundlagen und die wichtigsten Regeln der WVK in einer Falllösung grundsätzlich auch dann angewendet werden, wenn ein beteiligter Staat nicht Partei der WVK ist.
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Die Rechtsfolgen eines Verstoßes gegen einen völkerrechtlichen Vertrag sind in der WVK nicht kodifiziert. Sie bestimmen sich nach den Regeln über die völkerrechtliche Verantwortlichkeit der Staaten.[2]
Zustandekommen völkerrechtlicher Verträge
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Völkerrechtliche Verträge können in einem einphasigen oder mehrphasigen Verfahren zu Stande kommen.[3] Von einem einphasigen Verfahren wird gesprochen, wenn zum Inkrafttreten des Vertrags die Zustimmung des Staatsorgans, das den Vertrag ausgehandelt hat, genügt (vgl. Art. 12 WVK). Bei dem – für die meisten multilateralen und inhaltlich bedeutsamen Verträge erforderlichen – mehrphasigen Verfahren sind an Aushandlung und Vertragsschluss mehrere Staatsorgane beteiligt. Im mehrphasigen Verfahren können im Wesentlichen folgende Schritte unterschieden werden:
1. | Die Vertragsverhandlungen werden durch die Vertreter der Staaten (vgl. Art. 7 WVK) geführt. Formal wird die Bundesrepublik durch den Bundespräsidenten vertreten (Art. 59 Abs. 1 GG), der seine Vertretungsbefugnis jedoch stets auf Regierungsmitglieder, Diplomaten oder Ministerialbeamte überträgt. |
2. | Nach Abschluss der Verhandlungen wird der Vertragstext durch Zustimmung der Verhandlungsführer festgelegt und angenommen (vgl. Art. 9 und 10 WVK). Dies geschieht durch Unterzeichnung oder Paraphierung, d.h. Unterzeichnung mit dem Namenskürzel. Die Unterzeichnung führt jedoch nicht zur Bindung an den Vertrag, sondern begründet lediglich die Verpflichtung, den Vertrag dem innerstaatlichen Zustimmungsprozess zuzuleiten. Außerdem sind die Staaten verpflichtet, den Vertragszweck nicht zu vereiteln (Art. 18 WVK). |
3. | Nach Annahme des Vertragstextes müssen in jedem Vertragsstaat die jeweils zuständigen nationalen Organe zustimmen. Welche dies sind und wann eine Zustimmung erforderlich ist, bestimmt sich nach dem nationalen Verfassungsrecht. Bei wichtigen Verträgen ist regelmäßig eine Zustimmung des Parlaments erforderlich. In der Bundesrepublik muss der Bundestag, ggf. auch der Bundesrat in Form eines Zustimmungsgesetzes zustimmen. In Art. 59 Abs. 2 GG ist festgelegt, dass „Verträge, welche die politischen Beziehungen des Bundes regeln oder sich auf Gegenstände der Bundesgesetzgebung beziehen“ der Zustimmung oder der Mitwirkung der jeweils zuständigen Gesetzgebungsorgane des Bundes in der Form eines Bundesgesetzes bedürfen. Nach Zustimmung des Parlaments erfolgt die Ratifikation, d.h. die förmliche Erklärung durch das Staatsoberhaupt, an den Vertrag gebunden zu sein. |
4. | Nach Abschluss des innerstaatlichen Ratifikationsverfahrens erfolgt der Austausch bzw. die Hinterlegung der Ratifikationsurkunden bei einem Depositar (Art. 16 WVK). Damit ist auch das völkerrechtliche Zustimmungsverfahren abgeschlossen. |
5. | Ein bilateraler Vertrag tritt in Kraft, wenn beide Parteien zugestimmt haben. Multilaterale Verträge können dagegen bereits nach Vorliegen der Zustimmung einer bestimmten Mindestzahl der Vertragsparteien in Kraft treten, wenn dies ausdrücklich im Vertrag vorgesehen ist (Art. 24 WVK). Ansonsten treten auch multilaterale Verträge erst in Kraft, wenn alle Vertragsparteien zugestimmt haben. |
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Zu beachten ist, dass ein Verstoß gegen nationale Verfahrensvorschriften über das Zustandekommen eines völkerrechtlichen Vertrags nur beachtlich ist, wenn er offenkundig ist und eine Vorschrift von grundlegender Bedeutung betrifft (vgl. Art. 46 WVK).
Auslegung völkerrechtlicher Verträge
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Zahlreiche internationale Streitigkeiten entzünden sich an unterschiedlichen Auslegungen völkerrechtlicher Verträge. Die allgemeinen Regeln zur Interpretation von Verträgen sind daher von hoher praktischer Bedeutung. Grundsätzlich werden Verträge nach dem Wortlaut der Norm, ihrem Zusammenhang (Kontext) sowie dem Ziel und Zweck des Vertrags interpretiert, Art. 31 Abs. 1 WVK.
Wichtige Norm: Art. 31 Abs. 1 WVK
Ein Vertrag ist nach Treu und Glauben in Übereinstimmung mit der gewöhnlichen, seinen Bestimmungen in ihrem Zusammenhang zukommenden Bedeutung und im Lichte seines Zieles und Zweckes auszulegen.
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Art. 31 Abs. 2 und 3 WVK konkretisieren diese allgemeine Regel. Danach gehören gem. Art. 31 Abs. 2 WVK zum Zusammenhang des Vertrags u.a. die Präambel des Vertrags, seine Anlagen, und jede sich auf den Vertrag beziehende Übereinkunft, die zwischen allen Vertragsparteien anlässlich des Vertragsabschlusses getroffen wurde. Gem. Art. 31 Abs. 3 WVK ist die spätere Praxis der Vertragsparteien zu berücksichtigen. Dazu zählt jede spätere Übereinkunft zwischen den Vertragsparteien über die Auslegung des Vertrags oder die Anwendung seiner Bestimmungen und jede spätere Übung bei der Anwendung des Vertrags, aus der die Übereinstimmung der Vertragsparteien über seine Auslegung hervorgeht. Schließlich ist gem. Art. 31 Abs. 3 lit. c) WVK „jeder in den Beziehungen zwischen den Vertragsparteien anwendbare einschlägige Völkerrechtssatz“ zu berücksichtigen.
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Nur ergänzend können die Umstände des Vertragsschlusses (historischer Hintergrund) berücksichtigt werden: Nach Art. 32 WVK sind die vorbereitenden Arbeiten und die Umstände des Vertragsabschlusses ergänzende Auslegungsmittel, die herangezogen werden können, um eine gem. Art. 31 gefundene Auslegung zu bestätigen oder, wenn die Auslegung nach Art. 31 WVK „die Bedeutung mehrdeutig oder dunkel lässt oder zu einem offensichtlich sinnwidrigen oder unvernünftigen Ergebnis führt.“
Rechtswirkungen völkerrechtlicher Verträge
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Grundsätzlich berechtigen und verpflichten völkerrechtliche Verträge nur ihre Vertragsparteien, d.h. sie gelten nur inter partes. Die Verletzung eines Vertrags kann auch nur von den Vertragsparteien geltend gemacht werden. Eine Berechtigung oder Verpflichtung Dritter aus einem Vertrag ist grundsätzlich nicht möglich (Art. 34 WVK). Bestimmte fundamentale Normen des Völkerrechts können ausnahmsweise eine Wirkung gegenüber allen Staaten haben (erga omnes).
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Zu den wichtigsten Grundsätzen des Völkervertragsrechts gehört die allgemeine Verpflichtung, Verträge einzuhalten und nach Treu und Glauben zu erfüllen („Pacta sunt servanda“), Art. 26 WVK. Eine Berufung auf innerstaatliches Recht, das der Erfüllung einer Vertragspflicht entgegensteht, zur Rechtfertigung eines Vertragsverstoßes ist nicht zulässig, Art. 27 WVK. Die völkerrechtliche Verpflichtung besteht grundsätzlich unabhängig von der jeweils innerstaatlich geltenden Rechtslage. Verträge, die gegen ius cogens (zwingendes Völkerrecht) verstoßen, sind ipso iure nichtig, Art. 53 Abs. 1 WVK.