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d) Diplomatischer Schutz
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Einige Normen des Völkerrechts bewirken faktisch den Schutz individueller Rechtspositionen, auch wenn sie formal nur Staaten berechtigen. Dazu zählen z.B. die Regeln über konsularischen Schutz im Ausland und zahlreiche wirtschaftsvölkerrechtliche Prinzipien wie der Nichtdiskriminierungsgrundsatz, Marktzugangsrechte oder der Enteignungsschutz. Häufig kann die Verletzung dieser Normen durch einen Staat von den tatsächlich betroffenen Individuen oder Unternehmen nicht selbst geltend gemacht werden, da völkerrechtliche Normen grundsätzlich nur Staaten berechtigen oder verpflichten. Daher können Staaten „im Namen“ ihrer Staatsangehörigen die Rechtsverletzung geltend machen und ggf. Wiedergutmachung verlangen. Diese Art der Geltendmachung von Rechten und Interessen gegenüber einem anderen Staat wird als diplomatischer Schutz bezeichnet.
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Voraussetzungen für die Ausübung des diplomatischen Schutzes ist neben der Rechtsverletzung und der Erschöpfung des innerstaatlichen Rechtswegs (local remedies rule) vor allem die Berechtigung zur Schutzgewährung, die bei natürlichen Personen durch die Staatsangehörigkeit und bei juristischen Personen durch die Zugehörigkeit zu dem Schutz ausübenden Staat begründet wird. Das Völkerrecht enthält keine Vorgaben darüber, wie die Staatsangehörigkeit natürlicher Personen zu erwerben ist. Allerdings muss eine tatsächliche Beziehung (genuine link) zwischen dem Individuum und dem Staat bestehen. In der Praxis wird die Staatsangehörigkeit zumeist durch Abstammung (ius sanguinis), durch Geburt im Land (ius soli) oder durch Einbürgerung erworben.
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Die Staatszugehörigkeit juristischer Personen bestimmt sich nach dem jeweils geltenden nationalen Gesellschaftsrecht. Die Zugehörigkeit kann entweder nach dem Recht des Staats bestimmt werden, nach dessen Recht das Unternehmen gegründet wurde (Gründungstheorie) oder nach dem Recht des Staats, in dem das Unternehmen seinen tatsächlichen Geschäftssitz hat (Sitztheorie) oder nach dem Recht des Staats, dessen Staatsangehörigkeit die Mehrheit der Eigentümer des Unternehmens besitzen (Kontrolltheorie). Das Völkerrecht enthält keine Präferenz für eine Zuordnungsmethode, setzt aber wiederum eine tatsächliche Verbindung zwischen Unternehmen und Staat voraus.
Leading Case
IGH, Barcelona Traction[1]:
Die Anteile der Barcelona Traction, Light, and Power Ltd., eines Unternehmens kanadischen Rechts mit Tätigkeit in Spanien, wurden zu knapp 90 % von belgischen Bürgern und Unternehmen gehalten. Nach der Beschlagnahmung des Vermögens des Unternehmens durch einen spanischen Insolvenzverwalter machte Belgien diplomatischen Schutz zu Gunsten seiner Bürger geltend und reichte Klage gegen Spanien ein.
Dem IGH stellte sich u.a. die Frage, ob wegen des hohen Anteils belgischer Anteilseigner die Zuordnung des Unternehmens zum kanadischen Recht ausgeschlossen werden könne. Der IGH verneinte dies und führte aus, dass die völkerrechtlichen Grundsätze der Zuordnung der Staatszugehörigkeit von Unternehmen nur begrenzt mit den entsprechenden Regeln für die Staatsangehörigkeit von natürlichen Personen verglichen werden könne. Insbesondere gebe es im Völkerrecht keine absoluten Anforderungen an die „genuine connection“ zwischen Unternehmen und Staat.
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Die Gründungstheorie überwiegt im anglo-amerikanischen Recht; die Sitztheorie gilt in vielen kontinentaleuropäischen Staaten, u.a. in Deutschland. Bei international tätigen Unternehmen kann es zu unterschiedlichen Zuordnungen kommen, z.B., wenn eine nach US-amerikanischem Recht gegründete Gesellschaft ihren Hauptsitz in Deutschland hat. Welches Recht dann Anwendung findet, entscheidet das jeweilige internationale Gesellschaftsrecht (Kollisionsrecht). Da in Deutschland die Sitztheorie vorherrscht, könnte deutsches Recht anwendbar sein. Dies könnte zur Folge haben, dass das Unternehmen nach deutschem Recht neu gegründet werden müsste.[2] Um derartige praktisch unerwünschte Folgen zu vermeiden, können die Staaten völkerrechtlich vereinbaren, dass sie das Gesellschaftsstatut einer Auslandsgesellschaft gegenseitig anerkennen.[3]