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SOZIALE UNGERECHTIGKEIT

1830ER- UND 1840ER-JAHRE

Harriett Martineau betont die ungerechte Behandlung von Frauen, der Arbeiterklasse und der Schwarzen in Großbritannien und in den USA.

1848

Karl Marx und Friedrich Engels rufen in Das kommunistische Manifest zu einer sozialistischen Revolution auf.

1906

Max Weber sagt: Ethnische Gruppen unterscheiden sich weniger durch biologische Unterschiede als vielmehr durch gesellschaftlich geprägte Weltanschauungen.

1948

Die Vollversammlung der Vereinten Nationen verkündet die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte.

1972

Richard Sennett und Jonathan Cobb untersuchen in The Hidden Injuries of Class die negativen Auswirkungen des Klassenbewusstseins.

1845

Friedrich Engels beschreibt die Unterdrückung und Ausbeutung der Arbeiter in seinem Werk Die Lage der arbeitenden Klasse in England.

1903

W.E.B. Du Bois beschreibt in Die Seelen der Schwarzen die gesellschaftlich konstruierten rassischen Vorurteile gegen Afro-Amerikaner.

1920

Max Weber skizziert sein gesellschaftliches Drei-Schichten-System, basierend auf Wohlstand, gesellschaftlichem Status und politischer Macht.

1964

Das US-amerikanische Bürgerrechtsgesetz (Civil Rights Act) verbietet die Diskriminierung aufgrund der Rasse, Hautfarbe, Religion, nationalen Herkunft oder des Geschlechts.

1978

Elijah Anderson beginnt in A Place on the Corner: A Study of Black Street Corner Men seine Untersuchung zur Stigmatisierung der schwarzen Bevölkerung und des Zusammenhangs mit dem Getto.

1979

In Die feinen Unterschiede. Kritik der gesellschaftlichen Urteilskraft erläutert Pierre Bourdieu den Begriff »Habitus«, die Zugehörigkeit zu einer Gesellschaftsgruppe.

1987

Paul Gilroy sagt in There Ain’t no Black in the Union Jack: Der Gedanke einer fixierten nationalen Identität, Ethnizität oder Kultur fördert den Rassismus und sollte fallengelassen werden.

1990

Sylvia Walby identifiziert in Theorizing Patriarchy ein System aus patriarchalen Gesellschaftsstrukturen und -systemen, durch die Frauen ausgebeutet werden.

1978

Edward Said prangert in Orientalismus die stereotype Sicht auf den Osten an und sagt, sie herrsche in der westlichen Welt noch immer vor.

1979

Peter Townsend propagiert in Poverty in the United Kingdom die Definition von Armut als relativen statt absoluten Begriff.

1984

In Feminist Theory: From Margin to Center legt bell hooks dar, dass die Formen der Unterdrückung miteinander zusammenhängen.

1987

R.W. Connell sagt in Gender and Power: Die Männlichkeit ist ein gesellschaftliches Konstrukt, das die patriarchale Gesellschaft stützt.

2009

R. Wilkinson und K. Pickett zeigen, dass nicht Wohlstand, sondern soziale Gerechtigkeit etwas bewegen kann.

Die Ideen der Aufklärung führten zur Moderne – und die Industrielle Revolution versprach neben mehr Wohlstand auch eine gerechtere Gesellschaft. In Europa wurde die absolute Macht der Monarchen, des Adels und der Kirche infrage gestellt, und das rationale und wissenschaftliche Denken machte alte Dogmen unglaubwürdig. Zudem führten technische Fortschritte in vielen Bereichen zur Mechanisierung und zu neuen Industriebranchen: Der Wohlstand und die Hoffnung auf eine Verbesserung der Lebensverhältnisse der Arbeiter wuchsen.

Klassenbewusstsein

Mit der Etablierung der Industriegesellschaft wurde indes deutlich, dass sie nicht ins erwartete »Utopia« führte. Im 19. Jahrhundert sahen viele, welche Kosten dieser Fortschritt forderte und dass die moderne Industriegesellschaft, statt gerechter zu werden, neue Ungerechtigkeiten hervorbrachte.

Zu den Ersten, die die neue Gesellschaftsordnung untersuchten, gehörte Friedrich Engels. Er sah, wie sich eine Arbeiterklasse herausbildete, die von den Fabrikbesitzern ausgebeutet wurde. Zusammen mit Karl Marx analysierte er die Unterdrückung dieser Klasse als Ergebnis des Kapitalismus, der wiederum die fortschreitende Industrialisierung anheizte.

Marx und Engels fassten die sozialen Probleme der Industriegesellschaft in ökonomischen Begriffen und sahen die Ungerechtigkeiten als Ausdruck der Spaltung zwischen Proletariat und Bourgeoisie. Spätere Soziologen widersprachen dieser Analyse zwar nicht grundsätzlich, betrachteten sie aber als komplexer und vielschichtiger. Max Weber z. B. sah, dass neben der wirtschaftlichen Situation der soziale Status und die politische Macht eine Rolle spielten. Klassenbewusstsein und -wahrnehmung wurden zum Thema von soziologischen Untersuchungen zu sozialen Ungerechtigkeiten – etwa in dem von Pierre Bourdieu entwickelten Konzept des »Habitus«.

Rassenunterdrückung

Während Marx und Engels den ökonomischen Unterschied zwischen den Klassen untersuchten, sahen andere, dass nicht die Arbeiterklasse allein unter sozialer Ungerechtigkeit litt. So machte Harriet Martineau auf die Kluft zwischen den Idealen der Aufklärung in Sachen Gleichberechtigung und der Realität aufmerksam. Ihre Erfahrungen in den USA zeigten, dass selbst in einer auf dem Ideal der Freiheit gegründeten Demokratie Sklaven, Frauen, ethnische Gruppen, Arbeiter u. a. von der aktiven Teilhabe an der Gesellschaft ausgeschlossen waren. 150 Jahre später sollte bell hooks die Verbindung zwischen den verschiedenen Formen der Unterdrückung neu erkunden.

Selbst als die Sklaverei endlich abgeschafft war, bestand der politische Ausschluss der schwarzen Bevölkerung (durch die Verweigerung des Wahlrechts) in den USA noch bis weit ins 20. Jahrhundert hinein. Sie leidet bis heute unter Vorurteilen, die aus der Zeit der Sklaverei und des europäischen Kolonialismus stammen. Soziologen wie W.E.B. Du Bois untersuchten die Situation ethnischer Gruppen in den vorrangig weißen Gesellschaften Europas und konzentrierten sich im 20. Jahrhundert zunehmend auf den Zusammenhang von sozialer Ungerechtigkeit und Rasse. So begann Elijah Anderson in den USA mit Untersuchungen schwarzer Gruppen und ihrer Verbindung zum Konzept des »Gettos«, der gebürtige Palästinenser Edward Said analysierte die westliche negative Wahrnehmung »des Ostens«, und der Brite Paul Gilroy sucht nach Wegen, den modernen, multikulturellen Gesellschaften den Rassismus auszutreiben.

Gleichheit der Geschlechter

Frauen kämpften ebenfalls noch lange für ihre politische Teilhabe – und in den auch im 20. Jahrhundert noch grundlegend patriarchalischen Gesellschaften sind sie bis heute mit Ungerechtigkeit konfrontiert. Die »erste Welle« des Feminismus benötigte mehr als ein Jahrhundert, bis Frauen das Wahlrecht erhielten. Nach dem Zweiten Weltkrieg fand die »zweite feministische Welle« ihr Ziel darin, die fortdauernden Ungerechtigkeiten zu durchleuchten und zu überwinden.

Heute widmen sich Soziologinnen wie die Britin Sylvia Walby der umfassenden Analyse sozialer Systeme und ihrer noch immer patriarchalen Strukturen – oder weisen, wie die Australierin R. W. Connell, auf die Fortdauer konventioneller, d. h. gesellschaftlich konstruierter Formen der Wahrnehmung von Männlichkeit hin, die hilft, das Konzept einer patriarchalen Gesellschaft am Leben zu erhalten.

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