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LAKIN UND DER MINISTERPRÄSIDENT
Оглавление»Verbinden Sie mich doch bitte mit Dr. Kaulmann!« Lakin beugt sich flüchtig in Richtung Schreibtisch seiner Sekretärin, um seiner Anordnung mehr Nachdruck zu verleihen. Annegret Buchheimer, auch liebevoll Blümchen genannt, arbeitet schon seit über zehn Jahren für Lakin. Genauer gesagt obliegen ihr seit seiner Wahl zum Stadtrat von Bad Schlirnau alle Aufgaben im Bereich Verwaltung und Organisation. Sie kennt Lakin besser als den unaufgeräumten Inhalt ihrer Handtasche. Allein der gerade angeschlagene Tonfall suggeriert einen mittelschweren Flächenbrand. Während sie hastig wählt, um die Verbindung herzustellen, verschwindet Lakin bereits hinter der üppig gepolsterten Tür zum Chefzimmer.
»Wilhelm, die Sache gerät ins Schleudern«, prustet Lakin atemlos in den Hörer.
»Was soll das bedeuten, Georg?«, fragt Kaulmann. Seine Stimme nimmt einen seltsam scharfen Ton an.
»Na, eben das, was ich sage«, antwortet Lakin ungehalten. »Wenn kein Wunder geschieht, fliegt uns die gesamte Chose um die Ohren und du sitzt ebenfalls im kenternden Boot. Ich sage nur Spread Ladder Swaps …, du weißt schon, das Schweinchen auf der Leiter-Spiel.«
Kaulmanns Stimme klingt nunmehr schrill und unangenehm laut. »Bist du von allen guten Geistern verlassen? Ich habe nicht das Geringste mit deinen Finanzleichen im Keller zu tun. Todsichere Zinswetten hast du damals angepriesen. Ich habe nur abgenickt gegen Provision, versteht sich. Was also soll das bedeuten, die Chose fliegt auf?«
Lakin räuspert sich kurz und kontert: »Ich habe, wie du weißt, den Zweihundert-Millionen-Kredit bei unserer Hausbank aufgenommen und das Ding dann mit Spread Ladder Swaps abgesichert. Auf ausdrückliche Anweisung deinerseits übrigens. Wir haben auf die Entwicklung der Differenz zwischen Zwei- und Zehnjahreszins gewettet, und das Ding implodiert gerade ganz gewaltig. Die Zinsstrukturkurve ...«
Wieder unterbricht ihn Kaulmanns aufgeregtes, hysterisches Geschrei. »Was ist mit der Zinsstrukturkurve, Georg? Was? Sag es ..., sag es sofort!«
Lakin atmet tief durch und müht sich um Haltung. »Sie verläuft halt anders als angenommen, Wilhelm. Anders heißt nicht marktgerecht...!«
Am anderen Ende der Leitung wird es deutlich ruhiger. Nur das angestrengte Atmen eines schwergewichtigen Kerls ist noch vernehmbar.
»Wilhelm? Bist du noch dran?«, fragt Lakin ganz vorsichtig nach.
»Ja doch!« antwortet dieser hastig. »Wenn herauskommt, auf welche Weise du die städtischen Finanzen ›sanierst‹, sind wir dran, Georg.
Lakin zündet sich eine seiner feinen Zigarillos an. Er inhaliert tief und formt beim Ausatmen mit dem Rauch ein paar Ringe in die Luft und seine Gesichtszüge entspannen sich ein wenig.
»Mach dir nicht gleich in die Hose, Wilhelm. Das ist ja nicht grundsätzlich verboten, solange dem Absicherungsgeschäft eine Kreditaufnahme gegenübersteht. Wir sind nicht die einzige Kommune, die so agiert, und bisher haben die Swap-Geschäfte gut gefluppt. Die Entwicklung konnte so niemand vorhersehen.«
»Was willst du tun, Georg?« Kaulmanns Stimme klingt kleinlaut, angstvoll und ziemlich panisch.
»Abwarten, Wilhelm, abwarten und Tee trinken. Notfalls die Bank verklagen wegen Fehlberatung. Auf keinen Fall klein beigeben.« Langsam bekommt sich Lakin wieder in den Griff und nimmt eine deutlich straffere Haltung ein. Gleichwohl ist ihm klar, dass am Ende der Staatsanwalt winkt. Besser gesagt winken kann, wenn ihm nichts Kluges einfällt. Denn es handelt sich bei diesen Swap-Sorten um äußerst komplizierte Finanzprodukte, die geradezu um Vorsicht wimmern. Das weiß natürlich auch Lakin. Und der ist als Stadtrat verpflichtet, Sorgfalt walten zu lassen. Denn Steuergelder werden treuhänderisch verwaltet und müssen umsichtige Verwendung finden.
Lakin betet sich die Vorschriften in Gedanken noch einmal vor. Zwei eiserne Verpflichtungen binden die Finanzverantwortlichen in Städten und Kommunen: Erstens müssen sie Anlageprodukte verstehen, bevor sie genutzt werden. Zweitens muss eine Risikobegrenzung durch breite Streuung auf unterschiedliche Produkte erfolgen. Über solch lästige Verpflichtungen sieht Lakin allerdings stets großzügig hinweg. Schon immer, denn zu viel Um- und Vorsicht blockieren den wohlverdienten Erfolg nur – findet er. Für einen kurzen Moment verspürt Lakin ein undefinierbares, aber tiefes Unbehagen, doch er schiebt es innerlich schnell und energisch beiseite.
»Gib Nachricht, wenn die Bombe definitiv tickt«, flüstert Wilhelm in den Hörer. »Du weißt, ich habe in meiner Eigenschaft als Ministerpräsident Möglichkeiten, notfalls auch Anweisung an die Staatsanwaltschaft zu geben. Wenn sonst nichts mehr hilft, Georg, hörst du? Nur, wenn sonst nichts mehr hilft.«