Читать книгу Kursverlust - Marlen Albertini - Страница 13
LYDIAS WELT
ОглавлениеSanfte Mozartklänge schmeicheln Lydias Ohren. Wohlig entspannt räkelt sie sich auf der Liege im Kosmetiksalon und träumt ein wenig vor sich hin, während sie auf ihre Behandlung wartet. Verena Wolters, Chefin des Salons Beauty Conversion, lässt es sich niemals nehmen, ihre besten Stammkunden höchstpersönlich zu bedienen. Sie versteht es vortrefflich, selbst schwierige Fälle mittels kostspieliger Massagen, Tinkturen, Cremes, Peelings und aufwendiger Kosmetika in einen – wenngleich nur kurzfristigen – Zustand atemberaubender Verjüngung zu wandeln. Lydia von Lakin hat mit ihren knapp 50 Lenzen zweifelsfrei die besten Tage hinter sich. Das luxuriöse, ausschweifende Leben an der Seite ihres äußerst erfolgreichen und wohlhabenden Mannes hat unübersehbare Spuren hinterlassen. Chirurgische Tricks jeglicher Art lehnt sie allerdings entschieden ab, sondern liefert sich lieber auf Gedeih und Verderb Verenas Künsten aus.
In der Tat, unter den fachkundigen Händen der Salonbesitzerin entsteht das kleine Wunder. Ohne Nachhaltigkeitsfaktor zwar, jedoch mehr als ausreichend, um beim heutigen Presseball einige Stunden lang für Aufsehen, Anerkennung und Neid zu sorgen. Lydia schwelgt in Glückseligkeit. Das augenscheinliche Ergebnis versetzt sie in Hochstimmung. Wohlwollend betrachtet sie sich von allen Seiten und nickt ihrem eigenen Spiegelbild bestätigend zu.
»Guten Tag, Frau von Lakin. Sie sehen fantastisch aus!« Lydias letzte Drehung vor dem Spiegel endet beinahe in den Armen der jungen Dame, die sie so freundlich begrüßt. Strahlend steht Dr. Sybille Aingsbacher, Politikberaterin und gelegentliche Mitarbeiterin im Stadtratsbüro Ihres Mannes, dem frischgebackenen Beauty-Kunstwerk gegenüber.
»Auch zu Gast beim Presseball heute Abend?«, beginnt Lydia von Lakin mit Handschlag den obligatorischen Smalltalk. »Eine Schönheitskur haben Sie in Ihrem Alter doch gar nicht nötig«, ergänzt sie scheinheilig, ohne Sybilles Antwort abzuwarten, und taxiert auffällig das mindestens zwei Jahrzehnte jüngere Gegenüber.
»Nein, nein ...«, erwidert Sybille Aingsbacher hastig. »Ich bin mit Verena zum Mittagessen verabredet. Die Schlirnauer Stuben bieten eine hervorragende Mittagskarte. Übrigens auch mit schmackhaften, kalorienreduzierten Gerichten«, ergänzt sie mit seltsam süffisantem Unterton. Sybilles aufdringlich wirkender Kennerblick scheint sich in Lydias mehr oder weniger gut kaschierter Speckrolle zu verfangen, die sich mit der Zeit in der Taillengegend verfestigt hat. Die eben noch dominierend vorherrschende Glückseligkeit weicht augenblicklich einer Verärgerung, die Lydia nur schwer verbergen kann.
Noch bevor sie zu einer schlagkräftigen Erwiderung ausholen kann, erklärt Sybille mit fester Stimme, dass sie selbstverständlich zum Presseball erscheinen wird. »Wir sehen uns also!«, resümiert Dr. Sybille Aingsbacher und wendet sich abrupt den frisch dekorierten Auslagen mit den sündhaft teuren Schönheitsprodukten des Salons zu.
Lydias Stimmung sinkt Richtung Gefrierpunkt. Sie geht zur Kasse, um die Rechnung zu begleichen und bedankt sich noch einmal bei Verena, der Künstlerin in Sachen Metamorphose. Schnell füttert sie noch das für jedermann sichtbare Sparschwein der Mitarbeiter. Dann stakst sie aufgedonnert und eilig davon.
»Sie ahnt nichts, sie sieht nichts, sie merkt nichts ...«, seufzt Sybille mit Blick auf die Salon-Tür, hinter der nur noch der davoneilende Schatten Lydias zu erahnen ist.
»Sie will es nicht merken ...«, ergänzt Verena, die ihre Freundin unterhakt, um endlich mit ihr in die wohlverdiente Mittagspause zu starten.