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TROMPTS LEBEN

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Es ist Punkt 17 Uhr. Ferdinand Trompt packt seine Habseligkeiten in die alte Aktentasche, welche er seit Jahrzehnten seines Berufslebens mit sich herumschleppt. Eine abgenutzte Thermoskanne wandert ebenso in das gute alte Stück wie die leicht zerbeulte Butterbrotdose, in der es sich das achtlos zerknüllte Pergamentpapier gemütlich macht. Ein Blick auf seinen stets so penibel aufgeräumten Schreibtisch signalisiert Trompt, das Büro ordnungsgemäß zu verlassen. Noch vor wenigen Minuten saß ihm der bisher schwerste Fall seiner beruflichen Geschichte gegenüber. Dessen unverblümte Beichte veranlassten Trompt, an dieser Stelle einzuhalten und den schwierigen Kunden anderntags neu einzubestellen. Noch bis zur Tiefgarage und den sich anschließenden Fahrradkeller begleiten ihn die Gedanken zu diesem Fall. Das ist äußerst ungewöhnlich für Trompt, der Beruf und Privatleben strikt zu trennen vermag. Umständlich fummelt er an den Hosenklammern herum, bis sie endlich akkurat sitzen und ihm das sichere Gefühl vermitteln, nicht mit dem Stoff seiner guten Bürohose in die Speichen zu geraten. Anschließend klemmt er seine Aktentasche auf den Gepäckträger, schwingt sich auf das Rad und fährt Richtung Ausfahrt des Jobcenters.

Was soll ich mit ihm tun?, sinniert Trompt, während er hastig in die Pedale stampft. Wer um alles in der Welt kann mit einem solchen Betrüger noch etwas anfangen? Er verscheucht die Gedanken wie eine lästige Fliege. Müde und vom Arbeitstag leicht zermürbt will er nur noch schnell nach Hause. Dorthin, wo eine warme Mahlzeit auf ihn wartet und er inmitten der kleinbürgerlichen Gemütlichkeit seiner altmodisch eingerichteten Wohnung die wohlverdiente Entspannung finden kann.

Noch bis vor zwei Jahren teilte er sich das reichlich hausbacken anmutende Zuhause mit seiner Mutter. Ihm, dem überzeugten und ewigen Junggesellen, las sie jeden Wunsch von den Augen ab. Seit ihrem Tod ist Trompt nun selbst für alles verantwortlich. Lange stemmt er sich gegen all die lästigen Arbeiten wie etwa Aufräumen, Putzen, Waschen und Bügeln. Irgendwann aber hat der fingerdicke Staub den zermürbenden Kampf verloren. Seitdem gehören auch verkrustete Geschirrberge und dreckige Wäsche der Vergangenheit an. Trompt entwickelt sich zunehmend zu einem automatisierten Selbstversorger mit einfallsreichen Ideen zur Rationalisierung der ungeliebten Tätigkeiten. Einmal wöchentlich betreibt er beispielsweise einen regelrechten Koch-Marathon, um sich für alle anderen Tage von solchen Arbeiten zu befreien.

Geschickt fischt Trompt sich an diesem Abend die Tupperschale mit dem fein säuberlich etikettierten Schildchen Freitag aus der Truhe und stellt sie in die Mikrowelle. Wie immer hat er seine Schuhe bereits an der Haustür ausgezogen. Nicht nur der Bequemlichkeit halber, sondern vor allem auch, um dem alten, zerschlissenen Teppich nicht noch mehr zuzumuten. Auf weichen Hauspantoffeln huscht er nun durch die Wohnung, räumt dies und das zurecht und macht es sich mit dem inzwischen aufgewärmten Mikrowellengericht, Besteck, Bier und einer Tageszeitung vor dem Fernseher gemütlich. Er genießt das selbstgemachte Gulasch mit Rotkohl und Klößen, während die Nachrichtensendung das Thema Wirtschaftskrise behandelt, die durchaus auch einen Trompt tangiert. Vor Jahren nämlich hat er das relativ bescheidene Vermögen in vermeintlich todsichere Aktien angelegt. Und zwar in Blueman & Sun, jener US-amerikanischen Bank, die erst kürzlich von einer Sekunde zur anderen Pleite ging und im Nichts verschwand. Dumm nur, dass auch hunderttausende Anleger - ohne davon zu wissen - über Zertifikate und Schuldverschreibungen dieser Bank verfügten. Aufgeschwatzt von dubiosen Anlageberatern, die nur den eigenen Profit sowie saftige Boni und weniger das Wohl des Kunden im Auge haben.

Trompt zählt ebenfalls zum Kreis der Betrogenen und hat seitdem einen besonderen Hass auf Menschen entwickelt, die – auf welche Weise auch immer – mit Finanzprodukten handeln. Insgesamt 17 Mal hat er bisher an kleineren und größeren Demonstrationen vor jenen Hausbanken teilgenommen, die aus seiner Sicht schlichte Bürger um ihre Ersparnisse berauben. Mehr als ein befristetes Entschädigungszugeständnis einzelner Finanzinstitute kam dabei bisher nicht heraus. Da nutzt es auch wenig, wenn ein rundes Dutzend Leute bei Wind und Wetter erbärmlich wirkende Transparente mit den schnörkeligen Schriftzügen ihrer Forderungen vor den gigantischen Glaspalästen der Banken gen Himmel recken. Die Höhe der Entschädigungen lässt für Trompt ohnedies den Schluss zu, dass die Institute ihre Verpflichtung nur abschütteln wollen, um den schlechten Ruf aufzupolieren. Von der Politik fühlt er sich schon lange betrogen. Er glaubt, sie schütze nur den vollständig entarteten Finanzsektor, der unzählige Zeitgenossen in das blanke Verderben treibt. Mit deren fanatischen Bestrebungen zur Liberalisierung der Finanzmärkte hat alles begonnen. Und mit ihr wird alles enden. Davon ist Trompt überzeugt.

Wenigstens einen hat es mal knallhart erwischt, wenngleich die Ausbeute insgesamt zu mager ist, denkt er angesichts des Falls, den er beruflich zu bearbeiten hat.

»Recht so«, murmelt er vor sich hin. »Auch ich werde ihn keinesfalls schonen«, ist sich Trompt sicher. Entschlossen steht er auf, um sich in Schale zu werfen. Es ist Wochenende, und er hat heute noch etwas ganz Besonderes vor.

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