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BLOMBERGS STUNDE

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Neben seiner Verantwortung für die Landespolitik zählt Ministerpräsident Dr. Wilhelm Kaulmann selbstverständlich auch zum inneren Zirkel der Machtzentrale auf höchster Ebene. Daher befasst er sich grundsätzlich nur mit den wirklich wesentlichen Dingen innerhalb seiner Arbeitsfelder. Aufgaben, die er unter dem Begriff Kleinkram abzuhaken pflegt, überlässt er tunlichst und eigenverantwortlich seinem gigantischen Mitarbeiterstab in der Zentrale der Landeregierung. Mehr oder weniger spektakuläre Vorgänge hingegen – wie etwa die leidige Geschichte um Lakin – werden stets in Blombergs zuverlässige Hände gelegt. Als persönlicher Büroleiter genießt der emsige Mitarbeiter Kaulmanns vollstes Vertrauen – und dies schon seit vielen Jahren.

Lakins undurchsichtige Machenschaften bestimmen Blombergs Alltag inzwischen seit geraumer Zeit. Der findige Stadtrat von Bad Schlirnau scheint sich hinsichtlich Kaulmanns künftiger Karriere zunehmend zu einem unliebsamen Störenfried zu entwickeln. Das jedenfalls lassen Blombergs akribische Recherchen erahnen, die sich vor allem auf das seltsame Anlage-Gebaren innerhalb kommunaler Finanzierungen der Infrastruktur konzentrieren. In Teilen scheint auch Kaulmann involviert. Da ist sich Blomberg nach seinen umfangreichen Recherchen inzwischen sicher. Inwieweit, ahnt er allerdings nicht. Während es für den Ministerpräsidenten selbst schon seit Wochen Anlass zu größter Beunruhigung gibt, hält Blomberg seinen Chef bisher für einen Edelmann ohne Fehl und Tadel.

Natürlich leidet Kaulmann wie jeder Politiker unter chronischem Zeitmangel oder bildet es sich zumindest ein. Dennoch schiebt er an diesem Dienstag, der von einem prall gefüllten Terminkalender diktiert wird, noch schnell eine Kurzvisite bei seinem Büroleiter ein. Er will sich höchstpersönlich vom aktuellen Stand der Recherchen bezüglich seines Freundes Georg von Lakin überzeugen. Voller Ungeduld steht er nun unmittelbar vor Blomberg und sieht ihn herausfordernd an. Auf Kaulmanns Stirn haben sich einzelne Falten zusammengerunzelt, die ihn besonders angriffslustig wirken lassen. Blomberg dienen sie zudem als sicheres Zeichen dafür, dass mit dem Chef im Augenblick keinesfalls zu spaßen ist.

»Nun, was haben Sie noch herausgefunden?«, fordert Kaulmann seinen engsten Mitarbeiter barsch und mit rüdem Ton auf, endlich zu sprechen.

»Fakt ist ...« Blomberg räuspert sich ein wenig, bevor er mit eindringlicher Stimme fortfährt. »Also, Lakin hat neben den Verkäufen und Leasinggeschäften mit den Amerikanern die erzielten liquiden Mittel teilweise zwar korrekt verbucht und kommunal auch wieder eingesetzt.«

»Ja, und weiter?«, hakt Kaulmann ungeduldig nach.

»Nun ja, teilweise hat er das akkurat verarbeitet, teilweise aber eben auch nicht. Nach meinen Ermittlungen jedenfalls fehlt ein Betrag von 580.000 Euro, der nirgendwo im ordentlich verbuchten Zustand auftaucht.«

»Unglaublich«, empört Kaulmann sich aufrichtig erstaunt. »Sind Sie denn sicher? Der Schlawiner hat es ja noch faustdicker hinter den Ohren, als ich es schon vermutete.«

Die heftige Reaktion des Ministerpräsidenten auf die Neuigkeiten freut Blomberg. Beweist es ihm doch, in welch wichtiger Mission er derzeit für seinen Chef agiert. Zwischenzeitlich hat er sich kerzengerade vor dem Chef aufgebaut, während er weitere Ermittlungsergebnisse referiert. Sein Selbstwertgefühl wächst kongruent zu den Recherche-Ergebnissen, und aus dem geduckten, unauffälligen und grauen Büromännchen erwächst so langsam ein resoluter Mann mit Schwung und Elan. Das Sprichwort Man wächst mit seinen Aufgaben scheint auf Blomberg wie zugeschnitten.

»Leider ist das aber nicht alles«, fährt Blomberg fort, ohne zuvor eine weitere Reaktion des Chefs abzuwarten. »Lakins deftige Zinswett-Geschäfte bringen Verluste in gigantischen Höhen. Der Kredit, den er bei der Hausbank aufgenommen hat und mit den brandgefährlichen Spread Ladder Swaps absicherte, scheint zu platzen.

»Was das nach dem derzeitigen Stand der Finanzkrise bedeutet, muss ich nicht weiter ausführen«, fügt Blomberg mit eindringlich leiser Stimme hinzu. Dann flüstert er weiter:

»Wer das von höherer Instanz bewilligt oder gegengezeichnet hat, konnte ich bisher allerdings noch nicht ermitteln. « Nach diesen Ausführungen holt Blomberg erst einmal tief Luft. Er sieht sich bereits als eine Art Chefermittler und ergänzt mit entschlossenem Ton, dass er dieser Information in Kürze sicher auch noch habhaft werden wird. Erwartungsvoll und in der Hoffnung auf ein dickes Lob schaut er Richtung Kaulmann. Der hat es sich mittlerweile auf einem der neumodischen ergonomisch günstig konstruierten Bürostühle bequem gemacht und erscheint blass um die Nase. Doch mit seiner verhältnismäßig ruhigen Stimme sowie der stets außerordentlich pragmatischen Art geht er direkt in die Offensive. Dann outet er sich gegenüber dem eifrigen Blomberg.

»Ich selbst habe damals zugestimmt.« Die Aussage sitzt. Atemlose Stille erfüllt den Raum. Der noch vor Minuten so aufrechte Blomberg wirkt nun wie ein zusammengefallener Plumpudding.

»Jetzt reißen Sie sich aber am Riemen«, zischt Kaulmann den fassungslos dreinschauenden Blomberg an. »Wenn Sie in der Politik etwas werden wollen, müssen Sie einiges aushalten und manchmal auch über Leichen gehen können. Wer am großen Rad drehen will, muss standfest und hartgesotten sein.« Kaulmann wischt sich über die Stirn. Sogleich predigt er unverdrossen weiter.

»Weicheier sind in dieser Sparte nicht gefragt. Schließlich habe ich ja nur intern zugestimmt. Es gibt nichts Schriftliches. Ich zähle auf Sie, Blomberg. Bleiben Sie loyal, es wird Ihr Schaden nicht sein. Suchen Sie nach Lösungen, und denken Sie stets daran: Wenn schon Köpfe rollen, dann jene von Lakin & Co – keinesfalls aber meiner! Haben wir uns verstanden?«

»Jawohl, Herr Ministerpräsident«, pariert Blomberg in gewohnter Manier und packt die Unterlagen für den Ministerpräsidenten eilig zusammen. Kaulmann wird später bei hochkarätiger Runde in Berlin tagen. Hinter verschlossenen Türen und jenseits der Öffentlichkeit geht es um Strategien zur Bewältigung der Finanzkrise. Unfassbare Beträge in dreistelliger Milliardenhöhe, die am Ende einmal mehr die Steuerzahler schultern dürfen, stehen auf dem Tagesprogramm. In welche Beruhigungspille für die Bürger das verpackt werden kann, wird prominentes Thema sein. Kaulmann muss sich beeilen. Der Fahrer wartet schon.

Kursverlust

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