Читать книгу Kursverlust - Marlen Albertini - Страница 18
BILLIE UND GEORG
Оглавление»Billie, bist du da?«. Georg von Lakin schaut sich in der großzügig gestalteten Eingangshalle des Einfamilienhauses um. »Wo sie nur wieder steckt«, denkt er laut und ruft nochmals. »Billie!«
Er ist es nicht gewohnt, enttäuscht zu werden. Schon gar nicht von Billie. Gerade erst hat er ihr das luxuriöse Heim zum 30. Geburtstag überschrieben und es ihr damit quasi auf dem Silbertablett serviert. Als scheinbarer Dauer-Glückspilz kann er sich so einiges leisten und hält sich neben seiner getreuen Lydia auch eine Geliebte. Und das ist – zumindest im Augenblick – Dr. Sybille Aingsbacher. Jung, hübsch und unverbraucht, wie sie nun einmal ist, passt sie perfekt in sein Beuteschema, und als Politikberaterin mit besten Beziehungen ist sie zudem äußerst nützlich. Eine Eigenschaft, die Lakin stets zu würdigen weiß und gerne großzügig honoriert. Mit Billie, dieser schönen, aber kühlen, berechnenden und außerordentlich intelligenten Frau kann er sich als Politiker mit weißer Weste in der Öffentlichkeit natürlich nicht outen. Doch auch hinter den Kulissen haben die beiden jede Menge Spaß. Im Besonderen aber dient Billie als Türöffner zu Persönlichkeiten in der Wirtschaft und VIPs aller Art, die Lakin protegieren können.
Lakin muss sich noch etwas gedulden, bevor Billie endlich anrauscht. Wie immer hat sie sich perfekt zurechtgemacht und lässt keinen Zweifel daran, über die geeigneten Waffen zu verfügen, einen wie Lakin um den Finger wickeln zu können. Billie hat sich stets im Griff und verfügt über nur eine einzige Schwäche: Sie erliegt dem Charme besonders erfolgreicher Männer.
Lakin zählt zweifelsfrei dazu. Sein Höhenflug nimmt gerade beängstigende Ausmaße an. Restlos alles, womit er sich befasst, scheint zu gelingen. Und dies auch noch auf Anhieb, wie er heute wieder mit größter Genugtuung feststellt. Sein beträchtliches Erbe hat er hochspekulativ angelegt, um zielsicher eine schnelle und vor allem atypisch hohe Rendite zu kassieren. Der Posten als Stadtrat von Bad Schlirnau verspricht ein zusätzliches Quäntchen Sicherheit und wird von der Aussicht auf eine ansehnliche Pension noch versüßt. Auch die neu gegründete Partei WGP befindet sich auf Kurs und genießt über Parteigrenzen hinaus breite Anerkennung. Besonders hinsichtlich dieser Baustelle bastelt Lakin noch an seinem eigenen Profiling. Er will gewappnet sein, falls ein Ministeramt lockt. Insgeheim hofft der Glückspilz Lakin ohnedies, in nicht allzu weiter Ferne das Finanz- oder Wirtschaftsministerium zu erobern. Nur die Partei für Umwelt und Alternative Energien (UPD) steht noch im Weg. Sie ist nicht nur beim Volk äußerst beliebt und wird von der größten, liberal-konservativen Partei LKP heftig umgarnt. Mit ihren satten 15 Prozent ist sie gleichsam Lakins größter Konkurrent.
»Billie, ich habe einen sensationellen Anlagetipp«, brüstet sich Georg von Lakin nun und schwellt die Brust wie ein eitler Pfau.
»Und der wäre?«,fragt Billie gelangweilt. Sie wundert sich über solche Mitteilungen nur selten, setzt sie Lakin doch zusätzlich gewinnbringend als Finanz- und Anlageberater ihrer Vermögenswerte ein. Sagenhafte Geldvermehrungen sind Tätigkeiten, von denen Billie nicht genug bekommen kann und dahingehend verlässt sie sich felsenfest auf den Erfolgsmenschen an ihrer Seite.
»Wir sollten noch etwas mutiger werden nach unserem Reibach und auf den Bankrott mancher EU-Staaten wetten.« Allein beim Gedanken an den zu erwartenden Coup reibt sich Lakin bereits die Hände, und seine Augen beginnen zu funkeln. Das tun sie immer, wenn es irgendwo auf der Welt darum geht, ordentlich abzukassieren.
Spekulanten vom Schwergewicht eines Georg von Lakin haben weltweit gute Karten. Es gibt nur unzureichende Rahmenbedingungen und selten Barrieren oder Verbote für trickreiche Finanzjongleure. Das macht es dieser Spezies besonders leicht. Zusätzlich nutzen sie die immensen Geschwindigkeitsvorteile des Webs, um mit ihren Geschäften sekundenschnelle Punktlandungen zu meistern. Den Kampf zwischen der Politik und den Märkten haben die Märkte aus diesem Grund schon lange gewonnen. Es begann bereits damals, als Bill Clinton in seiner Funktion als US-amerikanischer Präsident eine Koppelung normaler Geschäftsbanken mit Investmentbanken zuließ. Seitdem ist es möglich, immer neue und völlig undurchsichtige Finanzprodukte zu kreieren, die kaum jemand durchschaut. Mit solchen kreditfinanzierten Investitionen lassen sich unvorstellbar hohe Summen generieren, um die entsprechenden Märkte anzugreifen. Einen wie Lakin behagt solch extrem guter Nährboden für Spekulationsgeschäfte ganz besonders. Die Tatsache, dass Politiker praktisch nichts vom Wesen und den Abläufen der globalen Finanzmärkte sowie deren Verflechtungen verstehen, ist für Spekulanten durchaus ein Faktum, das sich auf der Habenseite verbuchen lässt. Auch der Handel mit Derivaten und Hedgefonds bleibt für die meisten Volksvertreter ein Buch mit sieben Siegeln. Zwar mühen sich die meisten, den Bürgern gegenüber Kompetenz auszustrahlen. Tatsächlich aber ist eine solche kaum vorhanden, und das wird für Spekulanten zum eigentlichen Kurswert an den Börsen.
Lakin ist politisch betrachtet eine Ausnahme. Eine Lichtgestalt unter den Politikern sozusagen. Ein Mann, der so gut wie sämtliche Finanzgeschäfte und Tricks kennt und durchschaut. Böse Zungen behaupten auch, dass er die Bürger bewusst belügt und betrügt, während die meisten Politiker eher unbedarft auf dem rutschigen Parkett der Finanzwelt herumschlittern. Sie fügen dem Volk nicht unbedingt vorsätzlich Schaden zu, sondern tun es im Prinzip aus reiner Ahnungslosigkeit und Inkompetenz. Lakin schüttelt es bei dem Gedanken, mit welcher Unkenntnis der komplexen Zusammenhänge sich ein Großteil der politischen Akteure auf den Spuren der größten Finanz- und Weltwirtschaftskrise bewegt. Auch der kürzlich getätigte Wettangriff auf einzelne europäische Staaten und den im Prinzip harten Euro beweist eine sagenhafte Kopf- und Ratlosigkeit. Heerscharen an Beratern, die sich mit ihren Tipps hinter Politikern formieren, sind ebenfalls Zeugnis eines bisher nicht gekannten Dilettantismus.
»Nun denn«, fasst Lakin seine Überlegungen nüchtern zusammen. «Des einen Leid, des anderen Freud.« Erneut wendet er sich mit dem vermeintlich sensationellen Anlagetipp seiner Freundin Billie zu.
»Hm ...«, zögert diese ein wenig und gibt frei heraus zu, trotz hoch angesiedeltem Intelligenzquotienten das zurückliegende Anlage- und Wettgebaren gegen den Euro nicht ganz durchschaut zu haben. Lakin ist zwar nicht unbedingt in Stimmung, Kenntnisse des Einmaleins der Börse zu vermitteln. Dennoch macht er eine Ausnahme. Billie soll schließlich mit ins Boot seiner neuesten Anlagegeschäfte genommen werden. Über ausreichende Mittel verfügt sie ja. Und so lässt er sich zu einer – wenngleich auch sehr vereinfachten – Erklärung dieser seltsamen Wettgeschäfte herab.
»Schau, Billiemaus, schon seit den 1970er Jahren werden die einzelnen Währungen nicht mehr über Zentralbanken stabilisiert. Faktisch bedeutet dies, dass es seither einen Freibrief für Spekulationen gibt. Ich erwähne das nur deshalb, weil ja stets so getan wird, als seien entartete Spekulationsgeschäfte ein vollkommen neues Phänomen. Doch die Plattform hierfür wurde eben schon vor Jahrzehnten geschaffen.«
Lakin reckt sich etwas, sodass sein Hals immer länger zu werden scheint. Dann zuckt er mit dem Kopf mehrmals nervös nach links, als wolle er irgendwelche Wirbel einrenken. Das macht er immer, wenn er einen Vortrag hält, und diese Angewohnheit hat sich bereits ziemlich verfestigt.
»Ich gebe dir mal ein anschauliches Beispiel für diese Wetten gegen Währungen, mit denen wir kürzlich so wundervoll abgeräumt haben, meine Liebe. Du nimmst in dem Land, gegen das du wetten willst, einen Kredit auf. Natürlich in der entsprechenden Landeswährung. Sagen wir, du nimmst den Kredit heute auf – an einem Mittwoch. Dann gehst du Freitag hin und wirfst das Geld, also den Kredit, welchen du aufgenommen hast, in den Markt.«
»Aha ...«, erwidert Billie scheinbar verständig. Sie, die sonst wirklich nicht auf den Kopf gefallen ist, versteht noch immer nicht. Doch sie will es sich auf keinen Fall anmerken lassen, und so hört sie weiter aufmerksam zu.
»Weil ganz viele Spekulanten das Gleiche tun – zum Beispiel, da es Absprachen gibt oder dies die entsprechende wirtschaftliche Lage des Landes angesichts höchster Verschuldungen geradezu herausfordert – kommt es nun zu einem Überangebot der entsprechenden Währung. In der Folge stürzt der Kurs dieser Währung kräftig ab. Jetzt kannst du dir schon mal die Hände reiben, Billie. Denn du löst nun deinen Kredit, den du vor einigen Tagen aufgenommen hast, zu einem deutlich niedrigeren Kurswert wieder auf. Die Differenz kann sich sehen lassen. Du hast quasi im Schlaf dein Geld verdient.«
Billies Augen beginnen zu leuchten. So liebt sie ihn, ihren Lakin. Immer bestens informiert und stets in der Lage, mit relativ wenig Aufwand den größtmöglichen Nutzen zu erzielen.
»Das ist noch nicht alles, Billie, denn es kommt noch eine nicht unwesentliche Feinheit hinzu. Das Sahnehäubchen sozusagen. Du kannst nämlich viele Finanzinnovationen nicht nur dazu nutzen, den Verlust bei anderen Werten durch eine Absicherung zu kompensieren. Nein, es ist sogar möglich, mit den sich darauf beziehenden Finanzprodukten auf künftige Kursveränderungen zu wetten, ohne überhaupt im Besitz der zugrundeliegenden Basiswerte zu sein. Dabei wird die Entwicklung des Basiswertes noch gehebelt, also zum Teil kreditfinanziert um ein mehrfaches gesteigert. Ist das nicht phänomenal, Billie? Manche Investoren sprechen sich ab und schaffen es sogar, mit diesen Wettgeschäften die Werte realer Güter und Aktiengesellschaften in ihrem Sinne gemeinsam zu beeinflussen.
Lakin ist zweifelsfrei in seinem Element. Seine Augen glänzen, und die Worte sprudeln nur so heraus. Und da er nun schon mal beim Thema ist, spricht er noch ein drittes Mal seinen sagenhaften Anlage-Tipp an, der jede Menge Kapital anschwemmen soll.
»Erzähl schon«, fordert ihn Billie ungeduldig auf. Nun ist sie doch neugierig geworden, welch spektakuläre Idee ihr ohnehin schon ansehnliches Vermögen wundersam vermehren soll.
»No Risk, no Fun, meine Hübsche«, erwidert Lakin euphorisch. Auf die Vereinigten Staaten fallen derzeit ja allein mehr als 30 Prozent der gesamten Staatsverschuldung weltweit. In den vergangenen Jahren hat sich der US-amerikanische Schuldenberg praktisch verdoppelt. Fiskalpolitisch sind die USA pleite, profitieren aber augenblicklich noch von der Annahme, dass die Staatengemeinschaft mit ihrer gemeinsamen Finanz- und Wirtschaftspolitik Garant für ausreichende Stabilität ist.«
»Ja, und?«, erkundigt sich Billie etwas unsicher, jedoch ahnend, welch ungeheuerlicher Vorschlag nun von Lakin kommen würde.
»Wir wetten mal gegen diese These. Wir wetten gegen den US-amerikanischen Dollar und damit auf eine wesentliche Schwächung der Vereinigten Staaten von Amerika. Und wir sollten einen gewaltigen Batzen setzen. Mit Klimpergeld ist da nicht viel zu holen.«
»Bist du von allen guten Geistern verlassen?«, stammelt Billie, der es für einen Moment die Sprache verschlägt. Ihre Worte klingen sogar ein wenig ängstlich, obwohl sie sich hinsichtlich jeglicher Anlage-Akrobatik bisher nun wirklich nicht zimperlich, sondern immer besonders tapfer zeigte. »Bist du wirklich sicher, dass das hinhaut?«, fragt sie Lakin, der sich dominant wie ein riesiger Instrumentenkasten, der nur darauf wartet, endlich geöffnet zu werden, vor Billie aufgebaut hat.
»So sicher, wie ein Lakin nur sein kann und der sich ja gut auskennt«, antwortet er erregt. »Wir schaffen das schon. Wetten, dass ...?«
Dr. Sybille Aingsbacher hält einen Moment inne. Sie scheint noch ein wenig zögerlich. Dann aber hebt sie entschlossen den Kopf, öffnet die Schublade des Sekretärs und angelt eine Vollmacht heraus. Schwungvoll unterzeichnet sie das folgenschwere Papier und tänzelt Richtung Lakin.
»Mach das Beste daraus, hörst du?« Kokett fuchtelt sie mit der Prokura vor Lakins Augen, bevor sie die brisante Ermächtigung übergibt.
»Aber sicher, Billie«, entgegnet er mit glänzenden Augen. »Du wirst es nicht bereuen.« Dann tauchen beide ab. Dorthin, wo Börsenkurse, Wetten und Heuschrecken-Geschäfte außen vor bleiben und alles Geld der Welt zumindest für kurze Zeit den Stellenwert verliert.