Читать книгу Die Straße der Ritter - Marlin Schenk - Страница 12
10. Auf dem Atlantik
ОглавлениеDie Galeeren durchpflügten nun schon seit zwei Tagen den Atlantik. Sie befanden sich auf offenem Meer und nahmen Kurs nach Südwest. Frankreichs Küste und die seichten Wasser des Kanals hatten sie zwar schon weit hinter sich gelassen, aber bis nach La Coruna würden die Büge ihrer Schiffe mehr Wasser teilen müssen als Moses im Roten Meer. Dabei machte diese Stadt erst ein Fünftel der Gesamtstrecke aus. Die Strecke von Brest nach La Coruna war weit, und um genügend Trinkwasser aufnehmen zu können, waren weitere Behältnisse erforderlich gewesen, wofür der Fassbinder an Bord zwei Tage lang gearbeitet hatte.
Ein kräftiger Wind kam plötzlich auf und bescherte den Sklaven eine willkommene Pause, die sich, als der Befehl zum Segel heißen kam, mit einem Aufschrei der Erleichterung von ihrem Ruder trennten.
Der Padrone Federico di Giovanni stand auf seiner Plattform und ließ seine stechenden Augen über die See wandern. Er sah nach der Sonne, die aus einem blauen Himmel heraus die Schiffsplanken aufheizte und verglich deren Stand mit der Fahrtrichtung. Immer und immer wieder schaute er zwischen Sonne und Ziel hin und her. Dann füllte er seine Lungen mit Luft und brüllte: „Pilotas!“ Diese Anweisung hätte normal an den ersten Offizier gehen müssen, der nun unverständlich den Padrone ansah und sofort den Ruf wiederholte, wobei er noch lauter schrie als Federico di Giovanni. Einen Augenblick später standen die beiden Lotsen beim Kapitän. Ihre Haltung ließ Ehrfurcht erkennen.
„Wie lautet der Kurs?“ brüllte der Padrone außer sich. „Und sagt mir nicht, wir halten fadengenau auf La Coruna zu. Wofür hab' ich euch an Bord? Macht euch an die Arbeit.“
Die Lotsen verbeugten sich ergeben und verschwanden. Kurz darauf kamen sie mit ihrem Werkzeug wieder. Außer dem Offizier waren sie die einzigen an Bord, die unaufgefordert die Plattform betreten durften, und sie machten von diesem Privileg Gebrauch. Ihre Messinstrumente bestanden aus magnetisierten Nägeln, die an dünnen Schnüren aufgehängt waren. Daraus versuchten sie, den Norden abzulesen. Die in der See schaukelnde Galeere machte diese Aufgabe nicht einfach. Bald waren sie sich jedoch über den Kurs einig, und sie teilten ihn Federico di Giovanni mit.
Der Padrone gab seine Befehle an den Segelmeister weiter und sagte: „Ich will nicht, dass so etwas noch einmal passiert.“ Dann deutete er auf die Schwestergaleere, die ein paar Kettenlängen vor ihnen ebenso auf Kollisionskurs mit der Küste ging. „Auf diesem Schiff sind verdammte Ketzer am Werk. Die erste Galeere sollte der Navigation eigentlich besondere Genauigkeit angedeihen lassen. Gebt ihnen ein Zeichen, damit sie ihren Kurs korrigieren.“ Dann bedeutete Federico mit einer Handbewegung, dass die Lotsen sich entfernen sollten.
Nach mehreren Tagen in der nassen Wüste wurden Zeit und Datum bedeutungslos. Wenn das Wetter sich nicht änderte, dann war ein Tag wie der andere. Und es änderte sich nicht. Die Sonne brannte heiß und erbarmungslos auf die Schiffe und machte Sklaven und Ritter träge. Die unfreien Ruderer schmachteten angekettet auf ihren Bänken, während die Freiwilligen sich an Bord bewegen konnten.
Bei diesem Wetter und der angenehmen Brise befanden sich auch die beiden Unteroffiziere an Deck. Nur der Agozzino stapfte müden Schritts durch die stickige Luft im Ruderraum. Er hatte die Aufsicht über die Sklaven. Diese dösten auf ihren Bänken, und manche schnarchten sogar leise. Doch plötzlich kam Leben in die Männer. Ein Sklave, der an der Bordwand saß, wurde von kühlem Nass geweckt, das ihm auf die nackten Füße spritzte. Als dieser erschrocken nach der Quelle suchte, machte er eine undichte Stelle in der Schiffswand aus. Die Abdichtung einer Fuge hatte sich gelöst, und die Fuge öffnete sich immer weiter. Das Wasser drang inzwischen literweise in den Rumpf ein.
Die Augen des Mannes weiteten sich vor Schreck, und er überlegte krampfhaft, was er tun sollte. Würde das Schiff so volllaufen, dass es versank? Wäre es möglich, dass sie alle starben und von ihrem traurigen Los durch den Tod befreit wurden? Oder wollte er leben, trotz der Schmach und der täglichen Schmerzen durch die Peitsche? Dann musste er den verhassten Agozzino auf die Gefahr aufmerksam machen. Wenn er aber nichts sagte, würde dann die schmale Stelle ausreichen, um das Schiff zu versenken? Nein. Dazu musste er die Fuge vergrößern. Und selbst das würde nicht reichen, denn wenn die Galeere nur langsam volllief, würde man es früh genug merken. Vielleicht aber hatte er, Osman Salaiman, muslimischer Gefangener der Christen, die Möglichkeit, sich einen Stein im Brett zu verdienen, wenn er seine Feinde auf die Gefahr aufmerksam machte. Und so, wie es aussah, war dies die einzige Möglichkeit. Er wollte diese Gelegenheit wahrnehmen. „He, Agozzino.“
Der Angesprochene zog grimmig die Augenbrauen tiefer. „Halt die Schnauze, du Sohn einer ungläubigen Hure“, giftete er.
Osman Salaiman schluckte. Er hatte nicht verstanden, was der Mann zu ihm gesagt hatte, aber er hatte erkennen können, dass es keine Liebesschwüre waren. Trotzdem verdrängte er all seinen Hass aus der Seele und machte einen zweiten Versuch: „Da kommt Wasser durch die Bordwand.“
Der Agozzino verstand die Sprache des Gefangenen nicht. Er verstand nur, dass ein erbärmlicher muslimischer Schweinebalg sich seinem Befehl widersetzte und trotz Aufforderung zum Schweigen sein verdammtes Maul nicht hielt. Der Aufseher entrollte seine Peitsche. „Du hast es nicht verstanden oder willst es nicht verstehen“, zischte er. Im nächsten Moment spaltete das Leder die Haut des Sklaven und fraß sich in sein Fleisch. Dreimal - viermal - fünfmal - zehnmal. Der Agozzino keuchte erregt. „Reicht das, du verdammter muslimischer Hund?“
Durch den Vorfall hatten andere Sklaven voller Schreck erkannt, dass Wasser durch die Bordwand drang. „Wasser dringt ins Schiff ein“, rief einer seinen muslimischen Glaubensbrüdern zu. Ein Raunen ging durch die Reihen.
„Seid ihr nun vollends verrückt?“ brüllte der Agozzino. „Ihr sollt meine Peitsche spüren, bis euch die Sinne verlassen. Ruhe!!“ Die Peitsche pfiff durch die Luft und klatschte auf nackte Rücken. Die Gefangenen zerrten an ihren Ketten und riefen unverständliche Worte. Sie konnten sich weder wehren noch verständigen. Und bis der Agozzino begriff, was man ihm mitteilen wollte, konnte er einen Mann tot geprügelt haben.
Osman Salaiman wollte nicht, dass einer seiner Brüder zu Schaden kam. Er sah nur eine einzige Möglichkeit, den Agozzino auf die Gefahr aufmerksam zu machen. So bückte er sich, schöpfte Wasser mit seinen Händen und spritzte es dem Aufseher ins Gesicht.
Die Peitsche, die in der Luft schwang, senkte sich, und der Aufseher wischte sich das Nass aus dem Bart. Wutentbrannt schaute er den Sklaven an. „Du verdammter...“
„Nein, nein“, schrie Osman und deutete auf das Wasser, in dem seine Füße bereits bis zum Knöchel standen. Dann deutete er auf die Fuge, durch die das salzige Nass eindrang.
Der Aufseher hielt inne, als er sah, was der Sklave ihm zeigen wollte, und als er an sich herab blickte, erkannte er, dass das Wasser bereits unter den Steg schwappte, auf dem er stand. Er rief so laut, dass seine Halsadern anschwollen, nach einem Gehilfen. Der Mann kam, und der Agozzino befahl im barsch, die Unteroffiziere unter Deck zu bitten.
Als die beiden Peitschen bewehrten Männer auftauchten, stand auch der Agozzino schon im Wasser. Er deutete hinein. „Da, seht. Die Bordwand leckt. Wir müssen etwas tun.
„Ich werde mit Erlaubnis des Padrone die beiden Kalfatern kommen lassen, damit sie die Fugen neu verstopfen und teeren“, sagte einer der beiden Unteroffiziere und verschwand, um die Männer zu holen.
Inzwischen löste der Agozzino die Kette der Sklaven, die auf Bänken an der undichten Stelle saßen, und übergab sie dem anderen Unteroffizier. „Eine falsche Bewegung, und ich peitsche euch über Bord“, zischte der Unteroffizier.
Die Kalfatern kamen schnell mit hölzernen Eimern herbei, worin Stoff- und Wollreste, sowie Fett und Teer aufbewahrt wurden. Die Dichtungsmassen waren durch die Sonne weich und geschmeidig geworden, so dass ihre Arbeit leicht war und gut voranging. Sie fetteten die Lumpen dick ein und kneteten sie zu einer breiigen Masse zusammen, womit sie die Fugen verdichteten, indem sie das Produkt gut in den Ritzen verschmierten. Danach teerten sie die Stellen ab, nahmen ihre Eimer und verließen die Bankreihe.
„Gute Arbeit“, sagte der Unteroffizier. Jetzt muss nur noch das Wasser raus.“
Dazu hatte der Padrone den Comito di Rispetto (Matrosenaufseher) angewiesen, ein paar Matrosen für die Aufgabe zu bestimmen. Sie schöpften so viel Wasser aus dem Rumpf, wie ihnen möglich war, und als sie ihre Arbeit beendet hatten, schlossen sich wieder die Ketten um die Fußgelenke der Rudersklaven.
Der Unteroffizier grinste breit. „Das hast du gut gemacht, Sklave“, sagte er. Dann zog auch er sich zurück.
Der Aggozino war nun wieder allein mit den Ruderern. Unter Deck wurde es durch das eingedrungene Wasser schwül, und der Aufseher schwitzte. Erregt sah er Osman Salaiman an. „Verdammter Hurensohn“, keuchte er. „Hat dir wohl Spaß gemacht, mich nass zu spritzen, was?“ Er spuckte dem Sklaven ins Gesicht. „Pass auf, du muslimischer Teufel. Ich schick dich in die Hölle, das schwör ich dir. Weißt du, was ich hier in der Hand habe? Kennst du das, ja?“
Oh ja, Osman kannte die Peitsche. Sie war so etwas wie eine strenge, grausame, aber vertraute Gouvernante, ohne die er keinen Tag verbringen konnte. Sie war ständig um ihn herum, beobachtete, was er tat und wartete darauf, dass beim Rudern seine Kräfte nachließen, damit sie ihm seinen Rücken aufreißen und Schmerzen in seine Wunden legen konnte. Für ihn war die Peitsche eine schwarze Schlange, gefährlich und immer darauf erpicht, ihn zu quälen. Und auch diesmal entrollte sie sich wieder und pfiff durch die Luft. Der Schmerz, den er schon seit Jahren regelmäßig auf die Haut gepflanzt bekam, erfasste seinen Körper. Er hatte schon so viele Hiebe abbekommen, dass er glaubte, es müssten mehr sein als Wassertropfen im Atlantik. Anfangs hatte er noch geglaubt, sich daran zu gewöhnen. Dann wäre dieser Schlag nun nicht mehr als ein weiterer Strich auf seinem Erlebniskonto gewesen. Aber er hatte sich nicht daran gewöhnt, und dieser Schlag war so individuell wie der Mann, der ihn ausführte, so einmalig wie der Hass auf diesen Menschen. Osman senkte den Kopf und versuchte, die Schläge ohne besondere Regung über sich ergehen zu lassen. Und als der sechste oder siebte Schlag sich in die Haut grub, erschien einer der Unteroffiziere. „Halt ein, Mann“, brüllte er. „Was hat der Sklave getan?“
Der Folterer spuckte auf die Planken. „Er - er hat mich nass gespritzt“, hechelte er.
„Wir brauchen jeden Mann, verdammt noch mal. Wenn wir einen Ruderer verlieren und in eine Flaute geraten, dann nimmst du seinen Platz ein, Agozzino. Merk dir das. Wenn ich dich noch einmal bei einem so unkontrollierten Ausbruch erwische, dann wirst du auf ein Monatsgehalt verzichten müssen. Und nun teilst du das Essen aus.
Der Agozzino nickte.
Ein paar Augenblicke später erschien der Rezeptor unter Deck. Ihm folgten ein paar Männer mit Nahrungsmitteln in Körben und Töpfen. Sie begannen, das Essen auf Schüsseln zu verteilen. Diese Schüsseln reichten sie dem Agozzino, der sie wiederum an die Sklaven weitergab. Jeder Sklave erhielt Suppe, Käse, Öl und Wein. Als er die Schüssel an Osman Salaiman gab, trafen sich die Blicke der Männer. Die Augen des Sklaven waren schwarz wie Oliven, und in ihnen loderte ein Feuer, das dem Agozzino für einen Moment einen Schauer über den Rücken jagte. Er wusste, dass er einen Fehler begangen hatte, als er den Sklaven schlug, verdrängte den Gedanken aber sogleich wieder. Was sollte der Mann ihm schon anhaben können? Als die Essensausgabe beendet war, hatte er den winzigen Schauer von Angst wieder vergessen.
Nach der Mahlzeit rief der Ordenskaplan des Schiffs zu einer Messe auf. Es war die erste Messe an Bord, seit sie England verlassen hatten, und Tomas und William freuten sich, die Sakramente empfangen zu können.