Читать книгу Die Straße der Ritter - Marlin Schenk - Страница 3
1. John Duncans Schmiede
ОглавлениеIm Frühjahr des Jahres 1478 nieselte es wochenlang aus grauen Wolken, die wie ein triefender Schwamm über England hingen. Die feinen Regentröpfchen senkten sich wie satter Nebel herab, hüllten alles in kalten Dampf und graue Trostlosigkeit und verwandelten das ganze Land in eine Schlammwüste. Hin und wieder erbrachen die Wolken ergiebige Wassermengen und überspülten Wiesen und Äcker, denn der gesättigte Boden konnte die Fluten nicht mehr aufnehmen. Das Korn begann zu faulen, die Flüsse traten über die Ufer, und die Weiden konnten nicht mehr genutzt werden, denn das Vieh wäre darin versunken. Die Straßen im Königreich waren seit Herbst nur noch schmierige, braune Bänder, die die eingenässte Landschaft durchzogen und dem Reisenden das Leben schwer machten, denn oft genug blieb eine Kutsche im Morast stecken oder rutschte von der Straße, wodurch sie eine leichte Beute für Wegelagerer und Räuber wurde.
War das Leben in der Stadt schon eine Last, seit der Satan das Land in seinen feuchten Klauen hielt, so war es in einem Dorf wie Seven Oaks ein Fluch. Nur die Hauptstraßen waren mit grob gehauenen Steinen befestigt und passierbar. Wer aber in einer Seitenstraße wohnte und das Haus verließ, um Fleisch oder Gemüse einzukaufen, konnte damit rechnen, beschmiert und nass bis unter die Achseln wieder zurückzukommen. Die Kirchgänger waren nicht besser dran. Der Geistliche von Seven Oaks hatte bereits befohlen, dass das Haus Gottes nur noch ohne Schuhwerk betreten werden durfte, weil die ständige Verschmutzung der heiligen Stätte mit Matsch eine Herausforderung des Herrn darstelle. So ließen die gehorsamen Gläubigen ihre Schuhe und Stiefel im Glockenturm zurück und gingen barfuß über kalten Stein zu ihrer Bank, wodurch viele sich erkälteten und drei Erkrankungen mit der tödlichen heißen Lunge endeten.
Einer, dem das schlechte Wetter nicht die Ernte verhagelte, war John Duncan. An der Hauptstraße hatte er eine Schmiede und Wagnerei, in der es warm war, und als ob der Teufel sein Verbündeter wäre, brachte der Regen ihm viele Kunden mit gebrochenen Wagenrädern oder gelockerten Hufeisen, so dass sein Beutel sich langsam aber stetig straffte. Von morgens bis abends war er damit beschäftigt, Hufeisen zu formen, Pferde zu beschlagen und Wagenräder zu flicken. Unermüdlich bediente er den großen Blasebalg, der das Feuer knisternd auffauchen ließ.
Als John sich wieder einmal dem Amboss zuwandte, um mit dem Hammer ein Eisen zu formen, hörte er Pferdehufe auf dem groben Pflaster der Straße. Sein geschultes Ohr sagte ihm, dass dieses Pferd auf dem Weg zu seiner Schmiede war, denn auf drei harte Schritte folgte ein gedämpfter, was bedeutete, dass dem Tier ein Hufeisen fehlte. Die Schritte kamen näher und erstarben schließlich vor dem massiven Bruchsteinhaus. Einen Augenblick später pochte es an der schweren, mit Eisen beschlagenen Eichentür.
„Tretet ein“, rief John Duncan, ohne seine Arbeit zu unterbrechen.
Die Tür öffnete sich knarrend. Herein trat ein durchnässter Mann mit breitem Lederhut und ledernem Umhang, der wegen der Nässe, die er während einer langen Reise aufgesaugt hatte, fast schwarz und ein wenig glänzend erschien.
John drosch weiter auf das Eisen ein. „Euer Pferd braucht neue Schuhe“, sagte er grußlos, ohne sich umzuschauen.
Der Fremde nahm den triefenden Hut ab und klopfte ihn ein paar Mal gegen die Wand. „Hört man das so deutlich?“ fragte er.
„Ja.“ Nun drehte John sich nach dem Besucher um und deutete auf einen grob gezimmerten Schemel. „Nehmt Platz.“
Der Fremde nahm den nassen Umhang ab und setzte sich. „Gemütlich habt Ihr's hier, Schmied.“
John zuckte mit den Schultern. „Es lässt sich aushalten“, sagte er knapp. Dann nahm der Hammer seine Arbeit wieder auf.
„Seid nicht so bescheiden. Das habt Ihr gewiss nicht nötig. Wer ein massives Haus besitzt wie dieses hier, der braucht sich um sein Alter keine Sorgen zu machen.“
John fasste den Hammer fester, um den Fremden notfalls damit außer Gefecht zu setzen. „Wollt Ihr mich aushorchen, ob es was zu holen gibt?“ fragte er mit kerkerfinstrem Blick.
„Wo denkt Ihr hin?“ Die Kraft eines Ochsen, die sich unter der Haut der nackten Arme widerspiegelte, mahnte den Fremden zur Vorsicht. Er erkannte, dass er durch seine Neugierde Gefahr herauf beschwor. „Entschuldigt meine Frage“, sagte er in freundlichem Ton. „Es ist vielmehr, dass Gebäude im Dorf gewöhnlich aus Flechtwerk und Lehm gebaut sind. Ein solch massives Haus wie dieses habe ich noch nie gesehen.“
John hob das glühende Hufeisen in die Luft und betrachtete es, indem er es nach allen Seiten drehte. „Dies ist eine Schmiede“, sagte er, „und in einer Schmiede arbeitet man mit Feuer. Bei Lehmhütten würde schnell der rote Hahn auf dem Dach krähen.“
„Ich komme aus dem Süden“, erklärte der Fremde, „und da sind die Schmieden im Freien, nur mit Schiefer überdacht. Und die Häuser sind aus Flechtwerk und Lehm.“
John drehte sich erneut dem Fremden zu. „Ihr habt noch nie eine Schmiede im Haus gesehen?“ fragte er zweifelnd.
„Nein.“
John hob die Schultern und widmete seine Aufmerksamkeit dem Blasebalg, um das Eisen wieder zum Glühen zu bringen. In das Fauchen und Knacken des Feuers hinein hörte er den Fremden fragen: „Habt Ihr Ale im Ausschank?“
John Duncan nickte, formte das Eisen mit ein paar weiteren Schlägen und tauchte es in kaltes Wasser. Dann legte er den Hammer ab und ging zur Tür. „Mary, bring Ale“, rief er und ging wieder an den Amboss zurück.
„Wann könnt Ihr mein Pferd beschlagen?“ fragte der Fremde.
„In einer Stunde ist es fertig.“
„Und was kostet es?“
John nahm das Hufeisen erneut auf. Zufrieden schob er die Unterlippe vor und nickte. Er legte es zu einem Stapel vorgefertigter Stücke und schaute den Besucher an. „Das kann ich nicht sagen. Der Preis richtet sich in erster Linie nach den Neuigkeiten, die Ihr mitbringt. Habt Ihr etwas zu vermelden?“
„Oh ja.“
Mary Duncan trat wortlos mit einem großen Krug in der Hand ein und füllte einen hölzernen Becher, den sie dem Fremden reichte. Dieser rieb sich die Hände und nahm den Becher, um ihn in einem Zug zu leeren. Er wischte sich das Bier aus dem Bart, stieß kräftig auf und reichte ihn der Frau, die ihn erneut füllte. Der Fremde nahm noch einen Zug, dann begann er zu berichten.
„Das wohl scheußlichste Verbrechen, von dem ich jemals gehört habe, ist mir in Royal Tunbridge Wells zu Ohren gekommen. Es hat sich über Jahre hinweg im Rose Inn zugetragen. Die Herberge gehörte Landlord Richard Greendale und seiner Lady Elizabeth. Dieses geldgierige Ehepaar hatte im ersten Stock ein Bett zu einer perfekten Falle umgebaut. Das Nachtlager war auf einer Falltür befestigt. Kam ein betuchter Gast, dann wurde ihm dieses Zimmer vermietet, und wenn der Arme in der Nacht fest schlief, ließ man die Tür herunter. Der Schlafende fiel in die Küche unter dem Zimmer und fand sich unversehens in einem Bottich kochenden Wassers wieder, den die beiden mit einem schweren Deckel verschlossen und sich drauf setzten, bis das Opfer in dem heißen Wasser zu Tode gekommen war. Ob die Bemitleidenswerten durch Verbrühungen starben, oder ob sie qualvoll ertranken, weiß man nicht. Wie dem auch sei: Die Leichen wurden zerstückelt und in der Nacht in einer Grube hinter dem Haus verscharrt. Lord und Lady Greendale brachten Hab und Gut der Ermordeten an sich und behaupteten, dass sie einem Zechpreller aufgesessen seien. Niemand schöpfte Verdacht, bis die Greendales an den Falschen gerieten. Ein kräftiger Mann mit Kleidern aus feinsten Stoffen stieg im Rose Inn ab. Wie es hieß, war er auf dem Weg zu seiner Geliebten in London, um sie zu ehelichen. Es ist wohl der Vorfreude zuzuschreiben, dass der Mann in jener Nacht nicht schlafen konnte, und als sein Bett kippte, krallte er sich geistesgegenwärtig am Rahmen fest, so dass er nicht in das Wasser fiel. Vielmehr konnte er dem Landlord einen gezielten Tritt verpassen, als dieser den Gast an den Beinen packen wollte, um ihn in den Bottich zu ziehen. Greendale wurde so gut getroffen, dass er das Bewusstsein verlor. So konnte der Mann in die Küche springen und das mörderische Ehepaar fesseln. Darauf verständigte er den Sheriff. Das Ehepaar wurde einem peinlichen Verhör unterzogen und gestand unter Schmerzen über sechzig Morde an Reisenden. Vor drei Monaten wurden sie unter dem Jubel der Bevölkerung auf dem Marktplatz enthauptet. Man sagt, dass dreizehn Schläge notwendig waren, bis die Köpfe fielen. Der Henker muss sie gehasst haben.“ Der Fremde spuckte aus und trank seinen Becher leer.
Mary schenkte nach.
Johns Hammer, der während der Geschichte geruht hatte, begann wieder, auf dem Amboss zu klingen. „Eine gute Geschichte, aber nicht genug für einen Preisnachlass“, sagte er.
Der Reisende räusperte sich. „An Geschichten soll es nicht fehlen“, sagte er. „Man erlebt viel auf einer Reise. Habt Ihr von der Hexe vom Bedgebury Forest gehört?“
„Wie sollten wir?“
„Dann will ich sie Euch erzählen.“
John winkte ab. „Nur ein anderes der zahlreichen Frauenschicksale, die auf dem Scheiterhaufen enden. Verschont mich damit.“
Der Fremde hielt Mary den schon wieder leeren Becher hin, um ihn sich ein viertes Mal auffüllen zu lassen. „Es ist nicht, wie Ihr denkt, Schmied“, sagte er.
„Was ist an Eurer Geschichte anders?“ fragte Mary während sie eingoss und legte damit zum ersten Mal ihre Ablehnung dem Fremden gegenüber beiseite. Die Neugierde für eine Geschichte, die von der Norm abwich, war stärker.
Der Fremde betrachtete sich den gut gefüllten Becher, nahm einen Schluck und sagte: „So hört. Wie hier, so hat auch im Süden der Nieselregen seit Monaten das Land im Griff. Das wäre nicht das Schlimmste, aber hin und wieder segnen heftige Regengüsse die Erde, so dass die Flüsse über die Ufer treten. Es ist furchtbar, und wenn nicht was geschieht, wird bald eine grausige Hungersnot das Land heimsuchen. Die Frucht fault auf den Feldern, die Blüten der Bäume werden nicht befruchtet und bleiben taub, das Heu in den Scheunen der Bauern geht langsam zur Neige, und auf die Weiden kann man das Vieh nicht treiben, weil es wie in einem Sumpf versinken würde. Man wird die Tiere notschlachten müssen. All diese Misere hat einen Ursprung, und das Übel hat einen Namen. Der Name ist Eleonore McKintire.“
Der Schmied ließ den Hammer sinken. „Ist sie eine Hexe?“ fragte er.
„Ja.“
John drosch wütend den Hammer auf den Amboss. „Glaubt Ihr daran?“
„Zweifelsohne“, antwortete der Reisende erschrocken. „Sie hat es ja selbst zugegeben.“
„Unter Folter hat noch jede ihren Pakt mit dem Satan gebeichtet“, sagte John laut.
„Warum seid Ihr so aufgebracht?“ fragte der Fremde verunsichert. „Die Frau ist von ihrem eigenen Mann angezeigt worden. Noch in der gleichen Stunde wurde man ihrer habhaft. Man brachte sie in die Sakristei der Kirche von Kilndown, wo sie sogleich den Pakt mit dem Satan eingestand. Sie hat nicht mal eine Zange zu sehen bekommen. Ist das nicht Beweis genug für ihre Schuld?“ Der Fremde leerte den Becher in einem Zug und schaute hinein, als ob er irgendwo noch einen Rest ausmachen wollte, aber allein es blieb beim Wollen.
Mary goss ungefragt nach. „Was hat sie denn gestanden? Etwa Geschlechtsverkehr mit dem Teufel?“
Der Fremde bekreuzigte sich, bevor er den Becher nahm und dessen Inhalt einmal mehr hastig hinunterkippte. Er schüttelte sich. „Sie soll auf dem Weg zur Kirche den Häschern entglitten und freiwillig in die Sakristei hineingeschwebt sein. Als die Häscher in die Sakristei stürmten, fanden sie Eleonore lachend auf einer Bank sitzen. Sie soll den Rock gehoben haben, und zwischen ihren nackten Schenkeln waren drei Sechsen auszumachen.“
„Das ist doch alles Humbug“, sagte John. „Wer hat Euch solch schauderhafte Mär erzählt?“
Der Besucher hob die Hände. „Hört: Eleonore lachte laut und spottete über die Kirche. Sie schalt Hochwürden einen armen Narren, der unfähig sei, das Land vor der Sintflut zu retten. Ob Gott sein Flehen um besseres Wetter nicht höre, wollte sie wissen. Sie selbst jedoch habe die Macht, den Regen versiegen zu lassen, wenn sie nur wolle. Es würde keine Hungersnot geben, wenn man sie entließe. Sollte man allerdings Hand an ihren Körper legen, dann würde Luzifer sehr böse werden, denn sie, Eleonore, sei seine Braut alleine, und der Satan dulde nicht, dass ein anderer Mann sie anfasse. Egal, ob zum Beischlaf oder zum Verhör. Selbst Abel McKintire, ihr Mann, würde es nicht wagen. Sie sagte, wenn man sie verbrenne, dann würde der Regen nie mehr enden.“
John spuckte aus. „Das dumme Geschwätz eines armen Narren.“
„Oh nein. Selbst der Pfarrer von Kilndown, einem kleinen Ort am Bedgebury Forest, glaubte ihr. Er wollte diese Frau nicht in seinem Orte wissen und sie schon gar nicht dem Henker überlassen. Er wollte einfach nicht die Schuld auf sich nehmen müssen, wenn England in den Fluten versank. Nun liegt Kilndown eingebettet zwischen drei Flüssen, und die Lage dort ist bedrohlicher als sonst wo. Wahrscheinlich hätte man sie hier längst dem Feuer übergeben. In Kilndown jedoch ließ man sie frei. Am nächsten Tag fand man Abel, ihren Gatten, erhängt an einem Baum, und seither ist die Hexe verschwunden. Das ist nun zwei Wochen her.“
„Und es regnet immer noch“, sagte John. „Sie hat ihn nicht gestoppt. Werden wir jetzt alle ersaufen?“
„Sie wird es wohl nicht soweit kommen lassen“, sagte der Fremde.
John hatte den Eindruck, dass er seinen eigenen Worten nicht glaubte.
Mary schenkte wortlos nach und machte damit das halbe Dutzend voll.
Plötzlich wirkte der Gast ungeduldig. Er erhob sich, wanderte in der Schmiede umher und fragte: „Wann beschlagt Ihr mein Pferd, Schmied? Und was wird's kosten?“
„Ich beginne sofort damit, wenn Ihr es eilig habt“, sagte John.
Der Fremde setzte sich wieder. „Ich möchte gerne hier übernachten“, sagte er. „Hat dieser Ort einen Inn?“
„Nein“, antwortete John. „Aber ich biete Euch die Schmiede an. Sie ist warm und trocken. Erzählt noch eine Geschichte, dann beschlage ich Euer Pferd. Für meine Arbeit und die Unterkunft zahlt Ihr fünfzehn Schillinge, wenn die dritte Geschichte so gut ist wie die erste. Aber tischt mir nicht wieder so eine Fabel auf wie die mit der Hexe. Einen solchen Schwachsinn kaufen mir die Dorfbewohner nicht ab. Bisher sind noch alle, ob Hexe oder nicht, getötet worden. Etwas anderes wollen die Leute nicht hören.“
„Ihr glaubt es also immer noch nicht? Nun gut. Aber Euer Angebot ist fair, Schmied. Ist das Ale und das Futter für mein Tier darin enthalten?“
John Duncan setzte sich und stützte seine Arme auf der speckigen Lederschürze ab. „Ihr habt ein halbes Dutzend Pints getrunken“, sagte er. „Jedes weitere kostet einen Schilling. Und nun, erzählt.“
Der Besucher bekam leuchtende Augen. „Habt Ihr vom Schwarzen Ritter gehört?“
„Nein. Was ist mit ihm?“
„Er ist das furchterregendste Geschöpf seit Gary Auchnacraig, dem Menschenfresser aus Schottland. Er soll ein Bär sein, sechs Fuß groß, der in seiner Rüstung 25 Steine wiegt. Niemand hat je sein Gesicht gesehen, und wer einmal seine grimmigen Augen durch das Visier ausmachen konnte, kann heute nicht mehr davon berichten, weil sein Korpus kopflos in Englands Erde ruht. Seinen Namen hat er von einem schwarzen Umhang aus feinstem Samt, und auf seinem Helm weht ein schwarzer Federbusch. Das Schwert ist aus gehärtetem indischem Stahl geschmiedet und sitzt locker in der Scheide. Er führt es mit einer solchen Kraft und Geschicklichkeit, dass kein Kämpfer ihm ebenbürtig wäre. Seine Armmuskeln können die Ärmel seines Kettenhemdes sprengen, wenn er sie anspannt, und ein Schlag seiner Faust kann ein Pferd töten. Man hat gesehen, wie er einen Ritter mit einem einzigen Hieb von Kopf bis zum Nabel spaltete.“
Mary füllte unaufgefordert den hölzernen Becher.
„Wie heißt dieses Ungetüm?“ fragte der Schmied.
„Man nennt ihn den Schwarzen Ritter, wie ich schon sagte. Seinen Namen kennt man nicht, aber seine Taten eilen ihm weit voraus. Wo immer dieses Wesen auftaucht, schließen Geschäfte ihre Türen und Bürger ihre Fenster. Tavernen verbarrikadieren sich, um den Mörder nicht einlassen zu müssen, denn man weiß nicht, wie dieser Mann betrunken zu genießen ist, wenn er schon nüchtern alles umhackt, was sich ihm in den Weg stellt.“
John Duncan zeigte Interesse an der Geschichte, denn ein Ungetüm wie dieses kam bei den Dorfbewohnern immer an, weshalb der Schmied nachhakte. „Wo kommt der Kerl her?“
„Er soll mit einer Galeere in Portsmouth angekommen sein“, sagte der Gast. „Der Teufel weiß, aus welchem Land er angeschwemmt wurde.“
„Und wo hält er sich auf?“
„Zuletzt ward er irgendwo in Sussex gesehen. Ich vermute, dass er auf dem Weg nach London ist. Vielleicht sucht er Arbeit als Söldner im Lande. Aber woher kommt Euer Interesse an dieser Ausgeburt der Hölle?“
John winkte ab. „Es ist nichts, Fremder. Wollt Ihr jetzt Euer Pferd hereinführen, damit ich es beschlagen kann?“
Der Mann erhob sich und stellte fest, dass er sich abstützen musste. Sieben Pints warmen Ales hatten seinen Kopf in ein Bienennest verwandelt. Er versuchte, sich nichts anmerken zu lassen und schwankte nach draußen, um sein Pferd zu holen. Sicher führte er es in die Schmiede, wo John ein vorgefertigtes Hufeisen von der Wand nahm und dem Pferd anpasste.
Das Tier ließ den Schmied geduldig walten. Es hatte schlanke Fesseln und kleine Hufe, so dass das Eisen noch nachgearbeitet werden musste. John brachte es zum Glühen und formte es mit dem Hammer, schreckte ab, passte erneut an, brachte es noch einmal zum Glühen und drückte es dem Pferd auf den Huf. Zischend fraß sich das heiße Metall in den Horn. Es qualmte und verbreitete den Geruch verbrannter Haare.
Der Fremde schaute John Duncan zufrieden an. „Danke, das war Maßarbeit.“
John nickte stumm. Er war daran gewöhnt, dass ihn seine Kunden für sein Handwerk lobten. Er wandte sich an Mary. „Ruf die Kinder, Frau. Sie sollen sich um das Pferd kümmern.“
Mary verschwand.
John ergriff den großen Krug mit Ale. Er hielt ihn hoch und zeigte ihn dem Fremden. „Wollt Ihr noch einen Becher voll? Es geht auf meine Rechnung.“
Der Gast setzte sich schwerfällig. „Gerne.“
John füllte zwei Becher. Seine Söhne, zwei hochgewachsene, schlanke Burschen von etwa zwölf und dreizehn Jahren, traten ein. Sie verbeugten sich und führten dann das Pferd hinaus, um es zu striegeln und mit Heu und Rüben zu füttern.
Der Durst des Fremden war inzwischen weitestgehend gelöscht, so dass er nur noch an dem Becher nippte. „Woher bezieht Ihr dieses Ale?“
John schaute sich den Becher an, als ob die Antwort darauf zu lesen sei. „Wir haben einen Brauer hier in Seven Oaks“, sagte er.
Der Fremde nahm einen weiteren Schluck und kaute darauf herum. „Das Bier ist nicht gehopft. So mag ich es. Wer sein Bier hopft, der will nur vertuschen, dass er mit Gerste knausert. So einer gehört auf den Tauchstuhl.“
„Ich mag das bittere gehopfte Bier“, sagte John. „Aber man bekommt es ja hier nicht. Dazu muss man schon nach London reisen. Es ist eben so wie Ihr sagt: Die Leute glauben, dass es dem gehopften Bier an Gerste fehlt. Blanker Unsinn. Wozu gibt es denn Ale-Conner? Sie sorgen schon dafür, dass das Bier Qualität hat.“
„Mit recht zweifelhaften Methoden“, antwortete der Fremde. „Ich war unten in Eastbourne mit dabei, als die Gerichtstage für Brot und Ale stattfanden. Neue geeichte Tankards wurden vorgestellt, und ein Ale-Conner überprüfte den Ausschank eines Alehouses. Der Mann hatte lederne Hosen angehabt. Damit setzte er sich in eine Bierpfütze auf einer Holzbank. Als er nach einer Weile wieder aufstehen wollte, klebte er auf der Bank fest, und der Ale-Conner befand, dass das Bier gut war. Was haltet Ihr davon, Schmied? Würde ein solcher Test die Qualität des Bieres beweisen?“
John Duncan lachte.
„Ich sage Euch, Euer Ale ist gut. Es ist offenbar mit Honig im Geschmack verfeinert. Andere nehmen Salbei, wieder andere kochen Brennnesseln mit. Das alles lasse ich mir noch angehen. Aber manch zweifelhafter Brauer setzt dem Sud Ruß bei, damit das Ale eine dunkle Farbe bekommt. Andere zerreiben getrocknete Schnecken oder Eierschalen, weil sie glauben, dass Kalk das Ale bekömmlicher macht. Aber wenn sie auf den Tauchstuhl müssen, dann ist das Wehgeschrei groß. Immerhin ist in Canterbury ein Brauer dabei ertrunken. Er hatte ein wenig Pech gehabt.“
„Wessen hatte man ihn beschuldigt?“
„Er hatte dem Sud Hühnerkot beigesetzt. Das sollte den Brauvorgang beschleunigen. Außerdem war der Kerl der Meinung gewesen, dass sein Ale dadurch besser schäumte.“
John nahm einen kräftigen Schluck. „Das war Pech für ihn, in der Tat.“ Die Ausführungen des Fremden hatten seinen Appetit auf sein sauberes Ale geweckt.
„Es kommt aber auch auf das Wasser an“, erklärte der Gast. „Ein Brauer sollte eigene saubere Wasservorräte besitzen. Nicht selten wird das Brauwasser aus dem Bach geschöpft, in den die Leute am Morgen das Nachtgeschäft hineinkippen. Und was auch schon vorgekommen ist: Man hat Wasser aus einem Brunnen verwendet, in dem ein Schaf verrottete. Würde das Bier nicht gekocht werden, es hätte schlimme Folgen haben können.“
John betrachtete seinen Becher nachdenklich und spie aus. Plötzlich war er nicht mehr überzeugt von der Reinheit seines Ausschanks.“
„Habt keine Sorge, Schmied“, sagte der Fremde lachend. „Ihr versteht Euer Handwerk wie kein anderer, und auch ich bin ein Meister meines Fachs. Ich bin Bierbrauer und weiß, wie Ale schmecken muss. Ich hätte weiß Gott keine sieben Pints getrunken, wenn Euer Bier irgendwie verunreinigt wäre.“
„Ihr seid Brauer?“ fragte John verwundert.
„Ja, Brauer auf dem Weg nach London, um neue Ideen zu sammeln. Ich habe das Bestreben, das beste Ale im Königreich zu brauen. Eine Idee habe ich bereits hier bei Euch aufgeschnappt. Der Zusatz von Honig, wenn er in Maßen geschieht, ist keine schlechte Sache. Darauf bin ich noch nicht gekommen.“
„Dann hat sich Eure Reise schon gelohnt, nicht wahr? Möchtet Ihr noch etwas trinken?“
Der Braumeister kehrte seinen Becher um und schüttelte den Kopf. „Man dankt.“
„Dann entschuldigt mich. Ich habe noch zu tun.“ John erhob sich und trat wieder den Blasebalg, wobei ihn sein Gast interessiert beobachtete. Doch der Alkohol füllte seine Augen mit schweren Tränen. Er versuchte noch einmal, die bleiernen Lider hoch zu drücken, aber die Gewalt aus dem Innern siegte, und er nickte auf dem Schemel ein. Auch das Klingen des Amboss und das Fauchen des Feuers konnten ihn nicht wecken. Erst als zwei Stunden später Mary Duncan wieder in die Schmiede kam, wachte der Mann auf. „Darf ich Euch zum Essen einladen?“ fragte sie. „Es gibt Hühnchen und dazu Butter und Brot.“
„George Smith nimmt dankend an, gnädige Frau.“
Sie erhoben sich und gingen in eine geräumige Küche, wo über offenem Feuer drei Hühner brieten. Mary nahm sie herunter, teilte sie und legte jedem eine Hälfte auf einen blechernen Teller. Die Kinder sprachen das Dankgebet, dann aßen sie schweigsam.
Als er gegessen hatte, lobte George Marys Kochkunst und wischte sich die fettigen Finger an seinen langen Haaren ab.
„Kinder, nehmt Heu aus dem Stall und richtet Mr. Smith ein Nachtlager in der Schmiede“, befahl Mary.
Die Kinder gehorchten. Als sie zurückkamen, empfahl sich George. Er hatte viel getrunken und freute sich auf ein weiches Lager.
Mary und John lagen schweigsam auf mit Heu gefüllten Leinensäcken. Eine Kerze brannte auf einer grob gezimmerten Truhe aus Eichenholz und spendete karges Licht. Schafsfelle schützten sie gegen die kalte Feuchtigkeit im Zimmer.
John lag auf dem Rücken und hatte die Arme unter dem Kopf verschränkt. Er dachte über die seltsamen Geschichten des Brauers nach.
„Warum bist du so schweigsam?“ fragte Mary.
„Glaubst du an Hexen, Frau?“
„Sicher glaube ich daran. Du etwa nicht?“
„Nein.“
Mary drehte sich zu John hin. „Denk doch nur einmal an Victoria Blackmore, die man letztes Jahr verbrannte“, sagte sie. „Sie war des Bundes mit dem Teufel angeklagt und hat dies auch gestanden. Sie war beschuldigt, das Vieh verhext zu haben. Die Bauern hatten schwer an der Rinderseuche zu tragen. Und nachdem man sie verbrannt hatte, war alles vorbei. Nicht ein einziges Tier erkrankte mehr.“
„Und du denkst, dass Geständnisse unter Folter glaubwürdig sind?“ fragte John.
Mary schwieg.
„Du glaubst, dass alle, die auf den Scheiterhaufen gehen, schuldig sind?“
„Ja“, sagte Mary giftig. „Hast du dir einmal die Gesichter dieser Hexen angesehen? Aus ihnen spricht Hass und Verachtung.“
„Oder Angst und Schmerz.“
Mary legte sich zurück. „John, warum fragst du mich das alles? Glaubst du nicht, dass diese McKintire Schuld an dem Regen ist, der alles Korn auf dem Felde faulen lässt? Die Geschichte hat dich sehr mitgenommen, nicht wahr?“
„Weil sie gelogen ist“, sagte John laut. „Niemand lässt eine Hexe frei, ohne sie zumindest einmal zu foltern. Und egal, was die Folter bringt, die Frau muss sterben. Gesteht sie, dann ist sie schuldig, gesteht sie nicht, dann gibt ihr der Teufel die Kraft dazu. Viele erfinden die schauerlichsten Märchen, um die Folter zu beenden und um dem Feuer zu entgehen. Wer gesteht, der wird vielleicht nur zu Tode gestürzt oder ertränkt. Ich weiß, wovon ich rede, Mary. Als ich zehn Jahre alt war, brachen Männer die Tür zu unserem Haus auf und legten meine Mutter in Ketten. Meine beiden Schwestern waren sieben und acht Jahre alt, und auch sie wurden mitgeschleift. Als mein Vater dazwischen gehen wollte, stießen sie ihm den Schaft einer Lanze ins Gesicht, wobei er ein Auge verlor und sich die Nase brach. Meine Mutter und meine Schwestern wurden von den Knechten hinter ihren Pferden her geschleift und in den Kerker geworfen. Am Abend schlich ich dorthin, und ich konnte ihre Schreie, ihr Beten und Wehklagen hören, aber auch das Lachen und Höhnen der Folterer. Drei Tage später wurden meine beiden Schwestern verbrannt. Meine Mutter und mein Vater mussten dabei zusehen. Die Kinder hatten im Feuer nicht geschrien, und erst viel später erfuhr ich, dass der Henker gnädig gewesen war. Er hatte den Mädchen unbemerkt einen tödlichen Stich versetzt, während er sie an den Pfahl fesselte. Meine Mutter wurde einen Tag später mit dem Karren unter dem Jubel der Menschen zum Richtplatz gebracht. Sie hatte keine Tränen mehr zum Weinen. Die Folterer hatten keine mehr übriggelassen. Aber ich werde nie ihre Schreie vergessen, als das Feuer sie auffraß. Es hatte lange gedauert, sehr lange. Eine Woche später kam die Rechnung von der Pfarrei. Mein Vater musste viel Geld bezahlen und dafür Haus und Hof verkaufen. Das konnte er nicht verkraften, weshalb er sich erhängte.“
„Wofür musste er Geld bezahlen?“
„Die Folterer verlangten Bezahlung für ihre Arbeit, und so tat es der Henker. Die Bauern bekamen Geld für Stroh und Holz, das sie geliefert hatten, der Pfarrer bekam Geld dafür, dass er ein Gebet für meine Mutter las.“
Mary schwieg. Sie atmete schwer und ergriff Johns Hand.
„Sie war die beste Mutter, die man sich wünschen konnte, Mary“, sagte er unter Tränen, „und meine Schwestern hatten noch nie jemandem etwas zu Leide getan. Wer behauptet, sie wären Hexen gewesen, den stampfe ich durch eine Wand hindurch.“
„John, davon hast du mir ja nie etwas gesagt. Warum?“
Ich dachte, wenn ich nicht davon spreche, dann würde ich es eines Tages vergessen. Aber es geht nicht, Mary. Es geht nicht.“
„Und was wurde aus dir?“
John stieß einen langen Seufzer aus. „Ich kam zu einer Pflegefamilie, die meine Arbeitskraft ausnutzte. Ich kannte nur Schuften und Schlafen, keinen Feiertag, keinen Sonntag. Gott sei Dank waren es reiche Leute, so dass ich genug und gut zu essen bekam. Sonst wäre ich wohl jetzt nicht mehr. Aber das Leben war hart, Mary, und ich bin froh, dass ich meine Kindheit hinter mir habe.“
Mary stand auf und blies die Kerze aus. Sie schmiegte sich noch einmal an John und streichelte ihn. So schliefen sie ein. In dieser Nacht hörte es zu regnen auf.