Читать книгу Die Straße der Ritter - Marlin Schenk - Страница 5
3. Der Schwarze Ritter
ОглавлениеWilliam strich mit der Hand über das weiße Kreuz auf seinem Mantel. „Ich habe nichts von alledem vergessen“, sagte er zu Tomas. „Dazu sitzt es zu tief, genau wie bei dir. Aber der Orden hat uns erlaubt, Abschied zu nehmen von England, und niemand hat bestimmt, dass wir dies in einer Taverne tun müssen. Also lass uns hier hinein gehen, nur für ein Ale, weil ich es einmal im Leben kosten möchte, und dann können wir gerne irgendwo anders Wein trinken.“
Tomas nickte schwerfällig.
William legte seinem Freund die Hand auf die Schulter und sagte: „Es ist keine Sünde und kein Verstoß gegen das Gelübde. Nun komm.“
Sie gingen hinein, jagten ein paar Hühner von einer Bank und setzten sich. Dann bestellten sie zwei Tankards voll Ale.
Carpenter schaute die beiden jungen Männer verblüfft an und nickte.
Tomas schielte zu dem Wirt hin, hielt eine Hand vor den Mund und flüsterte aufgeregt: „Siehst du, William, sogar dem Landlord verschlägt es die Sprache. Er hat wohl noch nie Johanniter in seinem Alehouse gesehen. Ausgerechnet wir müssen den Anfang machen.“
William schien es einzusehen. „Schon gut“, antwortete er. „Wir trinken dieses eine Ale und gehen wieder. Ein Alehouse ist keine Taverne. Das erkenne ich nun auch.“
Die Tankards wurden von Carpenters Tochter gebracht. Sie war eine liebliche Erscheinung mit langen blonden Haaren, die in Locken weit über die unter einem grünen Wollkleid versteckten Brüste wallten. Sie zögerte und sah die beiden Männer mit warmen Augen an. William hatte das Gefühl, von einem Blitz getroffen zu werden, denn der Blick des hübschen Mädchens saugte sich an dem seinen fest. Es schien Minuten zu dauern, bis sie sich voneinander lösten. „Ihr Ale, Sirs“, flüsterte das Mädchen endlich und stellte das Bier auf den Tisch.
Als William die Tankards nehmen wollte, berührte er die Hand des Mädchens. Ein seltsames Gefühl kroch durch seine Lenden, und sein Herz begann zu flattern. Am liebsten hätte er sich die süße Erscheinung geschnappt und auf seinen Schoß gezogen, aber er musste dagegen ankämpfen. Er durfte dieser Kraft nicht nachgeben, nicht jetzt, nicht morgen, niemals. Aber er genoss die Nähe einer schönen Frau, er genoss diesen ersten und winzigen Augenblick einer ihm unbekannten Art. Allein der Anblick gab ihm in diesem Moment Befriedigung.
„Prost“, sagte Tomas hart. Das Wort trieb sich wie ein Keil zwischen William und die Carpenter-Tochter, die sich daraufhin erschrocken zu den Fässern zurückzog.
William nahm den Tankard an seine Lippen und trank. Mit zwei großen Zügen leerte er ihn halb, stellte ihn jedoch schnell ab, als ihm einfiel, dass er das Alehouse verlassen musste, wenn der Becher leer war. Zugleich würde sein Gefühl für dieses Mädchen seinen Körper verlassen müssen.
Tomas trank langsam und schweigend. William merkte, dass ihm der Ort nicht behagte. Er versuchte daher, seinen Freund in ein Gespräch zu verwickeln. „Warst du schon einmal in Rhodos, Tomas?“
Er nickte. „Ja, als Page des Großmeisters. Aber das haben wir doch alle hinter uns, nicht wahr?“
„Das stimmt. Das einjährige Noviziat in Rhodos ist eine harte Zeit, Bruder. Hast du es auch so empfunden?“
„Es war nichts, was der Orden uns verschwiegen hätte, als wir eintraten. Im Gelübde heißt es...“
William hob abwehrend die Hände. „Ich weiß, was uns bei der Aufnahme gesagt wurde, Tomas. Welchem Großmeister warst du denn zu Diensten?“
Tomas blickte tief in den Tankard und schwenkte ihn. „Es war Frater Joannes de Lastic“, antwortete er wie geistesabwesend.
William hob die Augenbrauen. „Aber er starb bereits 1454. Wie alt bist du denn, Bruder?“
„34.“
„Man sieht sie dir nicht an. Ich bin erst 23 und habe dem Großmeister Frater Petrus Zacosta als Page gedient. Das war 1467. Leider starb er in diesem Jahr. Seinem Nachfolger, Frater Joannes Bapi Orsini, diente ich acht Monate. Er war ein harter Mann, der einem nichts schenkte. Er hatte Rhodos voll im Griff. Nun bin ich gespannt, wie sein Nachfolger Frater Petrus D'Aubusson sich gibt.“
Nun blickte Tomas auf. „Wir sind nicht Johanniter geworden, damit uns etwas geschenkt wird, Bruder William, und...“
„Mein Vater stiftet Euch Ale, Sirs.“
William schrak förmlich zusammen. Das kurze Gespräch mit Tomas hatte seine Gedanken von der Carpenter-Tochter abgeschirmt. Und nun plumpste sie wieder in sein Bewusstsein wie ein Stein in trübes Wasser, das sich daraufhin klärte. „Er verehrt die Johanniter als die Verteidiger des Glaubens unseres Herrn Jesus Christus. Nehmt ihr seine bescheidene Gabe an?“
„Oh ja“, antwortete William spontan.
Tomas klatschte beide Hände auf den Tisch. „Nein!“ Seine donnernde Stimme verschrak das Mädchen.
William begriff nicht. „Aber Tomas. Warum willst du diesen Mann verärgern. Tut er es nicht für Jesus Christus, unseren Herrn, wenn er uns freies Ale angedeihen lässt? Ein Verschmähen wäre das gleiche, als ob Jesus sein Geschenk zurückweist. Hat er nicht auch...“
Tomas sprang auf. „Schweig. Hüte dich davor, Gott zu lästern, William. Und hüte dich davor, mich zu versuchen.“
William hob die Schultern und fragte so sanft wie möglich: „Was ist es, das du falsch verstehst, Bruder? Ich wollte dich nicht erzürnen, noch versuchen, geschweige denn Gott lästern. Noch vor hundert Jahren hatten die Ritter unseres Ordens die Aufgabe, Almosen zu sammeln. Es war in den Statuten festgelegt. Und es war nicht immer Geld, was gespendet wurde. Wieso nimmst du an, dass ausgerechnet dieses Ale...“
„Bitte“, sagte das Mädchen. Sie schaute Tomas kurz an, bevor ihr Blick William suchte.
Schwerfällig sank Tomas auf die Bank zurück.
William ergriff die Hand des Mädchens. „Wie ist dein Name?“
„Joanna.“
„Joanna. Sag deinem Vater, wir nehmen dankend an. Gott wird euch dafür belohnen.“ Wieder konnte er sich nicht von ihrem wärmenden Blick losreißen. Er hatte das Gefühl, sein Kettenhemd müsse glühen, und er spürte den unwiderstehlichen Drang, Joanna auf seinen Schoß zu ziehen und zu küssen. Ihr weicher, feucht glänzender Mund forderte ihn geradezu auf. Doch dann fiel ihm wieder Tomas ein, und er spürte seinen stechenden Blick, so dass er Joannas Hand losließ und sagte: „Geh.“
Das Mädchen drehte sich um und eilte zu ihrem Vater zurück, der William wohlwollend zunickte. Dann wandte sich der junge Ritter wieder seinem Glaubensbruder zu, und er erkannte erleichtert, dass Tomas von seinen Gefühlen nichts mitbekommen hatte. Er saß da, hatte den Tankard umklammert und stierte hinein. „Ich möchte kämpfen“, sagte er leise. Er stülpte das Bier in seine Kehle, stellte den Tankard ab und verbog den Bleibecher. „Ich muss kämpfen und freue mich auf Rhodos, William, wo wir den Glauben gegen die ungläubigen Osmanen verteidigen. Ich wünsche, dass mein Schwert möglichst viele dieser Kerle spaltet.“ Dann rief er: „My Landlord, bring Ale.“
William schaute Tomas verdutzt an, und er begann zu begreifen, dass sein Bruder ein großes Problem hatte. Auf der einen Seite war es das Gelübde, das er regelrecht verehrte, und auf der anderen Seite standen seine Triebe, die ihn forderten. Es war nicht das Ale, das er verschmähte. Es war die Nähe einer Frau, die er nicht vertragen konnte. Joanna hatte seine Kampflust angestachelt, in der er sich abreagieren konnte. Tomas war seit zwanzig Jahren beim Orden, William erst seit elf Jahren. Würde es ihm eines Tages genauso ergehen? Er nickte in sich hinein. Ja, es würde.
Joanna brachte mehr Ale, und beide tranken es sofort aus.
„Jetzt will ich Wein“, sagte Tomas zu William. „Landlord, was hast du für Wein im Ausschank?“
Peter Carpenter eilte herbei, legte die Fingerspitzen gegeneinander und sagte: „Ich habe englischen Wein, gewachsen in Cornwall, Sir. Er ist süß. Ich habe ihn selbst gekeltert.“
Tomas blickte den Mann grimmig an. „Erzähl mir nichts vom Drachen, Landlord. Englischer Wein ist nicht süß, es sei denn, du hast ihn gezuckert.“
Der Mann faltete nun die Hände und machte eine Verbeugung. „Zyprischer Zucker, Sir. Der beste, den es gibt. Aber Ihr habt Recht. Weine aus Bordeaux sind natürlich lieblicher. Wenn Ihr diesen bevorzugt...“
„Bring Bordeaux, Landlord.“
Vier Schweine kamen grunzend in das Alehouse und ließen sich zwischen den Gästen nieder, ohne dass jemand daran Anstoß nahm, und Joanna brachte den Wein. Sie wollte ihn den Rittern einschenken, aber Tomas legte seine Hand über den Tankard und sagte: „Stell den Krug ab und verschwinde.“
Das Mädchen gehorchte.
Tomas ergriff den Krug und schenkte hastig ein, so dass ein Teil des Weins überschwappte. Er schnappte sich seinen Becher, hob ihn an und sagte: „Auf den Orden des Heiligen Johannes des Täufers.“ Dann trank er ihn leer.
William tat es ihm gleich, und als sie kurze Zeit darauf den Krug geleert hatten, bestellte Tomas einen neuen.
Auch nach drei Krügen schien Tomas noch nüchtern zu sein, während der Alkohol an Williams Magen nagte. Die Fruchtsäure stieg in seine Kehle und ließ das Wasser in seinem Mund zusammenlaufen. William drückte sich von der Bank hoch und kippte damit um. Er rappelte sich auf, schwankte zum Ausgang, stützte sich an den Türrahmen. Seine Augen füllten sich mit Wasser. Er musste sie zusammenkneifen, rieb sie mit Fäusten, beugte sich vor und kotzte die saure Brühe im weiten Bogen von sich. Er hustete und wischte sich den Mund ab. Noch einmal rieb er die Augen, blickte auf und stierte in den Schlitz eines Visiers, aus dem ihn ein grimmiges Augenpaar musterte.
Der Mann war ein Riese. Ein schwarzer Umhang bedeckte einen Plattenpanzer. Auf seinem Helm wehte ein schwarzer Federbusch. Die Brustplatte seines Panzers war vollgekotzt, und der Schleim tropfte auf seine metallenen Stiefel. Ein Raunen klang blechern durch den Helm und formte sich zu einem Schrei, der Williams Nackenhaare aufrichtete. „Du verdammter...“
„Verzeiht, Herr“, keuchte William.
Der Ritter machte eine wirsche Bewegung. „Nimm dein Schwert“, dröhnte er. „Du wirst im Duell meine Ehre wieder herrichten. Wird's bald?“ Die Rechte des Schwarzen Ritters packte den Griff seines Schwertes und zog es rasselnd aus der Scheide. Es war eines jener Langschwerte, die wegen des Gewichts mit beiden Händen geführt wurden. Dieser Kerl führte es jedoch mit nur einer Hand und einer Leichtigkeit, wie William es noch nie gesehen hatte. „Wehr dich, Erbärmlicher.“ Ein Schwein kam aus dem Alehouse. Der Ritter hob sein Schwert und trennte das Tier in der Mitte durch. Es hatte nicht einmal gequiekt. Mit einem zweiten Schlag hieb er eine tiefe Kerbe in den Stamm einer dicken Eiche, die sich am Eingang des Pubs in die Höhe reckte. „Wehr dich, du Hund“, dröhnte er wieder und hob sein Schwert erneut.
William schüttelte leicht den Kopf. Sein Vertrauen in seine Kampfkunst versickerte plötzlich im Sand der Angst. Kämpfe im Kloster, wo der Gegner ein Bruder aus dem Orden war, hatte er immer mit Bravour bestanden. Jeder einzelne war ihm unterlegen gewesen. Doch diese Begegnung hier war anders. Zum ersten Mal war es Ernst. Todernst.
„Erbärmlicher Feigling“, brüllte der Riese. „Du bist das Duell nicht wert. Ich gebe nur wenigen diese Chance, und du vergibst sie ungenutzt.“ Das Schwert hob sich in die Luft und schwebte hoch über Williams Kopf. In diesem Moment wusste er, dass sein Kettenhemd ihn nicht schützen würde. In diesem Schwert lag die Kraft der Hölle. Und dann sauste es herab.
Tomas beobachtete die Szene durch die geöffnete Tür. Als der Schwarze Ritter das Schwein erschlug, sprang er vom Tisch auf. Als das Schwert den Baum spaltete, war er fast an der Tür und riss sein Schwert aus der Scheide, und als es auf William heruntersauste, war Tomas hinter seinem Freund und parierte den Schlag, so dass die Klinge an William vorbei zischte und nur die Luft teilte.
Das Klingen der Waffen riss William aus seinem Angsttraum. Ihm war übel und er schwankte, aber er war nun fähig, nach seinem Schwert zu greifen.
Der Riese lachte hart. Es dröhnte blechern durch den Helm. „Aha. Einigkeit macht stark, was? Aber ich werde auch mit zwei Wichten fertig.“ Der Schwarze Ritter wollte erneut angreifen, als Tomas seinen Schwung stoppte. „Haltet ein!“
Der Schwarze Ritter hielt im Schlag inne. „Ihr habt einen letzten Wunsch?“
„Glaubt Ihr an Gott?“ fragte Tomas.
„Jesus Christus ist mein Herr.“
„Dann vergesst das Duell, Sir. Wir sind Johanniter, und wir dienen Jesus Christus.“
Der Dicke ließ seine Waffe kreuzweise durch die Luft zischen. „Ich scheiß' auf die Johanniter“, brüllte er. „Wollt ihr euch hinter eurem weißen Kreuz vor mir verstecken, ihr Feiglinge?“
„Wenn du an Gott glaubst, dann verschone uns“, schrie Tomas zurück. „Nicht um unseret Willen, sondern um der Christenheit Willen. Wir sind dazu bestimmt, Rhodos zu verteidigen, denn die Bedrohung durch die ungläubigen Muslims nimmt ständig zu. Es kriselt dort, so dass unser Großmeister Verstärkung angefordert hat.“
„Er will Rhodos verteidigen mit zwei Bastmatten wie ihr es seid? Arme Christenheit.“ Der Mann ließ die Waffe sinken und sagte ruhig: „Aber gut, ich sehe es ein. Wann lauft ihr aus?“
Aus Tomas’ Stimme klang Erleichterung, als er antwortete: „Unsere Galeeren liegen in Queenhithe und verlassen morgen früh den Hafen.“
Der Riese nickte fast unmerklich. „Geht mit Gott.“ Dann aber riss er das Schwert erneut hoch, setzte William die Klinge unters Kinn und sagte: „Rhodos wird dich nicht vor dem Duell bewahren, mein Freund. Ich werde auf dich warten.“
Williams Gesicht nahm einen noch helleren Ton von bleich an.
Als sich die metallenen Schritte des Schwarzen Ritters entfernten, reichte Tomas William seinen Arm und stützte ihn. „Du hast Glück gehabt, Bruder. Er hätte dich gespalten wie das arme Schwein hier.“
„Du hast mir das Leben gerettet“, lallte William matt. „Du hast dein Schwert gegen diesen Mann erhoben, obwohl es uns seit der Tagung des Generalkapitels von 1366 in Avignon streng untersagt ist, gegen Christen zu kämpfen.“
„Wir haben auch Alkohol getrunken, obwohl wir nur Wasser und Brot verzehren sollen“, antwortete Tomas. „Das Gebot des Schwertes sagt zwar, dass der Kampf generell nur gegen Ungläubige erlaubt ist. Es sagt aber auch, dass er zur Verteidigung des Ordens oder des eigenen Landesfürsten stattgegeben ist. Und wir haben den Orden verteidigt. Oder etwa nicht? Dieses Gebot, mein lieber William, ist aber weniger zur Ehre Gottes erschaffen worden. Der Grund für die Bestimmung war vielmehr Juan de Heredia, der als Kastellan von Emposta an einer Schlacht der Franzosen teilnahm und in englische Gefangenschaft geriet, aus der er ausgelöst werden musste. Solche Peinlichkeiten will man sich in Zukunft ersparen.“
„Wie dem auch sei, teurer Tomas, ich danke dir und stehe in deiner Schuld.“
„Du zitterst noch, Bruder. Dieser Schwarze Ritter hat dir wohl einen saftigen Schrecken eingejagt. Fürchtest du dich vor einem Duell mit ihm?“
Aus Williams Lunge entwich ein bruddelndes Geräusch. Er schüttelte sich und sagte: „Ich wäre ihm unterlegen, Tomas. Das weiß ich. Aber dieser Mann glaubt doch wohl nicht ernsthaft daran, dass ich eines Tages nach England zurückkehre und ihn aufsuche, um das ausstehende Duell zu fechten? Hält er mich für so blöde?“
„Der Mann machte auf mich nicht den Eindruck eines leichtgläubigen Narren, William. Ich vermute eher, dass er auf das Duell verzichtet.“
„Das hoffe ich“, sagte William. Dann wankten sie schweigsam davon.