Читать книгу Die Straße der Ritter - Marlin Schenk - Страница 8
6. Von L'Havre nach Brest
ОглавлениеBei Sonnenaufgang des nächsten Tages verließen die Galeeren L’Havre und nahmen Kurs auf den Atlantik. Die erste Galeere hatte in Paris ein paar Reisende aufgenommen. Auf Geheiß des Kapitäns fuhren die fünf neuen Ritter zusammen mit den Engländern auf dem zweiten Schiff mit. Mit dieser Anweisung verfolgte der Generalkapitän zwei Ziele. Erstens verteilte er so die Lasten besser, und zweitens sollten sich die Ritter schon einmal miteinander bekannt machen oder gar Freundschaft schließen, wenn dieser Wunsch auch wegen der Querelen unter den Nationen ein Wunsch bleiben sollte.
Die Ruderer tauchten rhythmisch ihre Hölzer ein und schoben die Galeeren auf den Kanal hinaus. William stand an Deck und ließ seinen Blick über das Meer wandern, während Tomas auf der ihm zugewiesenen Pritsche lag und ruhte. Der Kapitän stand auf seiner Plattform und unterhielt sich mit einem Offizier. Ansonsten war das Deck menschenleer, und William genoss die Ruhe und den frischen Wind, der flau über das Schiff blies. Seine Gedanken ließen England in seinem Geist lebendig werden. Er sah seine Eltern, das Kloster, Freunde. Er freute sich aber auch auf Rhodos, die Roseninsel. Die Erinnerungen an das warme Eiland und das blaue Meer waren so wach, als hätte er dort gestern noch Hasen gejagt. William sah die engen Gassen der Stadt, den Palast und den Großmeister, für den er als Pagen gearbeitet hatte, er sah die wuchtigen Stadtmauern mit den diensttuenden Rittern. Doch dann kam ein junger Mann ins Bild, der ihn auf den hölzernen Boden der Wirklichkeit zurückholte. Es war einer der Ritter, die in Paris an Bord gekommen waren. Der Mann hatte ein kühnes, forsches Auftreten. Er war noch sehr jung, vielleicht achtzehn, und er war im Begriff, einen großen Fehler zu begehen. William erkannte, dass er schnurstracks auf den Kapitän zulief. Mit schnellem Schritt hielt er auf das Heck zu. Noch zwei, drei Schritte, und er würde es erreichen und - betreten. Der Padrone war viel zu sehr mit dem Offizier beschäftigt, um den Ritter zu bemerken. William musste den Burschen warnen.
„He, Halt!!!“
Der junge Ritter bremste seinen Schritt und drehte auf dem Absatz um. Er ging auf William zu und sagte in gutem Englisch: „Was heißt hier 'he, Halt'? Hat ein Engländer einem Franzosen was zu befehlen? Sei froh, dass ich mich so gut in der Gewalt habe, sonst würde ich dich über Bord werfen.“
William schaute den Jungen ungläubig an. Er hatte ihn warnen wollen und erntete dafür Verachtung. Er deutete auf das Heck. „Ich glaube, du weißt nicht...“
„Halt die Schnauze“, zischte der Franzose. „Die Tatsache, dass der Hundertjährige Krieg vorbei ist, bedeutet noch lange nicht, dass ein Inselaffe wie du einem Franzosen etwas befehlen darf. Vor allem nicht in diesem Ton.“
William amüsierte sich innerlich. Der Hundertjährige Krieg war länger vorbei als der Knabe alt war, und trotzdem zog er sich daran hoch, offensichtlich um einen Grund zu haben, die Engländer hassen zu können. William sah zwar, dass der junge Ritter ein kühner Mann war, aber er erkannte auch, dass aus ihm nur jugendliches Draufgängertum sprudelte. So versuchte er, beruhigend auf ihn einzureden, um die Situation zu klären.
„Nun halte aber ein, Bruder. Ich glaube nicht, dass du die Bestimmungen auf den Galeeren kennst, sonst würdest du nicht eine solche Lippe riskieren. Ich wollte dir nur helfen.“
„Ein de Lastic braucht keine Hilfe, Engländer. Merk dir das. Und pass das nächste Mal auf, wie du deine Mitbrüder ansprichst. Wenn du mich irgendwann noch einmal anreden solltest - was ich nicht hoffen will - dann nenne mich gefälligst Bruder Robert. Solche Sachen wie 'he' oder Ähnliches will ich in Zukunft vermieden wissen, sonst könnte es leicht passieren, dass du dich im Staub der Planken wiederfindest.“ Robert de Lastic drehte sich wütend um und wollte wieder auf das Heck zugehen, um mit dem Kapitän zu reden, doch William hielt ihn erneut auf.
„Warte, Robert de Lastic. Du kannst nicht zum Kapitän. Er würde...“
Robert hatte seinen Schritt erneut gebremst und sich wieder William zugewandt. Diesmal hatte er sichtbar Mühe, seinen Zorn unter Kontrolle zu halten. Seine Gesichtsfarbe verdunkelte sich und seine Fäuste zitterten. Er musste die Engländer hassen wie die Osmanen. „Hör zu, du verdammter Schweinehund. Ich habe dich gewarnt. Sprich mich noch mal an, und ich schlag dich so, dass kein Helm mehr auf deinen englischen Schädel passt.“
Als habe ihn ein riesiger Adler mit dem Greif an der Gurgel gepackt, verstummte de Lastic. Ein würgender Laut blubberte aus seiner Kehle. Er zog die Schultern hoch und wollte sich aus dem eisernen Griff befreien, der ihn am Nacken hielt, aber er hatte keine Chance. Francis' Griff war wie eine stählerne Halskrause, aus der es kein Entrinnen gab.
„Du Zwerg bist ganz schön mutig“, sagte Francis. „Du gehörst zu der Sorte, die jeden Morgen die Geißel auf dem Buckel spüren sollten. Gibt es irgendeinen Grund, warum du Bruder William beleidigst?“
„Ich kann mich selbst verteidigen, Francis“, sagte William.
„Du gehörst dem Orden an, und deshalb kannst du dich nicht angemessen gegen diesen Zwerg verteidigen“, erklärte Francis. Sein Griff wurde fester, und Robert wurde es schwummrig. „Also: Warum beleidigst du deine Brüder, Kleiner?“
„Ich, ich - er hat mich nicht - er hat mich belästigt. Er will nicht, dass ich zum Padrone gehe.“
„So. Er will nicht, dass du zum Padrone gehst. Weißt du, was passiert, wenn du ungefragt das Heck betrittst? Weißt du das, ja? Oder haben dir das deine französischen Brüder im Kloster verschwiegen? Kennst du überhaupt die Bestimmungen, die auf den Galeeren herrschen?“
„Äh - Bestimmungen? Was denn für...“
Francis entließ den Franzosen aus seinem Griff und packte ihn am Umhang. „Hör zu, du erbärmlicher Wicht. Wer ungefragt das Heck betritt, der lernt die Galeere von unten kennen. Schon mancher ist beim Betrachten des Kiels ertrunken oder von Haien angeknabbert worden. William hat dir vielleicht das Leben gerettet. Und dafür wirst du aufmüpfig, junger Freund. Du hast einen Bruder beschimpft und beleidigt. Dafür stehen auf der Galeere strengste Strafen. Ich möchte nicht in deiner Haut stecken, Wicht.“
Francis schleppte den Burschen vor das Heck, wo sich der Kapitän immer noch mit dem Offizier unterhielt. Der Schwarze Ritter drückte Robert zu Boden und ließ ihn niederknien. Dann wartete er geduldig, bis der Kapitän das Gespräch beendet hatte und den Offizier entließ.
„Entschuldigung, Padrone, Sir.“
„Was ist der Grund deines Besuchs, Ritter?“
„Dieses kleine Früchtchen ist erst seit wenigen Stunden auf der Galeere und hat schon eine Menge Ärger am Hals. In Anbetracht der Tatsache, dass unsere Reise noch ein paar Monate dauert, schlage ich deshalb eine geeignete Bestrafung vor, damit der Kerl lernt, wie er sich zu benehmen hat. Das macht die Fahrt für uns alle erträglicher.
„Du hast hier nichts vorzuschlagen, Ritter“, antwortete der Padrone grimmig. „Aber gut, ich höre. Was ist sein Vergehen?“
Francis holte zufrieden Luft. „Er wollte unerlaubt die Plattform betreten und beleidigte einen Mitbruder, der ihn zu seinem eigenen Schutz daran hindern wollte.“
„Das ist allerdings ein schweres Vergehen“, murmelte der Padrone. Dann wandte er sich an Robert. „Du weißt, dass Beleidigungen unter Brüdern mit dem Ausschluss aus dem Orden geahndet werden?“
Robert de Lastic schüttelte den Kopf.
„Nun, das ist die Regel. Ich würde es gerne tun, denn bockige Welpen wie du gehören nicht zu unserer Bruderschaft. Aber da du noch lernen musst und auf Rhodos jeder Mann gebraucht wird, will ich eine Ausnahme machen. Als Sühne für die Beleidigungen halte ich fünfzig Schläge für angebracht.“
Robert bekam einen weinerlichen Gesichtsausdruck.
Die Stimme des Kapitäns dröhnte über das Schiff, als er nach dem Offizier rief. Mit durchdringender Stimme donnerte er: „Bindet diesen Mann an den mittleren Mast. Er bekommt fünfzig Schläge.“
Williams Kopf flog herum, als er das hörte. Entschlossen trat er vor den Kapitän. „Padrone, Sir, ich vergebe meinem Bruder. Würde das ausreichen, die Strafe zu mildern oder gar auszusetzen?“
„Du bittest um Gnade für den Mann, der dich beleidigt hat?“
„Ja.“
„Ich brauche keinen Fürsprecher“, sagte de Lastic.
„Da hört Ihr's. An den Mast mit ihm.
„Bitte“, sagte William.
„Entschuldige dich bei Bruder William“, sagte der Kapitän scharf zu Robert, „oder ich lasse dir nicht fünfzig, sondern einhundert Peitschenhiebe angedeihen.“
William bückte sich und reichte Robert die Hand. Dieser schaute in eine andere Richtung. Widerwillig kehrte sein Blick zu William zurück. Dann endlich schlug er zögernd ein. „Entschuldigung“, sagte er leise. „Aber euch Inselaffen mag ich trotzdem nicht.“ Dann erhob er sich und verschwand für den Rest des Tages unter Deck. Er tauchte erst wieder auf, als die Galeeren die Insel Guernsey anliefen.
Als sie an Land gingen, war Robert in Begleitung der beiden anderen Franzosen Jean de Valois und Pierre de Villaret. Sie waren beide älter als er und wirkten besonnen und ruhig. Als Robert William sah, schenkte er ihm einen gezwungen freundlichen Blick.
Tomas, der den ganzen Tag auf seiner Pritsche gedöst hatte und von dem Vorfall nichts wusste, war verwundert, wie schnell sein Freund neue Bekanntschaften schloss. „Wer war denn das?“ fragte er neugierig.
„Robert de Lastic“, antwortete William. „Er gehört der Französischen Zunge an.“
Tomas schob die Unterlippe vor und nickte. „Ein netter Kerl. Wie hast du ihn denn kennengelernt?“
„Wir hatten ein aufschlussreiches Gespräch geführt“, erklärte William grinsend.
„Hast du auch unsere deutschen Brüder schon gesehen?“
William verneinte.
Am nächsten Tag stachen sie wieder früh in See, um die Hafenstadt Brest in der Bretagne anzufahren. Hier nahmen sie keine Ritter auf. Die Bretagne war ein selbständiger Staat und hatte keine Herberge auf Rhodos. Brest diente nur als Station auf dem weiteren Weg nach Spanien.