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4. Im Hafen

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Am nächsten Morgen fanden sich William und Tomas in aller Frühe am Hafen ein. Die gemächlich im Wasser dümpelnden Galeeren standen im krassen Gegensatz zu dem regen Treiben, das auf Queenhithe herrschte. Viele Händler scharten sich um einen bärtigen Mann in sauberer, weißer Kleidung. Er stand an der Brücke zum Schiff und hielt eine Liste in der Hand.

„Wer ist das?“ fragte William leise.

„Es wird der Schreiber der Galeere sein“, antwortete Tomas. „Er überwacht den Ankauf und die Ausgabe von Lebensmitteln und Munition.“

„Der Bäcker“, brüllte der Mann, und sogleich löste sich ein Leiterwagen aus der Menge und rollte auf die Brücke zu. „Brot für zwei Tage, Bäcker. Ist die Ware auch frisch?“

„Heute Nacht gebacken, Sir.“

„Schaff die Brote an Bord.“

Der Bäcker gehorchte.

„Wer hat Pökelfleisch?“

Wieder kam ein Wagen heran, der mit Fässern beladen war. Der Schreiber öffnete eines davon und kostete die Ware. Dann nickte er, worauf der Metzger seine Fässer an Bord bringen ließ.

Danach wurde Trinkwasser, Wein, Zwieback, Obst, Käse, Öl und Fisch geladen. Nachdem dies geschehen war, ging der Schreiber an Bord, und die Händler verzogen sich.

Tomas deutete in Richtung Stadt. „Die Ruderer kommen“, sagte er.

Als William in die gewiesene Richtung blickte, sah er etwa 200 Männer, deren Haar an den Seiten geschoren war. Der Kamm, der auf dem Schädel wuchs und die oft auswuchernden Tätowierungen an Gesicht und Armen verliehen vielen von ihnen ein gefährliches, wenn nicht gar gespenstisches Aussehen. Sie fluchten laut und brüllten in die kalte Londoner Morgendämmerung hinein. Als die Gruppe Queenhithe erreichte, verteilten sich die Ruderer auf die beiden Schiffe.

„Was sind das für Kerle?“ fragte William. „Sie sehen nicht aus wie Sklaven und werden auch nicht bewacht.“

„Es sind Freiwillige. Sie scheren sich ihr Haar, damit man sie von den Sklaven und Verbrechern unterscheiden kann. Sie werden besser behandelt als die Unfreien.“

Wenig später wurden je 200 Unglückliche auf jedes Schiff gebracht. Gelegentliche Peitschenhiebe untermalten das Rasseln ihrer Ketten.

Nach und nach füllten sich die Galeeren mit Soldaten, Schiffszimmerleuten, Arbeitern, Köchen und Helfern. Als die Sonne sich über den Tower schob, ratterte eine vierspännige Kutsche über das Kopfsteinpflaster und hielt am Kai. Drei Männer und zwei Frauen in feinen Kleidern stiegen aus und hielten auf die Brücke zu. Wortfetzen, die den beiden Rittern ans Ohr drangen, verrieten ihnen, dass die Herrschaften nach Italien reisen wollten. Während sie auf das erste Schiff zugingen, entluden Diener mehrere Schrankkoffer und zahlreiche kleine Taschen und brachten sie ebenfalls auf die erste Galeere.

„Komm, William“, sagte Tomas. „Lass uns an Bord gehen.“

William nickte. Er wandte sich noch einmal der Stadt zu, um sich still von London zu verabschieden. Seine Heimat schien ihm wohlwollend 'Lebewohl' zu sagen, denn sie erstrahlte warm und freundlich im Licht der aufgehenden Sonne. William fühlte die gleiche Traurigkeit wie vor elf Jahren, als er, damals noch ein kleiner Junge, Vater und Mutter für sechs Jahre verlassen musste.

Tomas bemerkte, dass seinem Glaubensbruder ein Dämon in den Därmen wühlte. Deshalb legte er einen Arm um seine Schultern und drückte ihn an sich. „Man wird dich an Orte schicken, die dir nicht behagen, und du wirst trotzdem gehen müssen, William. So heißt es im Aufnahmeritual.“

William lächelte. „Rhodos ist kein Ort, der mir nicht behagt, Tomas. Im Gegenteil. Ich freue mich darauf. Dort ist alles viel heller und schöner als hier in unserem verregneten England. Ich frage mich nur, ob wir es jemals wiedersehen werden.“

Tomas nickte. „Jesus Christus allein weiß es.“

William pumpte frische Hafenluft in seinen Brustkorb und blies sie hörbar wieder aus. Dann ging er auf das erste Schiff zu.

„Lass uns auf die zweite Galeere gehen“, bat Tomas.

„Aber warum?“

„Bitte akzeptiere meinen Wunsch, ohne nach den Gründen zu forschen.“

William begriff nicht, bis auf der ersten Galeere die beiden Frauen erschienen und winkend und lachend jemandem zuriefen. Das war es also. Tomas wollte die Nähe weiblicher Gesellschaft meiden. 'Armer Tomas', dachte William. Und sogleich fiel ihm wieder Joanna ein. Er sah sie vor sich, strahlend schön wie dieser Maimorgen, als sie schweigsam auf die zweite Galeere zugingen. William war so in seine Gedanken vertieft, dass er nicht die metallenen Schritte hörte, die sich ihnen näherten. Doch dann wurde er unsanft aus seinen Träumen gerissen.

„He, ihr Wichte. Wollt ihr auf die zweite Galeere? Auf der anderen fahren aber doch ein paar schmackhafte Weiber mit.“

Tomas versuchte, die, wie er meinte, unfreundliche Lästerung zu ignorieren. Aber William, der gerade seine Gedanken auf ein so schönes Ziel wie Rhodos gerichtet hatte, fühlte sich in kaltes Wasser getaucht. Erschrocken flog er herum und sah sich unvermittelt vor einem eisernen Riesen mit schwarzem Umhang.

„Ich komme mit euch, Freunde“, sagte der Schwarze Ritter. „Als freiwilliger Kämpfer für den Glauben unseres Herrn Jesus Christus. Wir werden so viele Ungläubige zerschmettern, dass man mit ihrer Haut - na ja, ihr wisst schon.“ Nun schob er das Visier hoch und grinste die beiden Adligen aus einem bärtigen Gesicht heraus an. Dann zog er den Helm ab. Kurzes, pechschwarzes Haar und ein vernarbtes Gesicht ragten aus dem Blech. Er klemmte den Helm unter den linken Arm, legte William die Rechte auf die Schulter und packte brutal zu. William glaubte für einen Moment, in die Knie gehen zu müssen, doch blieb er standhaft und versuchte, sich nichts anmerken zu lassen. „Mit mir hast du nicht gerechnet, was? Hast du wirklich geglaubt, ich lasse dich ans andere Ende der Welt flüchten, Junge? Denk doch an das Duell.“ Er nahm seine Hand wieder runter und lachte laut. Es schallte schauerlich über die Themse. „Nun kommt schon. Rhodos und vor allem die Osmanen warten auf uns. Ich heiße übrigens Francis Townsend. Man nennt mich auch den Schwarzen Ritter.“ Seine Hand streichelte fast zärtlich den Griff des Schwertes. „Und das hier ist Darkmoore, mein bester Freund.“ Er lachte hart und ging davon, um das zweite Schiff zu betreten.

„Er konnte mich nicht einfach gehen lassen“, sagte William. „Er will mich töten, und er wird es tun. Irgendwann.“

Tomas widersprach nicht.

Die Straße der Ritter

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