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10. Out Here in The Woods (My Morning Jacket)
ОглавлениеAls das Rotorengeräusch langsam in der Ferne verklang, traute sich Cornelia van Bowdendonk aus ihrem Versteck. Sie schlich zurück zur Straße. In der sternklaren Nacht schimmerte der Mittelstreifen wie frisch ausgespuckter Kaugummi auf dem schwarzen Asphalt. Sie hielt es für besser der Straße zu folgen als sich in der Finsternis irgendwo im Gelände das Genick zu brechen. Alle paar Minuten nahm sie das iphone aus der Handtasche und stellte erleichtert fest, dass Siegfrieds Signal noch nicht erloschen war. Sie wagte nicht die Kamerafunktion zu aktivieren, weil auf die große Entfernung der Akku des Ohrclips nach wenigen Minuten leer laufen würde. Sie musste die Beobachtung von Siegfried auf ein Minimum reduzieren, auch wenn sie dadurch vor Sorgen fast umkam.
Gegen Mitternacht fühlten sich ihre nackten Füße an wie die Finger eines Jungen, der mit seiner ersten elektrischen Gitarre drei Stunden „Samba pa ti“ geübt hatte. Wenn sie am nächsten Morgen nicht auf wundem Fleisch weitermarschieren wollte, dann war jetzt Zeit für eine Pause und ein paar Stunden Schlaf. Zu ihrem Glück war sie zu einer Jahreszeit in den Bergen unterwegs, in der man in den Rocky Montains eine Nacht unter freiem Himmel lebendig übersteht. Sie rollte sich unweit der Straße auf einem Kissen aus trockenem Gras zusammen und einen Augenblick später schlief sie, wenn auch nicht tief und fest. Etwa drei Stunden mochte sie ungestört geschlafen haben, als sie das Geräusch eines Autos vernahm. Es war ein schwerer Diesel, Cornelia tippte auf einen Ford Sierra, der sich näherte, genau aus der Richtung, aus der auch Siegfrieds Signal kam. Sofort war Cornelia van Bowdendonk hellwach und musterte die dunkle Umgebung nach einem Versteck. Sie rannte auf einen dunklen Umriss zu, der ihr wie eine Art Gebüsch vorkam. Die Scheinwerfer des Sierra waren schon bedenklich nahe, sodass sie sich mit einem Sprung in den Busch außer Sichtweite brachte. Bei der Landung stellte sie fest, dass es sich um eine Brombeerhecke handelte. Sie unterdrückte den Schmerzenschrei und brachte sich in eine Position, von der sie den Sierra vorbeifahren sah. Der Truck fuhr ein Stück weiter die Straße entlang, etwa bis zu der Stelle, wo vor ein paar Stunden die Sikorski den Ford abgeholt hatte. Cornelia sah, wie der Suchscheinwerfer des Sierra über das Gelände tanzte. Nach ein paar Minuten kamen die Leute im Sierra zu dem Schluss, dass dort nicht mehr das war, was sie suchten. Cornelia van Bowdenonk sah, wie der Sierra wendete und dann ganz langsam die Straße entlang zurückfuhr. Vier Männer mit breiten Schultern gingen im Schritttempo vor dem Truck her. Sie hatten etwas im Anschlag, das sich in der Dunkelheit nicht genau erkennen ließ. Maschinenpistolen, dachte Cornelia, vielleicht aber auch Armbrüste mit Betäubungspfeilen.
Ihr Versteck lag vielleicht fünfzig Meter von der Straße entfernt. Als sie vorsichtig versuchte weiter von der Straße wegzukriechen, folterten sie die Dornen des Brombeerbuschs. Hinter der Dornenhecke stieß ihr tastender Fuß an einen Stein, der sich sofort in Bewegung setzte. Cornelia van Bowdendonk hörte den Stein loskollern, dann hörte sie , wie er im Sekundentakt gegen den Fels stieß. Es hörte sich genauso an, wie ein kleiner Stein, der in einen mörderisch tiefen Abgrund stürzt. Sie fuhr herum und erkannte, dass sie rückwärts auf eine Schlucht zugekrochen war. Um ein Haar wäre sie mit dem Hintern voran darin verschwunden. Das Licht der Sterne reichte nicht aus, um zu sehen, wie tief der Abgrund war, aber aus den Geräuschen, die der stürzende Stein verursacht hatte, schloß Cornelia, dass er mehr als tief genug war, um sie mit zerschmetterten Knochen in seinem Grund aufschlagen zu lassen. Also kauerte sie sich regungslos in die Brombeerranken und sah den Suchtrupp und den Scheinwerfer des Sierra langsam näherkommen. Sie rang die Panik nieder, in die der Abgrund hinter ihr sie trieb und kletterte so weit die steilen Wände hinab, dass der Suchscheinwerfer sie nicht erfassen würde, wenn er das Brombeergestrüpp durchleuchtete. Ihre Füße standen auf einem Felsvorsprung, sodass sie einen guten Blick auf die Männer hatte, die gemächlich die Straße entlanggingen.
Nach einer gefühlten Stunde war der Suchtrupp auf Höhe der Stelle, wo sich Cornelia ursprünglich zum Schlafen niedergelegt hatte. Sie ging in Deckung und sah mit pochendem Herzen, wie der Suchscheinwerfer drei- viermal über ihren Kopf hinwegglitt, ohne sie zu entdecken. Die Männer waren schon gut zwanzig Meter weiter die Straße hinunter, als sich mit einem Mal Cornelias iphone zu Wort meldete. Cornelia schaute mit einer Mischung aus Verzweiflung und Zorn auf das fiepende Gerät. Um Siegfried besser orten zu können, hatte sie vorhin die Systemgeräusche auf maximale Lautstärke gestellt. Mit schweißnassen Fingern holte sie das Handy aus ihrer Handtasche und las die Botschaft: "You have Mail".
Etwa eine Nanosekunde lang freute sie sich darüber, dass die Botschaft von Siegfried kam. Dann sah sie, wie einer der Männer innehielt und seine Kameraden auf das Geräusch hinwies. Der Sierra stoppte und wendete, dann kam der Suchscheinwerfer zurück zur Brombeerhecke. Cornelia hörte die Männer kurz debattieren, dann sah sie, wie die vier von der Straße weg auf ihr Versteck zugingen. Der Suchscheinwerfer strahlte die Männer von hinten an und warf die Schatten ihrer gedrungenen muskulösen Körper auf den Boden. Cornelias Füße tasteten sich an der Schluchtwand entlang. Wie durch ein Wunder gelang ihr die Kletterpartie ohne Steine loszutreten und ohne selbst in den Abgrund zu stürzen. Irgendwann war sie aus dem Lichtkegel heraus und wagte es über die Kante der Schlucht zurück auf die Wiese zu klettern. Etwa zehn Schritt entfernt standen die vier Kerle im gleißenden Licht des Suchscheinwerfers. Das Gras war an dieser Stelle fast hüfthoch. Dennoch stand für Cornelia fest, dass es keine fünf Minuten dauern würde, bis die vier sie gefunden hätten. Also beschloss sie, dass ein Angriff vielleicht die beste Verteidigung wäre. Sie hatte natürlich nur eine eins zu einer Million-Chance. Das einzige, was für sie sprach, war der Umstand, dass die Kerle nach einer Mami suchten und nicht nach der Frau, die für Jahre die Faust von Arnold van Bowdendonk gewesen war. Als sie durch das Gras kroch, stellte sie mit Genugtuung fest, dass sie nichts von ihrer alten Lautlosigkeit verloren hatte. Wenn Siegfried nicht noch eine Mail an sie schickte, könnte ihr Plan sogar aufgehen. Sie war jetzt so nah an dem Wächter, der am weitesten links stand, dass sie seine Schweißfüße deutlich riechen konnte. Seltsamerweise müffelten die weißen Reeboks des Kerls nicht nur nach Käse, Cornelia vernahm auch deutlich die Note von Erbrochenem. Einen Sekundenbruchteil riss sie an seinen Beinen, sodass er mit einem Schrei im Gras verschwand. Sie packte sein Kinn und drehte seinen Kopf kräftig nach rechts, sodass er das Bewusstsein verlor. Im selben Augenblick hatte sie seine Armbrust erwischt und schoss einen Pfeil auf den zweiten Wächter ab. Der stieß ebenfalls einen Schrei aus, betastete den Trapezmuskel, wo der Betäubungspfeil eingeschlagen war und sank dann wie ein nasser Sack in sich zusammen. Sofort beleuchtete der Suchscheinwerfer die Stelle, wo die zwei Kerle zu Boden gegangen waren, doch Cornelia van Bowdendonk war schon längst davongekrochen. Ihre Panik war verflogen, stattdessen fühlte sie das Adrenalin durch ihre Adern fluten wie schon seit zehn Jahren nicht mehr. Trotz der Dunkelheit schaffte sie es, die Waffen der beiden Kerle, die sie überwältigt hatte, mit neuen Pfeilen zu laden. Dann packte sie einen Stein und schleuderte ihn etwa fünfzig Schritt weit weg in den Abgrund. Mit lautem Gepolter kollerte der Stein in die Schlucht.
Blitzartig fuhren die beiden Kerle herum. Sie ließen die bewusstlosen Kameraden im Gras liegen und rannten zu der Stelle, wo der Stein in die Schlucht gestürzt war. Der Suchscheinwerfer des Sierra unten an der Landstraße beleuchtete ihre massigen Körper von hinten. Im Licht des Suchscheinwerfers gaben die beiden ein leichtes Ziel ab. Weil das hohe Gras beim Zielen hinderlich war, sprang Cornelia kurz aus ihrer Deckung und drückte ab. Zwei Armbrustpfeile trafen die Wächter im Oberschenkel. Das enthaltene Betäubungsmittel ließ sie in Sekundenschnelle zusammenbrechen.
Jetzt war nur noch ein Gegner übrig. Cornelia van Bowdendonk musste nur noch den Fahrer des Sierra ausschalten. Dass der sich auch nicht ganz wohl in seiner Haut fühlte, sah sie an den hektischen Kurven, die der Lichtkegel des Suchscheinwerfers beschrieb. Schließlich machte der Wächter den Fehler, den alle Jäger machen, die nicht einsehen wollen, dass sie zum Gejagten geworden sind. Er stieg aus dem Sierra. In der Hand hielt er etwas, das aussah wie eine 65er Pumpgun. Mit einer Fernbedienung ließ er den Suchscheinwerfer über das Gelände huschen ohne einen Gedanken darauf zu verschwenden, wie leicht er zu treffen war. Der Betäubungspfeil traf ihn genau in den Brustmuskel. Cornelia musste sich beim Zielen gar nicht besonders anstrengen, denn der Bursche hatte einen Pectoralis wie jemand, der über ein paar Jahre seines Lebens hinweg lange Gefängnistage mit Bankdrücken verbracht hatte. Als der letzte Gegner bewusstlos zusammengrebrochen war, rannte Cornelia zum Sierra. Sie drehte den schweren Körper auf den Rücken, um ihrem Gegner ins Gesicht zu sehen. Es war ein dreißigjähriger Mann mit Pickeln im Gesicht, wie man sie vom jahrelangen Anabolikaschlucken bekommt.
Leise pfeifend setzte sie sich an das Steuer des Sierra. Sie löschte alle Lichter und dann steuerte sie den Wagen auf Siegfrieds Signal zu. Sie dachte an NBA-Teams, die ein Playoff-Spiel in der gegnerischen Halle gewonnen haben. "Wir sind jetzt auf dem Fahrersitz", pflegen die Coaches in der Situation zu sagen. Im übertragenen Sinne stimmte das vielleicht noch nicht, aber ihre Chancen Siegfried zurückzuholen standen auf alle Fälle besser als eins zu einer Million.