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02. Never Wait Or Hesitate (Rod Stewart)
ОглавлениеSiegfried van Bowdencomb erwachte mit einem Schrei. Er lag in einem Bett, das er nicht kannte, in einem Zimmer, das nach Desinfektionsmittel und Medizin roch. Es musste Nachmittag sein, denn durch die zugezogenen weißen Gardinen fiel gedämpftes Sonnenlicht. „Endloser Monolog. Den Plan erklären, statt abzudrücken“, flüsterte er zu sich selbst. Wie viele Schurken waren schon durch diesen Fehler zu Tode gekommen, hatten in letzter Sekunde noch alles vergeigt. Wenn es eine Sache gab, die er lernen musste, dann war es der schnelle Abschluss ohne Monolog, ohne Erklären des Planes. Eines Tages würde er Galaktoman, den Mörder seines Vaters, zur Strecke bringen, das war sein fester Entschluss. Bis dahin galt es jedoch noch viel zu lernen. In Gedanken ging er seinen Traum nochmals durch, und drückte nach zehn Traumsekunden den Auslösemechanismus. Auch wenn er dreimal drücken musste, hatte Galaktoman nicht den Hauch einer Chance. Siegfried sah den Superhelden vor seinem geistigen Auge in die Tiefe sausen, genau in die Mündung des Materiedesintegrators.
Nicht quatschen, sondern handeln, dann hätte Siegfried eine Chance gegen den Superhelden. Langsam beruhigte sich sein Puls.
Er war so damit beschäftigt, seinen Traum durchzugehen, dass ihm erst nach einigen Minuten auffiel, dass er keine Ahnung hatte, wo er war. Er lag in einem fremden Bett in einem weiß getünchten Raum. Über sich sah er einen Bettgalgen, neben dem Bett stand ein Nachtkästchen aus Stahlblech, darauf ein Pappbecher und eine Flasche Bonaqua. Für Siegfried sah es so aus, als läge er in einem Krankenhauszimmer. Erst jetzt bemerkte Siegfried, dass sein rechtes Auge ganz zugeschwollen war. Er tastete nach seiner Schläfe, doch im selben Moment schrie er vor Schmerzen auf. Und nun fiel ihm auch wieder ein, wie er hierher gekommen war. Und es fiel ihm ein, warum er in seinen Händen einen Taschenrechner festhielt.
Er hatte Ärger mit Ron Bruckner gehabt, dem Schularsch. Ron war ein Kerl, der jüngere und schwächere Kinder terrorisierte. Siegfried hatte er den Taschenrechner weggenommen. Weil der Taschenrechner seinem Vater gehört hatte und ein paar Extras enthielt, die man dem Ding von außen nicht ansah, hatte Siegfried seine Angst vergessen und sich mit Ron darum geschlagen. Ron hatte ihm ganz schön Prügel verabreicht, aber Siegfried hatte nicht aufgegeben. Er hatte einfach immer weiter auf Ron eingeschlagen. Als er merkte, dass das nichts nutzte, weil seine wütenden Schläge entweder nicht durchkamen oder Ron nichts ausmachten, hatte er getreten, gekratzt und gespuckt. Als Ron den Taschenrechner immer noch nicht losließ, hatte Siegfried Rons Arm gepackt und hineingebissen. Er erinnerte sich jetzt wieder an den seltsamen Geschmack von fremdem Fleisch und Blut. Im selben Moment hatte Ron den Taschenrechner fallen gelassen. Als Siegfried sich nach dem Rechner bückte, traf ihn Rons Knie an der Schläfe. Siegfried war schwarz vor Augen geworden. Und jetzt lag er hier in diesem Krankenhausbett mit einem zugeschwollenen Auge, aber im Besitz seines Taschenrechners.
Mit einem Mal kroch ein seltsames Gefühl in Siegfrieds Magengrube. Es war genau das Gefühl, das man hat, wenn man aus einem Albtraum erwacht und zu ahnen beginnt, dass man nicht alleine im Zimmer ist. "Mama?" fragte Siegfried unsicher, aber es war nicht die Stimme seiner Mutter, die ihm antwortete.
"Nein, Siegfried, deine Mutter wartet draußen auf dem Flur, dass du aufwachst", hörte er eine angenehme kultivierte Männerstimme sagen. "Bevor sie hereinkommt, möchte ich mit dir etwas besprechen. Damit wir eine Zeit lang ungestört miteinander reden können, schlage ich vor, dass wir einen kleinen Ausflug machen. Meine Assistentin hackt sich gerade in den Krankenhauscomputer und schaut sich die Röntgenbilder von deinem Kopf an. Wenn klar ist, dass du transportfähig bist, brechen wir auf. Lisa, was ist, hat er Frakturen oder eine Gehirnblutung?"
"Ich habe die Computertomogramme durchgesehen. Nach den Bildern aus der Radiologie ist mit seinem Gehirn alles in Ordnung", antwortete eine tiefe Mädchenstimme, die Siegfrieds Gehörgängen schmeichelte wie warmer Honig.
"Gut,Lisa, bring ihn mit den Männern zum Krankenwagen. Jenkins und ich klettern aus dem Fenster und fahren mit dem Bugatti schon mal voraus. Und nehmt auch seine Waschsachen mit", befahl die Männerstimme.
Einen Augenblick später beugte sich das schönste Mädchen über Siegfried, das er in seinem Leben gesehen hatte.
Ihre großen blauen Augen warfen das Licht der Spätsommersonne zurück wie Christbaumkugeln mit extrem langen schwarzen Wimpern. Ein Katarakt von blonden Locken fiel über die Schultern, die nicht zu breit und nicht zu schmal waren, sondern genau richtig. Sie trug einen weißen Arztkittel und einen Mundschutz. Mit warmen, glatten Händen griff das Mädchen nach Siegfrieds Arm. Dann fühlte er, wie sie mit Zeige- und Mittelfinger seine Ellenbeuge massierte.
"Das pikst jetzt ein bisschen", hörte Siegfried ihre tiefe Honigstimme sagen. Dann spürte er einen leichten Stich in der Ellenbeuge und wenige Sekunden später war er bewusstlos. Er bekam nicht mehr mit, wie sich der Herr mit der Baritonstimme mit einer eleganten Bewegung aus dem Fenster schwang und die Feuerleiter nach unten kletterte. Und er fühlte auch nicht, wie zwei extrem breitschultrige Krankenpfleger seinen Schulranzen und den Seesack mit den Waschsachen in seinem Bett verstauten und es dann durch die von Lisa geöffnete Tür hinaus auf den Krankenhausflur schoben.
Eine zart gebaute Frau in einem braunen Flanellkostüm sprang von ihrem Besucherstuhl auf. "Ich bin Cornelia van Bowdendonk, Siegfrieds Mutter", sprach sie Lisa an. "Was ist mit meinem Sohn?"
"Lisa Tekiero, ich bin die diensthabende Neurologin. Wir haben Ihrem Sohn eine Narkose gegeben, weil sich sein Zustand plötzlich verschlechtert hat, Mrs van Bowdendonk. Es ist zwar unwahrscheinlich, dass es jetzt noch zu einer Blutung kommt, aber wir müssen das nochmal abklären. In dreißig Minuten ist der Kopfscan abgeschlossen, dann können wir Ihnen sagen, ob eine Operation nötig ist."
"Was ist mit ihm?" fragte Cornelia van Bowdendonk erschrocken.
"Ich weiß es noch nicht", antwortete Lisa. "Aber da er sich hier im Wesley Medical befindet, besteht überhaupt keine Gefahr. Schlimmstenfalls müssen wir eine kleine Punktion machen, um den Druck auf sein Gehirn zu mindern. Aber auch das ist nur im unwahrscheinlichen Fall einer akuten Blutung notwendig. Wissen Sie, das ist das große Dilemma für uns Ärzte. Einfach indem wir sorgfältig vorgehen und auf alle Eventualitäten vorbereitet sind, denken medizinische Laien natürlich, dass diese Eventualität auch eintritt. Bleiben Sie einfach hier sitzen und nehmen Sie sich eine Zeitschrift, in dreißig Minuten sagen wir Ihnen, ob Siegfried schon morgen entlassen werden kann oder erst in ein paar Tagen. Auf jeden Fall garantiere ich Ihnen, dass Sie Ihren Jungen gesund und munter zurückbekommen werden. Wenn Sie mich bitte entschuldigen", schloss Lisa und eilte dem Krankenbett hinterher.
Cornelia van Bowdendonk sah der jungen Ärztin und den Pflegern hinterher, die das Bett mit Siegfried in den OP-Bereich schoben. Mit leicht wackligen Knien setzte sie sich auf den Besucherstuhl. Natürlich fing sie nicht an in einer Zeitschrift zu blättern. Stattdessen begann sie an ihrem Zeigefingerknöchel zu nagen, bis ihr etwas einfiel. Sie kramte in ihrer Handtasche nach dem iphone und schaltete es an. Sie öffnete die Anwendung earclipcam.app, indem sie das Passwort ArNiE4%EvEr eingab. Einen Augenblick später lief ihr kalter Schweiß den Rücken hinab. Sie sah auf dem Display die Decke des Krankenhausgangs. Einen Moment später fing das Bild an zu wackeln. Als es wieder stabil war, zeigte die Anzeige das Innere eines Krankenwagens, der sich mit Blaulicht in Bewegung setzte. Jetzt erschien das Gesicht der jungen Ärztin auf dem Display. Sie hielt ein Mobiltelefon in der Hand. Weil das iphone stumm geschaltet war, sah Cornelia van Bowdendonk nur, dass sich ihre Lippen bewegten. So schnell es ihre schweißnassen Finger erlaubten, drehte sie die Lautstärke ihres Handylautsprechers auf maximale Leistung. Sie hörte nur noch, wie die Ärztin sagte: "In zehn Minuten an der 400."
Cornelia van Bowdendonk sprang von ihrem Stuhl auf, um sich gleich wieder zu setzen, denn vor Schreck war ihr schwarz vor Augen. Siegfried war von einer falschen Ärztin, zwei falschen Krankenpflegern aus dem Hospital entführt worden. Sie hätte natürlich am Empfang Alarm schlagen können. Sie hätte versuchen können, die Polizei, den Geheimdienst und die Nationalgarde zu mobilisieren, um Siegfried aus den Klauen seiner Entführer zu reißen. Aber wahrscheinlich wäre sie an so eine belämmerte: „Ich tue hier nur meine Pflicht, und Sie führen sich auf als wären Sie nicht ganz bei Trost“-Krankenschwester geraten. Sie hätte wertvolle Minuten verplempert in dem vergeblichen Bemühen, ihrem Gegenüber die Situation zu erklären. Die Chancen Siegfried so zurückzubekommen waren gleich Null. Also stürmte sie aus dem Wesley Medical, stieg in ihren alten 94er Ford und ließ den Motor an. Gerade als sie losfahren wollte, kam ihr noch ein Gedanke. Sie öffnete das Mailprogramm und begann zu tippen
otolarngology@wesleymedical.com . Lieber Dr. Miller, vielen Dank für die kompetente Versorgung von Siegfrieds Verletzung. Leider kann ich den Jungen nicht über Nacht hierbehalten, weil wir wegen einer dringenden Familienangelegenheit verreisen müssen. Ich nehme das auf meine Verantwortung und sehe von allen rechtlichen Ansprüchen ab, die Entfernung von Siegfried aus Ihrer Klinik geschah ohne Ihr Wissen und Ihre Billigung.
Mit freundlichen Grüßen
Cornelia van Bowdendonk
Sie drückte auf Senden. Dann beendete sie das Mailprogramm und aktivierte earclipcam.app erneut. Das Programm zeigte Bilder aus einer Minikamera, die in Siegfrieds Ohrclip eingebaut war, aber es konnte noch mehr. Im Ansicht-Menü wählte Cornelia "Ortung", worauf das Bild verschwand. Stattdessen zeigte sich eine Karte der Umgebung von Wichita. Siegfrieds Standort war als gelb blinkender Kreis zu erkennen. Cornelia ließ den Motor an und machte sich an die Verfolgung von Siegfrieds Entführern.