Читать книгу Siegfried Der Roman - Martin Allwang - Страница 13
11. Doin´ A Thing Called The Crocodile Rock (Elton John)
ОглавлениеNach der warmen Dusche wollte Siegfried die Treppe in den Speisesaal nehmen, aber seine Oberschenkelmuskeln weigerten sich bergab zu gehen. Also kehrte er nach drei Stufen um und nahm den Aufzug.
Das Frühstücksbuffet war gerade frisch aufgebaut, als Siegfried ankam. Er und Dr. von Stackelmann waren die ersten, die frühstückten. Der Schulleiter hatte nur eine Scheibe Toast, etwas Butter und Honig sowie eine Orange vor sich liegen. Siegfried dagegen hatte, Diner vom Vorabend hin oder her, nach der Nahkampfstunde ordentlichen Hunger. Er nahm sich einen Haufen Rührei mit Speck aus dem Warmhalter, türmte darauf so viele Bratwürstchen wie er glaubte nach den Gesetzen der Statik auftürmen zu können und klemmte ein halbes Dutzend Brotscheiben unter seinen Arm. Mit einem Blick überzeugte er sich, dass auf jedem Frühstückstisch eine große Flasche Heinzketchup stand. Er wandte dem Buffet den Rücken zu, war aber fest entschlossen, noch einmal für ein paar Stücke von dem goldbraun gebackenen Plundergebäck zurückzukehren.
Einen Moment war er unschlüssig, ob er sich zu von Stackelmann setzen sollte. Einerseits fand er es streberhaft, dem Schulleiter so auf die Pelle zu rücken. Andererseits wirkte es übertrieben abweisend, wenn er sich in dem leeren Speisesaal an einen anderen Tisch setzte. Er beschloss von Stackelmanns Blick zu suchen. Sollte der doch signalisieren, ob ihm Siegfrieds Gesellschaft recht war.
In dem Moment winkte von Stackelmann ihm zu. Siegfried balancierte sein Tablett zum Tisch des Schulleiters. „Du bist ja ein echter Frühaufsteher, Siegfried“, begrüßte ihn von Stackelmann. „Ich brauche nur zwei Stunden Schlaf, Sir. Und ich bin immer froh, wenn ich etwas finde, das ich dann noch anstellen kann, bis die anderen auch endlich wach sind. Danke für die Karatestunde.“ „Gern geschehen. Weißt du, ich bin ein leidenschaftlicher Lehrer. Fahrzeugtechnik, Nahkampf, Kryptographie, es ist mir egal, was ich anderen beibringe. Mich fasziniert das Lehren an sich. Am reizvollsten finde ich Anfänger. Man muss auf jede Kleinigkeit achten, damit sich keine grundsätzlichen Fehler einschleichen. Und man muss als Lehrer für sich die Frage geklärt haben, was ist das Fundament, auf dem die ganze Kunst ruht? Das gilt es vom ersten Augenblick an zu vermitteln.“ „Und wie sieht dann die erste Lektion für Superschurken aus? Was ist das Fundament, auf dem die ganze Kunst ruht?“ wollte Siegfried wissen. „Narzissmus und Amoral“, antwortete von Stackelmann. Siegfried fiel ein, dass das Lisas Fächer waren. „Aber das Problem ist, das lässt sich nicht lehren, das hat man im Blut. Weißt du, Siegfried, unter den Gegnern der Superhelden, unter den echten Superschurken, gibt es alle möglichen Typen. Praktisch alle sind hochintelligent, aber das reicht nicht aus. Wenn jeder mit einem IQ von 150 oder mehr nach der Weltherrschaft streben würde, dann wäre die Welt ein einziges Schlachtfeld. Dann hätten wir nicht nur Darfour, Afghanistan, Korea, Burundi, sondern auch den Krieg zwischen Nord- und Südkansas und Gott weiß was noch alles. Superschurken verfügen zusätzlich über Narzissmus und Amoral.“ Siegfried schaute ihn fragend an.
Von Stackelmann schaute auf seine Uhr. „Jetzt ist es halb sechs, der Unterricht beginnt um sieben, da haben wir noch Zeit für eine weitere Lektion. Komm mit.“ Siegfried fühlte sich ziemlich überanstrengt und hatte keine Lust auf ein weiteres Nahkampftraining. „Kein Nahkampf“, sagte von Stackelmann, als hätte er seine Gedanken gelesen. „Amoral.“ Er ging zum Buffet, schnitt sich ein Stückchen Gruyere ab und verließ damit den Speisesaal.
Sie gingen durch den Park in Richtung des kleinen Wäldchens vor dem Schloss. Während sie wortlos nebeneinander hergingen, holte von Stackelmann sein iphone aus der Tasche und wählte eine Nummer. „Ah, Jenkins, schön, dass Sie da sind. Könnten Sie freundlicherweise mit den Lefaucheux zum Badesee kommen. Ja, die mit dem Laservisier. Ja, ja und vorher die Schleuse öffnen.“ Von Stackelmann führte ihn durch ein Wäldchen, bis sie zu einer Lichtung von der Größe eines Fußballfeldes kamen, die gut zweihundert Meter vom Schlossgebäude entfernt lag. In der Mitte der Lichtung lag ein kleiner See. Zwischen See und Schloss lag ein Grashügel, der an einer Seite mit einer glatten Wand in den See abfiel. Der Morgennebel kroch noch über den See, aus dem Schilf hörte Siegfried das Lied eines Teichrohrsängers. Am Ufer stand Jenkins. Über jeder seiner Schultern hing an einem schwarzbraunen Lederriemen eine Doppelflinte. „Ich bringe die Flinten, Sir. Die Schleusen sind geöffnet, wie Sie es gewünscht haben.“ „Herzlichen Dank, Jenkins.“ Jenkins reichte eine Flinte Dr. von Stackelmann, die andere gab er Siegfried. „Schon mal geschossen, Siegfried?“ wollte der Schulleiter wissen. „Nein, Sir.“ „Ich bitte dich, das hier ist Amerika“, mokierte sich der Schulleiter.
Er legte die Flinte an und zielte. Der Strahl des Laservisiers drang durch den Nebel, der über dem See hing.
Jenkins reichte Siegfried seine Lefaucheux-Flinte. Siegfried nahm die Waffe entgegen, dann sah er von Stackelmann unschlüssig an. „Das Laservisier schaltet sich automatisch ein, wenn du den Kolben des Gewehrs an deine Schulter drückst. Die Hähne spannst du mit der Hand. Wenn du vorsichtig abdrückst, feuerst du einen Lauf nach dem anderen. Wenn du den Abzug durchziehst, feuern beide Läufe gleichzeitig.“ Siegfried tat es dem Schulleiter nach und dann ließ er den Strahl des Laservisiers ein wenig durch den Nebel tanzen, um ein Gefühl für die Waffe zu bekommen. „Bist du bereit, Siegfried? Ich werfe jetzt den Käse ins Wasser. Du spannst beide Hähne und visierst die Stelle an, wo der Käse im Wasser schwimmt. In dem Moment, wo der Käse verschwindet drückst du ab. Verstanden?“ Siegfried nickte und spannte beide Hähne. Mit einem leisen Platschen landete der Gruyere in der Mitte des Sees. Siegfried brauchte ein paar Sekunden, bis der Laserstrahl auf das Käsestück zeigte, das friedlich in der Mitte des Sees schwamm.
Plötzlich bemerkte Siegfried, wie sich eine kleine Welle auf den Käse zubewegte. Als die Welle den Käse erreicht hatte verschwand er. Wie befohlen drückte Siegfried ab. Die Patrone im ersten Lauf ging nicht los, aber als er den Abzug ganz durchzog, gab es einen Knall so laut, dass seine Ohren zu pfeifen begannen, als das Echo vom Waldrand verklungen war. Der Rückschlag überraschte ihn und mit voller Wucht knallte der Gewehrkolben seitlich an seine Nase. Das Gewehr entglitt seiner Hand und wäre zu Boden gefallen, wenn Jenkins die Waffe nicht aufgefangen hätte. Der Butler fluchte, denn am heißen Lauf hatte er sich die Hand verbrannt. Durch die glasbodendicken Brillengläser sah der Blick, den er Siegfried zuwarf, absolut tödlich aus. Aus Siegfrieds Nase tropfte Blut auf die Levis. „Sauberer Schuss“, lobte von Stackelmann. Siegfried schaute auf den See zu der Stelle wo der Käse verschwunden war. Dort trieb mit dem gelbgrünen Bauch nach oben ein Krokodil von etwa einem Meter Länge. In der Mitte des gelbgrünen Bauches ruhte der Lichtpunkt aus von Stackelmanns Laservisier. „Jetzt pass auf“, sagte von Stackelmann.
Mit pochendem Herzen sah Siegfried eine neue Welle auf das tote Krokodil zutreiben. Sie war so hoch, dass sie sich sogar überschlug. Siegfried hatte das Gefühl, gleich würde in der Seemitte ein U-Boot auftauchen.
Es war aber kein U-Boot, sondern ein riesiger Kaiman, der seinen toten Artgenossen zum Frühstück verspeisen wollte. Während Siegfried die Luft anhielt, schoss das aufgerissene Maul des Krokodils aus dem Wasser. Es hatte locker die Ausmaße der Motorhaube eines 76er Dodge Charger . Der Laserpunkt wanderte vom Bauch des kleinen in den Rachen des großen Krokodils und im selben Moment drückte von Stackelmann ab. Statt des Knalls gab es nur ein metallisches „Klick“, das kaum zu hören war, weil das Wasser aufbrandete, als der Kaiman seine Beute in die Tiefe riss. Siegfried begriff, dass von Stackelmanns Gewehr nicht geladen war.
Von Stackelmann und Jenkins schauten in Siegfrieds fassungsloses Gesicht, dann brachen beide in schallendes Gelächter aus. „Keine Angst, ich wollte Caesar gar nicht abknallen“, lachte von Stackelmann. „Der Bursche ist immerhin fast hundertzehn und daher richtig wertvoll. Jenkins, wenn Sie die Krokodile füttern, denken Sie daran, das Caesar schon gefrühstückt hat.“ Dann wandte er sich an Siegfried. „Und, wie war es? Jetzt sag bloß nicht, dass dir das kleine Krokodil Leid tut. Das gäbe eine Sechs Minus in Amoral.“ Siegfried beschlich das Gefühl, dass er an seiner Amoral noch arbeiten müsste. Wie wollte er denn ein Superschurke werden, wenn es ihm schon gegen den Strich ging, mir nichts, dir nichts ein Krokodil zu töten? Sollte die Rache an Galaktoman an seinem Mitleid für Reptilien scheitern? „Tut mir Leid wegen dem Gewehr, Jenkins“, entschuldigte er sich. „Aber wenigstens habe ich getroffen.“ Dass es die typische Fehlzündung gegeben hatte, störte ihn im Augenblick nicht.
Jenkins schaute keineswegs versöhnt. Also reichte ihm Siegfried die Hand.
Der Butler nahm sie und dann ging alles blitzschnell. Siegfried fühlte, wie Jenkins ihn um die eigene Achse drehte und dann mit einem Tritt in den Rücken zu Fall brachte. Siegfrieds Gesicht tauchte in den Matsch des Seeufers. Er bekam kaum noch Luft. „Die korrekte Anrede ist Mister Jenkins und Sir“, zischte der Butler. „Der einzige Mensch, der mich wie einen Butler anreden darf, ist Doktor von Stackelmann. Es wäre für uns beide schmerzlich, wenn ich dich eines Tages nochmals daran erinnern müsste, Siegfried. Ich bezweifle mal, dass du das überleben würdest.“ Von Stackelmann schaute währenddessen gedankenverloren über den See. „Internatsregeln“, meinte er trocken. „Jenkins, Sie können ihn loslassen, ich glaube, er hat Sie verstanden.“ Siegfried fühlte voller Erleichterung, dass Jenkins´ Griff nachließ und er sein Gesicht aus dem Uferschlamm ziehen konnte.
Siegfried kochte vor Wut, während er sich aufrappelte. Pläne, wie er Jenkins und Caesar näher zusammenbringen könnte, kamen und gingen in seinem Kopf. Fürs erste schluckte er alles hinunter und nahm sich vor, das Nahkampftraining mit maximalem Eifer zu betreiben.
Und er beschloss sich zu merken, dass Caesar wertvoll war, während Siegfried nur einen gewissen Wert besaß – im Gegensatz zum wertlosen Wachpersonal. Siegfried fragte sich, ob Jenkins in dieser Werteliste über oder unter Caesar rangierte. „Zum Thema Amoral“, meinte Doktor von Stackelmann. „Ich würde sagen, ich gebe dir eine drei. Du hast abgedrückt ohne Fragen zu stellen. Das ist schon mal nicht schlecht. Aber du warst überhaupt nicht enttäuscht darüber, dass Caesar nicht ebenfalls dran glauben musste. Wenigstens hast du dir Sprüche gespart wie „Warum, Wieso, das arme Tier, wozu“ und so weiter. Dann wäre es hier nämlich vorbei gewesen. Es wird zwar harte Arbeit für mich werden, aber vielleicht wird was aus dir, Siegfried van Bowdendonk. Ich würde sagen, wir beenden den Unterricht und du machst dich vor der Fahrzeugkunde noch etwas frisch. Gib die schmutzige Wäsche einfach Carmen, dem Hausmädchen.“