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Attentatsächlich erfolgreich

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„Ich werde der neue Kaiser!“ Das waren die Worte, mit denen Christos T. Smidt die Sitzung eröffnete. Sie fand in seinem Kinderzimmer statt, vor seinen Spielfiguren, aber die hatten ihn noch nie enttäuscht. Sie waren gute Zuhörer und hatten ihm stets treu zur Seite gestanden, auch, wenn die Dinge einmal nicht so rosig liefen. Anfangs war er noch mit ihnen in die Schlacht gezogen, doch dann hatte er herausgefunden, dass die wahren Schlachten woanders geschlagen wurden, dass die wahre Macht woanders lag. In der Politik. Jedenfalls hatten ihm das die alten Filme von der fast vergessenen Erde gezeigt, denn so viel Politik gab es seit der Entstehung des Imperiums nicht mehr. Es gab mehr so eine Art Verwaltungsapparat, es gab ein paar Gouverneure und einige Senatoren, aber all das eigentlich nur, um die Welten, auf denen Menschen lebten, irgendwie zu verwalten. Für Politiker, wie es sie einst auf der Erde gegeben hatte, gab es keinen Grund, auch wenn das in ein paar Provinzen noch anders gesehen wurde.

Aber Christos lebte in keiner Provinz, er lebte im Herzen des Imperiums, auf Rom, einem der drei Zentralplaneten. Und dort gab es, neben ein paar untergeordneten Regionalpolitikern, ein Amt, für das es lohnte, in die Politik einzutreten: der Herrscher der Galaxis. So nannte er das, allgemein sprach man schlicht vom Kaiser. Nichtmal als Imperator bezeichnete man ihn, was Christos immer ein wenig verwirrt hatte. Die Antwort, die er bekam, wollte ihm nicht so ganz zusagen:

„Weil der Kaiser keine Macht hat!“

Christos fand, dass das eine ziemlich gemeine Aussage war. Immerhin ging es um den Kaiser, gewissermaßen das höchste Wesen im Imperium. Wenn jemand Macht hatte und etwas zu sagen, wenn jemand etwas verändern und bewirken konnte, dann doch wohl der Kaiser!

„Der ist mehr so eine Art Vertreter, so eine Art… Galeonsfigur“, hatte Christos zu hören bekommen und sie alle hatten nachschlagen müssen, was „Galeonsfigur“ eigentlich bedeutete. Die Antwort gefiel ihm nicht besonders, war es doch ein Amt, das er anstrebte. Aber, und mit diesem Gedanken wiegte er sich jede Nacht in den Schlaf, vielleicht war das nur etwas, das man dem Volk erzählte, damit es keine Angst vor dem Kaiser hatte, damit es sein Oberhaupt nicht fürchtete und damit niemand einen Grund hatte, ein Attentat auf dieses Oberhaupt durchzuführen.

Nachdem aus seinen Spielzeugsoldaten allesamt Senatsmitglieder geworden waren, denen Smidt seine ausgefeilten Reden vortrug, trat er ein Studium an – und er behielt die ganze Zeit sein Ziel im Auge. Seit frühster Jugend hatte er sich darauf vorbreitet und als er endlich im richtigen Alter war, um wählen – und gewählt werden – zu dürfen, begann er seine politische Karriere.

„Du willst was?“ fragte ihn Tanju Bounaventura, seine Wahlkampfleiterin.

„Ich will der neue Kaiser werden.“

„Aber… warum?“

„Wofür lohnt es sich sonst, in die Politik zu gehen?“

„Um etwas zu erreichen. Für deine Provinz.“

„Ich lebe in keiner Provinz.“

„Genau.“ Sie zuckte die Schultern. „Ich meine nur… hast du dich mal mit den früheren Kaisern beschäftigt?“

„Sie haben nicht viel erreicht“, stellte Smidt fest.

„Vielleicht sollten sie das auch nicht“, spekulierte Tanju. „Vielleicht ist es ihre Aufgabe, nichts zu erreichen.“

„Willst du mir jetzt auch erzählen, dass der Kaiser keine Macht hat?“

„Offensichtlich muss ich das nicht, da du es ja schon weißt.“

„Ich halte das für einen Mythos, für eine Geschichte, um von der eigentlichen Wahrheit abzulenken.“

„Und diese Wahrheit ist? Dass er eigentlich alle Fäden in der Hand hält und das Imperium kontrolliert?“

Christos grinste. „Ganz genau.“

„Und wenn das nicht so ist?“

„Dann werde ich das ändern.“

„Aha“, nickte die junge Frau. „Aber du weißt schon, dass der Kaiser nicht vom Volke gewählt wird, oder?“

„Er wird von einer Abordnung von Politikern der drei Zentralplaneten aufgestellt und gewählt. Es sei denn…“

„Es sei denn, was?“

„Es sei denn, man erwirkt ein besonderes Dekret und lässt dann das Volk entscheiden.“

Tanju sah ihn perplex an.

„Was muss man dafür tun? Einen Krieg auslösen?“

„Nein. Nur Senator sein.“

Er lächelte.

„Du hast dich damit wirklich intensiv beschäftigt, oder?“

„Oh ja“, bestätigte Christos, „ich sagte ja, ich werde Kaiser werden.“

„Was ist mit den Gerüchten?“

„Was für Gerüchte?“

„Dass man überlegt, dass in Zukunft der Kaiser nur noch von der Admiralität einberufen wird?“

Smidt lächelte. „Wie du schon sagtest, Gerüchte. Und selbst wenn, werden sie das ja wohl kaum vor der nächsten Wahl ändern können, oder?“

„Wahrscheinlich nicht.“

„Gut. Und danach können sie machen, was sie wollen.“

„Weil du dann Kaiser bist?!“

„Auf Lebenszeit!“ lächelte er. „Also dann, fangen wir an!“

Streng genommen hatte Christos Smidt nicht viel Konkurrenz, nicht einmal auf den Zentralplaneten. Ein Großteil der Pflichten wurde von der Verwaltung übernommen und man hatte Politiker eigentlich nur deshalb eingeführt, damit man denjenigen, die glaubten, etwas zum Wirken des Staates beisteuern zu wollen, im wahrsten Sinne des Wortes eine Wahl zu geben. Vielleicht war das auch einfach nur eine kosmetische Geste gewesen, damit niemand behaupten konnte, das Imperium wäre eine undemokratische Diktatur, aber unterm Strich wirkten sich die Wahlen nicht groß auf die Geschäfte und die Führung des Imperiums aus – also eigentlich genau so wie früher auf der Erde.

Smidt hielt mit seinen Zielen nicht hinterm Berg. Er sagte seinen potentiellen Wählern direkt, dass er vorhabe, Kaiser zu werden und ein besseres Imperium für sie zu schaffen. Doch da kaum jemand die Wahlen ernst nahm, ging auch kaum jemand hin. Christos hatte wenig Konkurrenz, aber auch wenig Anhänger. Zwei Dinge konnten dafür als Gründe gesehen werden. Zum einen wusste man, dass sich ohnehin nichts änderte, also war es schlicht egal, wen man wählte oder warum, denn alles blieb, wie es war. Zum anderen ging es den Leuten aber auch einfach gut. Sie hatten nichts, worüber sie sich beklagen mussten, sie wurden nicht unterdrückt, lebten nicht in einem Polizeistaat, wurden nicht von zu hohen Steuern in die finanziellen Knie gezwungen, grundlos in Gefängnisse gesteckt oder willkürlich enteignet. Es ging ihnen gut, die Situation war okay, der Lebensstandard hoch, die Zufriedenheit groß. Das nahm ihnen den Grund und vor allem den Drang, zu wählen. Denn warum sollte man wollen, dass sich die Situation veränderte?

Wahlen waren eigentlich aus zwei Gründen sinnlos. Wenn es einem zu gut ging, brauchte man nicht zu wählen. Und wenn es einem so mies ging, dass man wählen wollte, um eine Veränderung herbeizuführen, durfte man es nicht. Oder die Wahlen waren so sehr manipuliert, dass eh alles beim Alten blieb. Wahlen waren ein Luxus für Leute, die es nicht nötig hatten, zu wählen – und unerschwinglich für Menschen, die Veränderung wollten und brauchten. Im Imperium waren sie mehr oder weniger ein Luxus – und Christos war mehr oder weniger frustriert darüber.

„Wem erzähle ich das eigentlich alles?“ rief er aufgebracht.

„Was?“ fuhr Tanju hoch.

„Du auch?“

„Christos, ich habe dir von Anfang an gesagt…“

„Niemand interessiert sich dafür.“

„Ja“, nickte sie. „Es gibt genug zu essen, es ist warm, kaum jemand hat einen Grund, sich zu beklagen. Wir leben in herrlichen Zeiten für die Menschheit, weit besser als all das, was man immer über die Erde liest.“

„Es geht uns zu gut“, murmelte er, „es geht den Leuten zu gut, um mich zum Kaiser zu machen.“

„Es geht ihnen sogar zu gut, um dich zum Senator zu machen!“

„Warum?“

„Weil sie sich sicher fühlen!“

Auf Christos Gesicht erschien ein unheimlicher Schein der Erkenntnis.

„Was?“

„Ich glaube, du hast mir gerade meine Wahlkampagne beschrieben“, grinste er.

„Sicher?“

„Oh ja, ganz sicher! Denn wenn die Leute sich so sicher fühlen… sollten wir ihnen vielleicht beweisen, dass sie vielleicht nicht so sicher sind!“

Das Anschauen alter Filme hatte sich gelohnt. Angst war immer noch einer der besten Motivatoren. Selbst, wenn es keinen Grund für sie gab. Dann, und das hatte man in der Geschichte der Menschheit oft gemacht, musste man eben einen erschaffen. Er musste nicht mal real existieren, wichtig war nur, dass die Leute glaubten, dass er das tat. Die Angst vor etwas konnte sie dazu bewegen, Dinge zu tun, dumme Dinge, wie ihre Freiheit aufzugeben oder zumindest nichts dagegen zu unternehmen, wenn die Regierung das für sie und angeblich in ihrem Namen tat.

„Und wovor willst du ihnen Angst machen?“ hatte Tanju gefragt. „Dass sie keine Un-Ungeraden sind?“

„Nein, einen solchen Blödsinn wollen wir gar nicht erst veranstalten. Ich habe eine reale Gefahr gefunden.“

„Wie real?“

„Real genug“, meinte Smidt lax.

Tanju stemmte die Hände in die Hüften. „Was soll das heißen?“

„Es ist eine Bedrohung, und, ganz ehrlich, in ein paar Provinzen würde ich damit sicher offene Türen einrennen, aber hier… muss man die Leute auf diese Bedrohung aufmerksam machen.“

„Wird sie bis hierher kommen?“

„Das ist eher unwahrscheinlich“, gab Christos zu. „Aber das ändert nichts daran, dass diese Gefahr besteht, für Bürger des Imperiums.“

„Willst du mir jetzt endlich mal sagen, wovon du sprichst?“

„Ganz einfach.“ Smidt lächelte unheimlich. „Es sind…“

„…die Entarr! Sicher, sie sind weit weg, wenn man sich hier, auf den Zentralplaneten befindet. Aber ich frage Sie, wer von Ihnen hat Verwandte da draußen? In der Tiber Provinz? In der Dong Jing Provinz? In der Nil Provinz?“

Ein paar Blicke senkten sich zu Boden, das Zeichen, auf das Christos gehofft hatte.

„Ja, dort draußen hat man schon oft von den Entarr gehört. Das Imperium hat auch Verträge mit ihnen geschlossen. Und wissen Sie, was die Entarr mit jedem dieser Verträge gemacht haben?“ Er sah wild in die Runde, dann beantwortete er die Frage selbst: „Sie haben ihn gebrochen!“ Christos nickte. „Ja, hier sind wir vor ihnen geschützt, aber die Frage ist: Wie lange noch?“ Wieder ein schweifender Blick durch die Runde. „Was, wenn die Entarr sich überlegen, dass sie unsere Provinzen lieber zu ihren Provinzen machen wollen? Hat das Imperium genügend Schiffe, um das zu verhindern? Nein!“ rief er, eine Behauptung, bei der er schlicht davon ausging, dass sich niemand die Mühe machen würde, sie zu widerlegen. Und wie sollte das auch gehen? Gar nicht, das war das Wunderbare daran. „Was, wenn sie das tun werden? Was, wenn die Entarr eine Provinz nach der anderen erobern? Was, wenn sie unterwegs auch noch unsere Flotte dezimieren? Dann, das kann ich Ihnen versichern, sind die Entarr plötzlich nicht mehr so weit weg, wie wir das im Moment denken. Dann sind sie vielleicht schneller hier, als uns lieb sein kann. Und wissen Sie, wer etwas dagegen unternimmt?“ Wieder wartete er keine Antwort ab, obwohl er sie auf einigen Gesichtern lesen konnte. „Niemand! Niemand kämpft dafür, das zu verhindern. Die Admiralität nicht und der Kaiser nicht. Aber es gäbe eine Möglichkeit, das zu ändern und das Imperium sicherer zu machen für Sie, die treuen Bürger. Wählen Sie mich – erst zu Ihrem Senator und dann zu Ihrem Kaiser. Wählen Sie mich – und ich werde Ihre Sicherheit garantieren!“

Tanju sah ihren Kandidaten an.

„Du glaubst, die Entarr stellen eine Gefahr dar?“

„Das tun sie.“

„Für uns?“

„Nicht hier auf den Zentralplaneten, nein.“

„Dann lügst du…“

„Nein“, widersprach er und grinste breit, „das ist ja das Schöne daran. Es ist noch nichtmal eine Lüge. Die Gefahr ist da. Oder sie könnte da sein. Wenn die Entarr es wollten.“

„Vielleicht kommen sie erst durch dich auf die Idee.“

„Ach“, winkte er ab, „die bekommen doch nicht mit, was wir hier im Zentrum so machen.“

„Meinst du?“

„Nein, da besteht keine Gefahr. Also wirklich nicht. So gut sind die diplomatischen Beziehungen nicht und die interessieren sich nicht für das, was wir hier tun.“ Ein schelmischer Zug erschien auf seinem Gesicht. „Obwohl…“

„Obwohl was?“

„Ach nichts, mir kam da nur ein Gedanke.“ Aber das Schelmische blieb. Ein Gedanke, den er weiterverfolgen und ausbauen würde. „Mach dir keine Sorgen.“

Ich mache mir keine Sorgen, die da schon“, kläffte Tanju und deutete auf die wartende Menge. Seit Smidt mit den Entarr angefangen, seit er begonnen hatte, eine nicht existierende Gefahr zu schüren, wuchs die Menge der Zuhörer bei jeder ihrer Veranstaltungen. „Im Gegensatz zu mir glauben die dir nämlich. Die denken, dass die Entarr hier jeden Tag mit einer Invasionsflotte ankommen könnten. Also was sagst du denen?“

„Ganz einfach…“

„…dass es einen Weg gibt, die drohende Invasion der Entarr aufzuhalten, ja, glauben Sie mir, im Keim zu ersticken. Wählen Sie mich zu Ihrem Senator und machen Sie mich zum neuen Kaiser und dann werde ich die Untätigkeit des Imperiums stoppen, ich werde das tun, was hier seit Jahren notwendig ist, ich werde handeln! Als Kaiser werde ich die notwendigen Veränderungen einleiten, die unser Imperium schon lange braucht, um für den Schutz seiner Bürger, für Ihren Schutz zu sorgen. Ich kann und ich werde etwas bewirken, wenn Sie mich wählen, und ich werde dafür sorgen, dass die Gefahr durch die Entarr der Vergangenheit angehören wird!“

Es war das, was man einen Erdrutsch genannt hatte, als man sich noch auf der Erde befand. Ein Erdrutschsieg – jedenfalls für imperiale Verhältnisse. Die Wahlbeteiligung war wie üblich sehr gering, die Gründe dafür bekannt. Letztendlich hatte Christos Smidt in seinem neuen Posten als Senator kaum mehr Einfluss, als er es während seines Wahlkampfes gehabt hatte – mit einer Ausnahme. Das war der Grund, warum er diesen Weg überhaupt gegangen war, denn er hatte bei seinen Nachforschungen eine alte Klausel gefunden, eine, die es einem Senator erlaubte, die Wahl des Kaisers in die Wege zu leiten. Die einzig notwendige Grundlage dafür war, dass man Senator war – keine Krisensituation, keine Bedrohung von innen oder außen, keine Vertrauensfrage.

„Eigentlich stimmt das nicht ganz“, meinte Admiral de la Huerta, als er in Smidts Büro Platz genommen hatte. Die Gerüchte über die Pläne, dass die Admiralität den freien Wahlen des Kaisers in Zukunft einen Riegel vorschieben wollte, schienen sich gerade zu bewahrheiten.

„Ach, finden Sie?“ widersprach Christos.

„Ich nehme an, Sie wissen, was genau in den Statuten steht.“

„Oh ja“, lächelte der frischgebackene Senator.

„Möchten Sie es zitieren?“ lächelte der Admiral.

„Nur zu gerne. Dort steht wörtlich: ‚Ein Senator kann die Wahl eines Kaisers einleiten, sollte es die Situation erfordern.’“

„Nicht mehr, nicht weniger.“

„Es braucht aber auch nicht mehr“, grinste nun Smidt siegessicher.

„Sie wissen, wofür diese Passage gedacht ist?“

„Natürlich, um die Wahl eines Kaisers leicht zu machen, ohne dass man gleich den Senat einholen muss.“

„Das ist richtig. Wenn es die Situation erfordert!“

„Ja“, stimmte Christos wieder zu. „Und das tut sie.“

„Nun…“

„Aber, Herr Admiral, wie Sie sehr richtig angedeutet haben, steht dort nichts, dass ein besonderer Zustand des Staates eingetreten sein müsste.“

„Das wird vorausgesetzt.“

„Aber es steht dort nicht“, wiederholte der Senator. „Ich weiß, das soll diese Aktion erleichtern, falls dem Kaiser etwas zustößt oder eine Krisensituation eintritt, in der man schnell und dringend einen neuen Kaiser benötigt.“ Er verschränkte seine Arme vor der Brust. „Aber es ist dort nicht so spezifiziert. Ich kann ja nichts dafür, dass man diesen Absatz so… schlampig formuliert hat.“

Admiral de la Huerta seufzte. „Da haben Sie recht“, gestand er ein. „Sie sind ein pfiffiger junger Mann“, fuhr er dann fort, „warum wollten Sie Ihre Zeit eigentlich mit diesem rein repräsentativen Amt vergeuden, wo Sie doch so viel mehr erreichen könnten.“

„Rein repräsentativ?“

„Natürlich. Wir haben einen Kaiser, weil man sich irgendwann in der Gründerzeit entschlossen hat, die menschliche Planetengemeinschaft statt einer Demokratie ein Imperium zu nennen, schlicht, weil es mehr Bürokratie als Nutzen bringen würde, auf allen Planeten Wahlen abzuhalten, auszuwerten, etc. etc. Und bei einem Völkerbund sieht man gerne einen Ansprechpartner, einen Repräsentanten, welcher bei einem Imperium per definitionem ein Kaiser ist, wenn ich nicht irre.“ Der Admiral hob die Schultern. „Wahre Macht hat er nicht. Bewirken kann er nichts. Er repräsentiert uns, ist eine Galeonsfigur, falls Ihnen der Ausdruck etwas sagt. Ihre Talente, Ihre Wünsche und Ziele wären in diesem Amt verschwendet!“

„Und Sie sagen das nicht nur, um mich davon abzuhalten, gegen den Kaiser anzutreten – weil Sie Angst haben, dass ich ihn in einer Wahl besiegen könnte?“

De la Huerta lächelte leise. „Ich habe Ihnen gerade das Amt beschrieben, auf das Sie sich bewerben – glauben Sie mir, es macht für mich keinen Unterschied, wer es innehat!“

Senator Christos Smidt setzte alles in Bewegung. Es war wichtig, dass er es jetzt direkt tat, direkt nach seiner ersten erfolgreichen Wahl, solange die Wähler ihn noch kannten, das Eisen schmieden, solange es noch heiß war, wie es so schön altmodisch hieß. Er musste ausnutzen, dass man ihn kannte und dass die wenigen Wähler, die er hatte, wussten, wofür er stand und wofür sie wählten.

Doch diesmal ging es um mehr. Diesmal ging es um das ganz große Amt, das Amt, das er seit seiner frühsten Jugend angestrebt hatte. Er konnte kein Risiko eingehen, er hatte nur diese eine Chance, da war er sich sicher. Also musste er nicht nur seine eigenen Wähler dazu motivieren, weiterhin in ihm denjenigen zu sehen, der die Ängste, die er in ihnen geschürt hatte, beseitigen konnte, sondern er musste mehr solcher Leute kreieren, die dann für ihn zur Wahl gehen und den momentanen Kaiser vom Thron stürzen würden. Christos setzte da an, wo er begonnen hatte, bei den Entarr:

„Wer sagt denn, dass sie uns nicht schon angegriffen haben?“ ereiferte er sich von einer Menge vor dem Kaiserpalast, die ausnahmsweise seinetwegen da war und nicht wegen des Würstchenstandes. „Wer sagt denn, dass der Angriff nicht bereits begonnen hat und die Admiralität nichts tut, um ihn abzuwehren? Ja, sicher“, lächelte er wissend, „natürlich kann ich Ihnen viel erzählen und mein Gegner wird sicher sagen, ich solle meine Behauptungen erstmal beweisen – aber wer sagt Ihnen denn, dass ich das nicht kann?“ Er blickte in eine angespannt zurückstarrende Gruppe. „Sie wollen Beweise? Nun, die können Sie haben. Erinnern Sie sich noch, als vor nicht allzu langer Zeit ein Raumschiff auf einen Planeten in der Rio de la Plata Provinz gestürzt ist und sich eine gefährliche Strahlung ausgebreitet hat? Diese Strahlung hat zu Wahnsinn in der Bevölkerung geführt, Wahnsinn und Mord. Noch heute leiden viele dieser Menschen unter den Nachwirkungen dieser Katastrophe. Aber, ich frage Sie, war das ein Unfall? Ja, glauben Sie das wirklich? Nein“, widersprach er sich selbst und ließ dabei keinen Widerspruch des Widerspruchs zu, „das war ein heimtückischer Angriff, ausgeführt von Agenten der Entarr oder den Entarr selbst, die einfach mal sehen wollten, wie sich diese Strahlung auf Menschen auswirkt – und ob unser tapferes Imperium sich ein solches Verhalten bieten lässt. Nun, ich frage Sie, haben wir zurückgeschlagen? Haben wir den Entarr gezeigt, dass wir so nicht mit uns umgehen lassen? Haben wir ihnen Grenzen aufgezeigt? Nein, das haben wir nicht!“

„War das nicht ein Unfall?“ hatte Tanju nach seiner Rede gefragt. „Ein Schiff mit einem neuen, experimentellen Antrieb, das abgestürzt ist.“

„Ja“, hatte Smidt genickt.

„Also warum erzählst du denen…“

„Weil niemand das Gegenteil beweisen kann.“

„Aber es waren keine Entarr daran beteiligt, das steht fest.“

„Wirklich?“

„Ja, Christos, wirklich“, seufzte die junge Frau, die sich einmal mehr fragte, ob sie ihre Zeit nicht vielleicht anderswo besser einsetzen konnte.

„Und was ist… wenn die Entarr Agenten bei uns haben? Sympathisanten, die mit ihnen gemeinsame Sache machen?“

„Glaubst du, so etwas gibt es?“

Ein schmutziges Grinsen erschien auf seinem Gesicht. „Aber natürlich gibt es so etwas! Denn…“

„…die Menschen haben einander schon immer für einen Profit verkauft, also müssen wir uns fragen, gibt es Verräter unter uns, Verräter, die unser schönes Imperium an die Entarr verkaufen? Im Moment scheint sich niemand mit dieser Frage zu beschäftigen, aber ich sage Ihnen, es ist eine große Gefahr – und ich werde alles in meiner Macht stehende tun, um diese Gefahr aufzuspüren und zu beseitigen!“

Seine Reden erreichten mehr und mehr Bürger der Zentralplaneten – und doch war es eine verschwindend kleine Minderheit. Niemand schien die Wahl ernst zu nehmen, niemand schien sich Sorgen zu machen über eine Gefahr, die so weit weg erschien. Doch das sollte sich ändern…

„Sicher“, rief er, „was berührt es uns, wenn die Entarr den Menschen in der Rhein oder der Nil Provinz das Leben schwer machen, liegen diese Provinzen doch am Rande des Imperiums. Ich bin sicher, wenn diese Leute sich an der Wahl zum Kaiser beteiligen dürften, sie würden für Veränderung stimmen, sie würden sich für mehr Sicherheit entscheiden und für eine stärkere Hand des Imperiums in ihrer Region, für eine schützende Hand.“ Smidt nickte verständnisvoll. „Wir hier auf den Zentralplaneten glauben, dass wir sicher sind, und vielleicht haben wir da auch recht. Vielleicht wird der Vormarsch der Entarr so lange dauern, dass wir schon lange verstorben sind, bevor sie auch über unsere wunderschönen Zentralplaneten herfallen. Ich kann das nur für uns alle hoffen. Aber wir dürfen nie vergessen, dass es da noch immer eine versteckte Gefahr gibt, Menschen, Menschen wie Sie und ich, die mit den Entarr gemeinsame Sache machen, aus Profitgier, die ihr Imperium, die uns verraten. Auch von diesen Menschen mag keine große Gefahr ausgehen, noch nicht, aber vielleicht werden gerade sie es sein, die den Vormarsch der Entarr in unser Territorium erleichtern und vielleicht sogar beschleunigen werden? Mit Sicherheit wird das so sein, wenn wir nichts unternehmen, nicht versuchen, herauszufinden, wer diese Menschen sind, die unerkannt unter uns leben. Sie wissen, was mein Gegner gegen sie unternimmt – und Sie wissen, was ich zu tun bereit bin, um mein Imperium, um unser Imperium gegen Gefahren von außen und von innen zu schützen. Ich wünschte, mehr von Ihnen würden sich für einen Weg in eine Zukunft entscheiden, die für jeden von uns mehr Sicherheit bietet-“

Ein Schuss fiel.

Smidt sah überrascht auf.

Dann blickte er auf seine Brust herunter.

Ein roter Fleck breitete sich langsam auf seinem weißen Hemd aus.

Er brach zusammen.

Die Ärzte brauchten mehrere Stunden im Operationssaal, bis sie sicher waren, dass er außer Lebensgefahr war. Das Geschoss hatte alle lebenswichtigen Organe verfehlt, aber der Schaden war trotzdem groß genug, um den Senator für einige Wochen ans Bett zu fesseln. Man versetzte ihn in ein künstliches Koma, während sich um ihn herum die Welt veränderte. Die Wahlen standen vor der Tür und man überlegte, ob man sie absagen sollte, aber Tanju Bounaventura, Smidts Wahlkampfleiterin, bestand darauf, dass sie durchgeführt wurden: „So hätte er das gewollt“, sagte sie. „Gerade in Zeiten wie diesen ist es wichtig, dass wir zeigen, dass wir uns nicht unterkriegen lassen. Gerade dieses Ereignis hat gezeigt, wie wichtig diese Wahl ist!“

Und sie sollte recht behalten. Die Wahlbeteiligung war so hoch wie noch nie seit Gründung des Imperiums. Während Senator Christos T. Smidt im künstlichen Koma lag, gaben Millionen von Bürgern ihre Stimme ab. Der Schütze war bislang nicht gefunden worden, aber man hatte seine Tatwaffe entdeckt. Es war ein Präzisionsgewehr. Und es stammte von den Entarr. Die Wahlbeteiligung stieg noch einmal an, als dies bekannt wurde. Es kam zu einem Erdrutsch – und Christos T. Smidt gewann die Wahl, während er noch immer im Koma lag. Er hatte das erreicht, was er immer erreichen wollte, er war der neue Kaiser – und wusste es noch nicht einmal.

„Was?“ brachte er mühsam heraus, als er aufwachte und in das strahlende Gesicht seiner Wahlkampfleiterin sah.

„Du hast es geschafft!“ flüsterte sie. „Du hast es geschafft!“

Ein Lächeln kletterte auf sein Gesicht, das gleich durch ihm nacheilende Schmerzen wieder heruntergezogen wurde.

„Ha!“ hauchte er nur, aber man konnte ihm die Befriedigung anmerken.

„Die Frage ist, nimmst du die Wahl an?“

Diesmal blieb ihm das Lächeln trotz der damit verbundenen Schmerzen im Gesicht.

Nur wenige Stunden später fand seine Vereidigung statt. Noch im Krankenhaus, in seinem Bett liegend. Der alte Kaiser trat zurück, Christos I. wurde neuer Kaiser des Imperiums. Als der Trubel abgeklungen, Würdenträger, Senatoren und Admiräle sein Krankenzimmer wieder verlassen hatten, lehnte sich Smidt in seinem Bett zurück und seufzte befriedigt.

„Herzlichen Glückwunsch“, lächelte Tanju, „du hast dein Ziel erreicht.“

„Ja“, murmelte der neue Kaiser, „wie ich es mir immer erträumt habe.“

„Das war wirklich gutes Timing.“

„Was meinst du?“

„Das Attentat. Ich weiß nicht, ob du das weißt, aber das hat dir wirklich geholfen. Ohne dieses Attentat glaube ich ehrlich gesagt nicht, dass man dich gewählt hätte. Aber es hat den Leuten die Augen geöffnet, es hat ihnen gezeigt, dass du recht hast und es hat ihnen bewiesen, dass du für das Imperium alles tun und dich sogar dafür opfern würdest.“

„Ja“, nickte er leise.

„Ich hoffe, du wirst etwas tun.“

„Deswegen wollte ich immer Kaiser werden.“

„Ich meine, gegen die Bedrohung.“

„Die was?“

„Die Bedrohung. Durch die Entarr. Und die Verräter, die sich ihnen angeschlossen haben. Ich meine, das Attentat auf dich beweist doch, dass…“

Er begann laut zu lachen.

„Was?“ fragte sie.

„Oh, ich denke, du musst dir keine Sorgen machen.“

Tanju sah ihn misstrauisch an.

„Warum?“

„Weil die ‚Bedrohung’ nicht existiert.“

„Aber der Attentäter…“

„War ein alter Schulfreund von mir.“ Der Kaiser lachte wieder. „Ich hab verdammt Glück, dass er so ein guter Schütze ist. Das hätte wirklich schief gehen können.“

„Du meinst, das Attentat…“

„Es hat verdammt weh getan“, stöhnte er, „also sag nicht, ich würde die ganze Sache zu leicht nehmen.“

„Und dein Freund?“

„Hat sich eine Waffe von den Entarr besorgt und ist anschließend abgehauen. Oh, ich hoffe wirklich, die haben meinen Wahlkampf nicht verfolgt, sonst könnte ich da wirklich ein paar Konflikte heraufbeschworen haben, die ich gerne vermeiden würde.“

Die Wahlkampfleiterin sah ihn noch immer fassungslos an.

„Ich glaube es einfach nicht“, murmelte sie.

„Früher nannte man das Hingabe.“

„Früher nannte man das illegal. Und unmoralisch. Und gefährlich!“

„Das ist es immer noch. Alle drei Dinge.“ Kaiser Christos I. hustete. „Aber es war ein voller Erfolg, oder? Zum ersten Mal hat die Bürger die Wahl wieder interessiert. Und habe ich nicht haushoch gewonnen?“

„Ja, das hast du.“

„Na also“, lachte er, „dann hat es seinen Sinn doch erfüllt.“ Er klatschte in die Hände. „Und jetzt werde ich es diesen Leuten zeigen. Ich werde der ganzen Galaxie beweisen, dass der Kaiser doch etwas verändern, dass er etwas bewirken kann. Dass es kein bedeutungsloses Amt ist…“ Er begann zu husten. „…und dass man…“ Sein Husten wurde stärker. Blut kam aus seinem Mund. Voller Panik rief Tanju die Ärzte. Drei Stunden lang operierten sie den frischgebackenen Kaiser, dann mussten sie zu ihrem Bedauern seinen Tod feststellen. Der Schütze war offensichtlich erfolgreicher gewesen, als sie angenommen hatten.

Um ihn in seinem Mut und seiner Aufopferung für das Imperium zu ehren, ließ man den gerade gewählten Kaiser im Amt, ohne einen neuen Kaiser zu bestimmen. Und er bewies all denen, die ihm stets widersprochen hatten, dass er recht gehabt hatte. Die Amtsperiode von Kaiser Christos I. sollte 52 Jahre lang andauern und in den Geschichtsbüchern sollte er als einer der erfolgreichsten, gütigsten, warmherzigsten, diplomatischsten und ehrlichsten Kaiser mit einer der friedlichsten Amtszeiten geführt werden, die das Imperium je erlebt hatte…

Abseits des Imperiums

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