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Gottes Planet
ОглавлениеWenn man über das Imperium spricht, wird immer wieder gesagt, dass es in ihm keine Religionen mehr gab, scheinbar, weil diese den Weg zu den Sternen nicht mitgemacht hatten, doch das entspricht nicht ganz der Wahrheit. Richtig ist, dass Religion im Imperium keine große Rolle mehr spielte, aber auch das war nicht von Anfang an so. Als man neue Welten besiedelte, spielte man mit dem Gedanken einer „Religionsfreiheit“, doch die Erfahrung auf der Erde hatte gezeigt, dass eine solche nicht ganz so frei und gut war, wie der Begriff es vermuten ließ. Genau genommen verleitete sie die Vertreter von Religion dazu, ihre Religion nicht nur auszuüben, sondern auch andere damit zu behelligen, was die Vertreter anderer Religionen wiederum dazu veranlasste, das gleiche zu tun. So wurde das, was als Freiheit gedacht war, schnell zur Unfreiheit, zum Zwang und zur Unterdrückung. Mit wenigen Ausnahmen hatte man die Erde verlassen, gerade weil man sich von Religionen trennen wollte, doch auch mit diesen Ausnahmen musste man irgendwie umgehen.
So entschied man sich für eine „Religionstoleranz“, was soviel bedeutete wie: Man durfte, wenn man es denn wollte, glauben, an was man wollte, seine Religion haben – aber man durfte niemanden damit behelligen. Religion sollte eine rein persönliche Angelegenheit sein, eine Freiheit, die jeder ganz nach Gusto ausleben durfte, aber ohne damit irgendjemand anderem zu nahe zu treten – und das galt auch für Lebenspartner, Nachwachs und Verwandtschaft aller Art. Es stellte sich schnell heraus, dass die Vertreter von Religionen so nicht arbeiteten und die verbliebenen schon gar nicht und so fand man einen schönen, abgelegenen Planeten, auf dem man allen „streng Gläubigen“ nahe legte, sich niederzulassen. Was geschah – und so fanden sich alle Religionen, die es von der Erde doch in den Weltraum geschafft hatten, auf einer einzigen Welt wieder.
Die meisten davon waren alteingesessene Religionen, die, die es auf der Erde schon seit Jahrtausenden gegeben hatten. Viele Religionen waren schon lange vor dem großen Exodus ausgestorben. Die Ägyptischen Götter gerieten ebenso in Vergessenheit wie die Römischen, die Griechischen und die Nordischen. Der nicht ganz ernst gemeinte Vorschlag, ihnen auf dem „Planeten der Galaktischen Religionen“ (so die Imperiumsinterne Bezeichnung für diesen Ort) eine Art Ahnenhalle zu errichten, in der ein Denkmal für all die Religionen gesetzt werden sollte, die es nicht geschafft hatten, wurde mit Abscheu abgewiesen. Auch im Bereich des Glaubens galt offensichtlich Darwins Satz vom Überleben des Stärkeren – was besonders ironisch war, da einige Religionsvertreter die Evolutionstheorie auch nach der Auswanderung in den Weltraum noch immer strikt ablehnten. Aber, so sagten sie, wenn es eine Religion nichtmal bis zum Exodus der Menschheit geschafft hatte, dann brauchte man ihr nicht nur keine Träne nachzuweinen, sondern ihr auch erst recht kein Denk- oder Grabmal zu setzen.
Auf „Gottes Planet“, wie er gerne genannt wurde, ließen sich nun also verschiedene Religionen nieder – oder vielmehr die Vertreter von Religionen, die man bestenfalls als „streng gläubig“ und schlimmstenfalls als „fanatisch“ bezeichnen konnte. Das lag auch daran, dass sie gemäßigte Vertreter ihrer Religionen, die z.B. einfach nur in die Kirche gehen und an Gott glauben wollten, so sehr mit ihren Restriktionen unter Druck setzten, dass die sich dafür entschieden, ihren Glauben lieber für sich auszuüben und den professionellen Glauben den professionellen Religionisten zu überlassen.
Was oft mit einer derart starken Vertretung eines Glaubens oder vielmehr einer Religion einhergeht, ist ein Mangel an Toleranz – was insbesondere in Bezug auf die Christen eine traurige Ironie ist, sollte deren Religion doch eigentlich vor Toleranz strotzen. Jedenfalls, wenn man die Lehren, die man diesem Mann namens Jesus in den Mund gelegt hatte, auch ernst nahm. Und vielleicht umsetzte. Was aber irgendwie nicht geschah. So durfte man also davon ausgehen, dass Toleranz auf „Gottes Planeten“ nicht eben gern gesehen war, was aber kein Problem darstellte, weil es auch eigentlich keine gab. Jedes Grüppchen bekam seine eigene kleine Ansiedlung, weit entfernt von denen der anderen. Da, dadurch bedingt, dass nur die Hardliner unter den Religionisten hierher kamen, die Gruppen relativ klein waren, verteilten sie sich schön über den Planeten und hätten sich niemals in die Quere kommen müssen… aber dadurch, dass es nur die fanatischeren Gläubigen gab, entstanden auch kleinere Probleme. Streng genommen waren bei drei Gruppen die Aussichten auf ein längeres Überleben der Religion mehr als zweifelhaft.
Das Christentum war schon seit Ewigkeiten aufgespalten in verschiedene Unterarten. Für eine davon stand aber scheinbar ein nahes Ende bevor, mangels Nachwuchs, wie man so schön sagte. Nicht, dass es nicht genügend Priester gegeben hätte, aber den katholischen Pfarrern war die Ehe untersagt – und in der Geschichte hatte es so manchen gegeben, der sich an Messdienern vergriffen hatte. Das war einer der Punkte gewesen, wo die Toleranz des Christentums zum Tragen kam, auf eine sehr merkwürdige Art. Während man Mitgliedern der Kirche, die sich hatten scheiden lassen, nicht erlaubte, wieder zu heiraten, schien das Sich vergreifen an Kindern keinerlei Konsequenzen zu haben. Bestenfalls die Versetzung in eine andere Gemeinde, auf jeden Fall das Kehren unter den Teppich. Ließ sich ein Priester mit einer Frau ein, hatte das Konsequenzen – ließ er sich mit einem Kind ein, und, viel schlimmer, dabei auch noch erwischen, hatte das trotzdem keine. Jedenfalls keine ernstzunehmenden. Eine normale Kirche hatte Moral, die katholische Kirche hatte sogar Doppelmoral. Leider hatten es auch von Vertretern dieser Kategorie einige in den Weltraum geschafft – ein halbherziger Versuch der Kirche, sich von diesen Leuten zu trennen und ihre Hände reinzuwaschen, wie manche annahmen.
Das Imperium schlug vor, eine weitere Abspaltung innerhalb des Katholizismus vorzunehmen, in die Katholiken und in die „Kirche der Heiligen Pädophilie“. Der Vorschlag wurde mit Freude aufgenommen, da man nach der Zerstörung der Erde außer Gott selbst niemanden mehr über sich hatte. Nicht bedacht worden war allerdings, dass ein solcher Name kaum Gläubige anziehen würde – und so lebte die „Kirche der Pädophilie“ in einem kleinen Dorf, das nur aus erwachsenen Männern bestand. Ihr Ende war absehbar – genauso wie das der Moslems.
Nachdem sich herauskristallisiert hatte, welche Art von Gläubigen sich auf der neuen Welt niederlassen würde, grub man für die Vertreter der Moslems den alten, in Vergessenheit geratenen Begriff „Islamisten“ wieder aus, die eine fanatische Unterabteilung dieser Glaubensrichtung gewesen waren – also genau die Leute, für die man diese Welt geschaffen hatte. Das veranlasste die wenigen Frauen, die noch den muslimischen Glauben teilten, einmal in sich zu gehen und zu überlegen, ob sie mit dem Frauenbild dieser Leute einverstanden waren. Sie waren es nicht und so war das muslimische Dorf ebenfalls komplett männlich.
Letzter im Bund der Problemfälle waren die Juden. Bei denen gab es zwar gleichermaßen Männer wie Frauen, doch schon bald tauchte ein anderes Problem auf.
„Wir sind das auserwählte Volk!“ predigte Rabbi Silberstein vertrauensvoll.
„Und das bedeutet?“ wollte der junge Rabbianwärter Kishon wissen.
„Dass uns alle hassen, weil sie glauben, dass wir uns für was Besseres halten.“
„Es klingt aber auch irgendwie so.“
„Das haben wir uns nicht ausgesucht. Aber wir haben eine Aufgabe.“
„Den Menschen zu erklären, dass wir uns nicht für was Besseres halten?“
„Nein, dafür zu sorgen, dass es immer Juden geben wird.“
„Sehr gut“, nickte der Rabbianwärter, „und wie machen wir das?“
„Indem wir unter uns bleiben.“
„Ihr meint, kein Kartenspielen mit anderen Religionen?“
„Kartenspielen ist in Ordnung, wenn es denn sein muss.“
„Fußball?“
„Das auch. Sportarten aller Art sind in Ordnung.“
„Und was dürfen wir dann nicht?“
„Kinder machen!“
„Bitte?“ fuhr der junge Kishon auf.
„Oder vielmehr heiraten. Ein Jude darf nur eine Jüdin heiraten und eine Jüdin nur einen Juden“, erklärte der alte Rabbi. „So bleiben wir immer Juden. Eine Heirat mit einer Person einer anderen Glaubensrichtung ist nicht möglich.“
„Was?“ schrie Kishon ungläubig. „Das ist ja wohl…“
„Was, Kishon?“
„Ich meine... findet ihr es richtig, dass wir uns ausgerechnet solche Vorbilder suchen?“
„Häh?“ stutzte Rabbi Silberstein. „Was für Vorbilder?“
„Na, das ist doch genau das, was die Nazis gemacht haben, wenn ich die Geschichte richtig verstehe. Sollten wir uns die wirklich zu Vorbildern nehmen? Ich meine, sollten wir ausgerechnet den Nazis so etwas nachmachen?“
„Häh?“
„Na diese Rassentrennungssache, dass wir nur untereinander, um das Volk rein zu halten – das ist doch bei den Nazis geklaut!“
„Die Nazis haben das bei uns geklaut!“
„Wirklich?“
„Ja, wir haben das zuerst gemacht!“
„Aber alle fanden die Idee doof und verkehrt, als die Nazis das gemacht haben, oder?“
Der alte Rabbi setzte zu etwas an, doch Kishon fuhr, in Rage gebracht, fort:
„Also sieht man mal davon ab, dass das irgendwie total merkwürdig klingt, wenn wir so was nazimäßiges machen, ich meine, schon mal was von der Schwächung des Genpools gehört?“
„Des was?“
„Hey, Verleugnung der Evolution bin ich von Christen gewöhnt, aber von Juden? Ja, Schwächung des Genpools. Das ist das, was dem Adel auf der Erde die Debilität beschert hat. Und das ist kein sooo tolles Geschenk! Wenn wir uns alle nur untereinander paaren, und wir sind nicht so viele hier, Rabbi Silberstein, dann muss die Tochter meiner Schwester mit meinem Sohn eine Ehe eingehen und bei deren Kindern müssten schon Bruder und Schwester einander heiraten und das heißt, dass wir uns in ein paar Generationen vor Erbkrankheiten und Debilität nicht mehr retten können.“
„Und sind das nicht die besten Grundlagen für Religion und einen starken Glauben?“ schrie der alte Rabbi.
Der junge Rabbianwärter stimmte ihm zu und verließ die Ansiedlung noch vor dem Morgengrauen.
Zu den althergebrachten Religionen hatten sich ein paar neuere dazugesellt. Eine der umstritteneren waren die Atheisten. Irgendwie war man der Ansicht, dass es bei diesem Planeten darum ging, an etwas zu glauben, während sie ja quasi an nichts glaubten, zumindest nicht an Gott und um das zu tun brauche man ja keinen besonderen Planeten, das könne man ja überall tun. Unnötig zu erwähnen, dass diese intolerante Haltung besonders von den toleranten Christen vertreten wurde, also von denen, die sich nicht der „Kirche der Pädophilie“ angeschlossen hatten. Eine „Kirche des Atheismus“ erschien allen irgendwie widersinnig, aber andererseits zeigte das ja nichts anderes, als dass es auch bei Atheisten Fanatisten gab, und wenn die ihren Nichtglauben als einen Glauben ausleben wollten, dann war dies in der Tat der Ort, um genau das zu tun.
Leichter hatte es die „Church of Big Brother“, zumindest, was die Anerkennung anging. Es war eine Religion, die von grundauf absurd und an den Haaren herbeigezogen klang, also genau wie die anderen Religionen auch. Auch die CoBB-Anhänger sollten unter sich bleiben, aber das hatte eine andere Bewandtnis. Denn ihre Kirche war nicht gegründet auf der Unterhaltungsveranstaltung „Big Brother“ sondern auf dem Modell der staatlichen Überwachung, wie es George Orwell in seinem „1984“ beschrieben (und wie es ohne rechtliche Genehmigung des Autors mehr oder weniger von der Regierung der DDR umgesetzt) worden war. Man überwachte sich gegenseitig, aber man hatte noch etwas anderes übernommen: Neusprech. Oder vielmehr eine noch perfektioniertere Variante der vereinfachten Sprache, Neuneusprech (für einige Fanatiker: Doppelplusneusprech). Das führte dazu, dass sich alle Big Brotherianer in einfachster und kürzester Form mit einem sehr spärlichen Vokabular verständigen konnten – und dass niemand sonst sie verstand…
„Hallo, ich bin Rabbianwärter Kishon.“
„Hallo.“
„Schönes Wetter heute, oder?“
„Ja.“
„Wissen Sie zufällig, wie ich zum Raumhafen komme?“
„Ja.“
„Könnten… Sie es mir sagen?“
„Ja. Straße. Abbiegen. Dreimal. Terminal.“
„Das… danke.“
Offensichtlich hatte man es so weit getrieben, dass man sich lediglich in Einwortsätzen unterhalten konnte.
„Tag.“
„Tag.“
„Wetter?“
„Sonne.“
„Gut.“
„Doppelplusgut.“
„Zustimmung.“
„Familie?“
„Wohlauf.“
„Tochter?“
„Schwanger!“
„Von?“
„Nachbar.“
„Dreckskerl.“
„Zustimmung.“
„Heirat?“
„Bald.“
„Einladung?“
„Kommt.“
„Danke.“
„Bitte.“
„Oh.“
„Was?“
„Regen.“
„Mist.“
„Ja.“
„Wiedersehen.“
„Wiedersehen.“
Selbst Mannschinen brachten kompliziertere Satzstrukturen zustande. Die Idee, die Wege der Big Brotherianer für die Programmierung von Maschinen zu nutzen, kam leider zu spät. Einer der Vorteile war allerdings, dass sie auf diese Weise nicht in der Lage waren, andere religiöse Lager zu missionieren.
Erste Rückschläge, wenn man es so nennen wollte, traten auf, als die Kirche des Atheismus ihre erste „Messe“ veranstalten wollte. Man hatte viel Zeit und Mittel investiert, um ein Prachthaus zu schaffen, in dem man der Tatsache huldigte, dass man das alles selbst geschaffen hatte und nicht irgendein Schöpfer, den man anbeten sollte.
„Das heißt, wir feiern uns damit selbst?“ warf ein Ungläubiger ungläubig ein.
„Äh…“
„Und wir haben per Definitionem auch keinen Priester, da wir nicht beten.“
„Äh…“
„Also haben wir uns eine Kathedrale gebaut, einen Ort, an dem für gewöhnlich gebetet wird, um darin nicht zu beten, richtig?“
„Äh…“
„Aber das Ding ist als Versammlungsort angedacht, das bedeutet, wir treffen uns da alle, um gemeinsam nicht zu beten und nicht an etwas zu glauben.“
„Äh…“
„Singen wir dabei Lieder? Sprechen wir ungläubige Verse? Nehmen wir eine gemeinsame Mahlzeit ein? Tun wir irgendetwas, das uns in unserem Nichtglauben Gemeinsamkeit verleiht? Nichtglauben wir zusammen?“
„Äh…“
„Und wenn, wie unterscheidet uns das dann zum Beispiel von den Christen? Ist das dann nicht genau das Gleiche, nur eben ohne einen Gott? Starren wir die Wand an? Haben wir ein Symbol unserer Ungläubigkeit? Ja, gehen wir so weit, in unserer Ungläubigkeit quasi unsere Ungläubigkeit anzubeten…“
„Äh…“
„…und widerspricht diese Anbetung nicht komplett dem, was wir glauben, nämlich, dass wir nicht glauben und ist Anbetung von etwas nicht zwangsläufig das Gegenteil der Ungläubigkeit, die wir durch unseren Atheismus eigentlich vertreten?“
„Willst du damit sagen, dass das, was wir hier tun, völlig widersinnig ist?“
„Oh, nein, ich stelle nur Fragen… aber jetzt, wo du es sagst!“
Noch bevor der junge Rabbi Kishon den Planeten verlassen konnte, hatte sich bereits die komplette Kirche des Atheismus von dort aus dem Staub gemacht und lebte ihren Unglauben ungestört und friedlich auf verschiedenen Welten des Imperiums.
Schwer hatten es auch die Hinduisten. Ihr heiliges Tier war die Kuh, aber beim Verlassen der Erde hatte man nicht allzu viele lebendige Tiere mitnehmen können. Kühe waren zu Beginn des Imperiums ein seltenes Gut und man würde Jahrzehnte brauchen, bis man auf den wenigen Welten, auf die man sie mitgebracht hatte, einen Bestand gezüchtet hatte, der groß genug war, dass man sie auch exportieren konnte. Man klonte eine Kuh, die man den Hindus auf „Gottes Planet“ zur Verfügung stellte, doch die vertrug sich mit der Vegetation des Planeten nicht und war schon nach wenigen Monaten tot. Es kam zu einer Auseinandersetzung, als eine christliche Fraktion, die die Evolution ablehnte, aber auf ein Recht an Waffen glaubte, die sterblichen Überreste zu einem Barbeque verarbeiten wollte. Einige der Hindus starben, was zu einer interessanten Diskussion unter den Fraktionisten, die sich „Christliche Waffenträger“ nannten, führte. Die Frage, die durch diesen Vorfall aufgekommen war, war nämlich folgende:
„Verstößt Kannibalismus gegen unseren Glauben?“ fragte der Oberste Waffenprediger, während sie noch über den Leichen der Kuh (und der Hindus) knieten.
„Was?“
„Ich frage euch, meine Brüder“, hob der Waffenprediger an, „ist es Unrecht, einen anderen Menschen zu essen?“
„Nun, äh…“
„Steht in unserer Heiligen Schrift ‚du sollst keine Menschen essen’, frage ich euch?“
„Im Waffenkatalog?“
„In der Bibel“, zischte der Waffenprediger, „im Waffenkatalog steht es ganz sicher nicht!“ Er musste es wissen, er hatte die revidierte Ausgabe verfasst. Derzeit arbeitete er an einem Werk, das ihr Standardwerk werden sollte, ein Heiliges Buch, das Bibel und Waffenkatalog miteinander in Einklang brachte, sie miteinander verband und daraus die Grundlage für ihre, die einzig wahre Glaubensrichtung schaffen würde. „Die Waffen Gottes“ würde er sie nennen, wenn das Werk erst einmal vollendet war – und er würde allen, die es wissen wollten, beweisen, dass der Name gerechtfertigt war!
„Du sollst nicht begehren deines Nächsten Weib“, zitierte einer, der dazu neigte, sich mit den Frauen von anderen einzulassen, „aber von ‚du sollst nicht essen deines Nächsten Weib’ steht nichts in der Bibel.“
„Ganz recht, meine Brüder, unser Heiland hat uns immer den rechten Weg gewiesen und wenn er der Ansicht gewesen wäre, wir dürften unsergleichen nicht verspeisen, wenn es die Situation erfordert, dann hätte er das schriftlich festgehalten. Doch ich sehe davon nichts in den Zehn Geboten und ihr, meine Brüder, seht es offensichtlich auch nicht.“
„Und was… wie…?“
„Nun“, der Waffenprediger lächelte, „die Zeichen könnten klarer nicht sein. Gott weiß, wovon wir uns ernähren.“
„Von Kühen.“
„Ja. Und er hat uns auf diesen Planeten geführt, damit wir ihn verehren. Aber hat er uns Kühe hierher gebracht?“
„Nein.“
„Und wisst ihr auch, warum er das nicht tat?“
Gespanntes Schweigen.
„Weil er es nicht nötig hat. Er hat uns nur diese eine Kuh geschickt, als Zeichen, als Zeichen, damit wir wissen, was zu tun ist.“
Noch immer schien man seinen Gedankengängen nicht ganz folgen zu können.
„Nun, meine Brüder, es gibt hier keine Kühe. Aber es gibt diejenigen, die Kühe verehren!“
„Die Hindus“, flüsterte jemand.
„Ganz genau. Liebt Gott diese Hindus genauso, wie er uns liebt? Nein, denn sie verehren nicht ihn, sondern die Kuh. Wir essen die Kuh. Wenn es aber keine Kühe gibt, dann essen wir eben die, die die Kuh verehren!“
Das klang einleuchtend und irgendwie war es sogar mehr als logisch, denn es zeigte ja irgendwie, dass diese Leute den Kühen nahe standen, quasi das Nächstbeste waren.
„Aber…“ wollte jemand einwenden, doch der Waffenprediger hob seine Waffe und rief:
„Dies ist mein Leib, den ich für euch gegeben habe!“ Er blickte von einem zum anderen. „Wie oft haben wir diese Worte gehört? Wie oft hat man uns deswegen verspottet? Dies ist mein Blut, das für euch und für alle vergossen wird. Es ist ein Zeichen! Oh, erst jetzt werden meine Augen geöffnet. Dabei war es so offensichtlich, die ganze Zeit. Der Heiland hat uns schon von Anfang an gezeigt, was wir tun sollen. Wir haben sein Blut getrunken, wir haben seinen Leib gegessen – er hat uns, ohne dass uns dies bisher bewusst war, gelehrt, dass es recht ist und christlich, Menschen zu essen. All das ergibt nun einen Sinn. Wir haben es nur nicht verstanden, doch jetzt, wo wir in der Wüste stehen, ohne Nahrung, jetzt ist klar, was damit all die Jahre gemeint war. Es ist unser Weg, der Weg Jesu!“
Das führte zu einer starken Wendung in Glauben und Lebensweise der „Christlichen Waffenträger“ – und zum frühzeitigen Aussterben des Hinduismus auf dem kleinen Planeten. Im wahrsten Sinne des Wortes. Einmal mehr hatte das Christentum einen anderen Glauben verschlungen.
Als die Buddhisten davon erfuhren, waren sie ziemlich sicher, dass sie die nächsten sein würden. Sie hatten sich in der protzigen aber leer stehenden Kirche des Atheismus eingerichtet und hatten ihren Glauben lang und ausgiebig überdacht. Bereits vor dem Verlassen der Erde waren Neuerungen in ihn eingeflossen, besonders, durch die vielen Medien bewirkt, die nach und nach zu kleineren Veränderungen geführt hatten. Nun waren sie gewillt, ihre Religion zu erweitern und hatten ihrer Lehre eine neue hinzugefügt, eine Art Prüfung: andere Glaubensrichtungen zu akzeptieren. Es war eine anstrengende Prüfung, die viel Geduld und eine hohe Frustrationsschwelle erforderte, eine Prüfung, der nur die strengsten Gläubigen fähig waren. Viele scheiterten daran und sahen dies als Zeichen, dass ihre Wege vielleicht nicht die richtigen waren.
Sie überdachten die althergebrachten Lehren ihrer Religion und kamen zu dem Ergebnis, dass mit dem hinter sich lassen der Erde neue Wege zur Erleuchtung gefunden werden mussten. Schon vor langer Zeit hatte es jene kleineren Richtungsänderungen gegeben, die durch die Medien beeinflusst worden waren, was viele zwar für einen großen Schritt hielten, aber leider in die falsche Richtung. Man versuchte, wie ein Werbefachmann und „Buddhisten-Fan“ einst gesagt hatte, „Buddha ins Boot zu holen“. „Eine gute Religion“, hatte er ihrem damaligen geistigen Führer gesagt, „braucht ein Aushängeschild. Nicht Sie, Sie sind zwar cool in ihrem orangenen Kleidchen, aber eine Religion muss sexy sein, wenn sie auf dem internationalen Markt bestehen will, und da braucht es keinen weltlichen Führer, sondern einen… überweltlichen? Außerweltlichen? Jedenfalls son ganz tollen Typ. Habt ihr da nicht was im Angebot?“
Sie hatten, irgendwie. Und so baute man Buddha wieder zu einer echten Kultfigur auf – mit zweifelhaftem Erfolg. Als neues Ziel auf dem Weg zur Erleuchtung galt es nun, in der revidierten Fassung des Buddhismus, Buddha nachzueifern, aber nicht mehr auf geistige, sondern auf körperliche Weise. Der Einfluss von Sendungen über hilfsbedürftige Models, die offenbar missverstanden worden waren, aber dringend einer Erleuchtung bedurften, vermischt mit der Frustration darüber, dass Menschen durch ihr Verhalten immer wieder zeigten, dass sie nicht bereit waren, die Lehre der Vernunft anzunehmen plus eine allgemeine Zunahme der Oberflächlichkeit führte dann dazu, dass man auf einmal in der rundlichen Form des Buddha das Idealbild fand. Und so strebten sie an, es ihm gleichzutun, und statt ihrem Geist formten sie nun ihren Körper nach seinem Vorbild. Das brachte sie dann tatsächlich auf einen neuen Weg. Sie veränderten ihre Glaubensrichtung dahingehend, dass einer der stärksten Wege zur Erkenntnis darin bestand, sie in sich aufzunehmen – und zwar durch Essen. Große Gaumenfreuden, fanden sie, waren der beste Weg, Erkenntnis zu erlangen und ein Ebenbild Buddhas zu werden und sie wollten den Menschen dabei helfen, es ihnen gleich zu tun, und das, ohne dass sie sich gegen diese Erkenntnis wehren würden. Im Gegenteil, sie würden sie preisen und sich an ihr ergötzen, so, wie sie sich an ihr ergötzten. Sie verließen den Planeten und gründeten Restaurants mit den SinnFinnBinnHinn, die sich seitdem großer Beliebtheit erfreuten.
Es dauerte nicht lange, bis die Islamisten feststellten, dass sie ein Problem hatten. Oder, streng genommen, mehrere. Da war die eine Sache, die ihnen dieser junge Rabbianwärter vorgeworfen hatte, als er auf dem Weg zum Raumhafen an ihrem Dorf vorbeigekommen war.
Sie hatten ihn mit einem verächtlichen „Du ungläubiger Jude!“ begrüßt und er war stehen geblieben, hatte geschnuppert und hatte die Nase gerümpft.
„Habt ihr mich gerade einen Ungläubigen genannt?“ hatte er sie gefragt.
„Das haben wir. Und du weißt sicher, was wir mit Ungläubigen machen?“
„Ehrlich gesagt weiß ich das nicht.“
„Wir töten sie!“ war die einhellige Antwort gewesen.
„Weil sie keinen Glauben haben?“
„Oder den falschen.“
„Oder weil sie sich unrein verhalten.“
„Und… ihr fangt mit euch an?“ war es aus dem Mund des Rabbianwärters gekommen.
Das sorgte für aufgebrachte Verwirrung.
„Wie… was soll das denn bedeuten?“
„Nun, ihr seid doch… Moslems, oder?“
„Allerdings.“
„Und doch seid ihr betrunken. Ich dachte, eure Religion verbietet euch Alkohol?! Aber ich habe eure Fahne schon gerochen, lange bevor ich euer Dorf gesehen hatte. Also, ganz ehrlich, wie passt das zusammen? Ihr beschimpft andere der Ungläubigkeit und verletzt dabei die Gesetze eures eigenen Glaubens?! Es gibt ein Wort für so was!“
„Islamisten?“
„Heuchler!“
Mit diesem Wort setzte er seinen Weg fort und die angetrunkenen Islamisten sahen ihm hasserfüllt hinterher. Sie hätten ihn auf der Stelle umbringen wollen, aber dazu stellten sie sich als zu betrunken heraus.
Er hatte sie Heuchler genannt. Mit welchem Recht? Nur, weil sie selbst nicht das einhielten, was sie von anderen verlangten? So war es in der Religion nun mal! Und das hatten sie ganz sicher nicht erfunden. „Wasser predigen und Wein trinken“, das war doch das Motto der Heuchler – und so wie das klang stammte es doch wohl eher aus dem Christentum als aus dem Islam.
Aber die Enttarnung als Heuchler war nicht das Einzige, was den Islamisten zu schaffen machte, da war etwas, das stärker an ihnen nagte: das Fehlen von Frauen. Homosexualität, die man als verboten ansah, im Stillen aber doch ausübte – eben genau wie die Sache mit dem Alkohol – war nicht für alle der Weg und so war der eine oder andere mit der Abwesenheit von Frauen sehr unzufrieden. Man hatte sie all die Jahre unterdrückt, ihnen ihre Rechte versagt und sie wie Dreck behandelt, wie konnten die da einfach entscheiden, dass sie so etwas nicht wollten? Aber es gab einen Weg. Und der führte direkt ins Paradies. Und dort waren sie, die Frauen, Jungfrauen, um genau zu sein. Wenn man sie hier auf dem Planeten schon nicht hatte, so wussten gerade die Islamisten, wo man sie sonst finden konnte. Und sie wussten genau, wie man dorthin kam.
Während der junge Kishon aus dem Fenster des Raumschiffs blickte, wurde der Planet unter ihm immer kleiner und kleiner.
Eigentlich wäre es ein angemessenes Ende für diese Geschichte gewesen, wenn ein Meteorit auf dem Planeten eingeschlagen wäre, als kleiner Wink Gottes, dass es ihn noch gab und dass seine Macht auf alle Planeten reichte und nicht nur auf die weit entfernte und lange zerstörte Erde. Doch Gott hatte sich wieder einmal dafür entschieden, nicht einzugreifen und die Menschen machen zu lassen. Und so machten sie – nur, wie üblich, nichts Gutes.
Die „Waffen Gottes“ vereinten die Reste des Christentums. Sie bewiesen dabei einmal mehr, dass „dran glauben“ durchaus zwei Bedeutungen haben konnte. Sie unterteilten die Menschen in zwei Gruppen, die, die ihnen passten und die, die ihnen nicht schmeckten. Diese konvertierten sie zu denen, die ihnen schmeckten – aber auf andere Weise. Denn Jesus hatte es ihnen vorgemacht und endlich hatten sie seine Lehre verstanden – und im wahrsten Sinne des Wortes in sich aufgenommen.
Und genau so würden sie auch die anderen, die falschen Glauben in sich aufnehmen. Missionierung bekam eine neue Richtung, aus „bekehren“ wurde „verspeisen“, denn Liebe ging durch den Magen und der Glaube tat es bei ihnen auch. Die Waffenbrüder Gottes rückten aus, um sich die anderen Glaubensrichtungen einzuverleiben – doch die Islamisten waren inzwischen zu alten „Tugenden“ zurückgekehrt… und die Juden wollten nicht wieder nur die Opfer sein. Als sich ihre Wege kreuzten, boten sich Szenen, die uralte Bilder von Märtyrertoden wie harmlose Partyspielchen aussehen ließen. Als die Religionen aufeinandertrafen, hallte der Schrei
„Unser Gott ist der Beste!“
über das Schlachtfeld. Es sollte in einer Art Unentschieden enden. Einer der Big Brotherianer schaffte es noch, einen Hilferuf abzusetzen, doch der enthielt nur das Wort „Hilfe“ und gab wenig Aufschluss über das, was sich ereignete. Als ein Schiff des Imperiums endlich den Planeten erreichte, fand die Besatzung ihn verwüstet und tot vor. Keiner der Menschen dort hatte überlebt. Das Thema Religion hatte sich damit für das Imperium erledigt.
„Gott sollte euch dafür bestrafen, wie ihr seinen Namen in den Dreck gezogen habt und wie ihr euer unausstehliches Verhalten immer noch mit ihm rechtfertigt“, hatte Kishon mit einem letzten Blick auf „Gottes Planet“ gemurmelt. Dann hatte er sich zurückgelehnt und der attraktiven Gestalt entgegengesehen, die gerade den Gang herunterkam. Sie war irgendwie auf eine exotische Art sexy. Offenbar stammte sie aus dem Volk der KlenN – und sie war garantiert keine Jüdin. Kishon lächelte sie freundlich an und erntete ein Lächeln – und ein sehr gutes Gefühl. Sich von seinem Glauben zu befreien schuf eben oft mehr Freiheiten, als die meisten glaubten!