Читать книгу Abseits des Imperiums - Martin Cordemann - Страница 7

Die einsame Sonne

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„Also, was haben wir da?“ fragte Captain Lee und beugte sich zu dem Bildschirm herunter.

„Das ist… etwas merkwürdig“, meinte der Navigator.

„Sonst hätten Sie mich doch wohl nicht bei meinem verdienten Schlaf gestört, oder?“

„Sie haben geschlafen, Sir?“

„Wie spät ist es, Pispers?“

„Drei Uhr morgens?!“

„Ja, da hab ich geschlafen. Also was ist so wichtig, dass es mitten in der Nacht meine Aufmerksamkeit erfordert?“

Was eine, zugegebenermaßen, recht altertümliche Redewendung war. Zumindest, wenn man sich auf einem Raumschiff befand. Denn um sie herum herrschte eigentlich ewige Nacht und auch die Einhaltung einer Art traditionellen Tag-Nacht-Rhythmusses war im Weltraum nur bedingt sinnvoll. Auf einem Planeten spielte sich das Meiste am Tage ab, das war man so gewöhnt. Aber wenn man mit einem Schiff zwischen den Sternen herumschipperte, dann wurden feste Uhrzeiten schlichterdings unmöglich. Es war… kompliziert.

Was zum Beispiel, wenn man Londons Hauptstadt besuchte?

Dort war es 15 Uhr Ortszeit.

Die Uhrzeit an Bord mochte aber 1 Uhr nachts sein. Dann hatte man schon Probleme mit der Zeitumstellung.

Flog man um 15 Uhr von dort ab mit 1 Uhr Schiffszeit, traf man vielleicht auf Oxford um 4 Uhr in der Nacht ein.

Aber an Bord war es dann 17 Uhr.

Zeit war relativ und sie wurde durch das Herumreisen durch den Raum noch weit relativer. Und Unfälle oder, was jedoch sehr selten vorkam, Angriffe von anderen Schiffen, würden sich auch nicht daran halten, welche Uhrzeit gerade auf dem Schiff herrschte, auf dem sie passierten. Tag und Nacht waren also reine Tradition, für eine Arbeit im Weltraum waren sie aber in der Tat eher hinderlich. Doch der Körper brauchte sie.

„Tut mir leid, Sir.“

„Na macht ja nichts. Also was haben Sie für mich?“

„Eine Sonne.“

„Hab schon mal eine gesehen.“

„Es ist mehr ihre Position als ihre…“

„Farbe?“ versuchte der Captain zu helfen.

„Zum Beispiel.“ Pispers lächelte aufgeregt und deutete auf den Bildschirm. „Sehen Sie, wir sind hier.“ Er gab ein paar Dinge ein und schon entstand auf der Brücke des Schiffes ein schönes Hologramm. Ihr Schiff befand sich am äußersten Rand der Galaxis. Oder vielmehr an einem davon. Die Galaxie war eine Spirale mit vielen Armen und sie hatten einen kleinen Abstecher an den Rand eines dieser Arme gemacht, um herauszufinden, ob es dort irgendetwas Interessantes gab. Bisher waren sie leer ausgegangen, aber das hatte sich möglicherweise gerade geändert. „Und die Sonne ist… hier.“ Der Navigator gab etwas ein und die Ansicht des Spiralarms verkleinerte sich. Sie wurde kleiner und kleiner und dann endlich erschien ein kleiner Punkt, irgendwo im Nichts.

„Was?“ zischte der Captain.

„Die Sonne liegt weit außerhalb unserer Galaxis“, erläuterte Pispers. „Irgendwo in der Leere zwischen den Galaxien.“

Lee starrte das Hologramm fasziniert an.

„Mitten im Nichts?“

„Mitten im Nichts, Sir“, lächelte der Navigator.

„Ist sie Teil unserer Galaxie?“

„Ich glaube nicht, Captain. Ich habe noch zu wenige Daten, um das mit Sicherheit sagen zu können, aber ich würde vermuten, sie ist Teil keiner Galaxie. Sie ist ganz für sich allein und bewegt sich in ihrer eigenen Bahn. Möglich, dass sie mal zu einer der Galaxien gehört hat und im Laufe der Jahrmilliarden abgedriftet ist. Aber im Moment…“

„…ist sie einsam da draußen.“

„Ja, Sir.“

Captain Lee lächelte. Das war tatsächlich eine interessante Entdeckung.

Im Laufe der nächsten Tage versuchte die Besatzung, so viele Informationen über die einsame Sonne zusammenzutragen, wie das von ihrer Position möglich war. Das Ergebnis war ein wenig unzufriedenstellend.

„Also, was haben wir?“

Pispers seufzte enttäuscht.

„Mehr nicht?“

„Nicht viel mehr, Sir“, murmelte er müde. Seit er die Sonne entdeckt hatte, hatte er wenig Zeit mit Schlafen verschwendet. Umso enttäuschter war er, dass sich ihr Wissen sehr in Grenzen hielt. „Die Sonne liegt in der Leere zwischen unserer und ein paar anderen Galaxien. Aber…“

„Aber was, Pispers?“

„Aber das hilft uns auch nicht besonders.“ Der Navigator zuckte die Schultern. „Sehen Sie, wenn sie weiter weg läge, quasi in der Mitte des Leerraums, dann wäre sie ein phantastischer Zwischenstopp. Man könnte dort einen Außenposten errichten und ihn als Sprungbrett in andere Galaxien benutzen.“

„Aber?“

„Von unserer jetzigen Position brauchen wir etwas über zwei Jahre, um die Sonne zu erreichen. Wenn wir mit höchster Geschwindigkeit fliegen.“

Zwei Jahre war eine lange Zeit – aber nicht lang genug, da hatte Pispers recht. Und damit waren nicht Lichtjahre gemeint, sondern ein vielfaches davon. Man war in der Lage, sich mit recht hohen Geschwindigkeiten zu bewegen, die die Lichtgeschwindigkeit vergleichsweise langsam wirken ließen – was sie, in galaktischen Dimensionen, auch war. Entfernungen, die über bestimmte Weiten hinausgingen, gab man daher nicht mehr in Lichtjahren an, sondern man berechnete die Reisezeit bei Höchstgeschwindigkeit, damit man eine ungefähre Vorstellung davon hatte, ob sich die Reise lohnen würde oder nicht. Wenn die Sonne also nur zwei Jahre von ihrer Galaxie entfernt war, brauchten sie immer noch ein paar Jahrzehnte, um die nächstgelegene Galaxie zu erreichen, bestenfalls. Wäre sie zehn Jahre entfernt gewesen, oder 20, dann hätte sie vielleicht einen Wert für sie gehabt. Aber so?

„Ja, da haben Sie recht, von dem Standpunkt ist sie für uns wertlos“, stimmte Lee zu. „Hat sie denn Planeten?“

„Es ist sehr schwierig, auf diese Entfernung Daten zu bekommen. Das, was wir ausgewertet haben, deutet darauf hin, dass es einen Planeten gibt.“

Immerhin etwas.

„Ich arbeite daran, seine Größe und Umlaufbahn zu berechnen.“

„Gut, machen Sie weiter damit.“

„Und dann, Sir? Legen wir es zu den Akten?“

„Oh nein, Pispers, Sie haben eine Sonne entdeckt und die sollte doch wohl nach ihrem Entdecker benannt werden, oder?“

Der Navigator wurde rot.

„Und da es im Moment unsere Aufgabe ist, herauszufinden, ob es hier draußen irgendwas gibt, werden wir der Sonne einen kleinen Besuch abstatten.“

„Was, Sir?“

„Okay, nicht wir direkt, die Admiralität wäre sicher ein bisschen ungehalten, wenn wir uns für vier Jahre vom Dienst verabschieden und einen kleinen Abstecher in die unendlichen Weiten der unendlichen Weiten machen. Aber wir werden eine Sonde da rausschicken. Wenn es wirklich einen Planeten gibt, dann wird irgendjemand wissen wollen, ob man ihn ausbeuten kann.“

Die nächsten Schritte stellten sich als überraschend kompliziert heraus.

„Wir schicken eine Sonde?“

„Dafür sind die Dinger ja da.“

„Wo ist dann das Problem?“

„Wofür die Dinger nicht da sind. Und das sind derart hohe Geschwindigkeiten.“

Eine gewöhnliche Sonde würde weit länger als die zwei Jahre brauchen, die ihr Schiff zu der einsamen Sonne unterwegs wäre. Prinzipiell war das egal, weil sie sich dort eh keine großen Entdeckungen erhofften, aber andererseits wollte man auch wissen, womit man es zu tun hatte und wenn man da mehr als zehn Jahre auf erste Informationen warten musste, war das ein bisschen deprimierend.

„Aber ich habe eine Idee“, lächelte der Captain.

„Und die wäre?“

„Wir… machen es auf die altmodische Methode.“

Sie lebten in einem Zeitalter, in dem vieles altmodisch war, das half also nicht weiter.

„Wissen Sie, was eine Steinschleuder ist? Oder ein Katapult?“

Der Navigator dachte angestrengt nach. „Eigentlich nicht“, sagte er dann, „aber aus meinem Studium weiß ich, was ein Katapultmanöver ist, also… worauf wollen Sie hinaus, Captain?“

Lees Lächeln wurde breiter.

„Wir schieben die Sonde ein wenig an.“

„Wir… was?“

„Sie, mein lieber Pispers, berechnen die genaue Entfernung, Umlaufbahn, alles, was Sie über die einsame Sonne und ihren Planeten haben.“

„Ja, und dann?“

„Dann nutzen wir die Vorteile des Weltraums: Schwerelosigkeit.“ Lees Lächeln wurde breiter. „Auf einem Planeten könnten wir so was nicht machen, aber hier draußen, wo es keinen Luftwiderstand gibt, sollte das eigentlich ganz gut funktionieren. Wir bringen die Föhr auf Kurs, oder vielmehr auf einen Kurs, wo sich die Sonne in etwa zwei Jahren befinden wird. Und wenn ich etwa sage, meine ich exakt! Wir beschleunigen auf Hyper und setzen die Sonde auf Kurs ab…“

„…und die Sonde fliegt mit maximaler Hypergeschwindigkeit zur einsamen Sonne.“ Der Navigator nickte anerkennend. „Da ist nur ein kleines Problem.“

„Und das wäre?“

„Unsere Daten über Umlaufbahn und Gravitation des Systems sind, nun, ein wenig dürftig. Wenn wir selbst hinfliegen würden, wäre das kein Problem, da könnten wir beim Anflug korrigieren. Aber bei der Sonde wird das schwierig. Die hat zwar genügend Treibstoff, um auf der ganzen Strecke Kurskorrekturen vorzunehmen, aber wenn es zu Komplikationen kommt, haben wir bei der Ankunft der Sonde keinen Kontakt. Sie muss das Anflugmanöver also selbst durchführen.“

„Kann man sie darauf programmieren?“

„Wenn nichts Unvorhergesehenes eintrifft, eigentlich schon.“

„Und wann ist noch nie etwas Unvorhergesehenes eingetreten?“

„Eben das ist das Problem!“

Sie brachten die Sonde auf den Weg.

„Wann wird sie da sein?“

„In zwei Jahren vier Monaten und drei Tagen.“

„Wann werden wir ihre Daten empfangen können?“

„Etwa drei Wochen später.“

„Dann berechnen Sie, wann genau das sein wird und geben Sie die Daten an die Admiralität weiter, damit zu dem Zeitpunkt irgendein Schiff hier sein wird, um alles über ‚Pispers’ und ihren Planeten ‚Lee’ zu erfahren.“

„Und was machen wir in der Zeit?“

„Unser Ausflug an den Rand ist erstmal zu Ende, wir wurden zurück nach Rio de la Plata gerufen, um uns da um irgendeine Angelegenheit zu kümmern. Immerhin sind wir das einzige Schiff in der Provinz. Und die einsame Sonne… läuft uns nicht weg.“

Etwas mehr als zwei Jahre später kehrte die IF Föhr an den Rand der Galaxie zurück. In der Rio de la Plata Provinz war es derzeit ruhig und man hatte genug Zeit, einen kleinen Abstecher in die nahegelegenen Außenbereiche zu machen, um die Daten der Sonde aufzufangen. Wenn alles gut lief, wollte man auch Karls Ruhe in der Mekong Provinz einen Besuch abstatten, einen Besuch, der offensichtlich schon lange überfällig war, doch dann kamen die Daten rein und das Ergebnis war ein bisschen…

„Verdammt!“

„Was, Pispers?“

„Etwas… Unvorhergesehenes?!“

„Wie erwartet“, seufzte der Captain. „Was ist es?“

„Die Gravitation scheint sich irgendwie merkwürdig auf die Sonde ausgewirkt zu haben.“

„Inwiefern?“

„Es sieht so aus, als hätte die Sonde beim Anflug eine ganze Menge Kurskorrekturen ausführen müssen.“

„Hat sie das geschafft?“

„Ja“, nickte der Navigator, „das Problem ist nur, dass sie dabei mehr Treibstoff verbraucht hat, als sie zur Verfügung hat. Das Schöne war, dass eine Sonde, ist sie einmal unterwegs, eigentlich kaum noch Treibstoff verbraucht, da sie ja ohne Luftwiderstand weiterfliegen kann. Theoretisch hätte der vorhandene Treibstoff also reichen müssen, um sie am Ziel entsprechend abzubremsen. Nun war sie aber ein bisschen schneller als eine Sonde für gewöhnlich ist und musste ein paar mehr Korrekturen machen als erwartet.“

„Sie ist also am System vorbeigerast?“

„Nein, sie ist auf den Planeten geknallt.“ Pispers deutete auf den Bildschirm, auf dem die aktuellen Daten der Sonde eintrafen, wobei „aktuell“ bedeutete: „drei Wochen alt“. Anhand dieser Informationen hatte der Navigator bereits errechnet, dass die Sonde mit dem Planeten kollidieren würde, noch bevor die entsprechenden Daten bei ihnen angekommen waren. Er sollte recht behalten.

„Tja, schade“, meinte der Captain nur.

„Ich hoffe nur, dass sie bis zum Ende sendet.“

Das tat die kleine Sonde. Man konnte ein paar Daten der Sonne und ein paar über den Planeten erhaschen. Es ermöglichte ihnen, im Computer ein genaues Modell des Sonnensystems zu erstellen, das weit präziser war als das, das auf Pispers Berechnungen beruhte. Über den Planeten waren die Informationen leider ein wenig dürftig. Er hatte eine feste Masse, möglicherweise Gestein, das mit Eisen durchsetzt war, eine dünne Atmosphäre, tiefe Minusgrade, nichts, wo man als Mensch leben konnte oder wollte. Lees Begeisterung darüber, was nach ihm benannt worden war, hielt sich in Grenzen. Sie wollten sich gerade wieder auf den Weg in ihre Provinz machen, als Dr. Sanders, der Biologe, auf die Brücke gestürmt kam.

„Captain“, rief er aufgeregt, „wir haben etwas gefunden!“

Es war nicht viel, aber das musste nichts heißen. Die Daten der Sonde waren nicht gerade umfangreich gewesen.

Der Captain sah den Biologen fragend an.

„Also?“

„Wir haben etwas Biologisches gefunden.“

„Leben?“

„Eine Zivilisation?“ mischte sich Pispers aufgeregt ein.

„Zu wenig Informationen“, sagte Sanders nur und das war seine Antwort auf alle ihre Fragen.

„Sie wissen also nicht, ob es lebt oder tot ist, ob es groß ist oder klein, intelligent oder wild?“

„Nein.“

„Was wissen Sie dann?“

„Dass es da ist.“

„Und das wissen Sie mit Bestimmtheit?“

Der Doktor deutete auf die Daten, die er aus dem Strom der Sonde herausgelesen hatte. Sie besagten exakt das, was er gesagt hatte. Da war etwas Biologisches.

„Könnte es…“

„Es könnte alles sein, Captain“, unterbrach Sanders schnell. „Eine Zivilisation, eine Fauna, vielleicht auch nur Bakterien. Die Daten geben nicht mehr her. Vielleicht ist da mehr und die Biosensoren haben nur einen Hauch davon aufgeschnappt, vielleicht ist dieser Hauch aber auch alles, was da ist. Tatsache ist, dass die Biosensoren etwas aufgeschnappt haben.“

Captain Lee seufzte. Dann wurde ihm etwas bewusst. Er seufzte wieder, aber diesmal anders.

„Captain?“ fragte Pispers besorgt.

„Was, wenn da eine schöne, große, friedliche Zivilisation lebt?“

„Das wäre doch toll!“ meinte der Navigator.

„Ja? Und wie reagiert die wohl darauf, wenn eine unserer Sonden mit hoher Geschwindigkeit auf ihren Planeten knallt?“

„Oh!“

„Das bedeutet, wir könnten eine komplette Zivilisation ausgelöscht haben. Oder sie dazu bringen, einen Krieg gegen uns zu beginnen, nur, um sich für diesen Anschlag zu rächen.“

„Das… wäre…“

„Ja, so sehe ich das auch.“ Der Captain nickte. „Okay, Sanders, versuchen Sie, ob Sie aus den Daten noch irgendwas rausziehen können, das uns weiterhilft.“

Der Biologe schüttelte den Kopf. Mehr Informationen gab es nicht.

„Gut, dann werde ich mich mal mit der Admiralität in Verbindung setzen.“

„Warum?“

„Weil wir ein Schiff da raus schicken müssen. Denn wir sollten herausfinden, ob wir irgendeine fremde Zivilisation ausgelöscht haben!“

Die Admiralität war nicht sonderlich erbaut über die Situation. Weder darüber, dass man ein ganzes Volk vernichtet haben könnte, noch, dass man eine Fregatte aus der Provinz abziehen sollte, in der sie das Imperium vertrat, und das für mindestens vier Jahre.

„Wir haben keinen unermesslichen Vorrat an Schiffen“, hatte Admiral Yilmaz gesagt. „Noch nicht.“ Dann hatte er gelächelt. „Wie Sie vielleicht wissen, hat man vor langer Zeit ein System gefunden, dass man Dol Gulmur genannt hat. Ein Planet, der riesig ist und der, wie sich inzwischen herausgestellt hat, mehr Eisen hat, als wir jemals gesehen haben. Das ganze Sonnensystem ist so. Da muss vor Jahrmilliarden irgendwas schlimmes passiert sein, denn da gibt es ein riesiges Trümmerfeld, das so viel Eisen und Metalle enthält, dass wir davon eine Flotte bauen könnten, die die drei Zentralplaneten umschließen könnte… wenn wir so was wollten.“ Dann hatte er geseufzt. „Aber im Moment ist unsere Flotte recht übersichtlich und da können wir Sie nicht für mehr als vier Jahre entbehren.“

„Sowas hab ich mir schon gedacht“, hatte Lee geantwortet. „Und ich bin mal die Liste unserer Schiffe durchgegangen.“

„Haben Sie dabei was Interessantes gefunden?“

„Die Seepferdchen unter Captain Evanika.“

Der Admiral hatte die Daten aufgerufen.

„Ein Forschungsschiff.“

„Ja. Und eins, das sich mehrmals darüber beklagt hat, das sie mehr Informationen gesammelt haben, als sie jemals auswerten können.“

„Ja, und?“

„Warum geben wir ihnen nicht ein bisschen Zeit für die Auswertung?“

Bevor sich die IF Seepferdchen auf den Weg gemacht hatte, hatte sich Lee mit ihr am Rand der Galaxis getroffen.

„Wollen Sie mich loswerden?“ hatte Captain Evanika gelächelt.

„Aber Claudette, warum sollte ich?“

„Sie meinen also, bei dieser einsamen Sonne besteht keine Gefahr?“

„Das wissen wir nicht, ehrlich gesagt“, hatte er zugegeben. „Wir wissen so gut wie gar nichts. Ich dachte lediglich, Sie und Ihre Besatzung wollten ein bisschen Zeit haben, um all Ihre gesammelten Daten auszuwerten.“

„Vier Jahre?“ Die Kapitänin nickte. „Nein, uns wird unterwegs wohl nicht langweilig werden.“

„Das war der Gedanke dahinter.“

„Keine dumme Idee, Lee.“

„Aber seien Sie vorsichtig, wenn Sie sich dem Planeten nähern.“

„Wegen der Gravitation?“

„Wegen allem. Wir wissen nicht, was Sie da erwartet, und wenn es wirklich eine Zivilisation sein sollte, die uns aus verständlichen Gründen feindlich gesinnt wäre, dann machen Sie kehrt, bevor die Sie auch nur entdeckt haben.“

Evanika nickte. „Wir sind schon vorsichtig.“

„Gut. Und, Claudette… schreiben Sie mal ne Karte!“

Während sich die Föhr wieder auf den Weg in die Rio de la Plata Provinz machte, um dort ihren Patrouillendienst zu versehen, trat die Seepferdchen eine lange Reise an. Seit die Menschheit die Erde verlassen hatte, war man nicht so lange am Stück unterwegs gewesen – und genau wie damals mit einem ungewissen Ziel. Mehr als zwei Jahre pro Weg, das klang wie die Anfänge der menschlichen Raumfahrt, in der man offenbar Ewigkeiten gebraucht hatte, um überhaupt den Nachbarplaneten zu erreichen, in einer Zeit, in der die nächste Sonne ein unerreichbares Ziel war. Die Geschwindigkeiten waren größer, die Reisen kürzer geworden, aber es gab Ausnahmen. Andere Galaxien stellten neue Herausforderungen dar, die noch niemand in Angriff genommen hatte – und vielleicht auch niemals jemand in Angriff nehmen würde. Es gab genug in ihrer eigenen Galaxie, genug zum Leben, genug zu entdecken, also warum sollte man sich auf eine endlos lange Reise in Gebiete begeben, die einem möglicherweise auch keine neuen Informationen brachten?

Man hätte die einsame Sonne einsam sein lassen, wäre die Sonde nicht auf dem Planeten aufgeschlagen. Doch so stand die Möglichkeit im Raum, dass man für eine Katastrophe verantwortlich war – und man wollte die Verantwortung dafür übernehmen. Die Möglichkeit, dass man ein Volk dazu veranlassen sollte, einen Groll gegen die Menschheit oder gar gegen die ganze Galaxie zu hegen, weil man einen Fehler gemacht hatte, wollte man nicht eingehen. Also musste man sich vergewissern.

Wie sich herausstellte, hatte Captain Lee mit seiner Idee voll ins Schwarze getroffen. Die Besatzung der Seepferdchen war es leid, immer nur neue Daten zu sammeln, ohne überhaupt Kenntnisse aus den alten ziehen zu können. Vier Jahre lang waren sie von einem System zum anderen gereist und hatten die Schiffscomputer mit Daten gefüllt, über Planetenbewegungen, Sonnenaktivitäten, Flora und Fauna. Dinge, die ausgewertet werden wollten – und Dinge, die die Wissenschaftler auswerten wollten. Nun endlich hatten sie Gelegenheit dazu. Zwei Jahre Hinflug, in denen ihnen nicht einmal ein Asteroid begegnete. Sie stürzten sich auf die gesammelten Daten… und ehe man sich’s versah, näherten sie sich auch schon der einsamen Sonne.

„Geschwindigkeit langsam absenken“, befahl der Captain. Sie hatten die Daten der Sonde studiert. Es schien hier eine eigenwillige Gravitation zu geben. Zum Glück waren sie darauf vorbereitet. Ihr Anflug an den Planeten gestaltete sich ohne größere Schwierigkeiten. Alle Sensoren liefen auf Hochtouren. Wenn dort eine feindliche Flotte auf sie wartete, würden sie sie frühzeitig entdecken – und von hier verschwinden.

Doch da war nichts. Keine Flotte. Keine Begrüßung. Kein Lebenszeichen.

Vorsichtig näherten sie sich dem Planeten. Unter anderen Umständen hätten sie eine Sonde vorausgesandt, aber das schien bei der Vorgeschichte kein gangbarer Weg. Langsam kamen sie näher. Nichts.

Als sie in den Orbit einschwenkten, hatten sie den Planeten bereits dreimal umrundet. Ihre Sensoren sagten ihnen, dass da etwas mit großer Geschwindigkeit eingeschlagen war. Und, dass es kein Leben gab. Eine tödliche Strahlung hatte sich über den Planeten ausgebreitet. Man entdeckte die Biowerte, die Dr. Sanders gefunden hatte, aber sie zeigten nur an, dass es da etwas Biologisches gegeben hatte. Es waren die Reste von biologischen Substanzen. Und sie waren tot. Und da war noch etwas, das ihre Aufmerksamkeit auf sich zog…

„Was wollen Sie damit sagen?“ fragte Captain Lee seine Kollegin, als sie sich Jahre später am Rand der Galaxie trafen.

„Dieser Planet, den Sie ein wenig selbstherrlich nach sich benannt haben“, antwortete Evanika, „ist ein großer Klumpen Fels, mitten im Nichts.“

„Ja.“

„Und anders als viele andere Himmelskörper weist er keinerlei Krater auf.“

„Weil er so weit ab von allem ist, dass nichts auf ihn gestürzt ist?!“

„Ganz genau“, nickte die Kapitänin. „Wir haben den Einschlagsort der Sonde gefunden. Die hat einen großen Krater hinterlassen.“

„Das stand zu befürchten.“

„Aber, womit wir nicht gerechnet haben, da war noch ein anderer Krater.“

Bitte?“ kam es überrascht von Navigator Pispers, der bei dem Gespräch anwesend sein durfte.

„Wir haben auf dem Planeten genau zwei Krater gefunden“, bestätigte Evanika. „Und die biologischen Reste, die Ihre Sonde gemeldet hat, die befanden sich in dem anderen Krater!“

Es stellte sich heraus, dass der Planet tot war. Es hatte dort nie Leben gegeben. Aber offenbar waren die Menschen nicht die ersten Lebewesen gewesen, die ihn entdeckt hatten. Ein anderes Raumschiff war vor ihnen dort gewesen. Offensichtlich hatte es die gleichen Schwierigkeiten mit der Gravitation gehabt wie die Sonne und offensichtlich war es ebenfalls mit unverminderter Geschwindigkeit auf der Oberfläche aufgeschlagen.

„Es hat einen riesigen Krater hinterlassen. Die biologischen Bestandteile, die die Sonde gefunden hat, sind die Besatzung und die Pflanzen, die das Schiff an Bord hatte.“

Niemand hatte den Aufschlag überlebt.

„Wir haben das, was von dem Wrack noch übrig geblieben ist, mit an Bord genommen. Es hat uns für den Rückweg gut zu tun gegeben.“ Sie lächelte. „Wir haben uns wieder nicht gelangweilt.“

„Haben Sie etwas herausgefunden?“

„Ja“, nickte die Kapitänin, „das haben wir.“

Leider stellte sich das als etwas übertrieben heraus. Tatsächlich hatten sie eher etwas gefunden als herausgefunden.

„Was ist das?“ fragte Lee irgendwo zwischen enttäuscht und irritiert.

„Das ist Keramik.“

„Und das bedeutet?“

„Das wissen wir nicht.“

„Und sonst?“

„Sonst… haben wir nicht viel“, gab seine Kollegin zu. „Das Schiff war zu stark zerstört. Die Leichen waren verbrannt. Keine Möglichkeit, ihre DNA zu untersuchen.“

„Also wissen wir nicht, wer sie waren oder woher sie kamen… oder warum sie überhaupt dort draußen waren?“

„Nein.“

„Konnten Sie wenigstens das Alter bestimmen?“

„Es ist lange her, dass sie dort heruntergekracht sind. Lange vor dem Imperium. Lange, bevor die Menschheit die Erde verlassen hat.“

Das war doch ein gewisser Anhaltspunkt. Lee dachte nach.

„Was war das mit der Keramik?“

„Das ist das einzige, was wir gefunden haben. Das Wrack war voll davon. Sagt Ihnen das was?“

„Nein“, lächelte der Captain, „aber vielleicht kenne ich da jemanden, bei dem das anders ist!“

„Ich begrüße Sie, alter Freund“, begrüßte Botschafter AndaaaNer seine beiden Gäste. „Gleich zwei Kapitäne des Imperiums? Was beschert mir denn diese Ehre? Oder befinden sich unsere Völker im Krieg miteinander und man hat vergessen, mich darüber zu unterrichten?“

„Nein“, lachte Captain Lee, „wir sind hier, weil wir eine Frage für Sie haben… oder ein Rätsel?“

„Das klingt weit angenehmer als Krieg“, meinte der Vierbeiner und bot den beiden Offizieren einen Platz an. AndaaaNer war ein Flegg, eins der ersten fremden Völker, das Kontakt mit den Menschen aufgenommen hatte, nachdem die sich über die Galaxie verstreut hatten. Die Flegg, hatte Lee das Gefühl, schienen ein merkwürdiges Interesse an den Menschen zu haben, aber er hatte nie herausgefunden, warum das so war. Sie waren aufgeschlossen und höflich, in manchen Dingen aber auch ausgesprochen verschlossen. Trotzdem waren die ersten Kontakte mit ihnen überraschend einfach verlaufen, weil sie offenbar ein Übersetzungsgerät entwickelt hatten, das sehr schnell lernte – und das sie den Menschen auch wenig später zur Verfügung stellten. Der Botschafter nickte den beiden zu, ließ sich auf seinen vier Beinen nieder und fragte: „Womit kann ich dienen?“

„Wir haben etwas gefunden“, begann Lee. „Eine Sonne, einen Planeten…“

„…und dann ein Schiffswrack“, ergänzte Evanika.

„Ich gratuliere Ihnen“, lächelte AndaaaNer.

Lee holte ein wenig weiter aus und erklärte ihm die Sache mit der einsamen Sonne. Dann erklärte Evanika die Sache mit dem abgestürzten Schiff.

„Das einzige, was wir bergen konnten, sind ein paar Trümmerteile und eine Menge Keramik“, endete sie und reichte dem Botschafter einen kleinen Beutel, in dem sich Bruchstücke von beidem fanden. AndaaaNer sah sie sich lange an, dann nickte er.

„Ich glaube, ich kann Ihnen da weiterhelfen“, sagte er langsam. „Ich nehme an, diese Bruchstücke sind sehr alt?“

Die Menschen nickten.

„Ich kann nur vermuten, aber ich habe eine Theorie, was sich damals abgespielt haben könnte. Diese Bruchstücke stammen von einem Volk namens Pres/Kavaer. Die waren immer große Künstler im Bereich der Keramik.“

„Was haben die da draußen gewollt?“

„Ich glaube, sie wollten sich verstecken.“

„Vor wem?“

„Nun, meine lieben Menschen, die Galaxis war nicht immer ein so friedlicher Ort wie… sie hoffentlich einmal werden wird“, lächelte er, was bei seinem wildkatzenähnlichen Gesicht ein bisschen merkwürdig wirkte. „Die Pres/Kavaer wurden von einem anderen Volk annektiert. Viele starben, einige flohen. Nicht alle kamen davon. Ich nehme an, eins ihrer Flüchtlingsschiffe hat die einsame Sonne entdeckt, genau wie Sie. Nur, dass die Pres/Kavaer eine stärkere Motivation hatten, dorthin zu fliegen, als Sie. Denn sie brauchten einen Ort, an dem sie der Feind nicht finden würde. Wie sehr müssen sie sich gefreut haben, als sie die einsame Sonne entdeckten? Ich nehme an, sie haben sich auf den Weg dorthin gemacht, damit man sie in Ruhe lässt und damit sie sich dort ungestört ein neues Leben aufbauen konnten. Hat man sie doch noch gefunden?“

„Nein“, widersprach Evanika, „die Gravitation ist in diesem System sehr merkwürdig. Wir nehmen an, sie haben zu Beginn ihrer Reise maximal beschleunigt und haben es an ihrem Ziel nicht geschafft, ihre Geschwindigkeit schnell genug zu verringern.“

„Traurig“, meinte der Botschafter. Er deutete auf die Fundstücke. „Darf ich das behalten?“

„Ja.“

„Danke. Ich werde es dem Botschafter der Pres/Kavaer zukommen lassen. Vielleicht können die anhand dieser Teile herausfinden, um welches Schiff es sich handelt. Vielleicht beantwortet das auch einige ihrer Fragen.“

Als das Shuttle mit den beiden Captains die Atmosphäre verließ und sich langsam auf ihre Schiffe zu bewegte, bemerkte Evanika, dass Lee gedankenverloren aus dem Fenster blickte.

„Worüber denken Sie nach?“

„Über die einsame Sonne.“

„Weil Ihr Name demnächst in allen Sternkarten auftauchen wird?“

„Nein, weil die Idee der Pres/Kavaer vielleicht gar nicht so schlecht war.“

„Finden Sie?“

„Ja. Wenn wir da draußen einen Stützpunkt hätten… dann wäre das doch eine sichere Zufluchtsstätte… falls mal etwas passiert.“

Wie sich herausstellte, sah die Admiralität das ein wenig anders. Der Aufwand war zu groß, der Planet zu weit weg, die Atmosphäre zu feindlich, der Sinn zu gering. Man begrub die Idee unter ein paar Akten, dann im Archiv und dann wusste irgendwann niemand mehr, dass es dort draußen, zwischen den Galaxien, ein kleines System gab. Und so blieb die einsame Sonne für immer einsam.

Abseits des Imperiums

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