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Das linke Experiment
ОглавлениеAuch Bodo Ramelow hat hinzugelernt, genauso wie der Berliner Linke-Stratege Benjamin Hoff, der ihn schon bei den gescheiterten Gesprächen im Jahr 2009 beriet. Deshalb wird die Verhandlungsdelegation diesmal nur mit sorgfältig ausgesuchten Gefolgsleuten besetzt. Die Sondierungen führt eine junge Frau: Susanne Hennig-Wellsow, Mitte 30, frühere Leistungssportlerin und unbelastet von der DDR-Vergangenheit. Sie hatte im Herbst 2013 mit Unterstützung Ramelows den Landesvorsitz der Linken übernommen. Ihr gemeinsames Ziel: die Regierungsmacht.
Entsprechend effizient verlaufen die Gespräche. Die Linke ist rasch zum Schuldbekenntnis als SED-Nachfolgepartei bereit, das SPD und vor allem Grüne vor fünf Jahren vergeblich forderten. Die DDR, konzedieren Hennig-Wellsow und Ramelow, war ein „Unrechtsstaat“.
Währenddessen reden die Sozialdemokraten auch mit der CDU, aber bloß der Form halber und um den Druck auf Linke und Grüne aufrecht zu erhalten. Das gilt umso mehr, da SPD-Landeschef Matschie von Andreas Bausewein abgelöst wird. Der Erfurter Oberbürgermeister war schon 2009 als klarer Befürworter eines Linksbündnisses aufgetreten.
Die CDU macht der SPD den Spurwechsel leicht. Die Partei wirkt wie gelähmt. Alle belauern sich gegenseitig. Obwohl Carius und Voigt die Ministerpräsidentin zum Konflikt mit Mohring drängen, will sie lieber Geschlossenheit demonstrieren und unterstützt die Wiederwahl des Fraktionschefs. Im Gegenzug bringt Voigt Lieberknecht dazu, Carius als neuen Landtagspräsidenten durchzusetzen. Damit soll Mohring, falls man denn in die Opposition muss, ein Gegengewicht bekommen.
Während die CDU mit sich selbst beschäftigt ist, schließen Linke, SPD und Grüne ihre Sondierungsgespräche erfolgreich ab. Danach organisieren die Sozialdemokraten einen Mitgliederentscheid, der Anfang November das gewünschte Ergebnis bringt: Knapp 70 Prozent der Teilnehmer sind für Rot-Rot-Grün. Die Koalitionsgespräche können beginnen.
Doch nun wächst der öffentliche Widerstand. Sogar der Bundespräsident äußert sich. „Ist die Partei, die da den Ministerpräsidenten stellen wird, tatsächlich schon so weit weg von den Vorstellungen, die die SED einst hatte bei der Unterdrückung der Menschen hier, dass wir ihr voll vertrauen können?“12, fragt Joachim Gauck, der sich einst als evangelischer Pastor am DDR-System rieb, rhetorisch in einem Fernsehinterview. Es gebe Teile in der Linkspartei, sagt er, bei denen er wie viele andere auch Probleme habe, dieses Vertrauen zu entwickeln: „Menschen, die die DDR erlebt haben und in meinem Alter sind, die müssen sich schon ganz schön anstrengen, um dies zu akzeptieren.“
Auch auf der Straße formiert sich Protest. Am 9. November, dem 25. Jahrestag des Mauerfalls, versammeln sich 4000 Menschen auf dem Domplatz. Organisiert wird die Demonstration von einem CDU-Mitglied, er ist Vizevorsitzender der Mittelstandsvereinigung der Union im Land13. Viele haben Kerzen mitgebracht, aber es sind auch AfD-Landtagsabgeordnete mit Fackeln zu sehen. „Wer Deutschland nicht liebt, soll Deutschland verlassen!“14, wird gerufen, oder „Bodo raus!“. Unter den Demonstranten ist auch Generalsekretär Voigt. Dass der 9. November ebenso der Jahrestag der Pogromnacht ist, an dem in Erfurt die Synagoge brannte, wird in Kauf genommen. Eine kurze Gedenkminute muss für die Opfer des Naziterrors reichen.
Am 19. November 2014 ist der rot-rot-grüne Koalitionsvertrag beschlussfertig15. Ein letzter Streit um das grüne Umweltministerium, dessen Abteilungen für Landwirtschaft und Forst ins linke Infrastrukturministerium wandern, wird notdürftig befriedet. Dann stellen Linke, SPD und Grüne gemeinsam den Antrag im Landtag: Ramelows Wahl soll am 5. Dezember stattfinden.