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Mohrings Hoffnung

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Doch je stärker sich die AfD radikalisiert, umso isolierter wirkt die zugehörige Fraktion im Thüringer Landtag. Dabei treten die meisten AfD-Abgeordneten habituell bürgerlich auf. Sie sind Ingenieure, Akademiker, Anwälte, Polizisten; einige, wie der Jenaer Maschinenbau-Professor Michael Kaufmann, traten bereits der Partei bei, als es noch gegen die Euro-Politik ging. Andere, wie René Aust, stießen von der SPD hinzu. Allerdings radikalisierten sich viele in Partei und Fraktion, sei es aus Überzeugung, Gruppendruck oder aus karrieretaktischen Überlegungen. Sie tragen Höckes extreme Rhetorik mindestens mit oder pflegen sie – wie Co-Landeschef Stefan Möller – teilweise selbst. Die meisten haben zudem die „Erfurter Resolution“ unterschrieben, gelten somit als Mitglied des „Flügel“.

Von Politikern aus der rot-rot-grünen Koalition werden die AfD-Abgeordneten in der Regel nicht einmal gegrüßt. Die CDU grenzt sich rhetorisch ab, allerdings pflegen einzelne Fraktionsmitglieder ein kollegiales Verhältnis mit AfD-Leuten. Schließlich existieren viele Parallelen, biografisch, politisch, beruflich. Beide Fraktionen bestehen vor allem aus Männern.

Man trifft sich, man telefoniert und man steht zuweilen bei einer Zigarette im Innenhof des Landtagsgebäudes beisammen. Mohrings Vizechef Heym spricht sogar regelmäßig mit Höcke. Die beiden Männer duzen sich, wobei der CDU-Abgeordnete Wert auf die Feststellung legt, dass er dies auch mit Linken tut.

Heyms Chef aber hält deutliche Distanz. Nach der Demütigung auf dem Parteitag in Köln vermeidet Mohring jeden Anschein einer Nähe zur AfD. Er weiß, dass seine Chance auf das Ministerpräsidentenamt daran hängt. Ansonsten verhält sich Mohring möglichst loyal zu Merkel, er übt nur vorsichtig Kritik an der Flüchtlingspolitik. Im Dezember 2016 wird er in Essen zurück in den Bundesvorstand gewählt. „In Thüringen kämpfen wir seit zwei Jahren gegen Rot-Rot-Grün, und ich glaube nicht ganz unerfolgreich“, sagt er dort. „Die letzten drei Umfragen haben gezeigt, diese Koalition hat keine Mehrheit mehr, zuletzt sind 41 Prozent für Rot-Rot-Grün gemessen worden. Wenn jetzt Landtagswahlen wären, wären die ohne Mehrheit. Ein Stück ist es unsere Arbeit der letzten zwei Jahre.“52

Tatsächlich schwächelt Rot-Rot-Grün in Thüringen, und dies nicht nur in den Umfragen. Die geplante Kreisreform implodiert in Zeitlupe. Die Modernisierung der Vergaberechts verzögert sich – genauso wie das erste kostenlose Kindergartenjahr, der Verfassungsschutzumbau, die Einstellung der versprochenen Lehrer oder das ÖPNV-Ticket für die Auszubildenden. Die Linksregierung verwaltet das Land, sie reformiert es nicht. Das Gefühl des Neuanfangs verweht.

Im Sommer bekommt die Koalition ihren ersten Skandal: Dieter Lauinger, der grüne Justizminister, setzte sich persönlich in der Regierung dafür ein, dass sein Sohn eine gesetzlich vorgeschriebene Prüfung nicht ablegen muss. Als die Angelegenheit öffentlich wird, lügt er. Doch obwohl die CDU einen Untersuchungsausschuss erzwingt, der immer neue peinliche Details offenlegt, halten die Grünen an ihrem Minister fest.

Für die Linke kommt ein grundsätzliches Problem hinzu, das bereits 2014 die demoskopischen Wanderungsanalysen zeigten: Viele Protestwähler sind zur AfD weitergezogen. Höcke stellt zunehmend sozialpolitische Forderungen in das Zentrum seiner Initiativen im Landtag und in der Bundespartei.

Aber die Linke hat ja noch Ramelow. Der Mann begeht keine größeren Fehler. Stattdessen volkstümelt er sich durchs kleine Land, geht auf jedes Fest, ist ansprechbar für jeden Unternehmer. Seine Popularität steigt. Im Bundesrat hält er das Versprechen, dass er der Bundesspitze gab: Er kümmert sich nicht um die Parteilinie.

Geradezu demonstrativ unternimmt der Ministerpräsident seine erste Auslandsreise nach Israel, gemeinsam mit Wirtschaftsminister Tiefensee und etwa 40 Unternehmern, Wissenschaftlern und Kulturleuten. Er besucht Tel Aviv, Haifa, Jerusalem, gedenkt in Yad Vashem. In die Palästinensergebiete fährt er nicht. Nach dem Heiligen Land folgt der Heilige Stuhl. Wenige Monate nach der Israel-Reise fliegt der Ministerpräsident nach Rom zur Audienz beim neuen Papst Franziskus. Mit in der Delegation: CDU-Landrat Werner Henning aus dem tiefkatholischen Thüringer Eichsfeld.

Und wie sich zuweilen die Dinge im Leben fügen: Als Ramelow in seinem Hotel „Residenza Paolo VI.“ am Markusplatz absteigt, sitzt schon jemand auf der Terrasse und trinkt mit Kardinal Walter Kasper einen entspannten Espresso: Dieter Althaus.53 Er ist, so wie Henning, Katholik und Eichsfelder, und weilt in Rom auf Einladung der Adenauer-Stiftung, in deren Vorstand er noch sitzt. „Ich hab’ so ein paar Termine“, sagt Althaus betont locker, am Nachmittag sei er gemeinsam mit dem Landrat mit Altpapst Benedikt XVI. verabredet.

Was folgt, ist eine Art Kumpel-Show des Ex-Ministerpräsidenten mit seinem Nachnachfolger für die mitgereisten Journalisten. Sie wirkt beinahe glaubwürdig, auch weil sich die beiden Männer aus den Zeiten, als sie beide Fraktionschefs waren, noch duzen. „Ach!“, ruft Ramelow, diese „ökumenische Eintracht“ des christdemokratischen Katholiken und des linken Protestanten. Kurz darauf läuten die Glocken des Petersdoms.

Für Mohring ist der allumarmende Ramelow nur ein Problem von mehreren. Er schafft es auch nicht, seine Partei hinter sich zu versammeln. Mohring misstraut jedem, der nicht schon immer in absoluter Treue zu ihm stand. Zudem lässt er niemanden neben sich auf die politische Bühne. Dass Carius als Landtagspräsident an Bekanntheit gewinnt, ist für Mohring ärgerlich genug.

Zwischendurch, im Jahr 2015, hatte Althaus zusammen mit Vogel versucht, die Nachfolger zu einen. Sie luden Mohring, Carius, Voigt und Junge-Union-Landeschef Stefan Gruhner in die Gaststätte „Hopfenberg“ in der Nähe des Landtags: Sie sollten sich, bitte und endlich, miteinander vertragen. Wenn die Partei 2019 Ramelow besiegen wolle, müsse sie Geschlossenheit zeigen, sagte Vogel.

Nachdem alle, auch Voigt und Carius, zugestimmt hatten, schilderte Mohring die Verletzungen, die er durch die anderen erfahren habe. Selbst wenn auch er am Ende Kooperation versprach: Er demonstrierte vor allem Misstrauen. Während Althaus enttäuscht über den Mann war, den er förderte und stützte, hegte Vogel Hoffnung, dass sich die Jungen nun irgendwie zusammenraufen würden.

Er irrt sich. Mohring schneidet alles in der Partei noch stärker auf sich zu. Auf den Landesparteitagen dienen die Stellvertreter nur als Komparsen. Der Politische Aschermittwoch, den er in seine Heimatstadt Apolda verlegt, gerät zur Mike-Mohring-Messe. Er lädt Prominente der Union wie den bayerischen Alt-Ministerpräsidenten Edmund Stoiber ein, der 2017 vor mehr als 1000 Menschen in der örtlichen Bierhalle redet. Nach Passau ist es die größte derartige Veranstaltung in der Union.

Noch mehr Menschen kommen zum jährlichen Empfang der Landtagsfraktion in der Erfurter Messe. Jeweils 3000 Funktionäre und einfache Parteimitglieder hören Mohring und dem jeweiligen Stargast zu: Friedrich Merz, Thomas de Maizière, Wolfgang Schäuble – oder Angela Merkel. Die Kanzlerin tritt im Juni 2017 auf, ein Vierteljahr vor der Bundestagswahl. Mohring nutzt die Gelegenheit, sich mit ihr in vertrauter Pose auf einer Bank fotografieren zu lassen. Danach lässt er das Motiv großflächig in Thüringen plakatieren, obwohl er selbst gar nicht für Berlin kandidiert.

Wie sehr Mohring versucht, vom Glanz der Kanzlerin zu profitieren, zeigt sich kurz darauf bei einem gemeinsam Wahlkampfauftritt in Apolda, bei dem er der Kanzlerin einen schwarzen Stoffbeutel überreicht. Darauf ist ein altes Wahlkampffoto der beiden zu sehen, auf dem es so wirkt, als wollten sie sich küssen. Darüber steht in großen, pinkfarbenen Buchstaben: „KISS“. Der Landeschef sagt ins Mikrofon, dass sie damit im „Kadewe“ in Berlin einkaufen könne. Die Kanzlerin lächelt indifferent, faltet den Beutel zusammen, steckt ihn in eine mitgebrachte Tasche und schweigt dazu.54

Der Auftritt in Apolda zeigt aber auch, wie prekär die Lage inzwischen für die Union ist. Um die 800 Anhänger sind gekommen, doch eine Minderheit von etwa 30 Menschen rufen mit aller Kraft „Hau ab!“, „Widerstand!“ und „Heuchler!“ in Richtung Bühne. Das Geschrei vermischt sich mit den Parolen, die etwa ebenso viele Neonazis brüllen, die am Rande des Geländes stehen und von der Polizei bewacht werden.

Bei der Bundestagswahl am 24. September 2017 sind CDU und CSU die großen Verlierer. Sie kommen nur noch auf 32,9 Prozent, das ist ein Verlust von 8,6 Punkten. In Thüringen verliert die CDU sogar zehn Prozentpunkte und steht bei 28,8 Prozent. Die AfD, die mit 12,6 Prozent in den Bundestag einzieht, erreicht im Land 22,7 Prozent.

Einziger Trost für Mohring: Die Linke, die sich im Bund stabilisiert, verliert in Thüringen 6,5 Punkte auf 16,9 Prozent, auch SPD und Grüne büßen ein. Noch erscheint in Fernsicht auf die Landtagswahl in zwei Jahren alles möglich.

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