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KAPITEL 2 ROTES LAND

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Doch nun, mit seiner Wahl am 5. Dezember 2014, hat sich der Linke Bodo Ramelow einen Platz in den Geschichtsbüchern erobert. Er ist der erste linke Ministerpräsident der Bundesrepublik, an der Spitze der ersten rot-rot-grünen Koalition.

Sein Kabinett besteht aus Mitgliedern dreier Parteien und jeweils zur Hälfte aus Männern und Frauen. Ein Drittel der Ministerinnen und Minister stammt ursprünglich aus Westdeutschland, ein Drittel wurde in Sachsen und Berlin angeworben, ein Drittel ist konfessionslos. Finanzministerin Heike Taubert und Innenminister Holger Poppenhäger gehörten schon Lieberknechts Kabinett an. Neu ist Wirtschafts- und Wissenschaftsminister Wolfgang Tiefensee, der frühere Leipziger Oberbürgermeister und Bundesverkehrsminister der SPD, der es mit knapp 60 noch einmal in der Provinz versuchen will – und der fünf Jahre zuvor schon mal als möglicher Thüringer Ministerpräsident gehandelt worden war.

Bei den Grünen hat die bisherige Fraktionschefin Anja Siegesmund das gestutzte Umweltressort übernommen, der Richter Dieter Lauinger führt das um Migration und Verbraucherschutz erweiterte Justizministerium. Für die Linke besetzt die frühere sächsische Landtagsabgeordnete Heike Werner das Sozialressort. Landtagsvizepräsidentin Birgit Klaubert wird Kultusministerin, die Nordhäuser Landrätin Birgit Keller übernimmt das Bau- und Verkehrsministerium, das nun auch für Landwirtschaft und Forst zuständig ist.

Im strategischen Zentrum der Regierung steht Staatskanzleichef Benjamin Immanuel Hoff, der zusätzlich als Minister für Bundesangelegenheiten, Europa und Kultur amtiert. Er gilt als linkes Wunderkind: 1990, da ist er noch Schüler, tritt er in Berlin in den sozialistischen Jugendverband ein und gelangt so in die PDS. Mit 19 wird er erstmals ins Abgeordnetenhaus der Hauptstadt gewählt. Nebenher studiert er Sozialwissenschaften und promoviert30.

Im Jahr 2006, fast parallel zur Gründung der Partei Die Linke, wird Hoff im zweiten rot-roten Berliner Senat Staatssekretär für Gesundheit, Umwelt und Verbraucherschutz. 2009 beruft ihn Ramelow in Thüringen in sein Schattenkabinett. 2011 erlebt Hoff in Berlin mit, wie Rot-Rot nach Fehlentscheidungen und inneren Konflikten die Mehrheit verliert. Inzwischen ist er, der nebenbei eine Honorarprofessur an der Alice-Salomon-Fachhochschule in Berlin übernommen hat, ein überzeugter Realpolitiker. Mit dem Linksaußen-Flügel seiner Partei kann er genauso wenig anfangen wie dieser mit ihm.

Der Staatskanzleichef betrachtet Thüringen als Modellversuch. Sein Ziel ist, frei nach Antonio Gramsci, eine linke Hegemonie in Deutschland. In einem Buch, das er 2014 veröffentlicht, klingt schon im Titel eine alte Doktrin Lenins an: „Die Linke: Partei neuen Typs?“31 Darin entwirft Hoff das Bild einer Organisation, die über eine kulturelle Hoheit in der Gesellschaft zur politischen Herrschaft gelangt. Zugleich distanziert er sich jedoch von den totalitären Tendenzen Gramcis, ja, er kehrt ihn sogar strategisch um.

Es ist die Linke-Vorsitzende Katja Kipping, die Hoff im Vorwort des Buches besorgt fragt: „Du meinst, Rot-Rot-Grün muss nicht von Anfang an als ‚hegemoniales Projekt‘ angelegt sein – als ein Projekt mit dem gemeinsam geteilten Anspruch, grundlegend andere politische Weichenstellungen vorzunehmen.“ Dies sehe sie anders: „So offen die Realisierbarkeit eines solchen Projektes weiterhin ist, so unklar bleibt meines Erachtens, wie ein Politikwechsel auf andere Art und Weise, etwa im Sinne eines ‚business as usual‘, aus der Regierung heraus durchsetzbar sein soll.“32

Doch genau das ist, aus Sicht Hoffs, das Kernziel der Thüringer Koalition. Im Alltag linker Regierungspolitik, aus der Selbstverständlichkeit eines linken Ministerpräsidenten heraus, soll die geistig-moralische Hegemonie erlangt werden. Dies ist auch der strategische Ansatz von Ramelow. Die Linie führt über die „Erfurter Erklärung“ bis zurück zum „Erfurter Programm“ der SPD von 1891. Darin stand: Die Arbeiterklasse könne „den Übergang der Produktionsmittel in den Besitz der Gesamtheit nicht bewirken, ohne in den Besitz der politischen Macht gekommen zu sein“ – dies aber über freie Wahlen sowie den friedlichen Kampf um soziale und gesellschaftliche Rechte.

Am 6. Dezember 2014, einen Tag nach der Wahl, trifft sich Ramelow in Elgersburg mit dem Bundesvorstand der Linken. In dem Dorf am Rande des Thüringer Wald besitzt die Partei eine Immobilie aus KPD-Zeiten, die nun als Hotel dient. Nachdem der Sekt mit Katja Kipping und ihrem Co-Vorsitzenden Bernd Riexinger getrunken ist, sagt er zu ihnen: „Ich bin der Ministerpräsident aller Thüringer.“ Denn er halte es mit Bernhard Vogel: Zuerst komme das Land, dann die Partei, dann die Person. An diese Reihenfolge sollten sie sich gewöhnen.

Ramelows Einschätzung ist realistisch genug. Mit linker Ideologie wird die Koalition weder zusammenhalten noch Wahlen gewinnen. Ohne die „Augenhöhe“ gegenüber den kleineren Partnern von SPD und Grünen, von der Ramelow ohne Unterlass redet, ist die knappe Mehrheit im Landtag gefährdet. Ohne den Nimbus der Überparteilichkeit würde er seine bürgerlichen Wähler verlieren.

Und dann ist natürlich das Ego. Ramelow sieht sich inzwischen selbst als historische Figur. „Meine Wahl besiegelt das Ende der DDR.“33

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