Читать книгу Demokratie unter Schock - Martin Debes - Страница 9
Der Extremist
ОглавлениеDas, was nach dieser Landtagswahl geschieht, festigt die Grundlage für das, was sich fünf Jahre später ereignen wird. Die Risse im Damm gegenüber der äußeren Rechten bilden sich in diesen Monaten. Denn nun sitzt die „Alternative für Deutschland“ im Landtag. Die mikroskopisch kleine Landespartei, die erst ein gutes Jahr besteht und 350 Mitglieder zählt, hat es aus dem Nichts auf 10,6 Prozent der Zweitstimmen und elf Abgeordnete geschafft.
Ihr Landesvorsitzender, der auch die Fraktionsführung übernimmt, ist 42 Jahre alt und heißt Björn Höcke: ein gebürtiger Westfale, der in Rheinland-Pfalz aufwuchs, einst der Jungen Union angehörte, in Hessen Sport und Geschichte studierte und als Oberstudienrat in einer Gesamtschule in Bad Sooden-Allendorf die Gymnasialstufe unterrichtete. Im Jahr 2008 war er nach Thüringen gezogen, hatte im Dorf Bornhagen im thüringischen Eichsfeld das alte Pfarrhaus gekauft. Hier, unterhalb der romantisch-schönen Burg Hanstein, nur wenige Kilometer von der Landesgrenze zu Hessen entfernt, lebt er mit seiner Frau und vier Kindern.
Höcke, der Wahlkampf-Plakate gegen angebliche „Denkverbote“ kleben ließ, präsentiert sich als rechtskonservativer Freigeist. Sein Modell lautet „Heimat, Volk, Familie“, wobei die Familie aus Mann, Frau und mindestens drei Kindern zu bestehen habe. Er gibt sich gebildet, zitiert Hegel und Heidegger und bedient sich altgriechischer Vokabeln. Er sagt, dass das „Volkswohl“ „keine politische Entropie“ (Informationsmangel) vertrage, dass er über „eine Eschatologie“ (Glaube an die Vollendung des Einzelnen und der Dinge) verfüge und dass er sich selbst in seinen Kindern „transzendiere“.
Der Kern der Höckeschen Begriffswelt ist die Identität. Sie sei „die zentrale Frage der Menschheit im 21. Jahrhundert“, der Schlüssel „zu ökonomischen und ökologischen Homöostasen, also ausgleichenden Selbstregulierungen einer Gesellschaft“. Deutsche und Europäer hätten „die Aufgabe, den Wert ihrer Hochkultur wiederzuentdecken“.
Zur Landtagswahl 2014 ist noch nicht öffentlich bekannt, dass Höcke mit dem NPD-Funktionär Thorsten Heise Kontakte pflegt, dass er mutmaßlich in dessen Blättchen Texte publizierte und dass er 2010 an einer Neonazi-Demonstration in Dresden8 teilnahm. Zudem wissen nur wenige, dass er dem Netzwerk der Neuen Rechten angehört, als dessen geistiger Führer Götz Kubitschek gilt.
Doch ob dies die Wähler abgehalten hätte, für die AfD zu stimmen? Der „Thüringen-Monitor“, eine Langzeitstudie, mit der Jenaer Politikwissenschaftler alljährlich die Wahlberechtigten nach ihren Ansichten befragen, schreibt 17 Prozent der Bürger im Jahr 2014 rechtsextremes Gedankengut zu. Diese Menschen haben nun in der AfD eine Partei, der sie ihre Stimme geben können. Und sie haben mit dem Oberstudienrat Höcke jemanden, der das ausformuliert, was sie empfinden.
Fortan wird der Mann eine von drei Landtagsfraktionen der AfD führen. Nur in Brandenburg und Sachsen, wo gleichzeitig oder kurz zuvor Wahlen stattfanden, sitzt die Partei bisher im Parlament. „Von hier und heute beginnt eine neue Epoche in der Parteiengeschichte der Bundesrepublik Deutschland“9, ruft er auf der Wahlparty ins Mikrofon. Die AfD habe einen „vollständigen Sieg“ errungen, sie sei „eine blaue Bewegung“, die das „Vaterland in eine bessere Zukunft führen“10 werde.
Gleichzeitig, auch das ist Höcke, präsentiert er sich kooperativ. „Natürlich gibt es Schnittmengen mit der CDU, gerade in Thüringen.“11 Aber auch bei der linken Programmatik erkenne er Ähnlichkeiten, etwa beim Thema direkter Demokratie.
Natürlich weiß er, dass die Linke niemals mit ihm reden wird und dass der CDU-Bundesvorstand jedwede Gespräche mit der AfD ausgeschlossen hat. Aber er weiß auch, wie knapp die Mehrheiten sind. Nur weil die FDP im Herbst 2014 aus dem Landtag geflogen ist und deshalb ihre Wähler bei der Sitzverteilung nicht zählen, reicht es im Landtag entweder mit einer Stimme für die Fortsetzung der schwarz-roten Koalition – oder, ebenso knapp, für ein rot-rot-grünes Experiment.
Denn: Die Linke unter Ramelow hat sich nochmals leicht auf 28,2 Prozent verbessert. Trotz Verlusten der SPD würde es für ein Bündnis mit ihr und den Grünen reichen. Und diesmal, das ist der Unterschied zum Jahr 2009, erscheint die SPD ernsthaft dazu bereit, einen linken Ministerpräsidenten zu akzeptieren.
Die Mehrheit der sozialdemokratischen Basis hat damit ohnehin seit Langem kein Problem mehr. Aber auch die Bundespartei hat sich 2013 auf ihrem Leipziger Parteitag gegenüber der Linken geöffnet. Hinzu kommt die Ernüchterung der SPD nach fünf Jahren gemeinsamen Regierens unter der CDU. So wie im Bund musste sie erfahren, dass sie als kleinerer Partner der Union in der Regel verliert.