Читать книгу Kapitalismus und politische Moral in der Zwischenkriegszeit oder: Wer war Julius Barmat? - Martin H. Geyer - Страница 13
Deutscher Kollaborateur oder russischer Revolutionär?
ОглавлениеIn den Niederlanden lautete die umstrittene Frage, an welcher Kriegspartei man sich orientieren sollte, zumal Großbritannien die Meere kontrollierte und mit großer Effizienz auch in den neutralen Staaten politisch intervenierte. Julius Barmat setzte in seinem Kampf um wirtschaftliche Vorteile, die sich auch in soziale Anerkennung ummünzen ließen, auf Deutschland und die Mittelmächte. Geschäft und Politik lagen eng beieinander, politische Beziehungen waren wirtschaftliches wie soziales Kapital. Den Deutschen Auslandsvertretern in den Niederlanden war Barmat jedenfalls seit 1916 bekannt: dem Generalkonsulat in Amsterdam primär als ein aufdringlicher – jüdischer – Kaufmann, der Deutschen Botschaft in Den Haag als Unternehmer mit politischen Ambitionen, den man vor den eigenen Wagen zu spannen versuchte. Von Anfang an war Barmat für die deutschen Diplomaten aber eine undurchsichtige Person, die seit 1916/17 unter Hinzuziehung von Berichten von Wirtschaftsauskunfteien und Privatpersonen genau beobachtet wurde. So warnte man im Frühjahr 1917 in Amsterdam vor »unreellen Geschäften« Barmats, just zu einer Zeit, als »Ago« von Maltzan, damals Botschaftsrat in Den Haag, Verbindung zu Barmat aufnahm. Der Kaufmann verfügte über Kontakte zum deutschen militärischen Nachrichtendienst.8 Dem Diplomaten ging es zu dieser Zeit zum einen um die Beeinflussung der niederländischen und belgischen Presse und zum anderen um die finanzielle Unterstützung russischer, revolutionär gestimmter oder umzustimmender Flüchtlinge und Deserteure, die sich in den Niederlanden aufhielten.9 Wie die Deutsche Botschaft im März 1918 Reichskanzler Georg von Hertling übermittelte, war Barmat in Amsterdam »vorteilhaft« bekannt als ein Mann mit »beträchtlichem Vermögen«, der sich zu dieser Zeit »besonders darum bemüht[e], die russischen Flüchtlinge und Deserteure vom Eintritt in das englische und französische Heer fernzuhalten«. Darüber habe man von Barmat »wertvolle Nachrichten« erhalten.10
Das war hohe Politik. Wohlwollend nahmen deutsche Stellen zur Kenntnis, dass sich der politisch engagierte Kaufmann kritisch gegenüber der russischen Regierung Alexander Kerenskis äußerte, die nach der Februarrevolution 1917 an die Macht gekommen war und erklärt hatte, am russischen Kriegskurs gegen Deutschland festzuhalten. Demgegenüber sprach sich Barmat öffentlich für einen Frieden mit Deutschland aus und unterstützte die Friedenspolitik der Bolschewiki, was in der russischen Gemeinde in Amsterdam nicht nur auf Beifall stieß.11 Die Revolutionierung Russlands, so die Erwartungen in Berlin, würde Deutschland die erhoffte Chance verschaffen, um den Krieg im Westen erfolgreich zu Ende zu führen. Das war auch der Grund, warum man dem Revolutionär Wladimir Iljitsch Lenin eine Eisenbahnfahrt in einem Sonderzug aus dem Schweizer Exil nach Russland ermöglichte.
In dieses Bild passt, dass Barmat nach der Oktoberrevolution 1917 offenbar mit der neuen ukrainischen, nach sowjetischem Modell einberufenen Volksversammlung, der Rada, Kontakt aufnahm und sich für einen schnellen Abschluss des Friedensvertrags von Brest-Litowsk einsetzte, nachdem die russischen Delegierten unter Protest die Friedensverhandlungen mit Deutschland abgebrochen hatten. Die Ukraine vermochte zu diesem Zeitpunkt viele Fantasien zu beflügeln, politische, wirtschaftliche und territoriale. Dazu zählte nicht zuletzt die Aussicht auf Brotgetreide für die hungernde Zivilbevölkerung. Der mit Lebensmitteln handelnde Kaufmann sah in dem in Deutschland viel diskutierten »Brotfrieden« – die Ukraine als Getreidekammer Russlands sollte akute Versorgungsengpässe mildern – zweifellos auch wirtschaftliche Chancen für sein Unternehmen.12
Wohl im Zusammenhang solcher Friedensbemühungen, die Deutschland die nötigen Entlastungen verschaffen sollten, nahm Barmat, ebenfalls schon 1917, Kontakte zum späteren Führer der niederländischen Kommunisten David Wijnkoop auf. Er sollte, wie die deutschen Diplomaten in Den Haag wussten, »für die kommunistische Propaganda in Skandinavien und Holland zur Verfügung gestellte Gelder besorgen«.13 Ob nun mehr wegen seiner Geschäftsinteressen oder seines Hasses auf den Zaren: Barmat setzte auf den revolutionären Umsturz in Russland. Bestärkt wurde er von deutschen Diplomaten, die ihm versicherten, man habe mit Leo Trotzki gesprochen, ob man nicht die Interessen der Russen in Holland durch Barmat wahrnehmen lassen solle.14
Auf jeden Fall nahm Barmat Kontakte zu den russischen Bolschewiki auf. Deutsche Amtsstellen leiteten das folgende, an Trotzki adressierte Telegramm, in dem sich Barmat offenbar politisch ins Spiel zu bringen versuchte, Ende 1917 via Skandinavien nach Russland weiter: »Als seit 10 Jahren hier ansässiger Russe[,] Direktor eines Büros zur Förderung des russischen Handels[,] vereidigter Übersetzer vor holländischen Gerichten[,] der mit großer Sympathie die Politik der Maximalisten [der Bolschewiki – MHG] verfolgt hat[,] habe ich beschlossen[,] eine Versammlung der Russen und Holländer[,] welche sich nach dem Frieden sehnen[,] mit dem Ziel ein Unterstützungskomitee für die [hiesigen – MHG] Maximalisten zu bilden[,] in der Hoffnung, dass wir auf Ihren Schutz hoffen können[,] Judko Barmat[,] Amsterdam.«15
Diese Zeilen, die später wie viele andere Dokumente in der Presse zirkulierten, konnte man sowohl als politische Sympathiebekundung wie als Anbiederung an die Bolschewiki verstehen. Es war von einem russischen Flüchtlingskomitee die Rede, dem Barmat angeblich 150000 Gulden als Vorleistung zur Verfügung zu stellen bereit war, falls ihm die russische Revolutionsregierung die Fürsorge für diese Gruppe und das Vertretungsrecht gegenüber der niederländischen Regierung übertragen würde.16 Diese Initiativen bestätigten andere Berichte, dass Barmat seine »Antipathien gegen die Zarenregierung« offen zur Schau stellte und auf die Russische Revolution setzte – eine Revolution, die für die deutsche Sache von großem Vorteil sein konnte.17 Darauf spielte später der russische Revolutionär, Deutschlandspezialist und Vertreter wie Sprachrohr der Kommunistischen Internationale Karl Radek, selbst jüdischer Herkunft, an. Für ihn stand außer Frage, dass Barmat »gewiß einen Hass gegen den Zarismus und Sympathien für Deutschland« gehabt habe, seien doch »alle polnischen Juden deutschfreundlich. Erstens, weil sie die deutsche Sprache für ein verschlechtertes ›Jüdisch‹ hielten, zweitens, weil sie den polnischen Antisemitismus haßten, drittens, weil sie die russischen Pogrome haßten. Alle jüdischen Börsenmakler der Welt, die aus Polen stammten, waren im Kriege deutschfreundlich«, lautete 1925 seine polemische, antisemitisch unterlegte Konklusion.18
Aber war Barmat aufgrund seiner Sympathien für die Revolution schon ein Bolschewist? Oder nur eine »Art Agent, der auf die Rada einwirken sollte«?19 Oder etwa gar nur ein auf sein Geschäft erpichter Kaufmann, der seinen politischen Einfluss wirtschaftlich auszuspielen versuchte? Geschäftstüchtig, wie Julius Barmat war, ventilierte er Pläne, Weizen aus der Ukraine zu importieren. Die USA hatten viele holländische Schiffe beschlagnahmt, um den Überseehandel zu verhindern. Getreide aus der Ukraine, so das Kalkül, musste die Niederlande auch enger an Deutschland binden. In dieser Sache trat Barmat mit dem ihm bekannten niederländischen Führer der sozialistischen Partei Peter Troelstra in Verbindung, der wiederum mit der holländischen Regierung Kontakt aufnahm. Diese signalisierte grünes Licht. Ob Barmat konkrete Verhandlungen mit der Ukraine führte, wissen wir nicht, greifbare Resultate sind auf jeden Fall nicht zu erkennen. Angesichts der verworrenen Verhältnisse in dem zu dieser Zeit von einem heftigen Bürgerkrieg zerrissenen Land ist das eher unwahrscheinlich. Und auch in Deutschland blieben die erhofften ukrainischen Getreidelieferungen ein Wunschtraum.20
Vor diesem Hintergrund überrascht es nicht, dass Diplomaten die unterschiedlichsten Gerüchte über Barmat summten. So hieß es, er habe einen »Bolschewiki-Verein« gegründet, ferner, er habe Druck auf den russischen Gesandten ausgeübt und diesen vor die Wahl gestellt, sich zu den Bolschewiki zu bekennen oder sich gegen sie auszusprechen. Als der Gesandte ablehnend antwortete, habe Barmat dafür gesorgt, dass ihm das Geld gesperrt wurde, sodass er kurz darauf die Niederlande in Richtung Schweiz verließ. Barmat habe sogar versucht, als neuer russischer Gesandter anerkannt zu werden, dazu schon Geschäftskarten drucken lassen und einen Termin im niederländischen Außenministerium vereinbart, wo man ihn aber abgewiesen habe. Einem anderen Gerücht zufolge hatte die neue Sowjetregierung oder, so eine Version der gleichen Geschichte, die russischen Flüchtlinge auf Initiative Barmats diesen als russischen Generalkonsul vorgeschlagen.21 Barmats enger Freund Ernst Heilmann berichtete später, er habe eine Resolution mit der Unterschrift von über hundert Russen gesehen, in der sich die Flüchtlinge für Barmat als bolschewistischen Generalkonsul ausgesprochen hätten; er habe dieses Ersuchen aber abgelehnt, da er kein Bolschewik sei.22
Dass Barmat ein Bolschewik sei, mussten auch die deutschen Diplomaten in Den Haag als unrichtig dementieren. Aber auch der englische Geheimdienst sprach in Berichten vom Juni 1918 und März 1919 von »Barmat, the Bolshevic agent«.23 Und noch Jahre später war zu hören, Barmat habe es ermöglicht, dass »80000 Bolschewisten nach England hinübergekommen seien«.24 Einmal in die Welt gesetzt, hielten sich solche Gerüchte, mit immer neuen, mitunter skurrilen Wendungen, darunter auch eine Verwechslung der Brüder. So meldete 1921 die niederländische Botschaft in Prag nach Den Haag, dass »Judke [sic!] Barmat« beobachtet worden sei, wie er sich mit dem Vertreter der »extremen Linken« der tschechischen Sozialisten Vilém Brodecký getroffen habe, was dann auch prompt in britischen Berichten auftauchte und erneut deutsche Fragen provozierte, ob Barmat nicht Bolschewik sei.25