Читать книгу Kapitalismus und politische Moral in der Zwischenkriegszeit oder: Wer war Julius Barmat? - Martin H. Geyer - Страница 17
ОглавлениеGing es in den späteren Debatten im Zusammenhang mit der Einreise der Brüder meist um Wohnungsfragen – die Verteilung von Wohnraum unterstand kommunalen Behörden –, entwickelte sich die Einreise der Eltern zu einem Politikum. Über den 1867 im russischen Uman geborenen Abraham Barmat wissen wir genauso wenig wie über seine drei Jahre ältere, in Tolschin, ebenfalls in Russland, geborene Frau Schewa Barmat-Pechowitsch, die aus einer russischen Industriellenfamilie gestammt haben soll. Barmats Anwälte bezeichneten Abraham Barmat als Rabbiner, andere Quellen sprechen von einem Kaufmann und »Talmud-Gelehrten«, andere von einem »sehr religiösen orthodoxen Israeliten«.44 Auch in Uman, wo die Familie lebte, kam es während des Bürgerkriegs zwischen 1917 und 1920 zu brutalen, gegen Juden gerichtete Pogrome mit Zehntausenden Toten, die auch die Barmats zur Flucht veranlassten. Im Herbst 1920 kontaktierte Julius Barmat den damaligen Reichskanzler Gustav Bauer (SPD) und berichtete ihm von einem Brief seines Vaters, der wie so viele andere Flüchtlinge mit Frau und Kindern an der bessarabisch-rumänischen Grenze ausgeplündert und mittellos gestrandet war. Er bat um Hilfe, um seinen Familienangehörigen die Übersiedlung nach Holland zu ermöglichen. Bauer erwies ihm diesen Freundschaftsdienst und verwandte sich für die Familie sowohl bei der Niederländischen Botschaft, dem Auswärtigen Amt als auch beim preußischen Innenminister Carl Severing, damit die preußischen Behörden den Barmats keine Schwierigkeiten bei der Durchreise in die Niederlande bereiteten.45
Severing sah sich schon damals wie dann auch im Zuge des Skandals 1925 massiven politischen Angriffen ausgesetzt. Trotz der repressiven Politik seines preußischen Innenministeriums wurde er andauernd mit Vorwürfen konfrontiert, nicht scharf genug gegen die ostjüdischen Flüchtlinge vorzugehen. Er galt als »Beschützer der galizischen Juden«46, für den, wie der Abgeordnete Wilhelm Kähler (DNVP) 1922 im Preußischen Landtag meinte, alles, »was mit dem Judentum zusammenhängt, ein Blümchen Rührmichnichtan« sei.47 Die offizielle Linie Severings war es, humanitäre Erwägungen bei der Aufnahme von Flüchtlingen auch mit Blick auf den Völkerbund und die kritische Beobachtung Deutschlands durch das Ausland in den Vordergrund zu stellen. Dennoch versuchte man, ihm in der rechten Presse wie im preußischen Untersuchungsausschuss wegen der Einreise der Eltern Barmats einen Strick zu drehen (auch mit der ziemlich absurden Implikation, dass dabei Korruption vorgelegen habe).48