Читать книгу Kapitalismus und politische Moral in der Zwischenkriegszeit oder: Wer war Julius Barmat? - Martin H. Geyer - Страница 5
Einleitung Julius Barmat – ein bekannter Unbekannter
ОглавлениеWer war Julius Barmat? Diese Frage stellte sich nicht nur das Berliner Publikum, als am Silvestertag des Jahres 1924 erste Pressemeldungen über die Verhaftung des Unternehmers erschienen und in den folgenden Tagen dann auch noch die jüngeren Brüder Herschel (Henry) und Salomon Barmat sowie Manager des Barmat-Konzerns und Beamte der Preußischen Staatsbank festgenommen wurden. Ort des polizeilichen Großeinsatzes war nicht etwa ein anrüchiger Stadtteil Berlins, sondern die im Westen der Hauptstadt idyllisch gelegene Havelhalbinsel Schwanenwerder mit ihrer Villenkolonie. Neben der Villa, in der Julius Barmat zusammen mit seiner Frau Rosa und seinem minderjährigen Sohn Louis Izaak lebte, durchsuchte die Polizei die Zentrale und verschiedene Betriebe des Barmat-Konzerns sowie die Berliner Wohnungen seiner Brüder. Die Wasserschutzpolizei und die Grenzpolizei waren ebenfalls alarmiert worden, denn es bestand der Verdacht, dass die staatenlosen Barmats, die man als ukrainische Russen mit Wohnsitz in Amsterdam, Berlin und Wien identifizierte, sich durch eine Flucht ins Ausland der Verhaftung entziehen könnten.1
In der Presse zirkulierte bald der Vorwurf des Betrugs und der Bestechung, ja der Korruption im großen Stil, in die nicht nur Banker und andere Unternehmer, sondern auch Politiker verwickelt sein sollten. Letzteres hatte die erstaunlich gut informierte radikale Opposition, namentlich die kommunistische Rote Fahne und Zeitungen wie der völkisch-konservative Fridericus, schon seit Längerem kolportiert. Verkehrten nicht der Berliner Polizeipräsident Wilhelm Richter und viele einflussreiche Sozialdemokraten in den »Gemächern« des Unternehmers? Stand etwa »Ebert junior« als Privatsekretär in den Diensten Julius Barmats, oder war gar der Reichspräsident Friedrich Ebert selbst in die ganze Affäre verwickelt? Darüber hinaus gerieten die am Gendarmenmarkt gelegene Preußische Staatsbank sowie die Reichspost in den Verdacht, der »Groß-Schieberfirma Barmat« unbesehen hohe Kredite in Millionenhöhe zu »Wucher und Spekulationszwecken« gegeben zu haben.2 Neben Korruption und aktiver sowie passiver Bestechung war von einem Kreditbetrug großen Ausmaßes die Rede. Und nicht zuletzt: In all die umstrittenen Geschäfte sollten ganz maßgeblich sogenannte Ostjuden involviert sein.3
Die Verhaftung der Barmats war das Resultat einer merkwürdigen, fast schon abenteuerlich zu nennenden Verkettung von Ereignissen, an denen diverse Akteure beteiligt waren. Auf die Barmats stieß die Staatsanwaltschaft erst über den Umweg anderer Ermittlungen, die auch in die Amtsstuben der Berliner Fremdenpolizei führten. Deren Leiter hatte den aus Litauen stammenden Geschäftsmann Iwan Kutisker, der auf die Verwertung von Militärbeständen aus dem Ersten Weltkrieg spezialisiert war, erpresst. Hierfür hatte der Beamte Informationen genutzt, die ihm wiederum Michael Holzmann, ein zweifelhafter russischer Unternehmer, zugespielt hatte. Dieser war Kutiskers früherer Geschäftspartner, stand bei ihm mit hohen Summen in der Kreide und versuchte ihn ebenfalls zu erpressen. Kutisker zeigte Holzmann jedoch an, worauf dieser seine Haut retten wollte, indem er seinerseits schwere Vorwürfe vorbrachte: Der litauische Unternehmer und Jude Kutisker habe die Preußische Staatsbank systematisch um Millionen betrogen. Nachforschungen bestätigten, dass in der Tat höchst dubiose Geschäfte getätigt worden waren. Das führte noch vor der Verhaftung der Barmats zur Festnahme Iwan Kutiskers sowie seiner beiden Söhne und mehrerer Komplizen. Nicht zu Unrecht witterte die Presse einen Skandal rund um die Staatsbank. »Wie muß es da stinken?«, mutmaßte Die Rote Fahne.4
Die staatsanwaltschaftlichen Untersuchungen waren jedoch weder in der Sache Kutisker noch in der Barmats durch eine Anzeige der Preußischen Staatsbank ins Rollen gekommen. Im Gegenteil: Die Leitung der Bank spielte von Anfang an eine passive Rolle, womit sie Verdächtigungen und Mutmaßungen befeuerte, die konservativen Beamten des altehrwürdigen Instituts seien in die Sache verstrickt. Zentrale Akteure bei der Aufklärung waren die Berliner Presse sowie die Wirtschaftsabteilung der Berliner Staatsanwaltschaft, die sich mit Rückendeckung des preußischen Justizministeriums in Form eines »Sonderauftrags« der Sache annahm, wohl wissend, dass es sich um eine politisch brisante Angelegenheit handelte.5 Empörte und dementsprechend auskunftsfreudige Bankbeamte aus dem mittleren Dienst äußerten den alarmierenden Verdacht, dass es sich bei dem »Betrug« Kutiskers nur um die Spitze des Eisbergs handle: Millionenkredite seien unwiederbringlich verloren, die Bank sei unter Umständen sogar »pleite«, mit unübersehbaren Folgen für die Finanzen des Freistaats Preußen. Und nicht nur das: Der Staatsanwaltschaft wurde schnell klar, dass »auch noch andere Ostjuden die Preußische Staatsbank in unerhörter Weise betrügerisch geschädigt hatten«.6 Aus diesem Grund dehnte die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen auf Julius Barmat und seinen Konzern sowie auf weitere, ähnlich gelagerte Fälle aus, wie den des erfolgreichen Frankfurter Finanziers und Unternehmers Jakob Michael.