Читать книгу Kapitalismus und politische Moral in der Zwischenkriegszeit oder: Wer war Julius Barmat? - Martin H. Geyer - Страница 22
Finanzierungsfragen
ОглавлениеDie Beschaffung und Lieferung von Lebensmitteln war aber nur die eine Seite des Geschäfts. Wichtiger für das Reich waren die – damals wie später heftig umstrittenen – Finanzierungskonditionen. Die Reichsbank und die einschlägigen Großbanken wollten oder konnten 1919 keine Devisen für Nahrungsmittelimporte zur Verfügung stellen. Erst als nach längerem Hin und Her die Finanzierungsmodalitäten geklärt waren, kamen die Reichsstellen mit der Amexima ins Geschäft. Barmats Angebot war insofern attraktiv, als er mit einer Kreditfrist von sechs bis neun Monaten, in Sachsen sogar bis zu zwölf Monaten, lieferte, d.h., er übernahm die Vorfinanzierung. Dazu besorgte sich die Amexima mittels der Auftragsbescheinigungen bei niederländischen und deutschen Banken die erforderlichen Kredite.66 Die fluktuierenden Devisenkurse machten darüber hinaus komplizierte Finanztransaktionen in Form von Sicherungsgeschäften notwendig. Die politisch umstrittene Frage lautete, ob das legal war, vor allem aber, ob Barmat »übermäßige Gewinne« erzielte. Lieferte er zu überhöhten Preisen, die durch seine Finanzierungskonditionen nicht gerechtfertigt waren? Es ging um viel Geld. Barmat stach Konkurrenten aus, darunter etablierte Geschäftshäuser. Der Höhepunkt der deutschen Lebensmittelgeschäfte mit Barmat fiel in die ersten Monate nach 1919 bis in den Sommer 1920. Ab dem Winter 1919/20 schloss das Reichswirtschaftsministerium direkt mit amerikanischen Schlachthäusern Lieferungsverträge über Fleisch, Speck und Schmalz in hohen Dollar-Millionenbeträgen ab, sodass man nicht länger auf Vermittlungen von Personen wie Barmat angewiesen war.67
Barmats günstige Konditionen provozierten Neid und Missgunst, zunächst weil viele alteingesessene deutsche Firmen auch in den Niederlanden keine ähnlichen Finanzierungsmodi anbieten konnten oder sich vom Handel ausgeschlossen sahen. Barmats Antwort auf die Frage, wie ihm das alles gelang, war einfach. Nicht nur, dass er im Gegensatz zu seinen Konkurrenten in den Niederlanden und Deutschland bis weit nach Belgien und in die USA über Händlerkontakte verfügte; sein Verfahren habe darin bestanden, dass er seinen Zulieferern die gleichen Konditionen anbot wie die Reichsstellen ihm: »Wenn ich einen Kontrakt in Holland gemacht habe, wir wollen einmal sagen: mit Cohen van der Laan in Margarine, Schmalz und Fett, dann habe ich dem Lieferanten gesagt: Das sind die Bedingungen, die ich mir dabei mache, und du mußt dich an diese Bedingungen halten; ich will dir aber als Sicherheit von mir aus 100000 Gulden einzahlen […] und […] den Rest auf der Basis, wie ich das mit der Reichsstelle machte, kannst du das mit mir machen.«68 Auf diese Weise habe er die Lieferanten an den Risiken beteiligt und sein eigenes Risiko minimiert. Das war für alle Beteiligten unsicher, ein System von Zusagen und Versprechungen, die oft nicht eingehalten werden konnten, was möglicherweise auch erklärt, dass Barmat der Ruf vorauseilte, dass man mit ihm vorsichtig sein müsse.
Offen blieb die Frage, ob sich Barmat mit den Nachweisen über die deutschen Lieferungsaufträge Gulden beschaffte und diese dann für Währungsspekulationen benutzte. Seine Konkurrenten versuchten das zu skandalisieren, stand damit doch der Verdacht im Raum, »der Kriegsgewinnler« habe auf den Niedergang des Markkurses spekuliert und sei damit auch ein Inflationsgewinnler. Beweisen ließ sich das nicht. Und ob solche spekulativen Währungsabsicherungen wirklich strafbar gewesen wären, war, wie auch der Vorsitzende des preußischen Untersuchungsausschusses Eugen Leidig (DVP) bezweifelte, eine ganz andere Frage.69
Viele andere Punkte blieben offen, darunter der, wie es dem Kaufmann gelingen konnte, unter den Bedingungen der Markabwertung 1919/20 – erst im Frühjahr 1920 zog der Markkurs wieder an – den deutschen Stellen auf relativ lange Dauer Kredit zu geben und zugleich einen Gewinn zu erwirtschaften. Außer Frage stand dagegen, dass Barmat ein geschickter Finanzjongleur mit einem offenbar phänomenalen Zahlengedächtnis war, der in den Ausschüssen aus dem Stegreif über die kompliziertesten Details, Zusammenhänge und Namen Auskunft geben konnte, was offensichtlich auch den Vorsitzenden Leidig, selbst Jurist und Syndikus verschiedener Firmen, beeindruckte. Klar war aber auch, dass es offenbar Unregelmäßigkeiten gab, wobei sich jedoch die Behörden und Beamten, welche die Geschäfte abwickelten (und nicht die Politiker), an die eigene Nase fassen mussten.70