Читать книгу Kapitalismus und politische Moral in der Zwischenkriegszeit oder: Wer war Julius Barmat? - Martin H. Geyer - Страница 29

Kapitel 2 Grenzgänger des Kapitalismus in der Zeit von Hyperinflation und Währungsstabilisierung 1923/24

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Wie war es möglich, dass öffentliche Kreditinstitutionen, darunter ganz maßgeblich die Preußische Staatsbank und die Reichspost, Julius Barmat in einer Zeit von Firmenzusammenbrüchen, hoher Arbeitslosigkeit und Kreditnot Kredite in Höhe von ca. 36 Mio. Reichsmark (RM) zum Aufbau seines Barmat-Konzerns vergaben, zumal der Geschäftsmann schon Ende 1924 zahlungsunfähig war? Im Mittelpunkt dieses Kapitels stehen Aspekte wirtschaftlichen Handelns in der Zeit der Hyperinflation und der Währungsstabilisierung 1923/24. Einschlägige Publikationen mit Titeln wie The Great Disorder (Feldman), Verkehrte Welt (Geyer) oder Sintflut (Tooze) verweisen auf den wirtschaftlichen Ausnahmezustand, der in dieser Zeit herrschte.1 Die Hyperinflation mit ihrem Tanz der Millionen und Milliarden hat dabei schon immer die deutschen Gemüter bewegt und Fragen nach ihren sozialen wie politischen Folgen aufgeworfen. Die Geldentwertung, die mit dem Krieg begonnen hatte und sich nach dem Krieg in Wellenbewegungen beschleunigte, wird wie schon von einigen damaligen Zeitgenossen auch in der neueren Forschung nicht nur negativ beurteilt. Neue Betriebe wurden gegründet, und bis 1923 war in den meisten Teilen Deutschlands die Arbeitslosigkeit stark rückläufig, was auch das revolutionäre Konfliktpotenzial der unmittelbaren Nachkriegszeit entschärfte. Das änderte sich erst auf dem Höhepunkt der Inflation 1923, mehr noch mit der im November 1923 eingeleiteten Währungsstabilisierung und der Einführung der sogenannten Rentenmark,* als die allgemeine wirtschaftliche Not binnen kurzer Zeit dramatische Formen annahm. Im Folgenden geht es im Wesentlichen um diese letzte Phase der Hyperinflation bis Ende 1924, als im Zusammenhang mit den neuen Reparationsvereinbarungen im Rahmen des Dawes-Abkommens amerikanische Kredite ins Land strömten und eine Phase schneller wirtschaftlicher Erholung einleiteten.

Die Zeit stand im Schatten der unübersehbaren Umverteilungswirkungen der Inflation. Wenngleich schon damals ein Urteil darüber, wer zu den Gewinnern und wer zu den Verlierern der Inflation gehörte, nicht immer einfach war, so bestand doch Einigkeit darüber, dass Julius Barmat zu den »Inflations- und Deflationsgewinnlern« gehörte. Tatsächlich machte sich nach der Revolution eine – oft übersehene – unternehmerische Goldgräberstimmung breit, die in zahlreichen Unternehmens- und Bankneugründungen, Konzernzusammenschlüssen, kreditfinanzierten Übernahmen und spekulativen, vom Wertverfall der Mark angetriebenen Aktien- und Devisengeschäften zum Ausdruck kam. Es war die Zeit charismatischer Unternehmer, die wie Hugo Stinnes oder Friedrich Flick neue große Konzerne aufbauten, von denen die meisten untergingen, einige die Zeit aber auch überdauerten. Zerstörung und Neuaufbau bedingten einander.

Wenige Themen standen in diesem Zusammenhang mehr zur Debatte als die überall auftauchenden spekulativen Energien, mithin das, was der englische Ökonom John Maynard Keynes, der in dieser Zeit mit Aktiengeschäften ebenfalls viel Geld verlor, als die eigentümlichen »animal spirits« des Kapitalismus bezeichnete.2 Diskutiert wurde das mit Verweis auf moralische und sittliche Grenzüberschreitungen im wirtschaftlichen und sozialen Verkehr: Geld- und Warenspekulationen, die meist negativ konnotiert waren, Verstöße gegen Wirtschaftsgesetze und nicht zuletzt gegen Prinzipien von »Treu und Glauben« – durch die Inflation wurde die Beziehung zwischen Gläubigern und Schuldnern radikal unterminiert. In der Kritik stand nicht zuletzt auch der Staat, der sich mittels der Inflation entschuldet hatte. Es ging um die »Grenzmoral« (Götz Briefs) einzelner Akteure und sozialer Gruppen, die sich, wenn sie nicht feststehende rechtliche wie informelle moralisch-ethische Grenzen eindeutig überschritten, doch zumindest hart am Limit des (gerade noch) moralisch Akzeptierten bewegten – klar zu unterscheiden war das in vielen Fällen nicht. Das ist im Folgenden mit dem Begriff »Grenzgänger des Kapitalismus« gemeint.

Illustrativ ist in diesem Zusammenhang eine Glosse von Thomas Mann, welche die Redaktion der Weltbühne Anfang 1925 unter dem Titel »Zu diesen Barmats« abdruckte. Kundige Leser der Buddenbrooks kannten Hugo Weinschenk, der sich wegen Versicherungsbetrugs zu verantworten hatte und der Parallelen zu Barmat aufzuweisen schien: »Daß alles ganz in Ordnung ist, muß man leider bezweifeln. Aber daß Weinschenk in dem Umfange schuldig ist, wie gewisse Leute es wollen, halte ich ebenfalls für unwahrscheinlich. Es gibt im Geschäftsleben modernen Stiles etwas, was man Usance nennt … Eine Usance, verstehst Du, das ist ein Manöver, das nicht ganz einwandfrei ist, sich nicht ganz mit dem geschriebenen Gesetze verträgt und für den Laienverstand schon unredlich aussieht, das aber dennoch nach stillschweigender Übereinkunft in der Geschäftswelt gang und gäbe ist. Die Grenzlinie zwischen Usance und Schlimmerem ist sehr schwer zu ziehen … Einerlei … wenn Weinschenk sich vergangen hat, so hat er es höchstwahrscheinlich nicht ärger getrieben als viele seiner Kollegen, die ungestraft davongekommen sind.«3

Tatsächlich wurden mit Blick auf die Geschäfte Julius Barmats intensiv die Usancen des Geschäftsverkehrs unter den Bedingungen von Inflation und Währungsstabilisierung behandelt. Aber anders als bei Thomas Manns Weinschenk ging es in seinem Fall um mehr: Nicht nur wog der Vorwurf von Täuschung, Betrug und Korruption schwer. Julius Barmat wurde zum Sinnbild eines Grenzgängers des Kapitalismus in der Nachkriegszeit. Er galt als negatives Beispiel eines politischen Kapitalismus in Form der Kriegs-, Übergangs- und durch die Inflation zerrütteten öffentlichen Kreditwirtschaft4 sowie von Misswirtschaft und Korruption im Kontext der »Privatisierung« großer Teile der aus dem Krieg herrührenden Staatsbetriebe. Sein Schicksal bestand überdies darin, dass er im Zusammenhang mit dem Skandal im Jahr 1925 von Anfang an mit den Taten anderer involvierter Personen in Verbindung gebracht wurde, zuallererst mit Iwan Kutisker und Jakob Michael, dann aber auch mit einer Vielzahl von Unternehmern, Bankern und Geschäftemachern, die auf den kapitalkräftigen Geschäftsmann setzten. In den Blick geraten damit mitunter sehr skurrile Aspekte und Geschichten, die in der politischen Kultur der Zwischenkriegszeit von Bedeutung waren.

Kapitalismus und politische Moral in der Zwischenkriegszeit oder: Wer war Julius Barmat?

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