Читать книгу Kapitalismus und politische Moral in der Zwischenkriegszeit oder: Wer war Julius Barmat? - Martin H. Geyer - Страница 25
Öffentliche Skandalisierungen
ОглавлениеBarmats große Lebensmittelgeschäfte mit dem Reich und dem Land Sachsen sowie die Amsterdamer Ereignisse im Zusammenhang mit dem Hafenarbeiterstreik hatten zur Folge, dass Schmidts Nachfolger als Ernährungsminister, der Zentrumspolitiker Andreas Hermes, sich weigerte, auch nur Gespräche mit Barmat zu führen, und das obwohl sich der Ex-Reichskanzler und Gewerkschafter Gustav Bauer sowie der sächsische Wirtschaftsminister Albert Schwarz für den Amsterdamer Unternehmer verwandten. Es stand die Behauptung im Raum, »Barmat sei ein Schieber«. Hermes wich aus, verwies auf die Verdächtigungen von Beamten der Reichsfettstelle, die sowohl Preise wie Qualität moniert hätten.78
Die Angelegenheit hatte ein Nachspiel. Hegte der bei dem Gespräch Bauers mit Hermes anwesende und außerordentlich erregte Barmat Rache und mobilisierte die SPD gegen den Zentrums-Minister? Der Leiter der Einfuhrgesellschaft des Reiches für Getreide und Futtermittel, ein bekannter Hamburger Kaufmann auf dem Gebiet des internationalen Getreidehandels, unkte rückblickend, dass die ablehnende Haltung von Minister Hermes der Grund für die in dieser Zeit von der SPD gegen ihn und sein Ministerium erhobenen Misswirtschafts- und Korruptionsvorwürfe gewesen sei. Absurd ist dieser Verdacht nicht. Auch Barmats Freund Ernst Heilmann (SPD) engagierte sich in der Angelegenheit und titulierte Hermes als »Volksschädling«.79
Hermes’ Verhalten gegenüber Barmat und dessen heftige Reaktionen lassen sich damit erklären, dass der Kaufmann seit dem Spätsommer 1919 massiven Angriffen ausgesetzt war. Die Spuren führen in die Niederlande, wo seit dem September ein anonymer Bericht mit dem Titel »Was man sich in eingeweihten Kreisen an der Börse in Rotterdam erzählt« zirkulierte. In leicht veränderter Form veröffentlichte die Handelskammer Bochum diesen Bericht in ihren Mitteilungen, nicht ohne darauf hinzuweisen, dass es sich bei dem Autor um einen »Vertrauensmann der deutschen Regierung« handle: »Während zahllose deutsche Gemeinden und Fachverbände seit Monaten vergeblich versuchen, Einfuhrgenehmigungen für den Bezug von Lebensmitteln aus dem Auslande zu erhalten, während die zuständigen Reichsstellen das ihnen Mögliche aufbieten, Kredite im Ausland zu erlangen, weil ihnen die zur Bezahlung der gekauften Lebensmittel notwendigen Devisen nicht mehr zur Verfügung stehen, gibt es auch heute noch einzelne Bevorrechtete, die Einfuhrgenehmigungen in scheinbar unbegrenztem Umfange in Händen haben, die sich viele Millionen in ausländischer Währung mit leichter Mühe verschaffen und auf Kosten des deutschen Volkes ungezählte Summen in ihre Taschen strecken.«
In dem Bericht wurde Barmat erstmals einem größeren Leserkreis explizit vorgestellt. Dabei ging es um seine vermeintlichen Sympathien für die Bolschewiki wie »seine persönlichen Beziehungen zu den höchsten Regierungsstellen in Berlin« und in diesem Zusammenhang auch um den angeblichen Besitz eines Schreibens aus der Kanzlei des Reichspräsidenten, »wonach ihm bei allen Behörden jede gewünschte Unterstützung zu gewähren ist«. Vermerkt wurden auch Privilegien bei der Revision seines Gepäcks an der Grenze, überhöhte Preisabsprachen mit den Reichsbehörden und andere zweifelhafte Geschäfte, alles Themen, die dann später in der Presse und den Ausschüssen verhandelt wurden. Explizit antisemitische Formulierungen aus dem Rotterdamer Bericht strich die Bochumer Handelskammer, darunter den Hinweis, dass derjenige, der die Amexima in Amsterdam betrete, »die Bekanntschaft mit den Herren Cohn, Isaak oder Veilchenduft« mache.80 Andere Zeitungen fügten neue und schärfere hinzu: Der »Bolschewist Barmat« war demnach der »Millionennutznießer der deutschen Bettelarmut«, der sich zusammen mit anderen Glaubensgenossen auf Kosten der deutschen Bevölkerung bereicherte. Bis in die 1930er Jahre sollten immer wieder Passagen aus dieser Mitteilung der Bochumer Handelskammer abgedruckt oder zitiert werden.81
Alles deutete darauf hin, dass diese Skandalisierung der Geschäfte Barmats vom deutschen Generalkonsulat in Amsterdam gezielt gefördert, wenn nicht gar sogar betrieben wurde. Für den Generalkonsul von Humboldt war Barmat »ein wirtschaftlicher Schädling der schlimmsten Sorte für das deutsche Volk«, den er nicht begünstigen wollte.82 Der Ärger über die umstrittene Visumsvergabe im Frühjahr 1919 saß tief, zumal sich dieser Prozess nach Ablauf des Dreimonatsvisums im August in weniger spektakulärer Form wiederholte. Für noch mehr Unmut sorgten Gerüchte, Barmats Einfluss auf die deutschen Dienststellen in den Niederlanden sei so groß, dass sich der Kaufmann angeblich rühme, »dass er jedem, der es wollte, seinen Pass für die Reise nach Deutschland mit einem Visa versehen oder umgekehrt verweigern konnte«.83 Not amused waren die deutschen Diplomaten, wenn die linke Zeitung Het Volk im Oktober 1919 mit Blick auf Barmats Einfluss stichelte, man könne ihn ja zum neuen deutschen Gesandten in den Niederlanden machen.84 Zudem irritierte die Diplomaten, dass, so ihr Eindruck, eine Privatperson auf eigene Faust (Wirtschafts-)Diplomatie betrieb, etwa indem sie eine sächsische Delegation unter Führung des früheren Ministerpräsidenten Georg Gradnauer (SPD) mit belgischen sozialistischen Politikern wie Camille Huysmans und dem Minister für öffentliche Arbeit Edward Anseele miteinander in Kontakt brachte.85