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Ein neuer Unternehmertyp im modernen Kapitalismus

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Diese (Selbst-)Stilisierungen Barmats zielten nicht nur darauf ab, die Seriosität seiner Geschäfte zu betonen, sondern zeugten auch von der Bemühung, ihn in die Reihe erfolgreicher »Konzern-›Genies‹« und »neuer Konzerngrößen« zu stellen. Damit verband man einen modernen, zeitgemäßen Unternehmertypus, deren Vertreter als Ikonen einer neuen Zeit gehandelt wurden.11 Wie zugkräftig dieses Thema war, zeigt das Buch Deutsche Wirtschaftsführer des Wirtschaftsjournalisten Frank Faßland (alias Felix Pinner), das nach der Erstveröffentlichung 1924 innerhalb kürzester Zeit in bald 15, immer wieder erweiterten Auflagen erschien. Dem alten Industrieadel, »greisen Wirtschaftsführern«, vertreten durch u. a. August Thyssen oder Emil Kirdorf, stellte der Autor ein zwar kritisch unterlegtes, aber dennoch hymnisches Porträt der »neuen Männer« gegenüber. Darunter befanden sich bis heute bekannte ebenso wie unbekannte Namen wie Friedrich Flick, Hugo Stinnes, Jakob Michael und viele andere, unter denen wiederum der Typus der »Dreißigjährigen« hervorstach. Nicht nur wegen ihres Alters waren sie als Vertreter einer neuen Generation anzusehen; ihr Instinkt habe gerade darin bestanden, die »umgekehrten Regeln zu befolgen wie in der soliden Bauzeit vor dem Kriege, wo man sich weder mit Projekten noch mit Schulden überlasten durfte, wenn man reüssieren wollte«. Kühnheit und Unkonventionalität des Denkens war das Kennzeichen dieser »neuen Männer«: »Der Leichtsinn als geschäftliches Aufbauprinzip ging am schnellsten und stärksten in den Instinkt Derjenigen [sic!] ein, die noch nichts gelernt und nichts zu verlieren hatten.« Damit überflügelten sie die ältere Unternehmergeneration, machten diese gar obsolet.12 All das reflektiert die Goldgräberstimmung der Inflationszeit.

Der am Ende der Inflationszeit gerade einmal 34-jährige Barmat entsprach in vielerlei Hinsicht diesem Bild kühnen Unternehmertums, vermittelte aber zugleich wirtschaftliche Solidität. In einem Teil der Wirtschaftspresse wurde der Amsterdamer Kaufmann dann auch »nach allen Regeln der Kunst besungen, abgemalt, [und] mit Genealogie, Stammbäumen und Allem, was dazu gehört«, hochgelobt.13 Ein anderer Autor, dessen Buch etwas unzeitig nach dem Zusammenbruch des Konzerns erschien, strich in lobhudelnder Manier hervor, dass es Barmat dank seiner »reichen Mittel« gelinge, »immer mehr wertvolle Objekte an sich zu bringen, sodass der Barmat-Konzern heute wohl zu den zukunftsreichsten seiner Art zählt«.14 All das ließ sich unter der Rubrik »Umschichtung der europäischen Vermögen«, und zwar im Sinne einer Umschichtung in stärkere Hände neuer dynamischer Wirtschaftsführer, beschreiben.15

Solche Lobgesänge ließen sich als nebensächlich abtun, könnte man darin nicht zugleich populäre Varianten der von Josef Schumpeter schon vor dem Krieg formulierten Theorie der »schöpferischen Zerstörung« erkennen, in der, damals wie heute, dynamische Unternehmer eine zentrale Rolle spielen. Die Zerstörung alter Strukturen, die den Boden für neue Kombinationen von Produktionsmitteln bereitete, war ein schmerzlicher Prozess, da mit dem Aufbau neuer, starker, innovativer und leistungsfähiger Betriebe immer auch altbewährte Traditionen, etwa in der betrieblichen Organisation und den Arbeitsvorgängen, verloren gingen.16 Das war der Stoff für viele kulturkritische Betrachtungen der Nachkriegszeit, zumal nicht klar ersichtlich war, ob es sich dabei tatsächlich um eine produktive wirtschaftliche Reorganisation oder rein spekulative Transaktionen handelte. Auf der anderen Seite versprachen diese neuen Gründungen die Rettung der von Bankrott bedrohten Betriebe und Arbeitsplätze. Letzteres gefiel nicht nur Sozialdemokraten, sondern auch Vertretern des Zentrums. Ende 1924 war mit Blick auf den Barmat-Konzern immer wieder die Rede von 13000 bis 14000 Beschäftigten in 40 Unternehmen mit vielen Subunternehmen – auch das ein wichtiger Punkt bei der Kreditvergabe der Staatsbank.17

Kapitalismus und politische Moral in der Zwischenkriegszeit oder: Wer war Julius Barmat?

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