Читать книгу Kapitalismus und politische Moral in der Zwischenkriegszeit oder: Wer war Julius Barmat? - Martin H. Geyer - Страница 42
Wuchergeschäfte: Mehr als eine strafrechtliche Frage
ОглавлениеIns Visier der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen gerieten grundsätzliche Aspekte der Geschäftspolitik der Preußischen Staatsbank. Auffällig war, dass der Kreis ihrer Geschäftskunden stark eingeschränkt war: Im Wesentlichen waren das Barmat und die beiden anderen in den Skandal verwickelten Personen Iwan Kutisker und Jakob Michael, die tatsächlich außerordentlich privilegiert waren, sowohl was die Kreditfristen, die Deckungsvorschriften als auch die Höhe der Zinssätze betraf. Wie bereits erwähnt standen Mitte Mai 1924 die drei privaten Großkunden mit Krediten von etwa 35 Mio. Rentenmark in den Büchern der Preußischen Staatsbank; nur dem Michael-Konzern gelang es, die Kreditschulden zu reduzieren.73 Der Verdacht stand im Raum, dass es Barmat, Kutisker und Michael mithilfe der ihnen gewährten Kredite gelungen sei, die wirtschaftliche Notlage der vom Kapitalmarkt abgeschnittenen Unternehmer auszunutzen und auf diese Weise Kontrolle über Industrie und Banken zu erlangen. Denn wenn die verliehenen Kredite nicht beglichen werden konnten, kam es vielfach zur Übertragung der Eigentumsrechte an die Kreditgeber.
Solche Sachverhalte und Zusammenhänge waren Wasser auf die Mühlen antisemitischer Agitation und weitverbreiteter Ressentiments. In der Sprache des wirtschaftlichen Antijudaismus und Antisemitismus war die Rede von »jüdischem Wucher«, »Finanzjuden« und »Shylocks« fest etabliert.74 Seit der Liberalisierung der Finanzmärkte im 19. Jahrhundert waren immer wieder Forderungen erhoben worden, Höchstsätze für Zinsen festzusetzen, Kreditwucher zu bestrafen, ja, so die Forderung der Antisemiten, Juden von Kreditgeschäften ganz auszuschließen. Die Erfolge solcher Initiativen waren trotz neuer »Wuchergesetze« seit den 1880er Jahren beschränkt geblieben. Das Bürgerliche Gesetzbuch von 1900 sah zwar die Bestrafung desjenigen vor, der »unter Ausbeutung der Zwangslage, der Unerfahrenheit, des Mangels an Urteilsvermögen oder der erheblichen Willensschwäche eines anderen sich oder einem Dritten für eine Leistung Vermögensvorteile versprechen oder gewähren lässt, die in einem auffälligen Missverhältnis zu der Leistung stehen« (BGB § 138, Abs. 2), aber die Handhabung blieb aus gutem Grund extrem restriktiv: Jeden einzelnen Fall von Wucher galt es zu prüfen. Einen großen, öffentlichkeitswirksamen Wucherprozess, der das Thema auch im Sinne der Antisemiten auf die Tagesordnung gesetzt hätte, gab es vor dem Krieg nicht.75
Kreditwucher stand während der Kriegs- und Inflationszeit nicht auf der Tagesordnung. Das änderte sich schlagartig mit der Währungsstabilisierung und der damit verbundenen drastischen Kreditrestriktion. Denn bis ins Frühjahr 1924 waren längerfristige Kredite auf Monats- oder gar Jahresfrist von den Banken nur schwer zu bekommen, und wenn, dann in der Regel nur zu extrem hohen (Tages-)Zinsen: Der Zinssatz für auf Tages- bzw. Monatsbasis geliehenes Geld belief sich 1924 in Berlin auf 28,2 und 25,1 Prozent; erst im folgenden Jahr fielen diese Sätze auf 9,9 bzw. 10,8 Prozent, was immer noch außerordentlich hoch war. Dabei handelte es sich um Jahresdurchschnittsbeträge. Im Einzelfall konnten die Sätze weit höher (aber auch niedriger) liegen, mit Spitzenwerten von bis zu 40 Prozent in den Monaten von November 1923 bis Mai 1924 (also der Zeit der Barmat-Kredite).76 Vor diesem Hintergrund sind die bis weit ins Jahr 1925 hinein zu hörenden Klagen von Industrie, Handel und Landwirtschaft über eine akute »Kreditnot« zu sehen. Für die etablierten Banken waren die Risiken des Kreditgeschäfts sehr hoch; sie zogen es deshalb vor, das Geld nicht auszuleihen – und es beispielsweise bei der Preußischen Staatsbank zu parken.
Tatsächlich betätigten sich die Amexima und die Merkurbank in diesem Bereich der Kreditgeschäfte und legten damit den Grundstein für den Barmat-Konzern. Zu den Kunden zählten nicht nur Industriebetriebe, sondern auch Banken, in einem Fall auch die Dresdner Bank. Die Staatsanwaltschaft sah später in diesen Geschäften insofern ein Betrugsvergehen, da die in die Millionen gehenden Geldbeträge von der Preußischen Staatsbank unter Vorspiegelung falscher Tatsachen, nämlich zur Finanzierung von Lebensmittelgeschäften und dann zum Ausbau der Unternehmen, vergeben worden seien, und das zu außerordentlich niedrigen Zinsen. Während die Amexima 15 bis 20 Prozent Zinsen zahlte, erzielte sie selbst bis zu 126 Prozent pro Jahr und verlangte von den Unternehmen weit höhere Sicherheitsleistungen in Form von Aktien, Hypotheken etc. als die Preußische Staatsbank von der Amexima. Mit den Sicherheitsleistungen der erworbenen Firmen gelangte die Amexima an weitere Kredite, und vielfach gingen zahlungsunfähige Firmen in den Besitz des Konzerns über.77
Die Preußische Staatsbank war über diese Vorgänge nicht nur informiert, sondern verfolgte offenbar ein klares Ziel. Im Geschäftsbericht über das Jahr 1924 war noch zu lesen, wie schwierig das Geldverleihgeschäft war, da die Geschäftsbanken ihre Kredittätigkeit im Winter 1923/24 stark beschränkten: Gerade aus diesem Grund wollte man »durch umfangreiche unmittelbare Kreditbewilligung an Industrie- und Handelskreise der Not leidenden Wirtschaft, die von anderer Seite keine ausreichende Kreditbefriedigung erlangen konnten, nach besten Kräften […] helfen und auf eine Ermäßigung der Zinssätze durch Gewährung billiger Kredite hin […] wirken«.78 In anderen Worten: Die umstrittenen, aber als solide geltenden Großkunden sollten in das risikoreiche Geschäft einsteigen. Das Kalkül der Preußischen Staatsbank schien zunächst auch aufzugehen. Erst im Mai, als die Reichsbank massiven Druck ausübte, die Kreditvergabe an die Not leidende Landwirtschaft direkt zu fördern, kam es zu dem Beschluss, den Geschäftsverkehr mit Barmat, Kutisker und Michael einzuschränken.79
Dieser wichtige Aspekt der Geschichte des Barmat-Konzerns illustriert einmal mehr die desaströsen Folgen der eingeschlagenen Unternehmensstrategie. Das große Geschäft waren solche Kreditvergaben allenfalls kurzfristig, da die zahlungsunfähigen Firmen wie ein Klotz am Bein der Amexima hingen.80 Ein Vertreter der großen Disconto-Gesellschaft meinte, dass sie sich nicht einmal gegen zehnfache Deckung in Kreditgeschäfte wie die der Preußischen Staatsbank und der Barmats begeben hätten.81