Читать книгу Kapitalismus und politische Moral in der Zwischenkriegszeit oder: Wer war Julius Barmat? - Martin H. Geyer - Страница 39

Eigenmächtigkeiten des Ministers

Оглавление

Die Aufregung war groß, als die Deutsche Girozentrale einen großen 10-Millionen-Kredit zum 17. Oktober 1924 nicht verlängerte. Es war absehbar, dass Barmat nicht zahlen konnte, aber die Reichspost hatte die Sicherung übernommen. Schon anlässlich der Ankündigung lud Lange-Hegermann zu einer Besprechung im Hotel Kaiserhof (dessen Kauf er übrigens früher Barmat vergeblich vorgeschlagen hatte) ein, wohin Höfle extra für einen Tag aus seinem – von Barmat finanzierten – Urlaub in Marienbad anreiste. Der Minister hatte allen Grund, aufgeregt zu sein. Denn im Ministerium wusste man nichts von den Abmachungen und finanziellen Verpflichtungen, die er eingegangen war. Die Schriftstücke mit den erwähnten Verträgen tauchten nicht in den Akten auf. Zwar waren die Kredite der Post an die Deutsche Girozentrale (die das Geld weiterleitete) kein Geheimnis, wohl aber der Verwendungszweck und die eingegangenen Garantien der Post. Ähnliches galt im Übrigen auch für Verhandlungen Barmats mit den englischen Postbehörden.55 Höfles Sekretärin hatte zwar die verschiedenen Briefe geschrieben, aber diese waren nicht mit Aktenzeichen versehen und befanden sich auch nicht in den Akten. War diese Geheimniskrämerei Ausdruck für ein Unrechtsbewusstsein Höfles? Dieser verwies auf sein unbürokratisches Handeln, wie ein Vertreter der Barmat’schen Garantiebank, der zugleich Chef der deutschen Lloyd war, über ein Gespräch mit dem Reichspostminister berichtete: »Die Leute setzten ihm [Höfle – MHG] zu, es wäre nicht zum Aushalten, es seien Bürokraten, er wolle nach kaufmännischen Grundsätzen handeln und werde überall gehindert.«56

Im wahrsten Sinne des Wortes »filmreif« waren dann die Ereignisse im Reichspostministerium. Die Ministerialbeamten hatten nämlich Wind davon bekommen, dass etwas falsch lief. In heller Aufregung eilten sie, angeführt von ihrem empörten Staatssekretär, zu Höfle. Noch auf dem Flur zur Rede gestellt, soll dessen erste Frage gewesen sein: »Woher wissen Sie das?« Als sein Staatssekretär ihm vorhielt, dass er ohne seine Beamten gehandelt und gegen die Richtlinien des Verwaltungsrats verstoßen habe, ja dass er zivilrechtlich, beamtenrechtlich und strafrechtlich haftbar gemacht werden könne, verwies Höfle auf die volkswirtschaftlichen und sozialen Gründe sowie auf die Gefahr, dass 15000 bis 18000 Arbeiter entlassen werden könnten. Als ihm entgegengehalten wurde, dass andere für solche Fragen zuständig seien, konterte er, »er sei Politiker und Volkswirtschaftler, er müsse diese Verhältnisse ganz anders würdigen, und er sei der Meinung, daß er unter diesen Umständen auch von den Richtlinien habe abweichen dürfen«.

Erst nach und nach soll Höfle die Tragweite seiner Entscheidung eingesehen haben, in einem »Zustand außerordentlicher Erregung« im Zimmer hin- und hergelaufen sein und schließlich kleinlaut gefragt haben: »Was fange ich nun an?«57 Just in diesem Moment wurde die Ankunft Henry Barmats, der seinen zu dieser Zeit in den Niederlanden weilenden Bruder vertrat, gemeldet. Als die Beamten ihn schwer beschuldigten, blieb er kühl und meinte, er wolle von der Sache nichts wissen, der Konzern habe das Geld bekommen, damit sei die Sache für ihn erledigt. Zur Verblüffung aller präsentierte er zudem einen Wechsel, auf den er sofort eine halbe Million Mark beschafft haben wollte. Es gebe keinen Pfennig, war die Antwort des Staatssekretärs, worauf Henry Barmat entgegnete, wenn er das Geld nicht bis ein Uhr habe, müsse der Konzern unter Geschäftsaufsicht gestellt werden (im Verfahren stritt er diese Äußerung ab: er habe von der »Einschränkung des Betriebs« gesprochen). Der in Panik geratene Höfle rief darauf in Gegenwart seiner Ministerialen verschiedene Banken an und bat um die Einlösung des Wechsels. Bei den Anwesenden hinterließ das »den peinlichsten Eindruck«, erschien ihr Minister doch als serviler Erfüllungsgehilfe der Barmats. Dieser Eindruck sollte sich noch verstärken, da er, wie sich später herausstellte, von der Merkurbank Kredite für seinen Hausbau in Lichterfelde und andere Vergünstigungen erhalten hatte.58

Trotz dieser Vorfälle wurden noch Übergangslösungen gezimmert. Ein offenbar ohne Rücksprache mit Barmat unternommener Versuch Höfles, einen größeren indischen Kredit an Land zu ziehen, scheiterte zwar.59 Aber zusammen mit der Girozentrale und der Rückversicherungsbank war das Ministerium auf massiven Druck seines Ministers bereit, nochmals einen Kredit zur Verfügung zu stellen: Die Barmats, so Höfle, seien »reiche Leute«.60 Die Beamten des Ministeriums erhielten von ihrem Minister das »Ehrenwort«, dass er keine Entscheidungen mehr ohne sie treffen werde. Höfles Sekretärin wurde unter Androhung sofortiger Entlassung verboten, dienstliche Schriftstücke des Ministers zu schreiben, die ohne Mitwirkung der Abteilung zustande kamen.61

Kapitalismus und politische Moral in der Zwischenkriegszeit oder: Wer war Julius Barmat?

Подняться наверх