Читать книгу Kapitalismus und politische Moral in der Zwischenkriegszeit oder: Wer war Julius Barmat? - Martin H. Geyer - Страница 33
Ein Koloss auf tönernen Füßen
ОглавлениеDer Einstieg Barmats ins industrielle Unternehmensgeschäft begann 1922 mit dem Engagement der Amexima in der Deutschen Margarine und Speisefett A. G. (Dema), einem der vielen Staatsbetriebe, die im Zusammenhang mit dem Abbau der Kriegswirtschaft teilweise privatisiert wurden. Das Reich besaß die Aktienmehrheit. Barmats Amexima stieg als Anteilhaberin ein, indem sie eine Kapitalerhöhung und in diesem Zusammenhang die Valutaschulden des Betriebs übernahm. Voraussetzung für die Beschaffung von Rohstoffen für die Margarineproduktion war der Zugang zum internationalen Devisenmarkt. Barmat besorgte sowohl Rohstoffe als auch Devisen. Das ebnete nicht nur den Weg zur Reichsbank sowie dauerhaft zur Preußischen Staatsbank, sondern auch ins Reichsfinanzministerium, das frühere Staatsbetriebe wirtschaftlich zu konsolidieren und zu verkaufen versuchte.18 Kritiker waren mit Blick auf diese Privatisierungen anderer Meinung: Hier werde wertvolles deutsches Tafelsilber, Volksvermögen, an »Spekulanten« verscherbelt, wenn nicht gar verschenkt, hieß es.19
Die Berliner Amexima hatte ein Auge auf weitere vom Reich privatisierte Firmen. Dazu zählten die Chromo A. G. in Altenburg, die Chrompapiere und -kartons herstellte, sowie die Kunstseidenspinnerei Münchenbernsdorf (in der gleichnamigen thüringischen Stadt), womit der Barmat-Konzern erstmals in größerem Umfang in Industrieunternehmen einstieg. Die Zeitgenossen sprachen von »Sachwertanlagen«, mit denen man den Wertverlust von Papiergeld auszugleichen versuchte. Bei einem Papiermarkpreis von umgerechnet 41000 bzw. 100000 GM waren diese beiden Erwerbungen auf den ersten Blick ein »Schnäppchen«. Die Zukäufe waren kreditfinanziert, sodass Barmat wie alle anderen, die sich an der großen »Flucht in die Sachwerte« beteiligten (und dafür den erforderlichen Zugang zum Kreditmarkt besaßen), ordentliche Gewinne einzustreichen schien. Einmal mehr verdammten viele Beobachter diese Strategie als Ausdruck eines spekulativen Geistes, der sich zu dieser Zeit rasch im Wirtschaftsleben und in der gesamten Gesellschaft ausbreite.
Spekulativ war 1923 auch der »günstige« Ankauf der Altenburger Sparbank A. G., einer kleinen regionalen Bank, die nach Berlin verlegt werden und dort Deutsche Handelsbank A. G. heißen sollte. Banken schossen während der Inflationszeit überall aus dem Boden; sie spielten eine wichtige Rolle bei kreditfinanzierten Geschäften. In diesem Fall ging die Rechnung nicht auf, da das preußische Finanzministerium ein Veto gegen die Verlegung einlegte. Das machte die Sache unattraktiv, da bei einer Umsiedlung das Depot- und Depositenrecht, d. h. das Recht, mit Wertpapieren und Devisen zu handeln und Kundengelder anzunehmen, weggefallen wäre.20
Was Barmat im Jahr der Hyperinflation eher im kleinen Stil praktizierte, betrieb er im folgenden Jahr im großen Stil. Die Expansion des Konzerns erfolgte demnach während der Währungsstabilisierung, die sich bis in den Sommer 1924 hinzog. Das war in jeder Hinsicht ungewöhnlich. Viele andere während der Inflationszeit gegründete oder mit Krediten ausgebaute Betriebe suchten nun händeringend zahlungskräftige Käufer und Investoren. Denn mit der Währungsstabilisierung trocknete der Geldmarkt plötzlich aus, und die Banken forderten, wie noch genauer zu sehen sein wird, exorbitante Zinsen. Kein Wunder, dass der finanzstarke und gut etablierte Ausländer Barmat ein gefragter und umworbener Mann war. Viele erwarteten von ihm die Rettung. Barmat sah in dieser Situation eine große Chance – mit fatalen Folgen.
Die Expansion der Amexima erfolgte nun in zwei Schüben. Bis Mai 1924 kamen zwei weitere Banken hinzu, darunter die in Berlin ansässige Deutsche Merkurbank, die selbst im Besitz von diversen Industrieunternehmen war und sich nach der Übernahme durch die Amexima noch weiter vergrößerte. Bis Juli 1924 nahm der eingeschlagene Expansionskurs ein atemberaubendes Tempo an und ließ die Umrisse eines Konzerns erkennen. Dabei waren es nun weniger kleinere Erwerbungen wie die der Bremer Privatbank, bei deren Kapitalerhöhung auf 500000 GM die Amexima 400000 GM übernahm; vielmehr kaufte sie sich im großen Stil entweder in Form von Beteiligungen in bestehende Konzerne ein, oder sie übernahm überschuldete Firmen. So entstand ein merkwürdiger Zwitter: Zum einen war die Berliner Amexima in Bezug auf die konzerneigenen Banken eine Finanzierungs- und Beteiligungsgesellschaft, zum anderen gelangte der Konzern zunehmend in den Besitz von Industrieunternehmen.
Der Erwerb der in Berlin ansässigen Deutschen Merkurbank war für den Expansionskurs in Richtung Finanzierungsgesellschaft von besonderer Bedeutung. Denn diese Bank wurde zu einem wichtigen Bestandteil des entstehenden Barmat-Konzerns, wenngleich Barmat sie zu keinem Zeitpunkt vollständig kontrollierte. Die Merkurbank war eine Gründung des Jahres 1922 und ging aus der vormaligen Bank von Beneckendorff hervor (mit Verbindungen zu der Familie des Weltkriegsgenerals und späteren Reichspräsidenten Paul von Beneckendorff und von Hindenburg). Sie war eine der vielen, zunächst erfolgreichen Inflations(neu)gründungen und befand sich in einer der besten Lagen Berlins, Ecke Friedrich- und Behrenstraße. Ihre Geschichte ist bezeichnend für die Inflationszeit: Seit 1922 hatte sie mehrmals die Besitzer gewechselt und gelangte 1923 unter anderem in die Hand des Kaufmanns Hermann Weber, der als Inhaber der Deutschen Spirituosenwerke unter dem Namen »Sprit-Weber« über Berlin hinaus wegen großer »Alkoholschiebungen« auch in die USA sowie wegen Steuerhinterziehungen bekannt war. Spekulationsgeschäfte mit französischen Franken hatten die Bank in Bedrängnis gebracht. Gegen Abdeckung des Frankenengagements »Sprit-Webers« und einen Kredit im Wert von über 150000 GM an die Deutschen Spirituosenwerke beteiligte sich Barmat mit seiner Amexima an der Bank. Dazu diente eine Erhöhung des Aktienkapitals von 50000 auf 2 Mio. GM. Barmat wurde damit jedoch nicht zum Mehrheitseigner der Bank, denn zwei ihrer Direktoren namens Lichtenstein und Schäffer besaßen mit vielfachen Stimmrechten ausgestattete Vorzugsaktien, die ihnen bei Abstimmungen die entscheidende Mehrheit sicherten. Trotz der massiven Kapitalerhöhung, die allein Barmat stemmte, behielten sie über ihre Vorzugsaktien ein Mitspracherecht. Das Landesfinanzamt machte davon die Anerkennung des wichtigen Depot- und Depositenrechts abhängig, wahrscheinlich um der »Überfremdung« der Bank und Kapitaltransfers ins Ausland einen Riegel vorzuschieben. Das Resultat war aber, dass diese beiden Direktoren auch weiter ihre eigenen Geschäfte betrieben – mit und ohne Absprache mit Barmat.21
Wie eng die Merkurbank und die Amexima Berlin zusammenarbeiteten, wird daran deutlich, dass die Amexima ihre Geschäftsräume in die der Merkurbank verlegte und von nun an einen großen Teil der Geschäfte über die Merkurbank abwickelte, während das Privatkundengeschäft der Bank dagegen ganz in den Hintergrund trat.22 Die Merkurbank übernahm selbstständig eine ganze Reihe von Betrieben im Bereich der Eisen-, Textil- und Elektroindustrie, aber auch kleinere Betriebe wie die Münchener Terrakotten-Kunst A. G. und den Keller-Konzern in Barmen (Wuppertal), der in der Herstellung von Maschinen und Werkzeugen aller Art tätig war. Zu nennen sind ferner zwei Banken, nämlich die profitable Preußische Hypotheken-Aktien-Bank Berlin und die Allgemeine Garantiebank-Versicherungs-Aktiengesellschaft. Bei der Garantiebank handelte es sich um eine Rückversicherungsgesellschaft, die eine wichtige – später umstrittene – Rolle bei der Konzernvergrößerung spielte. Der Erwerb der im Gegensatz zu den anderen Betrieben profitablen Garantiebank war zwar recht teuer – bei der Erhöhung des Kapitals Ende Juni übernahm die Amexima 1,25 Mio. GM und verschaffte sich dadurch die Mehrheit –, er war aber insofern wichtig, weil es auf diese Weise gelang, in Form von Kreditbürgschaften Kredite der eigenen Konzerngesellschaften abzusichern (wobei das Risiko in der Regel mit zahlreichen anderen in- und ausländischen Rückversicherern geteilt wurde).23
Ein wichtiges, wenn auch durch und durch unsolides Standbein des entstehenden Barmat-Konzerns war das Finanzkonsortium mit dem an der Börse gelisteten Roth-Konzern. Die Dachgesellschaft dieses Konzerns, die Roth A. G. Berlin, besaß als eigenes Werk die große Maschinenfabrik Perleberg und die Eisengießerei und Maschinenfabrik J. Roth in Ludwigshafen und Oggersheim mit wiederum neun größeren Firmen. Dazu gehörten Unternehmen in Jugoslawien und der Tschechoslowakei mit 22 Unterfirmen im Bereich der Eisen-, Stahl- und Metallindustrie in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Dieses Konsortium machte sich nun 1924 ebenfalls auf Einkaufstour, indem weitere Betriebe aus dem Bereich Eisengießerei, Maschinenbau und Eisenkonstruktion von Brücken einverleibt wurden. Einer der größten Brocken war die Berliner Burger Eisenwerke A. G., wiederum mit einer Reihe von abhängigen Firmen und Beteiligungen. Wie im Falle der Merkurbank war Barmats Amexima nicht die Mehrheitseigentümerin des Roth-Konzerns und kontrollierte auch nicht dessen Expansion. Barmat vertraute dabei vielmehr auf die beiden älteren Besitzer der Firma, Alfred Staub und Julius Rabbinowitz, die zusammen mit ihm die Aktienmehrheit von Roth besaßen.
Das Problem war, dass der kleine Roth-Konzern schon bei der Übernahme in großen Zahlungsschwierigkeiten steckte. Gläubiger waren zum einen namhafte deutsche Großbanken, die sich mit der Geschäftsleitung zuvor auf ein Stillhalteabkommen und Zahlungsaufschübe geeinigt hatten, zum anderen die Preußische Staatsbank, der ob ihres Engagements offenbar mulmig wurde. Warum sich Barmat in diesem für ihn fatalen Geschäft engagierte, war schon damals nicht mehr genau zu eruieren. Seine Anwälte (wie im Übrigen sein Freund Ernst Heilmann und die Direktoren der Merkurbank) behaupteten, dass die Initiative dafür von der Staatsbank ausgegangen sei, da auf diese Weise die Schulden des Roth-Konzerns bei der Bank stark reduziert werden konnten; außerdem habe die Amexima Amsterdam sehr viel Geld in den Betrieb gesteckt. Ähnliches geschah bei der Berliner Burger A. G., die bei der Staatsbank ebenfalls mit hohen Krediten von etwa 1,5 Mio. GM in den Büchern stand. Wie auch immer, diese Kaufentscheidungen hatten desaströse Folgen. Der Finanzbedarf dieser Firmen glich einem Fass ohne Boden: Die Rede war von 13 Mio., die man in die Roth-Gruppe gepumpt habe, eine Zahl, die von den Ermittlungsbehörden weitgehend bestätigt wurde.24
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass der deutsche Amexima-Konzern gegen Ende des Jahres 1924 etwa 85 selbstständige und untereinander verflochtene Betriebe umfasste. Neben Banken und Versicherungen findet man auffallend viele Firmen im Bereich Maschinenbau und Eisenverarbeitung. Die Industriebetriebe standen vielfach in Konkurrenz zueinander, und es sind keine Initiativen zu erkennen, dass sie aus Effizienzgründen zusammengelegt werden sollten. Der Barmat-Konzern glich somit in mehrerer Hinsicht den vielen sogenannten Inflationskonzernen, die unter einem gemeinsamen Dach oft ein Kunterbunt von Firmen umfassten. Die innere Struktur des Konzerns war außerordentlich schlecht, denn niemand, auch nicht Julius Barmat, hatte nach den hektischen Zukäufen wirklich eine Übersicht über die wirtschaftliche Lage der einzelnen Konzernbestandteile: Beim Kauf war keine genaue Revision der Betriebe vorgenommen worden, und viele Betriebsleiter arbeiteten ohne Kontakt zur Konzernspitze, ja verteidigten ihre Selbstständigkeit und Interessen, wenn sie nicht sogar in die eigene Tasche wirtschafteten. Das Kernproblem war, dass die meisten Firmen infolge der scharfen Wirtschaftskrise Geld »verbrannten« und auf Kreditspritzen angewiesen waren. Überall verließ man sich darauf, dass Barmat Geld beschaffte, woher auch immer, sei es aus eigenen Quellen oder vermittels Krediten.
Noch im November 1924 versuchte Barmat, umzusteuern und den Konzern mithilfe von zwei Experten seines Vertrauens zu reorganisieren: Der Bereich Kredit- und Finanzangelegenheiten wurde Emil Kautz übertragen, der ursprünglich aus der Finanzverwaltung Preußens und des Reiches stammte, zeitweise das Reichsverwertungsamt geleitet und in diesem Zusammenhang auch Barmat kennengelernt hatte. Im Oktober 1924 kehrte er aus der Türkei zurück, wo er wie schon vor dem Ersten Weltkrieg das Amt eines Generaldirektors der staatlichen türkischen Landwirtschaftsbank bekleidet hatte. Für den Bereich industrielle Organisation und die wirtschaftliche Zusammenschließung der Konzernfirmen engagierte Barmat Gerhard Lewy, der sich selbst als »überzeugte[n] Monarchist[en]« und als Parteigänger der DVP bezeichnete.25