Читать книгу Kapitalismus und politische Moral in der Zwischenkriegszeit oder: Wer war Julius Barmat? - Martin H. Geyer - Страница 14

Sozialdemokrat und Freund der Zweiten Internationale

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Nach Kriegsende hatten Beobachter den Eindruck, dass sich der »Sympathisant der Bolschewiki« plötzlich als Förderer der niederländischen wie der deutschen Sozialdemokraten gerierte. Passte sich Barmat opportunistisch den jeweiligen Machtverhältnissen an?26 Es bleibt im Dunkeln, wann genau Barmat, der sich selbst als überzeugter Sozialdemokrat bezeichnete, erstmals Kontakte zu niederländischen und wohl auch belgischen Sozialisten knüpfte. Er selbst gab an, schon seit 1908 Mitglied der niederländischen sozialdemokratischen Partei zu sein. Andere, darunter sein deutscher Freund Ernst Heilmann, meinten, er sei weder in Deutschland noch in den Niederlanden jemals Parteimitglied gewesen.27

Zu Barmats engeren Bekannten zählte der weit über sein Heimatland Belgien hinaus bekannte Sekretär der Sozialistischen Internationale Camille Huysmans. Infolge der deutschen Besetzung Belgiens war das Büro der Internationale 1914 nach Amsterdam verlegt worden. Anfang 1919 wurde sie in Bern neu gegründet und war als Sozialistische (»Zweite«) Internationale die Konkurrenzorganisation zur im März 1919 gegründeten Kommunistischen Internationale. Mit der Wiederaufnahme der Arbeit nach dem Krieg war Huysmans auf der Suche nach zusätzlichen Büros, die er – provisorisch und offenbar kostenlos – für kurze Zeit in den Amsterdamer Geschäftsräumen Barmats fand. Vermittelt wurde dieses Arrangement vom niederländischen Sozialdemokraten Troelstra, der schon während des Krieges Bekanntschaft mit Barmat gemacht hatte und ebenfalls als Sympathisant der deutschen Seite bekannt war.

Diese politischen Verbindungen baute Barmat in der Folgezeit systematisch aus. Auf dem ersten großen internationalen Sozialistentreffen in Amsterdam nach dem Krieg im April 1919 kam er mit weiteren europäischen Sozialisten in Kontakt. Anwesend waren von deutscher Seite nur Hugo Haase und Luise Kautsky von der USPD, während der Vorsitzende der SPD Otto Wels sowie Hermann Müller sich infolge von Visumproblemen verspäteten und erst nach Abschluss der viertägigen Zusammenkunft eintrafen. Die meisten Delegierten waren inzwischen abgereist. Nicht ohne Stolz berichtete Barmat später, dass in seinem Haus in Amsterdam bei dieser Gelegenheit zum ersten Mal nach dem Krieg Deutsche und Engländer zusammengekommen seien. Die neue republikanische Reichsregierung hatte allen Grund, auf ihn und andere ihm nahestehende Personen zu setzen: Huysmans und Troelstra nahmen mit Blick auf den Friedensvertrag deutschlandfreundliche Positionen ein, was in den Reihen der Internationale alles andere als unumstritten war. Insbesondere versprach Barmat, zwischen Deutschland und Belgien zu vermitteln. Die »Stimmung in Belgien [war] kolossal erregt, man wollte alles, was deutsch ist, verhaften«, erinnerte er sich.28 Ob der Geschäftsmann im April die Delegierten des Kongresses der Zweiten Internationale auf seine Kosten bewirtete, gar zu einem Empfang in seinen Büros einlud, ist nicht belegt. Es ist aber sehr wahrscheinlich, präsentierte er ihnen doch stolz seine Geschäftsräume.29

All das bot in der Folgezeit reichlich Stoff für alle möglichen Vermutungen und Unterstellungen. Für die Kommunisten war klar: Der »Spekulant Barmat« knüpfte damals nicht nur die entscheidenden politischen Kontakte nach Deutschland, sondern hatte auch die Sozialisten der Zweiten Internationale, die damit einem Kapitalisten hörig wurden, »gekauft«. Für die Konservativen und Völkischen standen die Sozialdemokraten im Sold eines Ostjuden. Die Unterstellungen gingen so weit, dass sich der SPD-Politiker Ernst Heilmann im Preußischen Untersuchungsausschuss veranlasst sah, mit Blick auf erste Kontakte seiner Partei mit Barmat, die erst im April 1919 stattfanden, die Behauptung zurückzuweisen, Barmat habe den »Dolchstoß finanziert«.30

Der konkrete Grund für Barmats geplante Reise nach Berlin schon im Januar 1919 waren Zeitungspläne. Tatsächlich ermöglichte er die Gründung und den Betrieb der Rotterdamer sozialdemokratischen Zeitung Voorwaarts, indem er zwischen 1917 und 1924 215000 Gulden in das Unternehmen seines guten Bekannten Troelstra steckte.31 Im Gegensatz zum zentralen Organ der holländischen Sozialdemokraten Het Volk war der Voorwaarts explizit der deutschen Seite zugeneigt – zumindest versprach das Barmat, der mit diesem Projekt zweifellos ein geschäftliches Kalkül verband, nämlich sich über solche politischen Kontakte in den Niederlanden wie in Deutschland zu etablieren. Der in Den Haag für die Presse zuständige deutsche Gesandte wusste zu berichten, dass nicht nur der deutsch-niederländische Austausch intensiviert werden sollte, sondern dass es weiterreichende Pläne gebe, wonach »sozialdemokratische Presse- und Telegraphenagenturen in allen Hauptstädten« eingerichtet werden sollten.32 Gespräche über solche Pressevorhaben führte Barmat mit dem befreundeten und in die Zeitungspläne involvierten niederländischen sozialistischen Politiker Jan Willem Matthijsen – und darüber wollte er im Winter und Frühjahr 1919 auch in Deutschland im Auswärtigen Amt und mit einzelnen Politikern, u. a. dem Reichspräsidenten, sprechen. Dementsprechend gab er bei der Antragsstellung für das Visum nicht Geschäftsbeziehungen, sondern »politische Gründe« an, konkret: »Informatorische Arbeit für die Niederländische Soz. Dem. Arb. Partei beim Parteivorstand der deutschen Soz. De. Partei. Redaktion Vorwärts«.33

Trotz eines Einreisevisums wurde aus den Reisen zu Beginn des Jahres nichts. Erfolgreicher waren erneute Bemühungen im März und Ende April. Inzwischen gab es konkrete Kontakte zu den Sozialdemokraten Otto Wels und Hermann Müller sowie zu Beamten des Auswärtigen Amtes, darunter zu dem Barmat wohlgesonnenen, aus Protest gegen den Versailler Vertrag bald aus dem Auswärtigen Amt ausscheidenden Unterstaatssekretär und Industriellen Helmuth Toepffer.

Im Rahmen seines Aufenthalts fand Barmat am 4. Mai in Begleitung von mehreren SPD-Politikern, darunter Otto Wels, Hermann Müller und Ernst Heilmann, auch den Weg zum Reichspräsidenten Friedrich Ebert und übergab diesem ein Empfehlungsschreiben des belgischen Ministers Huysmans. Ebert lud die Gruppe daraufhin zum geselligen Abendessen ein. Etwa sechs Tage später kam es zu einem erneuten, kurzen (und letzten) Zusammentreffen, da Ebert Barmat ein Antwortschreiben übergab. Bei den Gesprächen ging es primär um politische Fragen, wobei das Thema der Lebensmittelversorgung angesichts der kritischen Versorgungslage sicherlich ebenfalls angesprochen wurde.34

Dieses kurze und eher belanglose Treffen sollte ein großes Nachspiel haben. Denn Barmat lernte den für Friedrich Ebert als Privatsekretär arbeitenden Franz Krüger kennen, der dem Kaufmann in der Folgezeit eine ganze Reihe von Freundschaftsdiensten erwies, angefangen von der Ermöglichung eines Telefongesprächs aus den Büroräumen des Reichspräsidenten nach Amsterdam bis hin zu Briefen auf offiziellem Briefpapier, in denen sich Krüger für erleichterte Grenzkontrollen auch für Angestellte der Barmat’schen Amexima einsetzte. Im Auswärtigen Amt machte sich Toepffer, selbst ein Großindustrieller, mehrmals für das von Barmat nun beantragte Dauervisum stark, am 6. Mai mit der, wie Toepffer später konsterniert selbst bemerkte, problematischen, weil in der Presse aufgebauschten Formulierung, wonach Barmat »in intimsten Beziehungen zum Reichspräsidenten Ebert« stehe. Der Unternehmer habe sich bitter darüber beschwert, dass man ihm ein Dauervisum verweigere.35

Notorische Berühmtheit sollte aber ein Telegramm Barmats an den Parteivorsitzenden Otto Wels erlangen, das dieser wiederum Ebert vorlegte, der sich mit einem handschriftlichen Vermerk auf dem Schriftstück für das von Barmat beantragte Dauervisum einsetzte. Daraufhin instruierte die Botschaft das Generalkonsulat am 22. Mai, Barmat »auf persönlichen Wunsch des Reichspräsidenten« den geforderten Dauersichtvermerk für drei Monate auszustellen, eine Order, der man in Amsterdam zähneknirschend Folge leistete, so wie man im Herbst 1922, nach Barmats Übersiedlung zusammen mit seiner Familie nach Berlin, nicht umhin kam, die zeitlich begrenzten Visen in Dauervisen umzuwandeln.36 Wie noch zu sehen sein wird, versuchte die radikale Opposition daraus dem Reichspräsidenten einen Strick zu drehen. Dabei ging es aber vor allem um einen zentralen Punkt, der alle folgenden Debatten überschattete: die Verantwortung für die große Zahl von Ostjuden, die nach Deutschland flohen.

Kapitalismus und politische Moral in der Zwischenkriegszeit oder: Wer war Julius Barmat?

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