Читать книгу Segen - Martin Leuenberger - Страница 16
5. Einordnung der biblischen Vorstellung von Segen
ОглавлениеAuf die biblische Vorstellung von Segen und ihre Rezeptionsgeschichte wird in den anderen Kapiteln dieses Buches ausführlich eingegangen. Daher mögen an dieser Stelle einige Hinweise zur Einordnung genügen. Im Vergleich zu der weltweit verbreiteten Vorstellung, dass das Wohlergehen der lebenden Menschen in einer Beziehung der Interdependenz zu den Ahnen steht, fällt in den Väter- und Müttergeschichten der HB auf, dass auch dort die Vorstellung von Segen prominent mit der Beziehung zwischen Vater und Sohn verbunden ist (Gen 27). Dabei wird vorausgesetzt, dass es eigentlich um die Beziehung zwischen dem Vater und dem ältesten Sohn geht (Gen 27,1), sofern dieser nicht in die Wüste geschickt wird (Gen 21,9–21) oder seinen Segen verspielt (Gen |34|25,29–34). Der Segen wird an die nächste Generation idealerweise dann weitergegeben, wenn der Vater an der Schwelle des Todes steht (Gen 27,4). Dies macht darauf aufmerksam, dass die biblische Vorstellungswelt Voraussetzungen teilt, die weit in der menschlichen Religionsgeschichte verzweigt sind – nämlich dass die in der Bibel mit »Segen« beschriebene Dimension des Lebens etwas zu tun hat mit der Beziehung zwischen verstorbenen Vorfahren und lebenden Nachkommen. Eine Besonderheit des biblischen Konzepts von ›Segen‹ gegenüber den exemplarisch anhand der Herero und des Konfuzianismus dargestellten Vorstellungskomplexen besteht jedoch darin, dass der Segen des Vaters gegenüber dem Sohn eine einmalige Handlung ist (vgl. Gen 27,38). Verglichen mit den beiden zuvor beschriebenen Konzepten wird damit die Beziehung zwischen verstorbenen Vorfahren und lebenden Nachkommen davon entlastet, dass um ihre segensvolle Wirkung immer weiter gerungen werden muss. In der idealtypischen Beschreibung der »Vätergeschichten« ist die Beziehung zwischen Lebenden und Toten befriedet dadurch, dass bereits alles getan ist, was zu tun ist.
Gleichzeitig ist in der biblischen Vorstellungswelt der zwischen Menschen erteilte Segen untrennbar verbunden mit dem segnenden Wirken Gottes. Die Väter- und Müttergeschichten der Genesis erzählen nicht nur von dem Segen, der vom Vater zum Sohn weitergegeben wird, sondern auch von der Segensverheißung an Abraham (Gen 12,2), die letztlich zum Segen für alle Völker werden soll (Gen 12,3). Die narrative Verbindung zwischen beiden Elementen führt dazu, dass die Lesenden die Spur der Segensverheißung Gottes entlang der Segenshandlungen zwischen Vätern und Söhnen verfolgen und deshalb ihre Wirkungen nicht über die Linie der jeweils älteren/erstgeborenen Söhne bei den Ismaelitern bzw. den Edomitern suchen, sondern über die Linie der nachgeborenen Söhne bei den Israeliten, deren Genealogie mit dem Fluss der väterlichen Segenshandlungen übereinstimmt. Von dieser narrativen Verknüpfung lebt letztlich auch die für das NT zentrale Aussage, dass die an Abraham gegebene Verheißung des Segens für alle Völker sich in Jesus Christus erfüllt (Gal 3,8f.).