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|35|6. Segen im Islam

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Der Islam hat an der biblischen Vorstellungswelt Anteil, indem er eine Vielzahl von biblischen Erzählstoffen aufgreift und interpretiert, indem er das Grundanliegen der prophetischen Verkündigung des Einen Gottes und seiner Gerechtigkeit teilt, und indem auch in sprachlicher Hinsicht viele arabische Begriffe der islamischen Terminologie mit den entsprechenden hebräischen oder aramäischen Begriffen der israelitisch-jüdischen und frühchristlichen Terminologie verwandt sind. Von daher hat die Einbeziehung des Islam in einen religionsgeschichtlichen Vergleich zu einem jüdisch-christlichen Begriff einen besonderen Stellenwert. Es geht bezogen auf den Islam nicht nur um die Frage, ob sich Analogien zur Vorstellung von »Segen« hinsichtlich ihrer Einordnung in die menschliche Wirklichkeitserfahrung finden lassen, sondern es geht auch darum, wie ein mit dem Judentum und Christentum gemeinsamer religiöser Grundbegriff aufgenommen, interpretiert, abgewandelt und fortgeführt wird.

Eine für das theologische Verständnis von ›Segen‹ im Islam wichtige Beobachtung ist zunächst, dass im Koran das Verb -l-ʾ (das in der islamischen Lehrbildung schnell zum Terminus technicus für die Verrichtung des islamischen Pflichtgebets alat geworden ist) auch mit Gott als Subjekt vorkommt. Laut Sure 33 (al-Azāb), Vers 43 vollzieht Gott die Tätigkeit -l-ʾ über den in diesem Vers angesprochenen Gläubigen, und ebenso tun dies seine Engel. Aus der Fortsetzung des Satzes geht hervor, dass dies dazu dient, »[…] damit er euch aus den Finsternissen ins Licht hinausführt.« Dadurch wird deutlich, dass die Tätigkeit -l-ʾ von Gott zum Wohl der Gläubigen ausgeführt wird, und zwar nicht nur im Hinblick auf ihr irdisches Wohl, sondern auch zu ihrer Rechtleitung im Glauben, wofür die Metapher des Weges von der Finsternis zum Licht steht.

Die islamische Koranexegese interpretiert diese Aussage nun nicht so, dass auch Gott das Pflichtgebet verrichten würde, sondern deutet sie als ein segnendes Handeln Gottes und seiner Engel. Entsprechend wählen auch Übersetzungen in westliche Sprachen ziemlich regelmäßig Begriffe aus dem Wortfeld des Segens.

In derselben Sure al-Azāb sagt Vers 56 noch einmal spezieller |36|von Gott und seinen Engeln aus, dass sie über dem Propheten (d.h. Muhammad) die Tätigkeit -l-ʾ verrichten, und die Gläubigen werden aufgefordert, dasselbe zu tun. Aus diesem Vers leitet sich die Praxis her, dass während des fünfmal täglich zu verrichtenden Pflichtgebets um den Segen für den Propheten Muhammad gebeten wird. Nach einem Hadith hat Muhammad die entsprechende Formulierung im Bezeugungsgebet (tašahhud) selbst empfohlen:

»Man sagte: O Gesandter Gottes, wie sollen wir über dich den Segen sprechen? Er sagte: Sprecht: O unser Gott, sprich den Segen über Muhammad und seine Ehefrauen und seine Nachkommen, wie du den Segen über die Angehörigen Abrahams gesprochen hast. Und segne Muhammad und seine Ehefrauen und seine Nachkommen, wie du die Angehörigen Abrahams gesegnet hast. Du bist des Lobes und der Ehre würdig« (Khoury 2008–2011, Bd. 2: 299).

Darüber hinaus ist es unter Muslimen üblich, bei jeder Erwähnung des Propheten Muhammad oder eines anderen Propheten wie z.B. Jesus eine Segensformel über ihn auszusprechen. Auch dies hat seine Grundlage in einem Hadith: »Der Gesandte Gottes sagte: Der (wahre) Geizige ist der, bei dem ich erwähnt werde und der nicht über mich den Segen spricht« (Khoury 2008–2011, Bd. 2: 300).

Die wichtigsten arabischen Begriffe, mit denen das Wortfeld ›Segen‹ bezeichnet wird, leiten sich jedoch nicht aus der Wurzel -l-ʾ her, sondern in genauer Entsprechung zum biblischen Hebräisch aus der Wortwurzel b-r-k. Das arabische Nomen, das sich mit ›Segen‹ übersetzen lässt, lautet ›baraka‹; das ebenfalls sehr häufig begegnende Partizip passiv (»gesegnet«) lautet ›mubarak‹.

Für die baraka gilt im Islam analog zum Judentum und Christentum, dass sie letztlich immer eine Gabe Gottes ist, die jedoch auch durch menschliche Segenshandlungen zugesprochen werden kann. Umstritten ist innerhalb der muslimischen Religionsgemeinschaft, wie weit ›baraka‹ durch menschliche Segenshandlungen nicht nur zugesprochen, sondern auch vermittelt wird, und wie weit Menschen und Gegenstände zu Trägern von ›baraka‹ im Sinne einer besonderen Segensmacht werden können, die durch Berührung übertragen werden kann.

Gott selbst vollzieht im Koran die Tätigkeit b-r-k insbesondere in Bezug auf das Land, in das zunächst Abraham und Lot vor den Götzendienern |37|ihrer Heimat gerettet werden (Sure 21, Vers 71), und das später das Volk Israel nach seinem Auszug aus Ägypten erhält (Sure 7, Vers 137). Die stehende Redewendung zur Bezeichnung dieses Landes ist dabei »Das Land, das Wir gesegnet haben« (vgl. auch Sure 21, Vers 81). Ebenfalls von Gott gesegnet ist nach Sure 17, Vers 1 die »Fernste Moschee« (masğid al-aqā), die von der Tradition als der Tempelberg von Jerusalem gedeutet wird. Bereits etwas zurückhaltender ist die sprachliche Konstruktion, wenn Jesus in Sure 19 (maryam), Vers 31 von sich selbst sagt »Und Er (Gott) hat mich gesegnet gemacht, wo immer ich bin«. Als ›gesegnet‹ (mubarak) wird auch der Koran bezeichnet (Sure 6, Verse 92. 155) und die Nacht, in der die erste Sure des Koran herabgesandt wurde (Sure 44, Vers 3). Weiter wird über das Heiligtum der Kaaba in Mekka ausgesagt, dass sie gesegnet sei und eine Rechtleitung für die Welten (Sure 3, Vers 96).

Ähnlich wie im Hebräischen ist auch im Arabischen des Koran das Verb b-r-k so benutzt, dass es auch Gott zum Objekt haben kann. Während im biblischen Zusammenhang dafür die Übersetzung »Gepriesen sei …« üblich ist (s. aber. u. Leuenberger, in diesem Band S. 50f.), wird die entsprechende Formulierung in Übersetzungen des Koran auch mit »gesegnet sei …« wiedergegeben. Sure 25 (al-furqān) beispielsweise beginnt mit der Formulierung: »Gesegnet sei, der auf seinen Diener die Unterscheidungsnorm (furqān) herabgesandt hat, damit er den Weltenbewohnern ein Warner sei …« (Vers 1) und setzt danach noch zweimal neu ein mit der Formel »Gesegnet sei, der …« bezogen auf Gott (Verse 10 und 61).

Die bereits im Koran angelegte Vorstellung, dass bestimmte Personen und Orte in besonderer Weise gesegnet sind, hat in der weiteren Geschichte des Islam dazu geführt, dass ›baraka‹ in manchen Kreisen als eine Art Segensmacht interpretiert wird, die sich in der Gegenwart von Personen und Orten manifestieren kann und die auf andere Personen oder auch auf Gegenstände übertragen werden kann. Insbesondere der Sufismus hat für die Verbreitung dieser Vorstellung eine wichtige Rolle gespielt.

Innerhalb der Sufi-Orden wurden und werden besondere Wissensbestände gepflegt, die sich mit Zuständen der menschlichen Seele und des menschlichen Körpers beschäftigen, und die sowohl |38|zur spirituellen Führung von Anhängern des Ordens, als auch für Heilungen genutzt werden. Diese Wissensbestände werden nach außen hin geheim gehalten. Weitergegeben werden sie in besonderen Lehrer-Schüler-Verhältnissen, die bei erfolgreicher Entwicklung dahin führen, dass der Lehrer den Schüler damit beauftragt, selbst ein Sufi-Scheich zu werden und das Wissen seines Ordens an neue Schüler weiterzugeben. Auf diese Weise kann jeder Sufi-Scheich seine Beauftragung auf eine lückenlose Kette von Lehrern zurückführen, die bis zum Gründer des Ordens und weiter bis zum Propheten Muhammad führt.

In der islamischen Volksreligiosität wurde und wird die bei manchen Sufi-Scheichs besonders ausgeprägte Begabung zur spirituellen Führung und Heilung als eine baraka interpretiert, der eine geradezu physisch manifeste Kraft zugeschrieben wird, durch Übertragung Segen zu bewirken. Manche lebenden Sufi-Scheichs sind bereits von einem Nimbus umgeben, Träger von ›baraka‹ in diesem Sinne zu sein. Noch mehr wird es verstorbenen Sufi-Scheichs zugeschrieben, dass die baraka am Ort ihres Grabes gegenwärtig sei. Teilweise handelt es sich bei diesen Gräbern um Schreine, in deren Zentrum ein Sarkophag steht. Einen mindestens analogen Stellenwert haben die Gräber von Propheten, die in den Kernländern des Islam zahlreich zu finden sind, und die Gräber von wichtigen Gestalten des frühen Islam.

Menschen pilgern zu den Gräbern von Propheten, Heiligen und Sufi-Scheichs, teilweise um für ihr spirituelles Leben der dort anwesenden baraka teilhaftig zu werden; teilweise auch, um Heilung von körperlichen oder seelischen Krankheiten zu erfahren oder um einen lange erfolglos gehegten Kinderwunsch endlich erfüllt zu bekommen.

All diese Praktiken und Deutungen sind jedoch im Islam hochgradig umstritten. Die orthodoxen Schulen der islamischen Gelehrsamkeit stehen ihnen mit großer Zurückhaltung gegenüber. Im 18. Jahrhundert entstand auf der Arabischen Halbinsel die Bewegung der Wahhabiten, die sich auf die in diesem Punkt schon lange zuvor besonders strenge Rechtsschule der Hanbaliten und auf die Lehren von Ibn Taymiyya (1263–1328) beruft. Die Wahhabiten begegneten der volksreligiösen Interpretation von ›baraka‹ und den |39|daraus hervorgegangenen Praktiken mit offener Feindschaft und teilweise auch mit Gewalt gegen Schreine von Sufi-Scheichs und gegen andere heilige Orte, an denen die Wahhabiten ein aus ihrer Sicht missbräuchliches Pilgerwesen wahrnahmen. Da die Lehre der Wahhabiten im offiziellen Islam des Königreichs Saudi-Arabien aufgegriffen wurde und von dort aus im Rahmen von gut finanzierten Projekten in die gesamte islamische Welt exportiert wird, nimmt ihre Bedeutung für den weltweiten Islam gegenwärtig stark zu, während Sufismus, Volksfrömmigkeit und die in ihrem Zusammenspiel beheimatete Deutung von ›baraka‹ in entsprechendem Maße zurückgedrängt werden.

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