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3. Überblick über die Beiträge des Bandes

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In welchen fachspezifischen Auffächerungen und Ausdifferenzierungen lässt sich das umrissene Thema des Segens mit seiner Zielperspektive der Vermittlung lebensförderlicher Kraft für ein gelingendes Leben erschließen? Dazu bieten die folgenden Beiträge breit gefächerte, je eigenständig akzentuierte Einsichten. Dabei geht es weniger um eine additive Zusammenstellung unterschiedlicher Beispiele – so instruktiv und unentbehrlich diese als materialer Stoff der theologischen und kulturwissenschaftlichen Disziplinen sind –, vielmehr wird die übergreifende Thematik durch fachspezifisch unterschiedliche Perspektiven, methodische Zugangsweisen und inhaltliche Schwerpunktsetzungen je neu beleuchtet. Die so resultierende kaleidoskopartige Entfaltung verfolgt den doppelten Zweck, exemplarisch zu verdeutlichen, wie einerseits mit dem Thema ›Segen‹ in den einzelnen Disziplinen umgegangen wird und welche Gesichtspunkte sich dadurch andererseits für ein integratives Gesamtverständnis ergeben.

|13|Eröffnet wird der Reigen mit einem religionsgeschichtlichen Überblick von Andreas Feldtkeller. Er setzt mit forschungsgeschichtlichen und methodischen Vorüberlegungen ein, die im Zuge der kulturwissenschaftlichen Neuorientierung auf die spezifischen Kommunikationszusammenhänge religiöser Aussagen fokussieren und dementsprechend gegenüber generellen Vergleichen skeptisch bleiben: Segen wird nicht als kulturübergreifendes ›Phänomen‹ erfasst, sondern als in israelitischen und abrahamitischen Traditionen eigensprachlich so bezeichneter Vorstellungskomplex. Damit bringen Menschen die Unverfügbarkeit zum Ausdruck, »für ihr eigenes Wohlergehen und für die Sicherung der Grundlagen ihres Lebens selbst Vorkehrungen zu treffen« (S. 27). Nur vermittelt über deren Stellung und Funktion innerhalb der religiösen Wirklichkeitsdeutung lassen sich dann Vergleichsperspektiven in Bezug auf das »Grundgefühl menschlicher Angewiesenheit und Interdependenz« entwickeln (S. 30).

Dies gilt bereits für früheste Zeugnisse der Religionsgeschichte, wenn in steinzeitlichen Malereien und Plastiken für die Nahrungsversorgung wichtige Tiere und die menschliche Fruchtbarkeit dargestellt werden: In diesen Symbolisierungen verdichten sich grundlegende Lebenserfahrungen, und auch wenn ein übermenschliches Gegenüber hier noch fehlt, scheinen »Mächte oder Wesen …, die Einfluss auf menschliches Wohlergehen« nehmen können (S. 28), impliziert zu sein, die man entsprechend zu beeinflussen sucht. Gesichert greifbar werden derartige Vorstellungen von Interdependenz jedoch erst in Kombination mit sprachlichen Quellen (schriftlichen Texten seit der historischen Zeit bzw. rezente mündliche Überlieferungen wie z.B. bei den Herero in Namibia). Analog hängt im Konfuzianismus das Wohlergehen beständig von der sorgfältigen Wahrnehmung der Sohnespflichten gegenüber dem Vater – weit über dessen Tod hinaus – sowie gegenüber weiteren Ahnen ab; der hier erkennbare generationenübergreifende Zusammenhang zeigt bei allen Differenzen eine funktionale Nähe zu den biblischen Vätergeschichten (S. 33f.; s. Leuenberger, in diesem Band S. 57–59).

Im Islam zeigen sich rezeptionsgeschichtliche Fortführungen biblischer Vorstellungen: Hervorzuheben ist insbesondere das göttlich-menschliche Wechselverhältnis, wenn Menschen das Pflichtgebet |14|alat üben, aber auch Gott lʾ vollzieht; das breit belegte Lexem brk wird ebenso mit göttlichem Subjekt und menschlichem Objekt wie mit menschlichem Subjekt und göttlichem Objekt verwendet. Die zwischenmenschliche Weitergabe von Segen ist mithin ein virulentes Thema, das insbesondere im Sufismus erheblich an Bedeutung gewinnt.

Demgegenüber bleibt im indischen Karma-Prinzip »für Vorstellungen von ›Segen‹ oder für Entsprechungen dazu kein Platz« (S. 40). Denn hier wird die scheinbare Unverfügbarkeit menschlichen Wohlergehens bestritten und das aktuelle Ergehen – in einer Perspektivenausweitung auf eine Folge von Wiedergeburten – durch früheres Handeln und Verhalten erklärt. Allerdings wird dies in der Tradition des bhakti relativiert, wenn hier die Hingabe an eine Gottheit von dieser diesseitige und künftige Glückseligkeit erhofft. Eine vergleichbare Stellung nimmt im Buddhismus die Bodhisattva-Vorstellung ein, nach der sich auf dem Weg zur Erleuchtung befindliche Wesen aufgrund ihres universalen Mitgefühls gutes Karma auf Mitmenschen übertragen können. Im älteren Buddhismus wird allerdings das materielle Wohlergehen prinzipiell relativiert, weil es dem leidhaften Werden und Vergehen verhaftet bleibt; gleichwohl kann durch die fünf Tugenden vorläufig sehr wohl eine prosperierende, ›gesegnete‹ Existenz erlangt werden, sodass sich hier eine beschränkte Analogie zu Segensvorstellungen ausmachen lässt.

Die religionsgeschichtlichen Wurzeln der Segensvorstellungen in den abrahamitischen Religionen kommen im alttestamentlichen Beitrag von Martin Leuenberger in den Blick. Der lebensförderliche Kraft vermittelnde Segen, in dem sich die Zuwendung Gottes grundlegend manifestiert, wird einführend in Bezug auf Formulierungsweisen, Grund-Konstellation und Quellenlage näher bestimmt, wobei insbesondere die althebräischen Inschriften wichtige Merkmale erkennen lassen: so etwa eine reziproke Ausprägung, einen wirksamen zwischenmenschlichen Vollzug, ursprünglich unbedingte und unbegründete Vermittlungen in Begegnungssituationen, eine theologiegeschichtliche Expansion des Segensbereiches (kombiniert mit einer Fokussierung auf Jhwh als Spender) und einen materiellen Grundzug. Vieles davon erweist sich |15|auch im breiten Spektrum alttestamentlicher Segensvorstellungen als bedeutungsvoll.

Die die HB eröffnende Priesterschrift schafft am Ende des 6. Jahrhunderts eine profilierte Ursprungsgeschichte Israels, in der sich der unkonditionierte Segen Gottes von der universalen Schöpfung bis zum partikularen Kultbetrieb für Israel spannt. Dabei führt die Priesterschrift einerseits die nicht- und vorpriesterliche Vätergeschichte innovativ weiter und reagiert andererseits kritisch auf die konditionierte Segensvorstellung des Deuteronomiums.

Die Vätergeschichte der Genesis setzt in der frühen und mittleren Königszeit mit Einzelüberlieferungen ein, die noch urtümliche Konzepte bewahren, in denen Segen selbstwirksam, einmalig und irrevozibel erscheint (s. besonders Gen 27*; 32*). Der Jakobzyklus ist dann kompositionell von der Segensthematik geprägt und erzählt vom umfassenden göttlichen Segen für das Zwölfstämmevolk Israel, wie er im Jakobsegen Gen 49* gipfelt. Der vielleicht noch in spätvorexilischer Zeit vorgeschaltete Abrahamerzählkranz mit Gen 12,1–4a als programmatischer Eröffnung baut dies zu einer generationenübergreifenden Ursprungserzählung Israels aus, die nicht nur die – in der Vätergeschichte charakteristischerweise sowohl von Jhwh als auch zwischenmenschlich gespendeten – Segensinhalte von Fruchtbarkeit, Nachkommenschaft und Prosperität ausbaut (in Bezug auf politische Herrschaftsaspekte), sondern darüber hinaus auch den von der Stellung zu (den) Abram(iten) abhängenden Segen für die Völker ergänzt. All dies wirkt dann – über die Priesterschrift hinaus – auch in nachexilischer Zeit weiter, sodass sich hier die langzeitige Relevanz und die markanten Entwicklungslinien der Segensthematik exemplarisch verfolgen lassen.

Dies gilt auch für das zweite Hauptcorpus des Segens, das Dtn. Abgesehen vom älteren Summarium in 28,3–6* exponiert es seit dem Grundbestand aus joschijanischer Zeit den exklusiv von Jhwh gespendeten materiellen Segen für Israel, der dezidiert konditioniert ist, indem er vom ›Treueeid‹ Israels auf Jhwh abhängt; dies wird von den deuteronomistischen Bearbeitungen vielfältig ausgebaut. Ein Ausgleich insbesondere mit der priesterschriftlichen Gegenposition erfolgt erst relativ spät (s. deutlich Dtn 33) und führt zur jetzigen komplexen Synthese der Segensaussagen im Pentateuch.

|16|Die zahlreichen Segensbelege im Psalter und die spätweisheitliche Rahmenerzählung des Hiobbuchs fokussieren auf die vertikale Segensrelation von Gott und Mensch, wobei in beiden Fällen die vom geschichtlich-kollektiven bzw. biographisch-individuellen Ergehen unabhängige, auch in Notlagen aufrechterhaltene Segnung Jhwhs durch Menschen hoch reflektierte Segenstheologien zeigt.

Eine Bündelung akzentuiert die wichtigsten segenstheologischen Akzente im Rahmen der alttestamentlichen Diesseitsreligion.

Der judaistische Beitrag von David Hamidović nimmt das gesamte antike Judentum in den Blick, um so einerseits die Verbindungslinien zur HB deutlich zu machen und andererseits die Kontinuitäten in den Segensvorstellungen vor und nach der Zerstörung Jerusalems und seines Tempels im Jahr 70 n. Chr. herauszuarbeiten, die bei dichotomischen Abgrenzungen der Epoche des zweiten Tempels vom antiken Judentum nach 70. n. Chr. leicht übersehen werden.

Der erste, ausführliche Hauptteil bietet daher eine Übersicht über die Segensvorstellungen in allen wichtigen Textcorpora des antiken Judentums.

In den Qumrantexten sind Segensaussagen quantitativ gesehen ähnlich häufig wie in der HB und sie zeigen eine vergleichbare Proportion von Verbal- und Nominalformulierungen. Es ist Gott, der Menschen segnet, daneben wird auch die priesterliche Segnung (nur) der Gemeindeglieder (so die Rezeption von Num 6,22f.) oder der Nahrung wichtig; umgekehrt wird auch Gott als Schöpfer und als Gott Israels durch die Menschen, z.T. unterstützt durch Engel, gesegnet.

Die apokryphen und pseudepigraphischen Schriften nehmen das biblische Spektrum auf: So finden sich Segnungen Gottes (1Hen; LAB), zwischenmenschliche Segensvollzüge (z.B. 2Hen; Jub; JosAs), aber auch Segnungen durch Gott oder Engel (Jub; LAB), z.B. des Messias (PsSal 17) oder der Jakobsöhne (TestXII).

Während Josephus v.a. biblische Passagen paraphrasiert (z.B. Gen 12f.; Dtn 28) und gerne auf die Segen-Fluch-Opposition abhebt, nimmt Philo eine allegorische Interpretation (etwa von Gen 27) vor, wobei er den Segen auf die Tugenden oder die vita contemplativa bezieht.

|17|Die tannaitische Literatur bezeugt ein den ganzen Alltag durchwebendes Netz von Segensformeln, die seit Moses Maimonides in Lobsprüche gruppiert werden, die zu bestimmten Zeiten, vor materiellem Genuss und bei Gebotserfüllung gesprochen werden.

Die hebräisch und griechisch abgefassten jüdischen Inschriften schließlich erlauben Einblicke in die gelebte Religion v.a. der spätantiken Jahrhunderte; in vielfältigen Konkretionen bieten sie unter anderem Segnungen Gottes oder bestimmter Menschen, namentlich auch im Bestattungskontext.

Der zweite Hauptteil zeichnet dann die wichtigsten traditionsgeschichtlichen Kontinuitäten und Entwicklungslinien in den Segensaussagen von der HB bis zur Mischna und Tosefta nach (S. 103–106): Prominent steigern sich die Segnungen Gottes, insbesondere in der nachbiblisch verstärkten Du-Anrede. Dabei lassen sich in Qumran auch hervorgehobene Verwendungen an literarischen Anfangs- und Schlusspositionen beobachten: Es wird eine heilvolle Beziehung zwischen Spender und Empfänger des Segens gepflegt, sodass Segen eine transaktionale Funktion ausübt. Semantisch tritt eine Nähe zum Dank und Lob hervor, wobei sich in Qumran ein intransitiver Gebrauch von segnen als »den Segen sprechen« abzeichnet, der sich weithin durchsetzt. Insgesamt lässt sich in den späten Texten eine zunehmende Vereinheitlichung der Segensformeln beobachten, was sowohl für die liturgische Verwendung als auch für den persönlichen Gebrauch gilt.

Das neutestamentliche Segensverständnis schließt, wie Karl-Heinrich Ostmeyer ausführt, an die alttestamentlichen und jüdischen Traditionen an. Dies zeigt sich bereits am Lexem εὑλογεîν: »Zuspruch von Gutem« (für hb. ‏‏ךרב brk: »segnen«). Aber auch inhaltlich bedeutet Seg(n)en im NT »ein In-Beziehung-Setzen von göttlicher und irdischer Welt« (S. 111 [dort kursiv]); es handelt sich um einen wechselseitigen Prozess, bei dem der Mensch »Zugang zur göttlichen Sphäre des Heils« erhält (S. 114 [dort kursiv]) und seinerseits darauf adäquat reagiert, indem er einerseits Gott segnet und andererseits auch objekthafte Dinge soweit in den Segen miteinbezieht, als sie »eine Verbindung zum Heilsbereich Gottes […] eröffnen und aufrecht […] erhalten« (S. 115).

|18|In diesem Rahmen erfolgt dann die spezifisch neutestamentliche Bindung des Segens an Christus; diese christozentrische Zuspitzung umgreift alle Segenskonzeptionen des NT:

So eröffnet für Paulus Christus den Segensraum zwischen Gott und Gläubigen, der sich bis in kultische Vollzüge hinein erstreckt (s. den »Kelch des Segens« 1Kor 10,16). Dagegen tritt die Segensthematik in Kolosser und Epheser sowie den Pastoralbriefen zurück. Und der Hebräerbrief fasst Segen monodirektional als Gottes (durch Christus vermittelte) »Antwort auf eine ihm wohlgefällige Existenz« (S. 121).

Die Synoptiker fassen den Segen ähnlich wie Paulus als »Teilhabe am Reich Gottes« (S. 122), das die »göttliche Segenssphäre« vermittelt (S. 122), wie etwa das lukanische Werk in narrativ-christologischer Dynamik entfaltet.

Im johanneischen Schrifttum fehlt wiederum eine profilierte Segensterminologie, während die katholischen Briefe unterschiedliche Akzente setzen: Bei Jakobus fungiert der Segen als Gegenstück zum Fluch und beschränkt sich auf die Kommunikationsrichtung vom Menschen zu Gott; 1Petrus fasst den Segen dann – weithin gegenläufig zum alttestamentlich-jüdischen Erbe – als leidende Nachfolge Christi.

Im stark dualistisch geprägten Wirklichkeitsverständnis des NT stehen Segen, Heil und Leben insgesamt Fluch, Sünde und Tod gegenüber. Segen symbolisiert so die durch Christus eröffnete (Raum und Zeit übergreifende) Segenssphäre, in der Christen sich sowohl im Gottesdienst als auch im Alltag bewegen können und sollen, was auch in einer performativen Segenspraxis Ausdruck findet.

Die kirchengeschichtliche Übersicht von Christopher Spehr erläutert einleitend das lateinische benedicere: »segnen/loben/anbeten« im Anschluss an den biblischen Sprachgebrauch, bevor ein thematischer Durchgang durch die Christentumsgeschichte geboten wird.

Im altkirchlichen Gottesdienst bilden sich neben dem salutarischen Segensgruß zu Beginn und dem Schlusssegen schon früh ein eucharistischer Segen und segnende Dank- und Preisgebete heraus, zu denen individuelle Segensvollzüge hinzutreten können; diese Formen entwickeln sich im Mittelalter weiter fort. Hingegen eignet |19|dem bei der Weihe zu klerikalen Ämtern gespendeten Segen ein einmalig-dauerhafter Charakter. Daneben kommen auch kasuelle Segnungen wie etwa der Ehesegen sowie die Segnung von Gaben (Benediktionen) auf.

Im Mittelalter erfahren einerseits Segensvollzüge an Individuen und Gegenständen eine starke Aufwertung, andererseits wird das wechselseitige Verhältnis des Segens durch Gott und des Gott antwortenden Lobpreisens lebenspraktisch vielfältig umgesetzt, wie etwa der (nicht nur iroschottische) Reisesegen oder der Schwertsegen, aber auch die Kirchenweihe illustrieren; dabei führt die »dingliche Aufladung des Segens« (S. 147) mitunter zu magischen Missverständnissen und droht den Segen durch Beschwörung und Zauberei verfügbar zu machen. Umgekehrt werden ab der Frühscholastik »grundlegende Segenshandlungen … als Sakramente« (S. 151) definiert und in der Sakramentenlehre theologisch reflektiert, während religiöse Handlungen und Objekte erst in der neuscholastischen Sakramentalienlehre vertieft erörtert werden.

Die reformatorische Neubewertung des Segens wird an Luther aufgezeigt: Er akzentuiert »exegetisch, liturgisch und frömmigkeitspraktisch den Segen als gute Gabe Gottes« (S. 152), wobei er unterscheidet: »Während der leibliche oder irdische Segen die lebensweltlichen Dimensionen entfaltet[.], zielt[.] der geistliche oder himmlische Segen auf das menschliche Heil und ewige Leben« (S. 153); beiderlei Segen bleibt indes an Christus als benedictor: »Segner« und als Segensgabe rückgebunden. Entsprechend interpretiert Luther sowohl den gottesdienstlichen Schlusssegen, für den er letztlich den – trinitarisch ausgedeuteten – aaronitischen Segen favorisiert, als auch die lebenspraktischen Segensvollzüge. Ergänzend kommt ein Seitenblick auf die vorsehungstheologische Segenskonzeption Calvins hinzu.

Den weitgespannten Bogen rundet ein Ausblick auf die kirchlichen und theologischen Weiterentwicklungen bis in die Gegenwart ab, der markante Positionen und instruktive Beispiele herausgreift.

Die systematisch-theologischen Überlegungen von Hartmut Rosenau setzen bei der Beobachtung ein, dass Seg(n)en ein ursprünglicher, aber bleibender Ausdruck von Religion ist. Dies zieht |20|Überlegungen zum Religionsbegriff, insbesondere in seinen Auswirkungen auf und Beeinflussungen durch Seg(n)en nach sich, in deren Folge sich Seg(n)en als Querschnittthema bedenken lässt. Auf die gegenwärtigen Herausforderungen kann dabei eine vermittelnde, ›sapientiale‹ Perspektive am angemessensten reagieren.

Im Anschluss an Cicero bezeichnet Religion einerseits kultische, rituelle und liturgische Vollzüge, die eine Verhältnisbestimmung von Göttlichem und Weltlichem vornehmen. Dies trifft in markanter Weise auch für das Segnen zu, das sich von alltäglichen Bitten und Wünschen abhebt und phänomenologisch sowohl mit Beten und (sakramentalem) Feiern als auch mit Magie und Zauber verwandt erscheint. Wichtig ist dabei der performative Charakter, der die Differenzierung von realistischer und idealistischer Deutung unterläuft und sich epistemologisch wie existentiell »für jemanden« ereignet (S. 168). Andererseits kann Religion seit Cicero auch die Rückbezogenheit auf Gott ausdrücken, wie sie etwa Schleiermacher oder Bultmann prägnant reformuliert haben.

Seg(n)en nimmt – mit Tillich formuliert – einen universalen Wirklichkeitshorizont in den Blick, wovon sich das Beten unterscheidet. Denn der Segen vollzieht sich in einem umfassenden Seins- und Sinnzusammenhang, den man theologisch als Schöpfungsordnung bestimmen kann; deren Bedingungen bleiben letztlich unverfügbar und lassen sich mit dem reformatorischen sola gratia ebenso korrelieren wie mit dem alttestamentlichen Geistverständnis.

Anders als Magie und Zauber ist Seg(n)en stets auf (unverfügbares) Gutes und Lebensförderliches ausgerichtet, worin sich die »passivische Konstitution der menschlichen Existenz« spiegelt (S. 172). Wenn Seg(n)en entsprechend ein interpersonales Geschehen ist, erscheint das Segnen von Dingen theologisch problematisch. In der entwickelten Perspektive wird auch deutlich, dass Segen sich empirisch weder verifizieren noch falsifizieren lässt, sondern sich vielmehr als Modus des sich Verstehens darstellt.

Im Unterschied zum sakramental vermittelten eschatischen Heil spendet Segen präeschatisches Wohlergehen, was weitreichende Konsequenzen nach sich zieht: Letztlich erscheint Segen mithin phänomengerecht als synergistisches, Heil hingegen als monergistisches |21|Geschehen, sodass gegenüber christologischen Segensinterpretationen Vorsicht geboten ist. Der präeschatische Charakter des Seg(n)ens gewinnt in der das »Vorletzte« betonenden Postmoderne eminent an Bedeutung und lässt sich angemessen in einer ›sapientialen‹ Perspektive erschließen, die sowohl interkulturell anschlussfähig ist als auch die biblisch-theologischen Eigenarten zu würdigen vermag.

Ulrike Wagner-Rau setzt in ihrem praktisch-theologischen Beitrag gegenüber der lange dominierenden Geringschätzung mit einer »Neubewertung des Segens« ein (S. 187 [dort kursiv]), die sich aus der Eigenart des Segnens als ästhetisches und deutungsoffenes »Ritual der Zuwendung« aufdrängt (S. 187 [dort kursiv]). Ihm eignet eine wirklichkeitsverändernde Kraft, insofern es »die Erfahrung von Wirklichkeit verwandelt« (S. 189).

Der Vollzug des von Gott gespendeten Segens erfolgt wort- und gestenhaft; dabei lassen sich sprachlich Bitte und jussivisches Versprechen unterscheiden, oft begleitet durch vielfältige körperliche Gesten oder Berührungen, was im zeitgenössischen Kontext durchaus ambivalent erfahren wird.

Die gemeinsame Basis der vielfältigen Segensvollzüge gründet in deren Charakter als Übergangsritual (rite de passage), das an gewöhnlichen oder außergewöhnlichen ›Schwellen‹ des Lebens haftet: Zunächst sind die vielfältigen alltäglichen ›Segensvollzüge‹ in den Blick zu rücken, die heute oft (nur noch) implizit erfolgen.

Demgegenüber werden die Segnungen in den gottesdienstlichen Übergangssituationen symbolisch und sprachlich explizit ausgestaltet, wobei namentlich dem (individuell unterschiedlich gedeuteten) Entlassungssegen besonderes Gewicht beigemessen wird.

Dies gilt – zumal aus der Sicht ›passiver‹ Kirchenmitglieder – in noch gesteigertem Maße für die Kasualien, in denen der Segensempfang an biographischen Übergängen von grundlegender Bedeutung ist, was inzwischen auch in der Kasualtheorie intensiv reflektiert wird. An der komplexen Verbindung von Taufe und Segen lässt sich dies besonders instruktiv nachvollziehen, wobei eine lange gängige theologische Kritik am Segen zu kurz greift angesichts differenzierter Wahrnehmungen des Verhältnisses von Taufe und Segen |22|auch vonseiten theologischer Laien. Vergleichbares trifft auch für Segensvollzüge bei der Konfirmation, Trauung und Bestattung zu.

In der heutigen Wissensgesellschaft gewinnt der Segen seit einiger Zeit auch im Bildungskontext an Bedeutung und auch hier wiederum gerade für Personen in schwierigen Lebensverhältnissen. Schließlich spielt der Segen in der Seelsorge (besonders an Kranken) traditionell und mit vollem Recht eine herausragende Rolle, verdichtet doch der Segen hier die individuelle Zuwendung in herausragender Weise.

Eine pastoralpsychologische Perspektive vermag die ausgeführte Bedeutung des Segens in vielfältigen Lebensfeldern integrativ mit (früh)biographischen Konstitutionsprozessen zu verbinden und theologisch so fruchtbar zu machen, dass im Segen ein »Beziehungsraum« zwischen Gott und den Menschen eröffnet wird, der »unzerstörbar ist« (S. 207) und der die destruktiven Lebenserfahrungen zwar nicht vertreibt, aber in einen weiteren Horizont aufzuheben vermag.

Segen

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