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IV. Haftungsmaßstab
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Für die „sich aus dem ehelichen Verhältnis ergebenden Verpflichtungen“ statuiert § 1359 einen besonderen innerehelichen Haftungsmaßstab. Ehegatten sollen sich nehmen, wie sie sind. § 1359 bestimmt daher, dass Ehepartner bei Erfüllung der für sie aus der Ehe resultierenden Verbindlichkeiten einander nicht nach der allgemeinen Sorgfaltspflicht des § 276 haften, sondern lediglich für die Sorgfalt, die sie in eigenen Angelegenheiten wahren (diligentia quam in suis) – d.h., sie haften erst ab der Schwelle grober Fahrlässigkeit (§ 277). Die Vorschrift des § 1359 gibt nur einen Haftungsmaßstab, keinen Haftungsgrund (es handelt sich nicht um eine Anspruchsgrundlage). Sie bezieht sich auf alle Pflichten, die sich aus der ehelichen Lebensgemeinschaft ergeben, und betrifft damit neben den anerkannten Leistungspflichten insbesondere die Pflicht zur Rücksichtnahme (§ 241 Abs. 2; vgl. Rn. 141 f.).
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An dieser Regelung (vgl. auch § 1664 für das Eltern-Kind-Verhältnis) zeigt sich, dass auch der BGB-Gesetzgeber davon ausgegangen ist, dass zwischen Ehegatten (sowie zwischen Eltern und ihren Kindern) schuldrechtliche Schadensersatzansprüche im Falle einer Pflichtverletzung entstehen können: Die Anordnung eines geringeren Sorgfaltsmaßstabs innerhalb familienrechtlicher Rechtsverhältnisse wäre überflüssig, wenn es keine schuldrechtlichen Schadensersatzansprüche bei Verletzung der Pflichten aus dem ehelichen Lebensverhältnis geben könnte. Da es gleichzeitig an einer speziellen familienrechtlichen Anspruchsgrundlage für Schadensersatzansprüche fehlt, verbleibt nur der durch die Materialien zum BGB bestätigte[47] Schluss, dass der Gesetzgeber schlicht die allgemeinen schuldrechtlichen Anspruchsgrundlagen, d.h. § 280 Abs. 1 und § 823, für anwendbar erachtet und im Familienrecht nur dann Spezialvorschriften vorgesehen hat, wenn er Abweichungen von den allgemeinen Vorschriften (hier: § 276) für geboten hält. Es ist daher erstaunlich, dass § 280 Abs. 1 im Zusammenhang mit § 1359 – soweit ersichtlich – in der Literatur nicht ausdrücklich als Anspruchsgrundlage benannt wird. Will man § 1359 mit der h.M. richtigerweise nicht selbst als Anspruchsgrundlage ansehen und nimmt man mit der einhelligen Meinung in der Literatur an, dass die Vorschrift „auch“ für deliktische Ansprüche gilt,[48] bleibt nichts anderes übrig, als für daneben nicht geleugnete außerdeliktische Ansprüche auf § 280 Abs. 1 als Anspruchsgrundlage zurückzugreifen.
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Ins Blickfeld der Praxis ist die Anwendung des § 1359 insbesondere im Zusammenhang mit Straßenverkehr und Freizeitsport geraten. Nach ständiger Rechtsprechung[49] und ganz herrschender Meinung[50] findet § 1359 keine Anwendung auf Sorgfaltspflichten im Straßenverkehr, weil hier kein Raum sei für die Berufung auf individuelle Sorglosigkeit (teleologische Reduktion).[51] Der historische Gesetzgeber habe die Entwicklung des Straßenverkehrs nicht vorhergesehen, die es unerlässlich gemacht habe, unabhängig von persönlichen Eigenarten und Gewohnheiten eindeutige und strenge Haftungsmaßstäbe aufzustellen.[52] Außerdem rechtfertigt der BGH die Einschränkung des Anwendungsbereichs von § 1359 mit Blick auf die Schwierigkeiten, die sich bei Beteiligung eines Zweitschädigers ergeben, der neben dem schuldigen Ehegatten für den Schaden mitverantwortlich ist. In diesen Fällen hat der BGH dem verantwortlichen Zweitschädiger gegen den ebenfalls schuldigen Ehegatten selbst dann einen Ausgleichsanspruch zuerkannt, wenn im Innenverhältnis zwischen den Ehegatten wegen der Haftungsprivilegierung nach § 1359 eine Schadensersatzpflicht ausscheidet[53] und deshalb an sich überhaupt kein Gesamtschuldverhältnis[54] zwischen den Schädigern besteht.[55] Derartige (eine Gesamtschuld fingierende) Konstruktionen lassen sich, so der BGH, vermeiden, wenn man § 1359 im Straßenverkehr nicht anwende.[56] Des Weiteren argumentiert er, dass die Anwendung der Haftungsprivilegierung im Straßenverkehr im Ergebnis ohnehin nicht den schädigenden Ehegatten, sondern die Kfz-Haftpflichtversicherung privilegieren würde: Da der schädigende Ehegatte einen Anspruch auf Deckung gegen die Versicherung habe, könne der geschädigte Ehegatte darauf zurückgreifen, ohne dem anderen wirtschaftliche Opfer abzuverlangen. Es bestehe daher kein Grund, sich aus ehelicher Rücksicht im Innenverhältnis Beschränkungen bei der Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen aufzuerlegen.[57] Offen ließ der BGH, ob § 1359 nicht generell im „außerhäuslichen Bereich“ unanwendbar sei, auch wenn seiner Ansicht nach gewichtige Gründe dafür sprechen.[58]
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Diese Grundgedanken zur Versagung der Haftungsprivilegierung im allgemeinen Straßenverkehr hat der BGH auch auf gemeinschaftliche Sportaktivitäten der Ehegatten übertragen. Jedenfalls dann, wenn sich hier ein Unfall mit einem „motorgetriebenen Fahrzeug von vergleichbarer Gefährlichkeit“ ereignet (Motorboot), entfällt nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung die Haftungsmilderung nach § 1359.[59]
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Die Ansicht des BGH überzeugt in wesentlichen Punkten nicht, denn die Grundgedanken von § 1359, dass sich die Ehegatten so akzeptieren, wie sie sind, und dass der Familienfrieden nicht durch gegenseitige Ansprüche zwischen den Ehegatten belastet werden soll, treffen auch bei Unfällen im Straßenverkehr zu, zumal sich die Privilegierung auf das Innenverhältnis beschränkt und sie die Haftung gegenüber sonstigen Verkehrsteilnehmern nicht beeinträchtigt. Verfehlt ist insbesondere das zentrale Argument des BGH, im Straßenverkehr sei kein Raum für individuelle Sorglosigkeit. Es geht hier nicht um die im Straßenverkehr einzuhaltenden Sorgfaltsanforderungen, die durch Vorschriften des Öffentlichen Rechts und des Strafrechts hinreichend sichergestellt sind, sondern um die Frage der zivilrechtlichen Haftung gegenüber einer bestimmten Person,[60] konkret: dem verletzten Ehegatten. Gegen die Anwendbarkeit von § 1359 spricht zwar, dass sich die gemeinsame Autofahrt oder Freizeitbetätigung in aller Regel nicht als eine spezifische „sich aus dem ehelichen Verhältnis“ ergebende Verpflichtung darstellt, dies ändert aber nichts daran, dass Ehegatten auch im Straßenverkehr – wie generell – einander nach § 241 Abs. 2 zur Rücksichtnahme auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen des anderen verpflichtet sind. Sach- und praxisgerechter erscheint eine teleologische Reduktion von § 1359 in Fällen, in denen Versicherungsschutz besteht. Für die Versicherung realisiert sich in einem Autounfall das versicherte Risiko. Die Privilegierung des Versicherungsnehmers nach § 1359 bei Schädigung des Ehegatten (statt eines sonstigen Dritten) stellt sich für die Versicherung als zufälliger Umstand dar, obwohl sie die Haftung für den (durch einen Verkehrsunfall) eingetretenen Schaden bei einem Dritten (hier: dem Ehegatten) im Grundsatz übernommen hat. Von der – auf dem höchstpersönlichen Verhältnis zwischen schädigendem und geschädigtem Ehegatten beruhenden – Privilegierung soll nach dem Sinn und Zweck der Norm nicht die Versicherung profitieren.[61]