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DIE AMEISE

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AUTOR: Jean de La Fontaine

TITEL: Die Grille und die Ameise (aus dem Französischen von Ernst Dohm und Gustav Fabricius)

ORIGINALFASSUNG: 1668



Und vor Hunger weinend leise

Schlich’s zur Nachbarin Ameise;

Fleht’ sie an, in ihrer Not

Ihr zu leihn ein Körnlein Brot.

Mit den Fabeln ist das sehr kompliziert. Jeder kennt die Tiermärchen mit der moralischen Zeigepfote, viele wissen, eigentlich hat der alte Grieche Äsop sie gedichtet, im 6. Jahrhundert vor Christus. Die wurden aber in erster Linie mündlich überliefert, und niedergeschrieben haben sie dann viele, viele Menschen, die sprachlich versiert waren, sich aber keine eigenen Geschichten ausdenken wollten: in Deutschland etwa die Gebrüder Grimm, Lessing und Goethe, in Frankreich La Fontaine, der sie in Versform gebracht hat, während wir als Kinder wahrscheinlich unter seinem Namen Bilderbücher mit ungereimten, nett erzählten Prosatexten vorgelesen bekamen.

In Prosa wurden die Verse auch vom Barockpoeten Abraham a Sancta Clara übertragen. Die bekannteste fabula, die uns selbst in Roland Schimmelpfennigs Drama Der goldene Drache noch begegnet, ist jedenfalls die von der Ameise und der Heuschrecke oder von der Ameise und der Zikade oder von der Libelle und der Ameise oder von der Grille und der Ameise (wie bei La Fontaine). Die mit der Ameise jedenfalls. Warum?

Vielleicht weil die Ameise, sonst dank ihres Fleißes und der unverkrampften Solidarität mit ihren Baugenossinnen positiv konnotiert (der Begriff lautet: Eusozialität!), hier auch durchaus arrogant, ja gemein gelesen werden kann? Weil die Geschichte sowohl politisch links als auch politisch rechts als Beispiel herhalten kann und somit die ewige Unversöhnlichkeit der beiden Seiten aufzeigt?

Die Ameise hat jedenfalls den ganzen Sommer Nahrung beiseitegeschafft und somit vorgesorgt, die alte Streberin.

Die Grille hat sich den ganzen Sommer die Sonne auf den Bauch scheinen lassen und gezirpt, sich vielleicht zum Gaudium der Tierwelt als Zikade oder Libelle verkleidet und missachtet, dass sie im Winter einen ziemlichen Heuschreck erleiden wird, weil nichts mehr zu fressen da ist. Sie geht also zur Ameise und bettelt. Und die Ameise sagt: »Selber schuld.« Das war’s. Weiter geht es nicht. La Fontaine braucht ganze 22 kurze Verse dafür und lässt uns dann selbst im Regen stehen wie eine Grille vor dem Ameisenhaufen.

Diese Geschichte ist unfassbar unbefriedigend. Es ist ein Wunder, dass sie uns nicht zu Wutausbrüchen getrieben hat, als wir Kinder waren. Was sagt uns das denn jetzt? Dem Fuchs mit seinen Trauben gönnten wir das »Selber schuld«, der Ameise wollen wir es am liebsten um die Ohren hauen. Aber sie hat ja keine.

Soll die Grille verhungern? Soll sie es als Heuschrecke, Zikade oder gar Grashüpfer tun? Und soll dann die Ameise wegen unterlassener Hilfeleistung vor den Tiergerichtshof? Voten Sie jetzt.

GATTUNG: Formicidae

LEBENSRAUM: Speisekammer

NOTE: sehr gut mit Sternchen

SLOGAN: Leistung für Leistung!

HYMNE: Ätschi-bätschi!

SOZIALVERHALTEN: Ui.

Das Buch der Tiere

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