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1 Erster Teil – Edvard Munch 1.1 «Meine Bilder sind mein Tagebuch»3 – das private Leben eines Künstlers

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Die psychische Verfassung eines Künstlers nimmt (in)direkten Einfluss auf die Ausführung seiner Werke. Offensiv setzt sich Edvard Munch (1863–1944) mit dieser bedeutenden Korrelation auseinander und schöpft aus seinem eigenen Leben als Quelle seiner Kunst. Seine Bilder fungieren als Schlüssel und ermöglichen einen spannenden Blick hinter den Lebensvorhang des Künstlers. Seine Werke zeichnen sich durch einen ausgeprägten biografischen Charakter aus und thematisieren wiederholt die Motive der Liebe, der Angst und des Todes. Seit seiner frühesten Kindheit wird Munch familiär mit Krankheit, Verzweiflung, Tod und Vergänglichkeit konfrontiert; er verliert mit fünf Jahren seine Mutter Laura Catherine Bjølstad und wird sich bis an sein Lebensende mit diesem Schicksalsschlag auseinandersetzen. «Krankheit, Wahnsinn und Tod hielten wie schwarze Engel Wache an meiner Wiege», schreibt Munch an seinen Verwandten Ludvig Ravensberg (1871–1958).4 Munchs erstes Lebenstrauma – der Tod seiner Mutter – entwickelt sich zu einem Hauptmotiv seiner Kunst und wird von ihm in dem Versuch, es zu verstehen, repetitiv aufgegriffen und neu bearbeitet. Mit 13 Jahren erkrankt er schwer, wenige Monate später stirbt seine Schwester Sophie an Tuberkulose. Die krankheitsbedingten Probleme seiner Familie werden ihn bis zu seinem eigenen Tod begleiten. Seine Schwester Laura verbringt viele Jahre in einer Nervenheilanstalt; sein Vater Christian stirbt an einem Schlaganfall, sein Bruder Andreas an einer Lungenentzündung. Nur zwei Personen bilden eine besondere Konstante in seinem Leben: Seine Tante Karen Bjølstad (1839–1931), die nach dem Tod der Mutter den Haushalt übernimmt, sowie seine Schwester Inger Munch (1868–1952).

In Munchs Tagebuch zeigt der 8. November 1880 einen zukunftsweisenden Eintrag des damals 17-Jährigen: «Ich bin nun wieder aus der Technischen Schule abgemeldet. Ich habe mich entschieden Maler zu werden.»5 An der Königlichen Schule für Kunst und Gestaltung in Kristiania lernt er unter Julius Middelthun (1820–1886) und mietet sich 1881 zusammen mit anderen jungen Malern ein Atelier im Neubau «Pultosten» in der Karl Johans Gate, in welchem auch die norwegischen, dem Naturalismus verbundenen Maler Frits Thaulow (1847–1906) und Christian Krohg (1852–1925) arbeiten, wobei letzterer die Mentorenposition einnimmt und Munch Privatunterricht erteilt. Erstmals öffentlich präsentiert Munch seine Werke 1883 auf «Den Nordiske Industri-, Landbrugs- og Kunstudstilling» (Die Nordische Industrie-, Landwirtschafts- und Kunstausstellung) sowie in der Herbstausstellung Kristianias; ab Herbst 1884 arbeitet er in Thaulows Freiluftakademie in Modum, der ihm im darauffolgenden Jahr ein Stipendium für einen Aufenthalt in Frankreich ermöglicht, um die dortige Herbstausstellung zu besuchen. Können Munchs anfängliche Werke einer naturalistischen Auffassung zugeordnet werden, treten nach diesem Paris-Aufenthalt erste Veränderungen auf. In der Folge entstehen sowohl impressionistische Genre-Darstellungen und Landschaftsszenerien als auch bedeutende autobiographische Schriften wie das 1889 verfasste St. Cloud-Manifest. Munch verharrt nicht in diesem künstlerischen Moment; vielmehr befindet er sich schon in dieser Zeit – in seinem Bestreben, jeden ersten Eindruck angemessen umzusetzen – auf jener Suche, die ihn sein Leben lang begleiten, fordern und bestärken wird: «Es war in der Zeit des Realismus und Impressionismus – Da befand ich mich entweder in einer kranken aufgeriebenen Sinnesstimmung oder in einer frohen Stimmung, fand eine Landschaft die ich gerne malen möchte – Ich holte die Staffelei – Stellte sie auf und malte das Bild nach der Natur – Es wurde ein gutes Bild – … aber es wurde nicht was ich malen wollte – Ich habe es nicht geschafft es genauso zu malen wie ich es in der kranken Stimmung oder der frohen Stimmung sah – So passierte es oft – Ich begann dann in einem ähnlichen Zufall das auszukratzen was ich gemalt hatte – Ich suchte in meiner Erinnerung das erste Bild – Den ersten Eindruck – Und ich suchte und versuchte ihn zurück zu bekommen.»6 Diese einschneidenden Veränderungen zeigen sich in zwei der ersten, biographischen Gemälde. 1885/86 entsteht Das kranke Kind,7 1889 folgt Frühling 8 – Motive, die Munch in seinem künstlerischen Schaffen wiederholt aufgreifen und variieren wird. 1929 berichtet er rückblickend: «Mit Frühling – das kranke Mädchen und die Mutter am offenen Fenster, im hereinströmenden Sonnenschein – nahm ich Abschied vom Impressionismus und Realismus. Mit Das kranke Kind bahnte ich mir neue Wege – es wurde zu einem Durchbruch in meiner Kunst. Die meisten meiner späteren Werke verdanken diesem Bild ihre Entstehung.»9 Dieser Abschied von Impressionismus und Naturalismus offenbart sich auch in Munchs Aussage, dass «keine Interieurs» mehr gemalt werden sollen, «keine Menschen, die lesen, keine Frauen, die stricken. Es müßten lebende Menschen sein, die atmen und fühlen, leiden und lieben.»10 Diese lebendigen und emotional aufgeladenen Figuren läuten die Hinwendung zu Munchs Symbolismus ein.

Er widmet sich der Thematik des Meeres und integriert eine förmlich spürbare Sehnsucht in seine Motivwelten. Das Meer als Spiegel der Seele wird zur Bühne einsamer Menschen, positioniert am verlassenen Ufersaum – Munch wird mit diesen Darstellungen die Grenzen der bekannten Kunst überschreiten und ausdrucksstarke Stimmungsbilder mit expressiven Farben und Formen schaffen. Seine innovative und auf die Kunstwelt ungewöhnlich erscheinende Ausdrucksweise findet in seinem Heimatland jedoch keinen Erfolg – seine Arbeiten werden vielmehr mit Verachtung und Kritik geahndet. In der Hoffnung, ein aufgeschlosseneres Publikum zu erreichen, wendet er sich 1892 Deutschland zu, doch seine Ausstellung in Berlin wird unmittelbar nach der Eröffnung wieder geschlossen. Das Unverständnis der Kritiker und der daraus resultierende Druck gegenüber der «neuen» Kunstform sind zu ausgeprägt. Doch aus den negativen Schlagzeilen, die wochenlang in den Zeitungen aufgegriffen werden, entwickelt sich eine ungeahnte Popularität Munchs und führt in der Folge zu einem entscheidenden Ereignis in der deutschen Kunstszene: der Gründung der Berliner Sezession.11

Edvard Munch – Alpha und Omega

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