Читать книгу Adel verpflichtet - Martina Winkelhofer - Страница 10
ОглавлениеEs gab jedoch auch Betreuungspersonal, das derart in seiner Arbeit und der Familie aufging, dass daraus Freundschaften für das gesamte weitere Leben entstanden. Das englische Kindermädchen der gräflichen Familie Wilczek wurde etwa die beste Freundin der Hausfrau und verbrachte, auch nachdem alle Kinder erwachsen waren, bis zu ihrem Tod im Alter von neunzig Jahren jeden Sommer gemeinsam mit der Familie – war also im Lauf der Jahrzehnte zu einem Familienmitglied geworden.4
Kinder stellten den größten Wert einer Familie dar und waren der ganze Stolz ihrer Eltern und Großeltern. Zwar war die Sicherung des Weiterbestandes der Familie durch männliche Erben weiterhin wichtig, doch wurden Kinder immer weniger ausschließlich als Stammhalter betrachtet. So lieb und teuer die Kinder ihren Eltern auch waren – einen großen Unterschied gab es zu heute: Die Kinder standen nicht im Mittelpunkt des familiären Lebens. Ein kindzentriertes Familienleben wie heute, bei dem die Bedürfnisse und Wünsche des Kindes die Lebens- und Freizeitgestaltung der Eltern bestimmen, kannte man nicht; man hätte es auch nicht als positiv für das Kind empfunden. Kinder hatten sich der Lebenweise ihrer Eltern, das heißt der Erwachsenen anzupassen, in die sie wie selbstverständlich hineinwuchsen. Sie wurden zu vielen Ereignissen erst hinzugezogen, wenn sie alt genug waren, an gemeinsamen sozialen Aktivitäten teilzunehmen, ohne Umstände oder Peinlichkeiten zu verursachen.
So durften Mädchen wie Buben am Familientisch erst Platz nehmen, wenn sie über ein Mindestmaß an Tischmanieren verfügten. Selbst Mittag- und Abendessen im engsten Familienkreis fanden in den meisten Fällen ohne Kinder statt, denn diese aßen meist in ihren eigenen Räumen gemeinsam mit ihrem Erziehungspersonal. Waren Kinder dann ab einem gewissen Alter bei Tisch geduldet, durften sie selbstverständlich von sich aus niemals ein Gespräch beginnen und nur reden, wenn ihnen Fragen gestellt wurden. Diese Verhaltensregel galt für sie manchmal bis in die Pubertät hinein. Ein Aristokrat, der in seiner Jugend jeden Sonntag bei seiner Großtante – einer geborenen Prinzessin Liechtenstein – aß, erzählte von diesen Essen, an denen stets auch der Bruder der Tante, der später regierende Fürst Liechtenstein, teilnahm: »Die Konversation zwischen dem Geschwisterpaar war sehr angeregt, ich hingegen war mehr (oder) weniger Luft. Wenn ich (mich) aber einzuschalten trachtete, war ein erstauntes Heben der Augenbrauen die einzige Reaktion auf meine schüchtern vorgebrachten Geistesblitze.«5
Ein Kindermädchen (hier der Familie Kinsky). Kindermädchen, von denen manche zu Familienmitgliedern wuchsen, hatten eine wichtige Rolle im Leben der Kleinen, 1905.
Gespräche oder gar Tischgespräche mit den Erwachsenen blieben für Kinder stets erwähnenswerte Ausnahmen. Wurden sie einmal ins Gespräch gezogen, platzten sie vor Stolz. Intimere Gespräche, die noch seltener waren, hatten daher den Nimbus des Außergewöhnlichen. Ausnahmen bestätigen freilich oftmals die Regel: So erzählt Alfons Clary-Aldringen in seinen Lebenserinnerungen, seine Mutter habe die Kinder so oft wie möglich zu Tisch geholt, weil sie jede Minute mit ihnen verbringen wollte.6 Die Tatsache, dass dieses Verhalten erwähnenswert war, zeigt auch, dass es eher unüblich war.
Kinderidyll im Park, 1905.
Zu gesellschaftlichen Veranstaltungen im Elternhaus wurden Kinder niemals hinzugezogen. Weder abends bei Soireen oder Diners noch nachmittags bei den Tees oder Salontagen waren Kinder anwesend. Fand ein Hausball statt, durften sie maximal bei den Vorbereitungen zusehen, freilich nur, wenn sie weder den Ablauf störten noch die eigenen Lernstunden schwänzten. Fürstin Nora Fugger in ihren Erinnerungen: »An allen diesen schönen Dingen durften wir Kinder nicht teilnehmen. Wir wurden in dieser Hinsicht außerordentlich streng erzogen. Nur selten kam es vor, dass wir den Salon betreten durften, wenn Gäste anwesend waren.«7
Ein Kinderleben in der Aristokratie war strengen Erziehungsregeln unterworfen. Die Autorität der Eltern und Großeltern musste hochgehalten und Disziplin und Gehorsam von klein auf gelernt werden. Die Erziehung war nach heutigen Maßstäben sehr streng. Körperliche Züchtigung galt als normal, Buben wurden nicht selten ausgepeitscht. Auch Mädchen wurden bestraft: Die einfachste Strafe war das Verbot von Süßigkeiten, jedoch waren auch sanfte Schläge gang und gäbe, und Einsperren stand auf der Tagesordnung. Bei größeren Kindern zeigte sich nicht Züchtigung, sondern Liebesentzug als probates Mittel, sie gefügig zu machen.8