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2. Der Beitrag der Französischen Revolution

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Der Beitrag der Französischen Revolution erscheint paradox, zeigten sich doch schon in der prägenden verfassunggebenden Nationalversammlung zwei widerstreitende Strömungen. Die erste knüpfte an die Ausrufung der Menschen- und Bürgerrechte an, stellte also auf die Perspektive des administré ab. Der zweiten ging es darum, die Autorität der Verwaltung zu schützen, auf welche die Anführer der Revolution bauten, um den Erfolg ihrer Unternehmung sicherzustellen.

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Die Gewährleistung der Rechte der Bürger modifizierte die Stellung der Verwaltung. Die Bürgerrechte konnten ihr entgegengehalten werden, zumal sie in der Tradition der Ideen von John Locke der politischen Ordnung vorgängig gehalten wurden. Die Déclaration des droits de l’homme et du citoyen vom 26. August 1789 bezeichnete die Bürgerrechte als natürlich, heilig, unveräußerlich und unverjährbar. Die Daseinsberechtigung der Verwaltung bestand gerade darin, den Bürgern die Ausübung ihrer Rechte zu ermöglichen, da dies der „Zweck jeder politischen Einrichtung“ ist (so die Präambel der Erklärung).

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Das Prinzip der Gesetzesbindung der Verwaltung war nunmehr eine Konsequenz des Verfassungsgrundsatzes der Gewaltenteilung. Vor dem Hintergrund, dass das Gesetz Ausdruck des Willens der Allgemeinheit ist, wurde in der Verfassung der Vorrang der gesetzgebenden Gewalt verankert. Von der Legislative stammen die Maßnahmen von genereller Tragweite. Die Aufgabe der Exekutive beschränkt sich gemäß der Konzeption Jean-Jacques Rousseaus darauf, zur Umsetzung der Gesetze allgemeine oder individuelle Maßnahmen zu erlassen. Die Verfassung von 1791 sprach sogar selbst dem König die Verordnungsgewalt ab. Sie untersagte den Verwaltungsbediensteten, sich in die Ausübung legislativer Gewalt einzumischen und die Anwendung der Gesetze auszusetzen. Eine entsprechende Regelung ist bereits in Art. 10 des zweiten Titels des Gesetzes vom 16. bis 24. August 1790 zu finden, der nach wie vor in Kraft ist.

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Um sicherzustellen, dass die Verwaltungsbediensteten auf lokaler Ebene die Gesetze beachten, griffen die Mitglieder der verfassunggebenden Versammlung auf verschiedene Mittel zurück. Die übergeordneten Verwaltungsbehörden konnten rechtswidrige Maßnahmen der nachgeordneten Verwaltungsbehörden aufheben. Sie konnten dies aus eigener Initiative oder auf ein entsprechendes Begehren der administrés hin tun. Allerdings verfügten diese nicht über einen ordentlichen Rechtsbehelf. Zu ihrer Disposition stand lediglich eine Aufsichtsbeschwerde (recours hiérarchique), d.h. eine Beschwerde, die an den hierarchisch übergeordneten Amtsträger gerichtet wurde. Gegen Amtswalter, die rechtswidrig gehandelt hatten, konnten statusrechtliche Sanktionen verhängt werden (Suspendierung bzw. Amtsenthebung). Darüber hinaus konnten sie strafrechtlich belangt werden.

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Die Freiheits- und Gleichheitsrechte der Bürger wurden in der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte von 1789, in der Verfassung von 1791 und in den beiden vom Verfassungskonvent abgefassten Erklärungen von 1793 (Déclaration des droits de l'homme et du citoyen) und 1795 (Déclaration des droits et devoirs de l’homme et du citoyen) aufgezählt. Der Freiheitsgrundsatz führte dazu, dass vielfältige Eingriffe der Verwaltung in das wirtschaftliche Geschehen wegfielen. Die Meinungs- und Kommunikationsfreiheit setzte der Zensur Grenzen. Das Recht auf Eigentum wurde geschützt: Die Verwaltung durfte dem Einzelnen sein Hab und Gut nur unter strengen Voraussetzungen entziehen. Das öffentliche Interesse musste die Enteignung erforderlich machen, und vorab war eine gerechte Entschädigung zu leisten. Die Gleichheit vor dem Gesetz, beim Zugang zu öffentlichen Ämtern und bei der Besteuerung wurde ebenfalls garantiert.

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Zugleich aber stellte die Aufrechterhaltung der Autorität der Verwaltung ein zentrales Anliegen der Mitglieder der verfassunggebenden Versammlung von 1789 und ihrer Nachfolger dar, die auf sie setzten, um die „Regeneration“ Frankreichs zum Erfolg zu führen. Dieses Anliegen manifestierte sich in zwei komplementären Stoßrichtungen. Einerseits wurden die proklamierten Freiheiten beschränkt, und den Bürgern wurden Pflichten auferlegt. Andererseits haben die Verfassunggeber (der Plural steht im französischen Original; Anm. der Übersetzer) und ihre Nachfolger die Verwaltung sehr stark gegenüber Zivil- und Strafrichtern in Schutz genommen.

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Obwohl es die Mitglieder der verfassunggebenden Versammlung im Jahre 1789 abgelehnt hatten, eine Erklärung der Bürgerpflichten zu beschließen, wiesen sie dem Gesetz die Funktion einer Schranke der Freiheitsrechte zu, und sie verlangten von allen die Beachtung des Gesetzes (die „Déclaration des devoirs“, die später am Beginn der Verfassung des Jahres III stehen sollte, legte besonderen Nachdruck auf diesen Aspekt). Die Verfassunggeber verpflichteten die Bürger, ihren unentbehrlichen Beitrag „zum Erhalt der öffentlichen Gewalt und zur Bestreitung der Ausgaben der Verwaltung“ zu leisten (siehe Art. 13 der Déclaration des droits de l’homme von 1789). Zahlreiche gesetzliche Bestimmungen beschränkten die Rechte der Bürger oder machten ihre Ausübung von der Erfüllung verwaltungsrechtlicher Voraussetzungen abhängig. Zum Beispiel wurde die Fortbewegungsfreiheit an den Besitz eines Passes geknüpft. Die Möglichkeit, bewegliche Sachen zu requirieren, wurde wieder etabliert. Die Religionsfreiheit wurde nur eingeschränkt gewährleistet und später zu Lasten derjenigen Priester völlig beseitigt, die sich weigerten, sich der zivilen Verfassung für den Klerus und die mit ihm verbundenen Gläubigen zu unterstellen. Das Jourdan-Gesetz von 1798 führte die Wehrpflicht ein. Innerhalb der Verwaltung selbst wurde der hierarchische Charakter der Beziehungen zwischen den Amtswaltern verstärkt; der Bürgerkrieg beeinträchtigte allerdings die Funktionsfähigkeit der Verwaltung auf lokaler Ebene.

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Die Auffassung, dass die Amtswalter und die Verwaltung gerichtlich privilegiert werden sollten, setzte sich sehr rasch durch und überdauerte die Zeit der Revolution. Sie fand ihren Niederschlag zunächst in dem gegenüber den Richtern ausgesprochenen Verbot, Verwaltungsbedienstete für Handlungen, die sie in amtlicher Funktion vorgenommen hatten, ohne Ermächtigung der Dienstvorgesetzten oder aber des Gesetzgebers zu verurteilen. Eine solche Ermächtigung war stets erforderlich, unabhängig davon, ob die Forderung, den Amtswalter zur Rechenschaft zu ziehen, zivilrechtlichen oder strafrechtlichen Ursprungs war. Die Richter verloren weiter ihre traditionelle Befugnis, über die Gültigkeit von Maßnahmen der Kommunen zu urteilen. Ebenso war es ihnen untersagt, die Maßnahmen anderer Verwaltungsträger auf ihre Gültigkeit hin zu überprüfen. Darüber hinaus wurde ihnen insbesondere durch Art. 13 des Titels II des Gesetzes vom 16. bis 24. August 1790 verboten, „die Arbeitsabläufe des administrativen Corps auf irgendeine Weise zu stören“, d.h. sich in die Tätigkeit der Verwaltung einzumischen, beispielsweise indem sie dieser Befehle oder Weisungen erteilen. Diese Verbote wurden aus dem Prinzip der Trennung zwischen administrativen und richterlichen Funktionen abgeleitet, wie es insbesondere in dem genannten Artikel niedergelegt ist, der bis auf den heutigen Tag grundlegende Bedeutung hat.

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Schließlich wurden die wesentlichen Verwaltungsstreitigkeiten nach einigem Zögern der Verwaltung selbst und nicht den ordentlichen Gerichten zugewiesen. Das Verfassungskomitee der verfassunggebenden Versammlung hatte zunächst erwogen, diese Streitigkeiten auf speziell dafür einzurichtende Departementstribunale, die zur rechtsprechenden Gewalt gehören sollten, oder sogar auf die Zivilrichter zu übertragen. Es änderte allerdings im Juli 1790 seine Meinung und zeigte sich Argumenten gegenüber empfänglich, wonach die Verwaltungsstreitigkeiten besser von Verwaltungsbediensteten als von Richtern entschieden werden können, weil Erstere besser informiert sind und allzu formalisierte Verfahren vermeiden. Zudem wurde vorgebracht, dass die Amtsträger bestrebt seien, gegenüber den administrés gerecht zu handeln, da sie nun einmal durch Wahl bestimmt worden seien. Das fast ohne irgendeine Debatte angenommene Gesetz vom 6. bis 11. September 1790 wies der örtlichen Verwaltung die Rechtswegzuständigkeit für wesentliche Kategorien von Verwaltungsstreitigkeiten zu: Streitigkeiten, die direkte Steuern, Auftragsvergaben für öffentliche Bauvorhaben und Schäden, die bei der Ausführung solcher Vorhaben entstanden, betrafen. Zu diesen Zuständigkeiten kamen mit der Zeit noch weitere hinzu, die politisch sehr bedeutsam waren: Streitigkeiten bezüglich des Verkaufs von staatlichen Besitztümern (zumal von solchen, die vorher der Kirche und Emigranten, d.h. politischen Flüchtlingen, gehört hatten) sowie solche, die Maßnahmen zum Gegenstand hatten, welche gegen Emigranten ergriffen wurden. Das Verfahren zur Regelung von Zuständigkeitskonflikten, bei denen sich ein Gericht und ein Organ der Verwaltung gegenüberstanden und beide die Auffassung vertraten, sie seien für die Entscheidung ein und desselben Rechtsstreits zuständig, begünstigte die Verwaltung. Schnell wurde der bereits angeführte Art. 13 des Titels II des Gesetzes vom 16. bis 24. August 1790 zur Lösung dieser Konflikte in der Weise herangezogen, dass das Prinzip der Trennung zwischen administrativen und richterlichen Funktionen als Grundlage für die Zuweisung des Großteils der verwaltungsrechtlichen Streitigkeiten zunächst an die Verwaltungsbehörden und später dann an die Verwaltungsgerichte betrachtet wurde. Der Artikel ist nach wie vor die Grundlage für die Rechtsprechung des Tribunal des conflits[11] wie auch derjenigen des Conseil d’État.[12]

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