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2. Die Einräumung rechtlicher Garantien zugunsten der administrés

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Im Gegenzug zur Ausweitung der Sonderrechte der Verwaltung räumte Napoleon den administrés rechtliche Garantien ein. Vielleicht tat er dies, weil er die Meinung teilte, die der Berichterstatter eines Gesetzesvorhabens über die Trockenlegung der Moore, der Abgeordnete des Corps législatif Henri de Carrion-Nisas, geäußert hatte: „Die beste Verwaltung ist diejenige, welche am schnellsten das öffentliche Interesse gegenüber dem privaten durchzusetzen vermag, allerdings unter Einsatz rechtmäßiger Mittel.“[20] Napoleon sah sich in vielfacher Hinsicht als Erbe der Revolution und der Ideen der Aufklärung, wie ein Großteil der Personen in seinem Umfeld. Die Rücksichtnahme auf die Rechte der administrés erfolgte jedoch auch aus politischem Kalkül, nämlich aus der Absicht heraus, seine persönliche Macht zu festigen.[21]

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Die Garantien, die den administrés eröffnet wurden, sollten sich in erster Linie aus leistungsfähigen Organisationsstrukturen und gut ineinander greifenden Arbeitsabläufen der Verwaltung ergeben. Die staatliche Vormundschaft, welche die kommunalen Räte äußerst schwer belastete, sollte die Einwohner der Gemeinden schützen. Die meisten Beschlüsse der Kommunen waren erst nach der Genehmigung durch den Präfekten vollziehbar, und zudem konnte sich jeder mit einer Beschwerde über Unregelmäßigkeiten an den Präfekten wenden. Die Aufsichtsbeschwerde stand den administrés unter vergleichbaren Voraussetzungen offen. Allerdings erkannte selbst Napoleon an, dass beide Arten von Beschwerden den öffentlichen Beauftragten, deren Entscheidungen bei ihren Vorgesetzten gerügt wurden, allzu viele Vorteile beließen, weil es ihnen regelmäßig nicht schwer fiel, diese von der Rechtmäßigkeit ihrer Maßnahmen zu überzeugen.

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Durch verschiedene Gesetze und Verordnungen wurden daher minutiös geregelte nichtgerichtliche Rechtsbehelfsverfahren eingerichtet. Dies war der Fall im Zusammenhang mit der Begradigung der Straßen, der Trockenlegung der Moore, den Konzessionen für Bergwerke sowie der Inbetriebnahme störender oder gar gesundheitsschädigender Werkstätten oder Manufakturen. Bisweilen wurde sogar die Möglichkeit zur Anrufung der ordentlichen Gerichtsbarkeit vorgesehen, um den Rechtsschutz zu verbessern. Der Fall, bei dem dies besonders deutlich wurde, war derjenige der Enteignung. Napoleon ließ das Gesetz vom 8. März 1810 aufsetzen, das den Zivilrichter dazu ermächtigte, die Rechtmäßigkeit des durchgeführten Enteignungsverfahrens zu überprüfen und die Entschädigungssumme festzusetzen, die an den bisherigen Eigentümer zu zahlen war.

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Im selben Jahr gestattete die Cour de cassation, dass die Strafgerichte auf eine entsprechende Einrede hin untersuchen konnten, ob kommunale Polizeiverordnungen im Einklang mit gesetzlichen Vorschriften standen. Wenngleich sie derartige Verordnungen aufgrund von Verboten, die in den bereits erwähnten Revolutionsgesetzen niedergelegt waren, nicht aufheben konnten, so waren sie doch befugt, deren rechtliche Wirkungen auszusetzen. Diese Innovationen trugen dazu bei, dass der Richter der ordentlichen Gerichtsbarkeit gleichsam zu dem „natürlichen“ Richter im Bereich des Immobilieneigentums wurde und im Strafprozess die Gesetzmäßigkeit von Verordnungen untersuchen konnte.

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Schließlich konstituierten Verbesserungen in Bezug auf den Umgang des Conseil d’État und der Conseils de préfecture mit Verwaltungsstreitigkeiten eine Rechtsschutzgarantie für die administrés. Diese Garantie hat die Entwicklung einer Gerichtsbarkeit, die den administrés günstig gewogen war, erleichtert, auch wenn diese Entwicklung im Verlauf des 19. Jahrhunderts aus der Retrospektive gelegentlich als zu langsam und unzureichend erscheint.

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Der emblematischste Schritt in der Rechtsprechungsentwicklung war die Einführung der Anfechtungsbeschwerde (recours pour excès de pouvoir). Der Conseil d’État hat seit seiner Gründung Akte der Verwaltung aufgehoben, die daran krankten, dass sie von einer unzuständigen Stelle, in Überschreitung von Befugnissen oder formfehlerhaft erlassen worden waren oder dass ihr Inhalt im Widerspruch zu den anzuwendenden gesetzlichen Vorschriften stand. Während der letzten Jahre des Ersten Kaiserreichs stellte sich der Conseil d’État allerdings auf den Standpunkt, dass der Beschwerdeführer zunächst vom Minister selbst die Aufhebung des acte administratif, dessen Gültigkeit in Abrede gestellt wird, verlangen müsse, soweit dieser acte nicht von einer unzuständigen Stelle erlassen wurde oder ein Fall der Befugnisüberschreitung vorlag. Waren die genannten Mängel gegeben, stand es dem Conseil d’État zu, direkt zu entscheiden. Rügte der Beschwerdeführer hingegen einen anderen Mangel, konnte der Conseil d’État nur über einen Rechtsbehelf gegen die Entscheidung des „ministre juge“ mit der Angelegenheit befasst werden. Diese Differenzierung vermochte die Entwicklung des Instituts des recours pour excès de pouvoir nicht aufzuhalten, als dessen rechtliche Grundlage der Conseil d’État die Regelung über die „Beanstandungen der Unzuständigkeit (réclamations d’incompetence)“ im Gesetz vom 7. bis 14. Oktober 1790 ansah, was im Schrifttum allerdings nicht unumstritten war.[22] Der Conseil d’État vergrößerte die Zahl der Gründe, die zugunsten einer Aufhebung angeführt werden konnten, indem er insbesondere im Jahre 1864 die Aufhebung wegen Ermessensmissbrauchs zuließ; darüber hinaus dehnte er die Zulässigkeitsvoraussetzungen für den besagten Rechtsbehelf aus.[23]

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Was den Bereich der Haftung der Amtsträger und der öffentlichen Bediensteten anbelangte, traf eine provisorische Regierung, diejenige der Défense Nationale, die sich aus überzeugten Republikanern zusammensetzte, die Entscheidung, den besonderen Schutz der Beamten, der über die „garantie des fonctionnaires“[24] vermittelt wurde, durch die Gesetzesverordnung (décret-loi) vom 19. September 1870 aufzuheben. Mit dieser Maßnahme wurde das Ziel verfolgt, der ordentlichen Zivil- und Strafgerichtsbarkeit die Befugnis zurückzugeben, de plano über Klagen zu entscheiden, die darauf gerichtet waren, Amtsträger und öffentliche Bedienstete zur Verantwortung zu ziehen.

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Das Tribunal des conflits nahm allerdings sehr schnell eine grundlegende Unterscheidung vor. Im Pelletier-Urteil vom 30. Juli 1873 verneinte es eine Zuständigkeit der ordentlichen Gerichtsbarkeit, wenn dem betroffenen Amtswalter kein persönliches Fehlverhalten vorzuwerfen war. Das bedeutete im Umkehrschluss, dass die Verwaltungsgerichtsbarkeit nur von solchen administrés angerufen werden konnte, die Schadensersatz verlangten, ohne Opfer eines persönlichen Fehlverhaltens geworden zu sein. Dieses System der Nichtkumulation von Verantwortlichkeiten wurde wie folgt gerechtfertigt: Das Opfer eines persönlichen Fehlverhaltens muss auf die persönliche Haftung desjenigen, welcher dieses Fehlverhalten begangen hat, vor der ordentlichen Gerichtsbarkeit setzen; das Opfer eines einfachen, als „im Rahmen des service“ bezeichneten Fehlverhaltens muss demgegenüber die Haftung der öffentlichen Gemeinschaft vor der Verwaltungsgerichtsbarkeit in Anspruch nehmen. Dieses logische System hatte für die administrés allerdings einen Nachteil: Sie konnten in einem schwerwiegenden Fall eines persönlichen Fehlverhaltens nicht sicher sein, entschädigt zu werden, weil die Möglichkeit bestand, dass der betroffene Amtswalter nicht über ausreichende Mittel verfügte, um Schadensersatz leisten zu können. Der Conseil d’État lockerte am 3. Februar 1911 seine Position, indem er für den Fall einer Kumulation von persönlichem und einfachem dienstbezogenen Fehlverhalten eine Geltendmachung kumulierter Verantwortlichkeiten zuließ.[25]

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