Читать книгу Ius Publicum Europaeum - Tomasz Rechberger, Michał Ziółkowski, Andrzej Wróbel - Страница 43

b) Die Beseitigung grundrechtsfreier Räume

Оглавление

69

Schon in der Weimarer Zeit hatte der in Deutschland lehrende Schweizer Fritz Fleiner vor der „Flucht […] in das Privatrecht“ gewarnt,[206] also vor der – nach wie vor ungebrochenen – Neigung der öffentlichen Hand, sich mit der ihr in der Regel offen stehenden Wahl privatrechtlicher Handlungsformen (unzulässigerweise) auch der öffentlich-rechtlichen Bindungen zu entledigen. Diesen Ansatz fortführend vertrat die von Hans Julius Wolff begründete und von der Rechtsprechung umgehend aufgenommene Lehre vom Verwaltungsprivatrecht[207] die Auffassung, dass die öffentliche Verwaltung, jedenfalls in den Fällen, in denen sie die Gestaltungsmöglichkeiten des Privatrechts für die unmittelbare Erfüllung von Verwaltungsaufgaben – der Daseinsvorsorge oder der Wirtschaftslenkung – einsetzt, „verwaltungsprivatrechtlich“ gebunden sei, mithin insbesondere die Grundrechte als gegen den Staat gerichtete Abwehrrechte beachten müsse.[208] Vergleichbares gilt bei Organisationsprivatisierungen, also der gesellschaftsrechtlichen Verselbständigung von Verwaltungsaufgaben mittels einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung, einer Aktiengesellschaft oder eines Vereins. Solche öffentlich beherrschten juristischen Personen des Privatrechts werden seitdem als Teil der öffentlichen Verwaltung begriffen und unterliegen deshalb den Bindungen des öffentlichen Rechts, insbesondere der Grundrechte.[209]

70

Unter dem Einfluss von Art. 1 Abs. 3 GG brach sich darüber hinaus die Einsicht Bahn, dass die Grundrechte auch in jenen Verwaltungsrechtsverhältnissen Geltung beanspruchen, die man früher als „besondere Gewaltverhältnisse“ bezeichnet hatte. Darunter verstand man im Anschluss an Otto Mayer „die verschärfte Abhängigkeit, welche zugunsten eines bestimmten Zweckes öffentlicher Verwaltung begründet wird für alle Einzelnen, die in den vorgesehenen besonderen Zusammenhang treten“.[210] Diese „verschärfte Abhängigkeit“ bestand in den Verwaltungsrechtsverhältnissen zwischen Beamten und Dienstherrn, Strafgefangenen und Justizvollzugsanstalt, Schülern und Schule, Soldaten und Armee bzw. den jeweiligen Trägern, und wurde auch nach 1949 noch mit einem Grundrechtsverzicht begründet, der nach dem Grundgedanken des volenti non fit iniuria mit dem Eintritt in ein solches Rechtsverhältnis fingiert wurde, auch wenn dieser Eintritt – wie bei Strafgefangenen – nicht freiwillig geschah. Mit seiner Strafgefangenen-Entscheidung aus dem Jahre 1972 hat das Bundesverfassungsgericht der Lehre vom besonderen Gewaltverhältnis[211] den Boden entzogen und klargestellt, dass die Grundrechte auch im Strafvollzug gelten und nur durch oder aufgrund eines Gesetzes beschränkt werden können. Es hat diese Rechtsprechung später im Hinblick auf das Schulrecht bestätigt und ausgebaut. Indem es etwa für die Einführung der obligatorischen Förderstufe,[212] den Erlass schulrechtlicher Ordnungsmaßnahmen,[213] für den Sexualkundeunterricht[214] oder die Disziplinarmaßnahme der Schulentlassung[215] eine Regelung durch den Gesetzgeber gefordert hat, hat es implizit auch die Grundrechtsrelevanz all jener Maßnahmen anerkannt – mit allen Konsequenzen, was etwa die Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes angeht.

Ius Publicum Europaeum

Подняться наверх