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ee) Ausschluss direkter Demokratie

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Wichtig für das Verständnis einer Verfassung ist nicht allein, was diese positiv regelt, sondern auch, was bewusst ausgeschlossen wird. Das erweist sich bei der Nichtaufnahme direktdemokratischer Elemente wie Volksbegehren und Volksentscheid. Auch hier stützte man sich in den Beratungen auf Weimarer Erfahrungen. Doch handelte es sich insofern weniger um Lehren als um Legenden. Während der Herrenchiemseer Konvent zwar nur, aber immerhin noch für Verfassungsänderungen einen Volksentscheid vorgesehen hatte,[105] legte man im Parlamentarischen Rat von Anbeginn starke Betonung auf die (rein) repräsentative Ausgestaltung der Demokratie. Schon in einem sehr frühen Beratungsstadium hatte Theodor Heuss die suggestive Formel von Volksbegehren und Volksinitiative als einer „Prämie für jeden Demagogen“ geprägt.[106] Der Verzicht auf direktdemokratische Elemente jeder Art erfolgte einer ebenso verbreiteten wie unzutreffenden Einschätzung zufolge mit Blick auf die agitatorischen Praktiken der politischen Parteien in der Weimarer Republik einerseits, als Reaktion auf die so genannten Volksabstimmungen im NS-Staat andererseits.[107] Letztere dienten jedoch lediglich als Propagandainstrumente mit feststehendem Ausgang und scheiden als Argument gegen Volksentscheidungen im demokratischen Verfassungsstaat von vornherein aus. Aber auch die Berufung auf vermeintlich negative Weimarer Erfahrungen hält einer näheren Prüfung nicht stand: die Zahl der Volksentscheide war – auf Reichsebene – mit gerade zweien außerordentlich gering und auch die der Volksbegehren mit sechs nicht sonderlich hoch;[108] agitatorische Praktiken begegnen auch bei Wahlkämpfen und sind kein Spezifikum des Meinungsstreites bei Volksentscheiden; anderen Faktoren wie der fehlenden Verankerung der freiheitlichen Republik in den politisch, wirtschaftlich und kulturell führenden Schichten kommt für den Untergang Weimars erheblich größere Bedeutung zu als den direktdemokratischen Elementen. Für deren Ausschluss im Grundgesetz bieten angeblich „negative“ Weimarer Erfahrungen also keine tragfähige Basis.[109] Das gilt im Übrigen gerade auch, wenn man die entsprechende Praxis auf der Landesebene einbezieht.[110] Die tatsächlich entscheidenden Gründe für den Ausschluss direktdemokratischer Elemente dürften anderer, wesentlich zeitgeschichtlicher Natur gewesen sein.[111] Ansonsten wäre auch schlecht zu erklären, warum angesichts einer behaupteten historischen Lektion die vorgrundgesetzlichen Landesverfassungen so gut wie ausnahmslos Verfahren der Volksgesetzgebung kannten und diese beibehielten.

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