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6. Schlüsselfiguren und Schlüsseltexte
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Das Grundgesetz entstand als Produkt einer Vielzahl politischer und sozialer Kräfte sowie alliierter Interventionen. Verfolgt man anhand der Dokumente den Verlauf der Beratungen, so stechen als zentrale Debattenredner Carlo Schmid, Theodor Heuss, Hermann v. Mangoldt, Ludwig Bergsträßer oder auch Adolf Süsterhenn hervor – um nur einige Namen ohne Anspruch auf Vollständigkeit zu nennen.[161] Im Unterschied zum Prozess der Verfassunggebung in Österreich nach dem Ersten Weltkrieg gab es aber nicht die eine herausragende, alle anderen und das Gesamtwerk dominierende Person, wie es dort Hans Kelsen oder, um einen sehr kühnen Vergleich zu wagen, im revolutionären Frankreich der Abbé Sieyes war. Desgleichen fehlte es an einem zeitnahen Text mit Schlüsselfunktion, der wie beispielsweise die Federalist Papers in den USA für Verständnis und Auslegung des Verfassungswerkes zentrale Bedeutung hätte erlangen können. Charakteristisch war vielmehr der „rückwärtsgewandte“ Blick namentlich auf die Verfassungen Weimars und der Paulskirche sowie der Seitenblick auf andere Rechtsentwicklungen etwa auf internationaler Ebene. Zuweilen ging der Blick allerdings auch weit voraus, wenn man an die entschlossene Hinwendung zur internationalen Öffnung der Verfassungsordnung denkt,[162] wie sie in der Präambel mit ihrem Hinweis auf ein vereintes Europa sowie der Rezeptionsnorm des Art. 25 GG („Die allgemeinen Regeln des Völkerrechts sind Bestandteil des Bundesrechts. Sie gehen den Gesetzen vor und erzeugen Rechte und Pflichten unmittelbar für die Bewohner des Bundesgebietes.“), vor allem aber mit dem wegweisenden, wenngleich ganz unpathetisch-nüchtern formulierten Art. 24 GG („Der Bund kann durch Gesetz Hoheitsrechte auf zwischenstaatliche Einrichtungen übertragen“) zum Ausdruck kam.[163] Für eine solche Bestimmung, seinerzeit ein absolutes Novum,[164] hatte sich namentlich Carlo Schmid stark gemacht mit dem Hinweis, man solle die „Tore in eine neu gegliederte überstaatliche politische Welt weit öffnen“[165].
§ 1 Grundlagen und Grundzüge staatlichen Verfassungsrechts: Deutschland › II. Die Entwicklung des Grundgesetzes von 1949 bis heute