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4. „Ausländische“ Einflüsse und Rechtsvergleich

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Auf regelrechte Verfassungsimporte aus dem Ausland war man bei der Schaffung des Grundgesetzes kaum angewiesen. Man konnte zu einem Großteil aus den Beständen der eigenen Verfassungsgeschichte schöpfen. Insofern stechen der stete Rückblick und partielle Rückgriff auf die Weimarer Verfassung ebenso hervor wie die große ausstrahlende Kraft der Paulskirchenverfassung.[132] Diese eigene Grundrechts- und Verfassungstradition verdankte sich freilich immer schon einem intensiven Rezeptionsprozess der revolutionären Verfassungsdokumente der amerikanischen und französischen Revolution,[133] an deren Tradierung und Weiterentwicklung man erheblichen Anteil hatte.[134] Es handelte sich insgesamt um einen Vorgang der Wiederaneignung des zwischenzeitlich fremd gewordenen Eigenen, nicht um die Adaption des nun zum ersten Male als richtig erkannten Fremden.

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Von anderer Art war die Einflussnahme durch die Besatzungsmächte, die man nur in einem sehr besonderen Sinne als „ausländisch“ ansprechen und sachlich treffender als Einfluss fremder Hoheitsgewalt in Deutschland charakterisieren könnte. In den weichenstellenden Entscheidungen für Grundrechte, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Föderalismus konvergierten die deutschen Vorstellungen mit jenen der Besatzungsmächte. Schon von daher geht es in die Irre, das Grundgesetz als „Oktroi“ der westlichen Alliierten zu bezeichnen.[135] Die meisten Interventionen betrafen die Ausgestaltung des Bund-Länder-Verhältnisses und liefen letztlich auf einen Kompromiss hinaus. Andere gezielte Eingriffe dürften letztlich eher als Fortentwicklung deutscher Traditionslinien und weniger als Implantation ausländischer Rechtsinstitute zu begreifen sein.

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Als hervorhebenswert darf hingegen der intensive Rezeptionsprozess gelten, den die am 10.12.1948 von der Generalversammlung der Vereinten Nationen angenommene „Allgemeine Erklärung der Menschenrechte“ im Parlamentarischen Rat erfahren hat. Die ihm vorliegenden Entwürfe entfalteten ein hohes Maß an Anziehungskraft und partiell auch an Vorbildfunktion. Nicht weniger als dreizehn Mal verweist Bergsträßers früh ausformulierter Vorschlag für einen Grundrechtskatalog auf das UN-Dokument in der seinerzeit vorliegenden Fassung,[136] etwa bei der Freiheit der Person und dem Schutz vor willkürlicher Verhaftung, dem Ausweisungsschutz von Fremden, der Glaubens- und Gewissensfreiheit oder dem Petitionsrecht. Auch wenn sich im weiteren Verlauf noch vieles veränderte, kam man auf die AEMR doch immer wieder zurück: häufig zur Bestätigung eigener Vorstellungen, seltener in bewusster Absetzung, zuweilen im Weg expliziter Anleihen. An solchen ausdrücklichen Übernahmen ist das Verbot willkürlicher Entziehung der Staatsangehörigkeit zu nennen, und auch bei der Formulierung der allgemeinen Handlungsfreiheit und des Rechts auf Leben spielte der UN-Entwurf eine Rolle. Am Schluss der Beratungen kam es dann noch einmal zu einem regelrechten Abgleich mit dem Grundgesetz, ohne dass man sich zu einer Übernahme der sozialen und kulturellen Bestimmungen der AEMR entschließen konnte.

§ 1 Grundlagen und Grundzüge staatlichen Verfassungsrechts: Deutschland › I. Der Ursprungskontext des Grundgesetzes › 5. Zentrale Streitpunkte und schwierige Kompromisse

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